Altgriechische Dialekte

Zananga

Aktives Mitglied
In der Diskusion über die Dorer kam diese Frage auf:

Kennst du dich mit den griechischen Sprachen aus? Ist das Dorische so weit vom Mykenischen entfernt, dass die Sprecher wirklich eingewandert sein müssen? Oder könnte es sich einfach aus der Sprache des Volkes entwickelt haben, die bestimmt etwas anders geklungen hat als die Schriftsprache des Adels?

Hat hier jemand Ahnung von den Altgriechischen Dialekten und kann uns sagen ob ein Dorer ein Ionier, Attiker, Arkader oder Zypriot verstand?
 
Hat hier jemand Ahnung von den Altgriechischen Dialekten und kann uns sagen ob ein Dorer ein Ionier, Attiker, Arkader oder Zypriot verstand?

Etwa um 1500 v. Chr. hat sich vermutlich eine erste dialektale Differenzierung des Griechischen vollzogen. Den entscheidenden Wandel brachten ausgedehnte innergriechische Wanderungsbewegungen, die im 11. Jh. einsetzten und letztlich durch das gewaltsame Ende der mykenischen Herrschaften um 1200 ausgelöst und ermöglicht wurden. Bisherige Zusammenhänge wurden gesprengt und neue Siedlungsräume erschlossen.

Vemutlich führte der Aufbruch der in NW-Griechenland sesshaften Dorier zu Bewegungen, der die Aioler nach Osten, die Ausdehnung der Ionier über die Ägäis nach Kleinasien und die griechische Besiedlung Zyperns in Gang brachte. Es gibt dazu sehr schöne Dialektkarten zur Situation im klassischen Griechenland in den meisten historischen Atlanten.

Die Situation in klassischer Zeit lässt folgende Einteilung zu:

1. Ionisch-Attisch: kleinasiatische Küste von Smyrna bis Milet, Kykladen, Euboa, Attika

2. Arkadisch-Kyprisch: innerer Peloponnes/Arkadien und Zypern

3. Aiolisch: Thessalien, Böotien

4. Dorisch-Nordwestgriechisch: Peloponnes (ohne Arkadien), Elis und Achaia, Kreta, Rhodos, Kyrene, Sizilien. Epirus

In mykenischer Zeit war das griechische Sprachgebiet noch recht einheitlich, denn - abgesehen von Attika, Euböa, den Kykladen und kleinen Gebieten der Peloponnes, wo der ionische Dialekt vorherrschte - wurde "Achäisch" gesprochen, d.h. das archaische Griechisch der Frühgriechen. Hierzu zählt man die Dialekte der Aioler und Arkado-Kyprier.

Nach dem Zusammenbruch Mykenes und dem Ende der "Dark Ages" - also ab dem 9./8. Jh. v. Chr. - sah die Dialektkarte so aus, wie in der Aufstellung oben. Achäisch - also Aiolisch und Arkadisch - fand sich nur noch in Rückzugsgebieten wie Arkadien im Innern der Peloponnes und Thessalien und Böotien, dort allerdings stark gemischt mit den seit etwa 1100 v. Chr. vorgedrungenen Nordwestgriechen, die zur dorisch-nordwestgriechischen Dialektgruppe zählen.

Die Verdrängung der achäischen Aioler und Arkader hatte ihr Ausweichen auf die gegenüberliegende kleinasiatische Küste zur Folge, wo sie den Norden mit den Orten Assos und Pytane sowie die Insel Lesbos besiedelten. Den darunter liegenden Abschnitt nahmen die Ionier ein (etwa zwischen Chios, Samos und Milet), darunter folgten die Dorier mit Kos, Rhodos und Halikarnassos.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das ist schwer zu sagen, da wir ja nicht so genau wissen, wie das gesprochene Griechisch wirklich klang. Die meisten schriftlichen Quellen sind im attischen Dialekt gehalten (Werke der attischen Tragiker und Komödiendichter, Philosophen etc.), aber wir haben auch Werke im ionischen (Homer!) und anderen Dialekten wie dem dorischen. Schriftlich unterscheiden sich die Dialekte zwar teilweise schon, z. B. bei den Endungen, oder dass, wenn in attischen Wörtern tt enthalten ist, dafür in dorischen ss kommt. Aber ich konnte, obwohl ich in der Schule primär den attischen Dialekt gelernt habe, auch die anderen lesen. Die Unterschiede sind jedenfalls geringer als zwischen den verschiedenen deutschen Dialekten. Daher denke ich schon, dass sich die Angehörigen verschiedener Dialekte verstanden haben. Aber wie gesagt: Wie haben die Dialekte nur in schriftlicher Form vorliegen. Mündlich könnten sie noch weiter auseinandergeklafft haben. Allerdings werden dann die Sprecher, wenn sie mit Fremden sprachen, vermutlich die ärgsten Eigenheiten unterdrückt haben, so wie ja auch ein Wiener und ein Berliner versuchen würden, halbwegs hochdeutsch miteinander zu sprechen. So entstand später ja auch die Koine.
 
Ich habe letztens auch mal gelesen über Demetrius, der vor dem Areophag redete, wobei er ein nicht-attisches Wort verwendete was ein Anwesender korrigierte. Dass unterstreicht noch mal was du sagst (Müsste in einer dieser Quellen stehen Plut. Demetr. 34 oder Paus. I 25, 6).
 
Ich habe letztens auch mal gelesen über Demetrius, der vor dem Areophag redete, wobei er ein nicht-attisches Wort verwendete was ein Anwesender korrigierte. Dass unterstreicht noch mal was du sagst (Müsste in einer dieser Quellen stehen Plut. Demetr. 34 oder Paus. I 25, 6).

Das beweist vor allem, dass sich die Athener etwas auf ihren Dialekt einbildeten und andere geringschätzten. ;)

Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich die einzelnen Dialektsprecher untereinander verstanden. In späterer Zeit ging man dazu über, sogar bestimmten Literaturgattungen einzelne Dialekte zuzuweisen. So sind Tragödien meist in attischer Sprache abgefasst und Lyrik ionisch. Beim Chorlied melos findet man häufig den dorischen Dialekt.
 
Das liegt wohl eher daran, dass die meisten (oder alle?) erhaltenen Tragödien von Attikern verfasst wurden.
 
Die Dialekte wurde untereinander mit großer Sicherheit verstanden. Das Ionische unterscheidet sich von attischen nur darin, dass beispielsweise A-Laute zu Ä-Lauten werden.
Wie auch schon Cato über mir angemerkt hat, wurden in der griechischen Tragödie Dialekte gemischt, was auf den Genus Zwang in der Literatur zurückzuführen ist: Jede literarische Gattung - wie eben die Tragödie und die Iambendichtung - hatte ihren speziellen Dialekt, in dem sie verfasst wurden.
 
Gibt es für diese wiederholte Aussage irgendeinen Beleg - außer dass eben anscheinend nur Dramen attischer Dichter erhalten sind? Wieso sollte z. B. ein ionischer Dichter eine Tragödie auf Attisch verfassen?
 
Wieso sollte z. B. ein ionischer Dichter eine Tragödie auf Attisch verfassen?

Ich beziehe mich mit meiner Aussage auf die großen athenischen Tragödiendichter Aischylos, Sophokles und Euripides. Dort war es der Tradition nach so, dass der Chor als die tragende Figur der Tragödie im dorischen Dialekt, die übrigen Schauspieler aber im attischen Dialekt sprachen. Also muss man davon ausgehen, dass die Zuschauer auch den dorischen Dialekt verstanden.
 
Man sollte die Unterschiede auch wirklich nicht überbewerten. Schaut man sich an, welche Unterschiede es bspw. zwischen dem Dorischen und dem Attischen Dialekt gibt, wird klar, dass selbst "Ungebildete" den jeweils anderen Dialekt spätestens über den Kontext verstehen können.

MfG

Hippias
 
Schaut man sich an, welche Unterschiede es bspw. zwischen dem Dorischen und dem Attischen Dialekt gibt, wird klar, dass selbst "Ungebildete" den jeweils anderen Dialekt spätestens über den Kontext verstehen können.

Richtig, "Ungebildete" ist auch ein gutes Stichwort: Schließlich war das Theater nicht nur den Gebildeten und Reichen vorbehalten, auch Ungebildete, wie einfache Handwerker sahen ja ebenfalls die Tragödien in Athen an. Selbst sie müssen die Dialekte also verstanden haben. Auch im Deutschen haben wir ja die verschiedensten Dialekte, die meisten von ihnen verstehen (mit etwas Übung) auch alle.
 
Richtig, "Ungebildete" ist auch ein gutes Stichwort: Schließlich war das Theater nicht nur den Gebildeten und Reichen vorbehalten, auch Ungebildete, wie einfache Handwerker sahen ja ebenfalls die Tragödien in Athen an. Selbst sie müssen die Dialekte also verstanden haben. Auch im Deutschen haben wir ja die verschiedensten Dialekte, die meisten von ihnen verstehen (mit etwas Übung) auch alle.

Wobei ich meine, dass zwischen manchen deutschen Dialekten größere Unterschiede bestehen als zwischen den griechischen Dialekten der klassischen Zeit.
Als Beispiel ließen sich die Kasusfunktionen anführen, die in den griechischen Dialekten sehr viel einheitlicher waren als in den heutigen deutschen Dialekten, ebenso die Bedeutungsspektren der Präpositionen.
Wären die verschiedenen Dialekte zu verschieden gewesen, wäre auch die (relativ) plötzliche Entstehung der Koine undenkbar.

MfG

Hippias
 
Ergänzung:

Die Tatsache, daß die attische Tragödie den Chor im dorischen Dialekt sprechen lässt, ist allein schon aussagekräftig genug.
Darüber hinaus verdeutlichen uns die platonischen Dialoge, daß die Sprachbarriere so gering gewesen sein muss, dass es plausibel war, Athenaioi, Phleasioi, Megaroi, Kolonoi etc. sprachlich anspruchsvolle philosophische Dialoge führen zu lassen, ohne auch nur ein Wort über die Sprache des jeweils anderen anzubringen.

MfG

Hippias
 
Darüber hinaus verdeutlichen uns die platonischen Dialoge, daß die Sprachbarriere so gering gewesen sein muss, dass es plausibel war, Athenaioi, Phleasioi, Megaroi, Kolonoi etc. sprachlich anspruchsvolle philosophische Dialoge führen zu lassen, ohne auch nur ein Wort über die Sprache des jeweils anderen anzubringen.

Wobei man bei den Dialogen Platons auch diskutieren könnte, ob sie alle wirkliche historische Begebenheiten sind. Aber im Grunde ist das Beispiel natürlich sehr gut.
 
Gibt es für diese wiederholte Aussage irgendeinen Beleg - außer dass eben anscheinend nur Dramen attischer Dichter erhalten sind? Wieso sollte z. B. ein ionischer Dichter eine Tragödie auf Attisch verfassen?

Wieso schrieb man bis Mozarts Entführung aus dem Serail* Opern auf Italienisch? Weil es ein Gattungsmerkmal war.







*Musikhistoriker vor und berichtigt mich ggf.
 
Ich bin heute nochmal über diesen Strang gestolpert und habe daraufhin in der Dialektgrammatik von Hans Färber nachgeschlagen. Daraus:

"Die attische Tragödie ist zusammengewachsen aus dem dorischen Chorlied und dem ionischen Iambus (bzw. Trochaios). Doch sind die Dialektgrundlagen zurückgetreten hinter dem Attischen, das in Sprech- wie Gesangspartien des Dramas den Grundton angibt.
Neben dem dominierenden Attisch tritt am stärksten der epische Einfluß hervor, veranlaßt wohl durch die Gleichheit der mythischen Stoffe. Dieser zeigt sich gelegentlich

1. in dem Unterlassen der Kontraktion

[...]

Die alte Komödie hält sich in ihrer sizilianischen Form (Epicharmos 550-460, Sophron c. 450) an den dorischen Dialekt der Umgangssprache von Syrakus, bereichert durch lokale Eigentümlichkeiten. Die ältere attische Komödie (Aristophanes 445-386) schenkt uns ein lebendiges Bild der attischen Alltagssprache, aber auch interessante Einzelheiten der gesprochenen Dialekte von Megara, Boiotien, Lakonien usw., wenn zur Erhöhung der komischen Wirkung "Ausländer" auftreten."

(Lindemann/Färber, Griechische Grammatik. Teil II: Satzlehre, Dialektgrammatik und Metrik, Nachdruck der Erstauflage von 1957, Heidelberg 2003, § 203.)

Liefert zwar kaum bis keine Erkenntnisse, die so oder ähnlich nicht schon hier genannt wurden, jedoch hilft es vielleicht zur Verdeutlichung.

Hippias
 
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