Aktuelle Kontroversen - Alexander der Große

bk219

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Da Droysen mittlerweile ja als veraltet angesehen werden kann, stellt sich mir die Frage, welche aktuellen Kontroversen zu Alexander dem Großen geführt werden, bzw. ob es überhaupt noch aktuelle gibt?

Bei der Recherche stößt man immer nur wieder auf Droysen, Tarn, Badian aber kann nichts richtiges aus der Gegenwart greifen.
 
Wie man bei Wiki lesen kann, gibt es zu diesem Thema neuere Publikationen:

Neben diesen stark wertenden Darstellungen stehen Untersuchungen vor allem aus neuerer und neuester Zeit, deren Autoren von vornherein darauf verzichten, die Persönlichkeit Alexanders zu erfassen, ein Werturteil über sie abzugeben und seine verborgenen Motive zu erkunden (was aufgrund der Quellenlage sehr schwierig ist, worauf u. a. Gerhard Wirth hingewiesen hat). Diese Forscher untersuchen vielmehr Alexanders Selbstdarstellung, deren Wandel und die sich daraus ergebenden politischen Folgen.

Das Thema ist vermutlich ausgelutscht und alles gesagt, was zu sagen ist. Die Quellenlage ist ohnehin dürftig.
 
Inwiefern dürftig? Zu Alexander generell gibt es vier ausführliche Quellen: die mehrbändigen Geschichtswerke von Arrian und Curtius Rufus, das 17. Buch von Diodors Universalgeschichte und Plutarchs Alexander-Biographie. Knapper wird er bei Iustinus behandelt. Dazu kommen noch verschiedene kleinere Werke (z. B. eine Schrift Plutarchs darüber, ob Alexander seine Erfolge mehr dem Glück oder mehr seiner Tapferkeit/Tugend zu verdanken hatte) sowie etliche Einzelinformationen in anderen Werken. Auch wenn natürlich trotzdem vieles offen bleibt, haben wir über kaum eine andere antike Persönlichkeit so viel Quellenmaterial.

Falls Du allerdings Quellen zu "verborgenen Motiven" o. ä. meinst: Nun ja, was soll es da schon viel geben? Oder besser gefragt: Was könnte es da überhaupt Sinnvolles geben? Da man in der Antike in einen Menschen ebenso wenig hineinsehen konnte wie heute und natürlich auch in der Antike schriftliche und mündliche Äußerungen einer Person über ihre Motive und Absichten nicht unbedingt die Wahrheit enthalten mussten, wären Quellen, die über Alexanders Denken und Fühlen Auskunft geben, ohnehin mit allergrößter Vorsicht zu genießen - man könnte auch sagen: praktisch wertlos, abgesehen natürlich von Aufschlüssen darüber, wie er gesehen werden wollte.
 
Hier eine moderne "Kontroverse" (wohl eher erhitzte nationale Gemüter):

Wenn dann gibt es die westliche Populärwissenschaft, die aus der durchaus begründeten Vermutung, Alexander der Große sei bisexuell gewesen (was zu dieser Zeit bekanntlich nicht das ungewöhnlichste war) die Schlussfolgerung gezogen hat, der Herrscher sei homosexuell gewesen.

Als dies auch noch in einem bestimmten Film dargstellt wurde hat sich ein bestimmtes europäisches Volk nicht wirklich amüsiert gezeigt.
 
Ob dies noch als Kontroverse behandelt wird weis ich nicht, aber in jüngeren Publikationen wird das Alexander gelegentlich unterstellte Streben nach Weltherrschaft als eher unglaubwürdig beurteilt. Ich glaube Demandt hat sich in seiner Alexander-Bio diesbezüglich so geäußert und dabei die angeblich "letzten Pläne" Alexanders für einen Zug gegen Westen (Karthago, Rom), die erst von seinem "Nachfolger" Perdikkas publik gemacht worden sein sollen, als Fantasterei der römischen Geschichtsschreibung ausgemacht.
 
Zumindest Werner Huß ging in seiner "Geschichte der Karthager" (okay, nicht die jüngste Publikation) noch davon aus, dass Alexander tatsächlich einen Feldzug gegen Karthago und in den westlichen Mittelmeerraum plante.

Über Alexanders West-Pläne wird hauptsächlich von Diodor berichtet. Natürlich schrieb er erst zu römischer Zeit, aber als Quellen nennt er in seinem Werk immer nur griechische Autoren. Ich bezweifle daher, dass er das über die Westfeldzugs-Pläne von einem römischen Geschichtsschreiber hatte.

Davon mal abgesehen würden sie meiner Meinung nach gut zu Alexander passen. Was hätte er denn, wenn er nicht gestorben wäre, sonst tun sollen, wenn nicht weiter Krieg führen? Dreißig Jahre in Babylon sitzen und saufen? Oder sich nur noch mit viel Papierkram ganz der Verwaltung des Erreichten widmen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich so seine Zukunft vorgestellt hat. Allenfalls hätte ihn die Furcht vor einer Überdehnung seines Reiches von einer Westexpansion abhalten können, allerdings hielt ihn eine mögliche Überdehnung (und die Gefahr von Aufständen im Hinterland, während er selbst weit weg ist) auch nicht vom Vorstoß nach Indien ab.
Es lag in seiner Natur, immer weiter zu wollen. Militärisch oder politisch notwendig war der Feldzug nach Indien auch schon nicht gewesen.
 
Ich würde Diodor allerdings, trotzdem er griechischer Muttersprache war, als Römer bezeichnen wollen. Ich bin auch eher der Auffassung, dass Alexander sich eher für die Großreiche interessierte, als für einen Handelsstadt wie Karthago oder ein paar latinische Bauern, die sich seit einiger Zeit für Städter hielten.
Im Westen musste auch der Ozean nicht mehr entdeckt werden, da wusste man, wo er lag.
 
So viele Großreiche hatte Alexander aber zum Erobern nicht mehr zur Auswahl. Eigentlich war das Persische Reich das einzige Großreich seiner Zeit. (China war damals in mehrere Staaten zerfallen.) In Teilen Indiens gab es zwar noch das Nanda-Reich, allerdings unterschätzte Alexander die geographische Ausdehnung Indiens (und somit auch die mögliche des Nanda-Reiches) offenkundig massiv.

Davon abgesehen bezweifle ich aber ohnehin, dass Alexander es primär auf Großreiche abgesehen hat. Dafür hat er sich zu lange in Zentralasien und Nordwestindien herumgetrieben und mit der Bekriegung von Nomaden und klein- bis mittelgroßen Reichen abgegeben.

Im Übrigen bezweifelt Alexander Demandt im von Joinville zitierten Buch nur die Welteroberungspläne, aber (Zitat S. 358): "Im Blick hatte er lediglich, aber immerhin Arabien, die Pontosregion und Karthago." Die Echtheit der nachgelassenen Papiere verwirft er nicht definitiv, sondern: "Die Echtheit dieser hypomnemata ist umstritten." Außerdem bezweifelt Demandt eher, dass Alexander allfällige Welteroberungspläne umzusetzen versucht hätte, als dass er mit ihnen zumindest gespielt hat.

Ich würde Diodor allerdings, trotzdem er griechischer Muttersprache war, als Römer bezeichnen wollen.
Entscheidend ist doch, welche Quellen er nützte und welche Kontakte er hatte.
Als Quellen nützte er (zumindest für die erhaltenen Teile seines Werkes) fast ausschließlich griechische Autoren. Aus der Frühzeit Roms erwähnt er nur einige wenige wichtige Ereignisse und die auch nur knapp, wobei er obendrein mitunter von der in Rom üblichen Darstellung abweicht (vor allem bei der Schlacht an der Cremera); lediglich die Eroberung Roms durch die Gallier behandelt er ausführlich - allerdings auch nicht im nationalrömischen Stil, sondern bei Diodor kaufen sich die Römer von der Belagerung frei; erst später jagen sie den Galliern zur Ehrenrettung doch noch die Beute ab. Die Römer selbst stellten das lieber so dar, als wären die Gallier bereits spätestens im Zuge der Verhandlungen über den Freikauf von Camillus angegriffen und geschlagen worden. Erst für das 3. Jhdt. wendet sich Diodor Rom zu. Alles in allem galt sein Interesse klar der griechischen Welt und erscheint die römische Geschichte bei ihm weit weniger glorreich als bei Dionysios von Halikarnassos und Livius.
 
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Würdet ihr sagen, dass Alexander eine aktive Politik der Völkerverschmelzung mit der Vision einer ‚unity of mankind‘ (Tarn) betrieb oder die Tatsache, dass er Perser und Griechen zusammenbrachte, einzig und allein darauf zurückzuführen ist, dass er die ‚Harmonie‘ der Völker brauchte, um seinen Eroberungszug erfolgreich fortzuführen? Also vielleicht gar nicht vordergründig das Ziel verfolgte einen ‚Mischmensch‘ zu kreieren, sondern (wie so oft) an den Ausbau seiner Macht festhielt?
 
Würdet ihr sagen, dass Alexander eine aktive Politik der Völkerverschmelzung mit der Vision einer ‚unity of mankind‘ (Tarn) betrieb oder die Tatsache, dass er Perser und Griechen zusammenbrachte, einzig und allein darauf zurückzuführen ist, dass er die ‚Harmonie‘ der Völker brauchte, um seinen Eroberungszug erfolgreich fortzuführen? Also vielleicht gar nicht vordergründig das Ziel verfolgte einen ‚Mischmensch‘ zu kreieren, sondern (wie so oft) an den Ausbau seiner Macht festhielt?

Ich denke, dass eine setzte das andere voraus und umgekehrt. Alexander wollte über Makedonien/Hellas, Asien und Ägypten und deren Völker herrschen, wahrscheinlich mit der Absicht, dieses Reich eines Tages einem Nachfolger zu hinterlassen. Über kurz oder lang musste er sich Gedanken über das Verhältnis der vielen einst verfeindeten Völkerschaften zueinander machen, die unter seiner Herrschaft leben sollten. Die homonoia (Eintracht) unter den Völkern war letztlich Garant für ein stabiles Reich samt Herrschaft mit dem Resultat, dass am Ende ein homogenes Staatsvolk aus dieser Vereinigung hervorgehen möge. Inwiefern diesem Ziel eine realistische Chance beschieden wäre oder dies letztlich ein utopisches Unterfangen darstellte, darüber gehen die Geister sicherlich noch auseinander.
 
Würdet ihr sagen, dass Alexander eine aktive Politik der Völkerverschmelzung mit der Vision einer ‚unity of mankind‘ (Tarn) betrieb oder die Tatsache, dass er Perser und Griechen zusammenbrachte, einzig und allein darauf zurückzuführen ist, dass er die ‚Harmonie‘ der Völker brauchte, um seinen Eroberungszug erfolgreich fortzuführen? Also vielleicht gar nicht vordergründig das Ziel verfolgte einen ‚Mischmensch‘ zu kreieren, sondern (wie so oft) an den Ausbau seiner Macht festhielt?
Schwer zu sagen. Ich würde primär Zweiteres vermuten, allerdings mit einer Prise von Ersterem.
Alexander war vermutlich klar, dass es schwierig würde, sein Weltreich dauerhaft zusammenzuhalten, wenn er die zahlreichen unterworfenen Völker lediglich als Untertanen behandelte, die von einer dünnen makedonischen Oberschicht beherrscht werden. Für ein stabiles Reich war es sinnvoll, den Untertanen einerseits eine Perspektive zu geben, selbst in Militär und Verwaltung aufsteigen zu können, und ihnen andererseits zu signalisieren, dass er sie nicht bloß als Unterworfene betrachtete, sondern sich auch ein bisschen als einer von ihnen sah. In erster Linie dürfte es ihm aber um militärische Aspekte gegangen sein: Makedoniens Personaldecke war dünn, sein Rekrutierungspotential begrenzt, und sein Feldzug war auch für Alexander nicht ohne Verluste abgegangen, mal abgesehen von der Notwendigkeit, Garnisonen zu hinterlassen. Wenn ihm nicht irgendwann seine Soldaten ausgehen sollten, musste Alexander Truppen aus seinen neuen Untertanen rekrutieren. Vermutlich wollte er sich damit auch unabhängiger von seinen Makedonen machen, die in ihrem König eher einen von ihrer Zustimmung abhängigen Heerkönig, einen primus inter pares, sahen als einen absoluten Monarchen und entsprechend aufmüpfig waren. Dass er seine neuen Truppen nicht bloß als billiges Kanonenfutter verwenden wollte, um seine Makedonen zu schonen, zeigt sein Programm, 30.000 junge Perser im makedonischen Stil ausbilden zu lassen.
Davon abgesehen scheint Alexander aber tatsächlich vom Orient und dessen Kulturen fasziniert gewesen zu sein. Dass er sich zunehmend orientalisch gab, dürfte nicht nur PR gewesen sein, um sich seinen neuen Untertanen angenehmer und als neuer König akzeptabler zu machen, sondern tatsächlich seiner eigenen Neigung entsprungen sein. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass er, von einer Vision getrieben, einen echten "Mischmenschen" kreieren und Völkerverschmelzung betreiben wollte. Die Massenhochzeit in Susa hatte wohl nicht den Zweck der Zeugung von Einheitsuntertanen, sondern wohl einerseits, den orientalischen Adel durch Verschwägerung mit makedonischen Heerführern an den König zu binden, andererseits die längst bestehenden Beziehungen vieler seiner Soldaten mit einheimischen Frauen auf eine solide Basis zu stellen.
Für den Plan einer "Völkerverschmelzung" spricht, dass Alexander - zumindest seinen hinterlassenen Papieren (deren Authentizität weiter oben angezweifelt wurde) zufolge - größere Bevölkerungsaustäusche und Umsiedlungen plante. Das könnte aber auch den Hintergrund gehabt haben, regionale/nationale Identitäten und Widerstandspotential zu schwächen (wie schon bei den Umsiedlungsprogrammen der Assyrer) oder bevölkerungsschwache Regionen zu besiedeln. Seine Stadtgründungen hatten durchaus Garnisonscharakter. Es ist auch nicht klar, welcher Umfang ihm da wirklich vorschwebte. Aber auch wenn es ihm tatsächlich um eine Völkerverschmelzung ging, bedeutet das nicht unbedingt, dass dem eine Vision zugrundelag, sondern eher machtpolitisches Denken, wie von Joinville beschrieben.
 
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