Adelige und Bürgerliche in der Armee des Kaiserreichs/Heeresvermehrungen

Offizierskorps

@Offiziere
In der preußischen Armee gab es den bekanntesten Einschnitt in den Militärreformen von 1807 nach der Niederlage gegen Napoleon. Damals fiel „… das tatsächliche Privileg des Adels auf die Offiziersstellen… Im Frieden sollten Kenntnisse und Bildung, im Kriege Tapferkeit, Tüchtigkeit und Überblick allein einen Anspruch auf eine Offiziersstelle gewähren. Die >Fähnrichsprüfung< sollte ein Mindestmaß von Kenntnissen sicherstellen; die Offizierprüfung und die Wahl durch das Offizierkorps wurde eingeführt, die Stellung des Offiziers durch die Reform der Offizierstrafen gehoben. [Anstelle von öffentlichen, bloßstellenden Strafen wurde]dem Offizierkorps das Recht verliehen, unwürdige Elemente durch ein geregeltes Ehrengerichtsverfahren zu beseitigen [in wessen Tradition die unwürdigen Ehrengerichtsverfahren der Wehrmacht nach dem Stauffenberg-Attentat von 1944 standen – politisch instrumentalisiert].“ (Außer den [Klammern von mir]zitiert aus Müller-Loebnitz in seinem Aufsatz „Die Entwicklung der Heereseinrichtungen in Deutschland von der Bildung der stehenden Heere bis zum Jahre 1871“) Zur weiteren Vorausbildung dienten Kriegsschulen in Berlin und Königsberg, für die Weiterbildung die gründlich reformierte Militärakademie als Generalstabsschule. Die Kriegsschulen setzten sich erst unter der Regierung Friedrich-Wilhelms IV. endgültig durch und ersetzten die Divisionsschulen (und damit die Ausbildung der aktiven Offiziere für den Nachwuchs).

Das Offizierskorps der Landwehr ergänzte sich nach den napoleonischen Kriegen offiziell aus „gebildeten Ständen“. Damit waren Männer gemeint, die anstelle des Wehrdienstes als „Einjährig dienende Freiwillige“ zur Armee kamen und dabei selbst die Kosten der Bekleidung und Bewaffnung, sowie ihren eigenen Unterhalt zahlen konnten. Faktisch also die wohlhabende Oberschicht, vor allem auch des Bürgertums.

Die Heeresvermehrungen ab 1860 vergrößerten den Bedarf an Offizieren. Die Gelegenheit wurde zusätzlich genutzt das Offizierskorps zu verjüngen und vermehrt bürgerliche Offiziere heranzuziehen, was nicht immer auf Gegenliebe des aktiven Offizierskorps stieß, das durch die oben genannten Regelungen doch sehr viel Einfluss hatte! Es wurde eine dritte Kriegsschule gegründet, die Ausbildung der Kadetten stärker auf militärische Anforderungen ausgerichtet. Mehr und mehr Intendanturen überprüften die getroffenen Maßnahmen und stellten eine größere Vereinheitlichung der Truppen und Ausbildungen her.

Nach dem Krieg von 1866 wurde der Norddeutsche Bund unter Führung Preußens gegründet, dessen Wehrsystem für das spätere Kaiserreich Vorbild wurde. Hier dominierte Preußen total die Truppen der Bundesstaaten, bis auf unterschiedliche Sonderrechte in steigendem Maße bei Württemberg, Sachsen und Bayern. Man schaffte die Landwehr II. Aufgebots als Truppe ab und wandelte viele Einrichtungen der Landwehr in reine Kontrollbehörden um. Durch Gebietserweiterungen bildete Preußen neue Truppen, die sich aus Stämmen alter Verbände und Teile der einzugliedernden, bisher souveränen deutschen „Kleinarmeen“ zusammen setzten. Das musste Auswirkungen auf die Zusammensetzung des preußischen Offizierskorps haben. Die Offiziere der eingegliederten Staaten wurden unter die preußischen Truppen verstreut, so dass sie sich eingliedern mussten, was nicht ganz ohne Reibereien ging. Es bestand ein hoher Bedarf an Offizieren, wobei genügend Männer diese Laufbahn anstrebten. Die Verordnungen für „beurlaubte Offiziere“ im Falle der Mobilmachung wurden angepasst, eine Trennung zwischen Offizieren der Reserve und der Landwehr durchgeführt. Zukünftige Reserveoffiziere mussten nun mehrwöchige Übungen leisten.

Nach Gründung des Kaiserreichs war die Ausbildung der aktiven Offiziere wie folgt geregelt: Fahnenjunker (als Mannschaftsdienstgrade eingestuft) hatten einen Gymnasialen Abschluss vorzuweisen oder eine bestandene Fähnrichprüfung. Nach mehreren Monaten praktischer Ausbildung bei der Truppe kamen sie für 9 Monate an die Kriegsschulen, wo sie nun den Rang eines Fähnrichs bekleideten. Nach bestandener Prüfung kamen sie zum Truppenteil zurück, wo ihre Wahl vom Offizierskorps erfolgen musste.
Eine weitere, elitärere Ausbildung genossen die Zöglinge der Kadettenschulen, in welche die Jungs zwischen vollendetem 10.- und spätestens 15. Lebensjahr eintreten mussten. Diese Ausbildung war sehr teuer und musste von den Eltern finanziert werden, wobei auch Rabatte möglich waren und sogar Ausländer zugelassen wurden (für ein Mehrfaches eines deutschen Schülers!). Pro Jahr kostete dies um 1900 einen Deutschen etwa ein Lehrergehalt. Die Schüler erhielten eine gymnasiale Ausbildung und ihre Erziehung galt als Hochburg adeligen Standesgeistes. Als Erzieher dienten aktive Offiziere, die infanteristische Ausbildung vermittelten. Nach abgeschlossener Schulausbildung waren sie für die Fähnrichprüfung zugelasen. Danach gab es verschiedene Karrierewege. In der Regel kamen die Fähnriche nun sofort zur Truppe für ein Jahr und dann die Kriegsschule. Ihr anschließendes Patent zum Leutnant wurde 2 Jahre vordatiert. Statt als Fähnrich zu dienen wurden ausgewählte Zöglinge in die Selekta überwiesen anstelle der allgemeinen Kriegsschule. Die Selekta galt auch als Vorbereitungszeit für Kriegsakademie und Generalstab. Ihr Abschluss endete mit einem Offizierspatent als Leutnant und anschließendem Dienst in der Truppe. Die Exklusivität der Kadettenanstalten garantierten weitgehend befähigten Nachwuchs aus bestem Hause und damit aus der politisch zuverlässigen Oberschicht.
Weder die Laufbahn als Fahnenjunker noch die Kadettenanstalten konnten für den Kriegsfall genügend Offiziere stellen. Für die Mobilisierung musste auf Offiziere des Beurlaubtenstandes, Reserve- und Landwehroffiziere zurückgegriffen werden. Letztere ergänzten sich weiterhin durch die einjährig dienenden Freiwilligen (siehe oben).

An sich war die Heeresstärke im Frieden auf 1 % der Bevölkerung festgesetzt, was allerdings nicht durchgehalten wurde. Erst 1914 war der Anteil auf 1,15 % gestiegen – im Gegensatz zu Frankreich, dass 2 % der Bevölkerung ständig unter Waffen hielt.
 
Militärkabinett und von Ehrengerichten

Gemäß der Bundesverfassung hatte der Kaiser das Recht alle Offiziere (Einschränkung bei Bundestruppen) zu ernennen. Alle zu besetzenden Stellen des Reichsdienstes konnte der Kaiser mit Offizieren aller Bundessstaaten entscheiden – ob mit oder ohne Beförderung. Dieses Recht stand im Widerspruch zu den oben genannten, traditionellen Offizierswahlen der Regimenter. Es wurde praktisch versucht den Willen der Offiziersversammlung zu berücksichtigen, bzw. deren Zustimmung zu erreichen. Aber im Zweifel konnte sich der Kaiser durchsetzen, also praktisch das für Personalpolitik zuständige Militär-Kabinett, das in seinem Namen agierte! Den Bundesfürsten standen unterschiedliche Rechte zu, besonders den Bayern, die über ihre Offiziere die oben genannten Rechte nicht vollständig gewährten! Sowohl Bundesfürsten als auch der Kaiser konnte das Militär jederzeit zu Polizeizwecken einsetzen – anders als die heutige Bundeswehr eben nicht im Inland zu Polizeidiensten herangezogen werden kann! Personalentscheidungen gingen vom Militär-Kabinett aus und wurden vom Kaiser gegengezeichnet. Der Leiter dieser Behörde unterstand direkt dem Kaiser, musste sich aber natürlich oft auch mit dem Kriegsminister ins Benehmen setzen.

Die Wurzeln des Militär-Kabinetts lagen in der preußischen Militäradjutantur, die unter Friedrich d.Gr. eher eine ausführende Behörde war, später aber zunehmend selbstständiger agieren konnte. Zum Militär-Kabinett wurde es erst unter König Wilhelm, den späteren Kaiser ausgebaut. Die Zwitterstellung zwischen König/Kaiser und Kriegsminister wurde deutlich während der Revolution 1848/49, als Minister ja stärker vom Parlament abhängig waren als der Fürst, so dass sich letztlich das Militär-Kabinett stärker an letzterem zu orientieren hatte, was 1883 endgültig zur Loslösung vom Ministerium führte. Es war damit eine staatsrechtliche Stütze der Monarchie ersten Ranges durch seine Personalpolitik, auf welche die Parlamente keine- und die Minister nur geringe Einflussmöglichkeiten hatten! Selbst der reaktionäre Oberst a.D. von Rodenberg (selbst zeitweilig in dieser Institution beschäftigt) räumte nach dem Weltkrieg ein, dass dieses Militär-Kabinett nicht nur in dem Kaisertum fern stehenden Kreisen als ein Werkzeug fürstlicher Macht gegolten hat, sondern dass auch in Offizerskreisen diese Ansicht vorherrschte. „…zumal [das Militär-Kabinett] gerade [in Offizierskreisen] häufig neue Nahrung durch einseitige Darstellung der im Militär-Kabinett bearbeiteten Allerhöchsten Entscheidungen fand, die der Betroffene in erklärlicher Subjektivität als ungerecht, wenn nicht gar als unverständlich empfand und einer am Stammtisch andächtig lauschenden Zuhörerschaft als grobe Willkür […] zu erklären suchte.“ (Aus dem Aufsatz „Das Militär-Kabinett“ von v. Rodenberg 1926). Das Militär-Kabinett spielte verständlicherweise eine große Rolle für die Zusammensetzung des Offizierskorps und den Erhalt der alten, adeligen Ehrbegriffe und Loyalitäten. Das Militär-Kabinett spielte weiter eine maßgebliche Rolle bei der Ordensverleihung im Kriege und wurde nach dem Weltkrieg in dieser Form abgeschafft.

@“Selbstverwaltung des Offizierskorps“
Die Ehrengerichte hatten unter anderem die Aufgabe, das Duell-Unwesen früherer Zeiten einzuschränken, doch kamen Duelle weiterhin vor, ohne dass die Behörde vollkommen durchgriff. Rodenberg: „Einmal bildete das geschlossene Offizierskorps eine der wesentlichsten Stützen der den Machtgelüsten der Sozialdemokratie im Wege stehenden Staatsgewalt…. In diesem Sinne war natürlich die Sprengung des das Offizierskorps umschließenden ehrengerichtlichen Bandes von außerordentlicher Bedeutung. Ferner hoffte die Sozialdemokratie wohl, dass es ihr nach Beseitigung der ehrengerichtlichen Bestimmungen leichter gelingen würde, ihren Theorien im Offizierskorps Eingang zu verschaffen… [Das Militär-Kabinett] auf dem Wege des ehrengerichtlichen Verfahrens einen ähnlichen Terror auf das Offizierskorps ausübe, wie sie es selbst den von ihr abhängigen Arbeitern gegenüber zu tun pflegt….“ Die Ehrengerichte wurden in der Weimarer Republik abgeschafft und durch die Wehrberufskammer ersetzt, praktisch aber Unwürdigkeitsverfahren zuerst an dessen Stelle gesetzt.
Das Urteil der Ehrengerichte lag (v. Rodenberg) bei „dem gesamten, unmittelbar beteiligten Offizierskorps. Das Militär-Kabinett hatte unter Hinzuziehung von Juristen den Vorgang zu organisieren und dem Kaiser das Urteil zur Bestätigung vorzulegen.
Offiziersanwärter bewarben sich (über ihre Eltern) bei einem Regiment, so dass dessen Kommandeur unter ihnen die ihm am meisten zusagenden Kandidaten aussuchen konnte. Je angesehener das Regiment war, desto mehr bemühten sich in der Regel darum, in diesem dienen zu können. Hier galt so etwas wie Angebot und Nachfrage. Die alten „Feudalregimeter“, die zudem meist attraktive Garnisonen als Standort hatten, konnten meist ihr völlig adeliges Offizierskorps aus diesen Gründen (und auch aufgrund der Mitspracherechte der aktiven, dort dienenden Offiziere) erhalten. Gerade die in höchste Stellen aufrückenden Bürgerlichen dagegen hatten ihre Laufbahn in weniger attraktiven Standorten oder weniger beliebten (oder angesehenen) Regimentern begonnen, wo die adelige Konkurrenz für einige Zeit weniger erdrückend gewesen war. Grundlegend hätte sich dieser Ablauf nur ändern können, wenn er zentral gewollt und auch durchgeführt worden wäre. Dazu wäre weiterhin das Auswahlverfahren innerhalb der Regimenter (also letztlich in erster Linie bei deren Kommandeur) zu unterbinden gewesen. Der Zusammenhalt innerhalb des Offizierskorps eines Regimentes und sein eigenes Selbstbewusstsein fußte aber stark auf seinen Einflussmöglichkeiten bei der Auswahl für den eigenen militärischen Nachwuchs

@Personalpolitik & innere Widerstände im Offizierskorps
Die Beurteilung und Auswahl der Offiziere in ihrer weiteren Laufbahn beruhte auf einem System geheimer Qualifikationsberichte der Vorgesetzten an das Militär-Kabinett. Theoretisch stellten diese Unterlagen die Grundlage für die Verwendung der einzelnen Offiziere durch den Monarchen dar – der dies freilich wohl der Behörde überlassen musste. Die Weimarer Republik schaffte mit Artikel 129.3 die Geheim-Qualifikationen für Beamte ab und schränkte diese für Offiziere ein. Der Vorwurf von Selektion nach politischen Gesichtspunkten in geheimen Berichten war zu schwerwiegend gewesen. Es hatte aber auch weit praktischere Gründe gegeben, denn „offene Berichte“ pflegen deutlich allgemeiner und vorsichtiger in ihrer Formulierung zu sein. Ablehnungen aufgrund geheimer Beurteilungen mussten die Betreffenden aber umso härter treffen. Ich nehme einmal an, dass auch die Beurteilung des Adolph Hitlers aus dem 1. Weltkrieg – er sei für Führungsaufgaben nicht geeignet – ebenfalls ein geheimer Qualifikationsbericht gewesen ist. General von Freytag schrieb allerdings nach dem 1.Weltkrieg auch, dass nach seiner Ansicht weniger geeignete Offiziere in höhere Stellen gelangt seien, nur weil sie aus dem 1. Garderegiment zu Fuß stammten. Ein weiterer Hinweis also auf eine Beförderungspraxis nach Herkunft, zumal dieses Regiment eine enge Beziehung zum Kaiser hatte. Rodenberg sah hierin meist den direkten Einfluss des Kaisers, der ja letztlich die letzte Entscheidung hatte und dessen Eindruck natürlich eine Rolle spielen musste. Das ganze Beförderungssystem und die Stagnation vor den Heeresvermehrungen ab 1913 führten in der Armee zu einer steigenden Überalterung, besonders der mittleren Führungsstellen. Die Personalpolitik musste sich den Vorwurf gefallen lassen die Offiziere zu einseitig unter dem Adel gesucht zu haben, der nicht mehr geeignete Kandidaten in genügender Zahl hatte stellen können.

[FONT=&quot]Unter den 40 Generälen des Weltkrieges, welche eine Armee kommandiert hatten, befanden sich ganze 6 bürgerliche Männer. Weiterhin sind dann 10 Generäle bürgerlicher Abstammung darunter, die aufgrund ihrer Leistungen geadelt worden sind. Das sind die nakten Zahlen für höchste Kommandostellen. Vor dem Hintergrund des in meinen vorigen Beiträgen geschriebenen stellt sich mir die Frage, ob die Bevorzugung des Adels eher auf die traditionellen Strukturen des Offizierskorps zurückzuführen sind, oder ob [/FONT]die zentrale Personalpolitik durch das Kriegs-Kabinett eine größere Rolle dabei gespielt hat. Offensichtlich wird aber, das der Charakter der Armee sich stark verändert hätte, wäre mit einer weiteren Vermehrung des Heeres - und damit der Offiziersstellen das bürgerliche Element unter ihnen weiter gestärkt werden musste. Die Widerstände sind nicht zuletzt aus den Erfahrungen der Krone und des Adels aus den Vorkommnissen von 1848/49 und dem parlamentarischen Widerstand gegen die preußischen Heeresreformen ab 1859 zu sehen, welche dem Selbstverständnis der adeligen Offiziere zu ihrem Monarchen gegenüberstanden.
 
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Hallo tejason,

wie von Dir gewohnt kompetente Darstellungen. Eine Bitte: könntest Du Literaturhinweise setzen?
 
Hallo tejason,

wie von Dir gewohnt kompetente Darstellungen. Eine Bitte: könntest Du Literaturhinweise setzen?

Meine Zitate:
"Militär-Kabinett"
von Oberst a.D. von Rodenberg

"Die Entwicklung der Heereseinrichtungen in Deutschland von der Bildung der stehenden Heere bis zum Jahre 1871"
von Oberstleutnant a.D. Müller-Lobnitz

beide veröffentlicht im einmal angesprochenen, vom Geiste der Dolchstoßlegende durchzogenen Buch
"Ehrendenkmal der deutschen Armee und Marine" 2. Auflage von 1926
 
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