Die Folklore meint: Iwan IV. war “an enemy to the boyar”, also automatisch ein Freund des einfachen Volkes, so nach dem Motto, Feind meines Feindes ist mein Freund. Das kann man so sehen, aber das ist nicht historisch, was auch in dem von dir verlinken Artikel gesagt wird: "Though the chief character is certainly a historical figure, the resemblance stops here, for there is nothing historical, or even very plausible, in most of these legends.”.
Außerdem ist das nicht das, wonach es gefragt wurde. Ich weiß, die Quellenlage ist dünn bis ev. nicht vorhanden, so dass man auf Vermutungen angewiesen ist - kann man trotzdem noch auf “eine Reihe von Indizien und Quellen, die der Tötung des Zarewitsch durch Iwan IV. widersprechen", die es dir zufolge geben soll, hoffen?
Die Hoffnungen und Erwartungen des einfachen Volks auf ein Väterchen Zar mögen sicher übersteigert gewesen sein, aber es muss ja doch solche Hoffnungen gegeben haben. Es entstand unter Iwan eine Art Dienstadel, bei dem Loyalität und Ergebenheit zum Zaren über Aufstieg entschieden. Die Obritschnina war sicher ein Terrorregiment, und es gibt Berichte, dass die wie Räuber hausten. Dennoch ergaben sich für Bauern durchaus Chancen, wenn auch Personen aus dem einfachen Volk Obritschnik werden konnten. Es gab Bauern, die in die Kosakengebiete sich flüchten konnten, und auch die Erschließung Sibiriens bot Chancen, bedrückenden Verhältnissen zu entfliehen.
Dann muss man auch festhalten, dass Iwan IV. als Erster das russische Recht kodifizierte, und bei der Einziehung von Bojarenländereien, wechselten auch Leibeigene den Herrn, und es konnte durchaus zu einer Verbesserung der Lebenssituation führen, wenn Leibeigene auf Domänen der Krone wechselten, wenn sie mit Jermak nach Sibirien ziehen konnten oder für die neu entstandene Armee rekrutiert wurden. . Auf den Zaren richteten sich traditionell Hoffnungen der Bauern, der Zar konnte belohnen, Wünsche erfüllen. Auch in Russland gab es sozialen Aufstieg. Leute wie Alexander Menschikow oder auch Katherina I. stammten aus ganz armen Verhältnissen. Peter beförderte Leute unabhängig von Geburt. In seiner Kanzlei fand er eines Tages einen anonymen Kassiber. Darin empfahl der Verfasser amtliche Formulare einzuführen. Peter ließ nachforschen und fand heraus, dass der Verfasser ein Leibeigener war, der mit seinem Herrn mit auf der Gro0ßen Gesandschaft war und der solche Formulare dort kennengelernt hatte.
Auch Iwan hat Leute befördert nach Leistung und Verdienst.
Ich behaupte ja gar nicht, dass Iwan IV. sonderlich sympathisch war! Es sind sicher viele Anekdoten übertrieben oder auch erfunden. Aber Berichte über Folter, über sadistische Exzesse und Grausamkeiten sind aus vielen Berichten überliefert, die völlig unabhängig voneinander waren.
Das das alles Gräuelpropaganda war, erscheint unwahrscheinlich.
Iwan IV. hat Russland massiv umgekrempelt:
-Die Gründung einer stehenden Armee
- Die Kodifizierung und Sammlung des russischen Rechts
-Gründung eines Dienstadels
- Etablierung eines geheimpolizei-Systems.
Da mussten sich einfach auch Möglichkeiten ergeben, und die haben anscheinend viele Leibeigene durchaus genutzt. Bei der Rekrutierung für die Armee, für die Obritschina oder auch durch Flucht in die Kosakengebiete oder nach Sibirien dürfte es schon den ein oder anderen gegeben haben, der sich dem Joch der Bojaren entziehen konnte, und durch Iwans Maßnahmen gegen die Bojaren entstand vielerorts ein politisches Vakuum, dass durchaus die eine oder andere Möglichkeiten bot.
Das alles mag durchaus nicht immer erfreuliche Erscheinungen hervorgebracht haben, aber es boten sich dabei auch Chancen. bedrückenden Verhältnissen zu entkommen.
Ich muss hier gestehen, dass ich mich auf die Angaben aus der Sekundärliteratur und aus dem verlinkten Wikipedia-Artikel verlassen muss. Historikern wie Perrie oder Halperin u. a. würde ich schon zutrauen,, dass sie den Forschungsstand korrekt wiedergeben. Nach Wikipedia-gibt es zum Tode des Zarewitsch unterschiedliche Überlieferungen und die Quellen widersprechen sich teilweise.