Antoine Lavoisier

chevalier

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Hallo,

bekanntlich ist der Chemiker Antoine Laurent Lavoisier im Mai 1793 per Guillotine hingerichtet worden. Mich interessiert die Rolle des Arztes und Journalisten Jean Paul Marat bei der Anklageerhebung gegen Lavoisier. Die beiden Forscher haben sich auf fachlicher und auf persönlicher Ebene bekriegt: Fachlich polemisierte Lavoisier gegen Marats Annahme, in Materie befinde sich eine brennbare Substanz, das "phlogiston". Lavoisier bestritt die Existenz eines phlogistons. Marat, lese ich, hat ihm das nie verziehen. Die Anklage gegen Lavoisier vor dem Revolutionstribunal zielt allerdings ab auf Steuerwucherei.
Meine Frage: Wer weiß etwas über die Verwicklung Marats in die Anklage gegen Lavoisier? War er nur einer unter vielen Anklägern, oder der Chefankläger? War seine Anklage primär von persönlichen Rachegedanken, von Neid, motiviert? War der Anklagepunkt "Steuerwucherei" nur vorgeschoben?

mfg
Chevalier
 
Lavoisier war Steuerpächter, ganz Frankreich hat diese Leute gehasst. Die Abschaffung des Pachtunssystems bei der Steuereinziehung 1790 war eine der ersten Entscheidungen der Nationalversammlung. Von den etwa 40 Steuerpächtern in Frankreich vor der Revolution endeten 28 auf der Guillotine.
 
Danke, Andronikos,

das ist schon klar, dass sich Steuerpächter damals und zu keiner Zeit sonst beliebt gemacht haben. Meine Frage war aber: War die Steuerangelegenheit nur vorgeschoben, um Lavoisier als Gemäßigten und als Chemiker (mit vom radikalen Marat abweichenden Ansichten und Erkenntnissen) zu beseitigen?

Gruß,
chevalier
 
In der Zeit der Terrorherrschaft brauchte es sicherlich keiner realen Gründe für eine Verurteilung. Er war gemäßigt, er war Steuerpächter das allein reichte aus. Wenn er dann noch Marat als persönlichen Feind hatte um so schlimmer.

Dem König und Marie Antoinette konnte man auch kaum etwas beweisen und doch wurden sie hingerichtet.
 
Lavoisier

Hallo,

ich las in Durants "Kulturgeschichte", man habe, kurz vor Lavoisiers Hinrichtung, dem Richter nahegelegt, dass die Republik einen so hervorragenden Gelehrtern wie Lavoisier doch weiterhin brauchen könne, worauf der Richter gesagt haben soll: "Die Republik braucht keine Gelehrten."

Wer weiß etwas darüber, ob diese Anekdote verbürgt ist? Oder gibt es darüber keine verlässliche Quellen?

mfg
Chevalier
 
chevalier schrieb:
Hallo,

ich las in Durants "Kulturgeschichte", man habe, kurz vor Lavoisiers Hinrichtung, dem Richter nahegelegt, dass die Republik einen so hervorragenden Gelehrtern wie Lavoisier doch weiterhin brauchen könne, worauf der Richter gesagt haben soll: "Die Republik braucht keine Gelehrten."

Wer weiß etwas darüber, ob diese Anekdote verbürgt ist? Oder gibt es darüber keine verlässliche Quellen?
Ich fand lediglich diesen Passus:
Denn
„die Republik braucht keine Gelehrten und Chemiker; der Lauf der
Gerechtigkeit kann nicht aufgehalten werden,“

soll der vorsitzende Richter Coffinhal gesagt haben, als Lavoisier um zwei Wochen Aufschub der Hinrichtung bat, um
„Experimente für eine bedeutende Arbeit zu beenden“ - typisch Chemiker! Lavoisier
war nicht nur ein glänzender Experimentator, dem man die Quanitifizierung der
Stoffumwandlungen verdankt. Er war auch Mitglied der Ferme Général, einer der 60
verhassten Steuerpächter also, die als eigentliche Auslöser der Französischen
Revolution gelten. Das war sein Pech. Seine Witwe ging nach München, als
unglückliche Frau des Grafen Rumford, der uns den Englischen Garten angelegt hat.
Lavoisier hatte einen Schicksalsgenossen: Der erste Industriechemiker des neuen
Unternehmertyps, Nicolas Leblanc (1742-1806), darbte in Liebigs Geburtsjahr im
Armenhaus. Dort erschoss er sich wenige Jahre später (1806), aus Verzweiflung,
dass man ihm seine Sodafabrik La Franciade enteignet hatte, nur weil die Revolution
seinen Gönner, den Herzog von Orléans, nicht sehr schätzte. Die beiden Begründer
der modernen Chemie – Chemie als Wissenschaft und Industrie – waren also Opfer
einer politischen Entwicklung.
http://aci.anorg.chemie.tu-muenchen.de/wah/vortraege/LiebigMedaille.pdf
Seite 3 - Die Quellenangaben habe ich nicht geprüft.
 
Lavoisier

Hallo Mercy,

danke für deine ausführliche Antwort. Aus welchem Buch hast du das Zitat des Richters?
Ich frage mich auch - bei all dem verständlichem Hass auf die Generalsteuerpächter im revolutionären Frankreich - Hatte denn die Republik nicht auch solche Leute nötig? Ich meine, die Steuereintreiber brachten doch dem Staat die für die Revolutionskriege nötigen Einnahmen und konnten doch auch sonst nicht gänzlich "abgeschafft" werden?! Den Zorn der Massen auf diese Leute verstand der Wohlfahrtsausschuss zu lenken. Es wäre doch ein Leichtes gewesen, die Menge dahin zu manipulieren, dass der Beruf des Steuerpächters innerhalb der Republik von großer Bedeutung sei und nur während der Monarchie etwas Verwerfliches gewesen sei.
Gleichwohl stützt sich die Anklage gegen Lavoisier meines Wissens hauptsächlich auf seine Tätigkeit als Generalsteuerpächter. Der ausschlaggebende Grund für dessen Hinrichtung dürften dann aber weniger die Steuern, als vielmehr die "persönliche Rechnung" gewesen sein, die Jean Paul Marat mit seinem Wissenschaftsfeind Lavoisier begleichen wollte?

Gruß
chevalier
 
chevalier schrieb:
Aus welchem Buch hast du das Zitat des Richters?
Das Zitat stammt aus dem oben angegebenen Link; eine konkrete Quelle ist da leider nicht angegeben.

Im Original wird das Zitat
"La République n'a pasbesoin de savant, il faut que la justice suive son cours."

Trois fermiers adjoints dont son beau-frère seront libérés. Les juges n'ouvrent même pasles documents de la défense. Le président Coffinhal aurait dit "La République n'a pasbesoin de savant, il faut que la justice suive son cours."Motif de la condamnation : Ils sont accusés d'avoir livré du tabac humide, donc d'avoir attentéà la santé des citoyens et d'avoir soustrait de l'argent à la Nation, par là même favorisant lesdespotes ennemis de la République (haute trahison...) Anm 22

hier angegeben:

http://www.utc.fr/~tthomass/Themes/Unites/Hommes/lav/Antoine de Lavoisier.pdf
 
Zu den Steuerpächtern habe ich einmal folgendes geschrieben (leicht gekürzt):


Die Steuerpächter bzw. Generalpächter (frz. fermiers généraux) pachteten gegen eine a priori festgelegte und zu zahlende Summe die Steuereinziehung einer bestimmten Gegend, den erzielten Überschuss konnten sie als ihren Gewinn behalten. Dieses System der Verpachtung der Steuern war nicht neu, schon die Römer wandten es systematisch in ihren Provinzen an und schon damals beuteten die Praetoren ihre Provinzen hemmungslos aus. Die französischen Könige führten es im Mittelalter neu ein, um ihre Steuereinnahmen zu erhöhen und schneller, einfacher und vorhersagbarer zu erhalten. Im 18. Jahrhundert gab es etwa 40 Steuerpächter in ganz Frankreich. Sie waren allerdings keine königlichen Beamten, sondern private Geschäftsleute. Sie beschäftigten jeweils eine ganze Anzahl Steuereinnehmer, die dafür sorgten, dass nicht nur der mit dem königlichen Schatzamt vereinbarte, schon vorab als Pacht gezahlte Betrag eingenommen wurde, sondern auch noch ein maximaler Gewinn zusammen kam. Vor dem Regierungsantritt Ludwigs XIV. erhielt der Staat von 85 Millionen Livres gezahlten Steuern gerade einmal 32 Millionen, der Rest machte den Gewinn für die Steuerpächter aus. Ludwigs Finanzminister Colbert steigerte durch geschickte Wirtschaftspolitik und die Verminderung der Gewinne der Steuerpächter die tatsächlichen Einnahmen auf 63 Millionen Livres im Jahr 1667. Die Steuerpächter versuchten selbstverständlich weiterhin, aus den ihnen anvertrauten Gebieten das höchstmögliche Steueraufkommen herauszupressen, um ihren persönlichen Gewinn zu maximieren. Durch die fortwährenden Kriege und die teure Hofhaltung von Ludwig XIV. stiegen die französischen Staatsausgaben in seinen letzten Regierungsjahren, trotz der Maßnahmen Colberts, weit über die Einnahmen. Steuererhöhungen und die Erfindung neuer Abgaben waren an der Tagesordnung; es herrschte ein regelrechtes Steuerchaos. Die Bevölkerung trieb man durch eine repressive Steuerpolitik in bitterste Armut und Verelendung. Der Festungsbaumeister Vauban, durch seine Tätigkeit ständig auf Reisen durch Frankreich erarbeitete eine Steuerreform, deren Kernpunkte eine Steuervereinfachung und –harmonisierung und die Abschaffung von Steuerprivilegien, also auch die Besteuerung von Adel und Klerus, vorsah. Seine Vorstellungen lies er 1706 in 200 Exemplaren anonym drucken. Das Werk fand jedoch keine Zustimmung vom König – Vauban fiel in Ungnade, seine Publikationen wurden beschlagnahmt; kurz darauf starb Vauban, es heißt aus Gram. Im Todesjahr von Ludwig XIV., 1715, stehen 132 Millionen Livres an Ausgaben ganze 69 Millionen Livres an Einnahmen gegenüber, der Staat ist mit 3,5 Mrd. Livres verschuldet und steht kurz vor dem Staatsbankrott. An dieser prekären Finanzsituation und dem veralteten Steuersystem Frankreichs änderte sich im Verlaufe des 18. Jahrhunderts nichts Wesentliches. Regelmäßig kam es wegen den Machenschaften der Steuerpächter und der ungerechten Besteuerung zu lokalen Aufständen und Unruhen. Ein regelrechter Guerillakrieg gegen die Salzsteuer (frz. gabelle) entwickelte sich in den Jahren 1660-1670 im Roussillion, von 1702-1705 kam es zum Aufstand der Kamisarden in den Cevennen und dem Languedoc, 1707 erhoben sich die Tards-avisés im Quercy. Besonders die Steuerpächter waren es immer wieder, die den Hass des Volkes auf sich bündelten. Auch deshalb, weil sie ohne Rücksicht auf Notstände und Unglücksfälle die Steuern rücksichtslos eintrieben und durch die Art wie sie ihre Gewinne vergeudeten. In den Jahren 1787 und 1788 führten Missernten zu Hungersnöten. Mittlerweile musste die Hälfte des Staatshaushaltes allein für Schuldzinsen ausgegeben werden. Arbeitslosigkeit und steigende Brotpreise trieben das Volk zur Verzweiflung.


Die Nationalversammlung schafft 1790 die Pachtung ab, auch Adel und Klerus werden nun zur Steuerzahlung herangezogen.


Die Steuerpächter haben also nur wenig mit einem heutigen Finazbeamten zu tun. Sie wirtschafteten in die eigene Tasche, je repressiver sie die Steuern einzogen um so mehr verdienten sie persönlich.
 
Hallo Andronikus,

ganz vielen Dank für deine ausführliche Antwort. Jetzt wird mir manches klarer über das gesellschftliche Ansehen der Steuerpächter im 18. Jahrhundert. Bliebe der Gerechtigkeit halber noch nachzutragen, dass Lavoisier kein Ausbeuter im herkömmlichen Sinne war. Er zählte zu den Gemäßigten in der Revolution, die er anfangs auch befürwortete. Er brachte Vorschläge ein zur Reformierung des Schulwesens, er stellte seinen Sachverstand dem Staat zur Verfügung (Schießpulver für die französischen Kolonien in Amerika). Mag sein, dass er die raffgierigen Umtriebe der Steuerzunft quasi von seinem Bewusstsein abgespalten hatte und diese im Gegensatz zu seinem eigentlich aufklärerisch-reformistischen Engagement nebenher weiterführte.

Noch mal vielen Dank und viele Grüße
von
chevalier
 
Mordmotiv Neid und/oder Ausbeutung?

Hallo,

in "Fragen und Antworten" habe ich schon eine Menge Details über die Gründe für Antoine Lavoisiers Hinrichtung am 8. Mai 1793 erfahren. Eines der Hauptmotive war wohl der verbreitete Hass auf die Generalsteuerpächter, zu denen auch Lavoisier zählte.
Es gibt aber auch andere, mehr persönliche Motive, die den berühmten Chemiker ans Messer geliefert haben. Darüber wüsste ich gerne mehr. Lavoisier und Jean Paul Marat waren Konkurrenten in der Erforschung von Verbrennungsvorgängen. Lavoisier hatte in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts eine Schrift Marats über das sog. "Phlogiston", das bei Verbrennungen in die Luft entweichen soll, höhnisch abgetan. Marats erinnerte sich daran, als sein Einfluss während der Zeit des "terreurs" unter Robespierre beträchtlich gewachsen war. Er war denn auch unter den Hauptanklägern gegen Lavoisier, nur dass er das Motiv Neid natürlich nicht angeführt hat.

Wer weiß Näheres über die Beziehung Lavoisier/Marat? Nutzte Marat als Ankläger den Volkszorn gegen die Steuerpächter, nur um eine eigene Rechnung zu begleichen? Hatte er noch andere Motive?

Gruß
Chevalier
 
chevalier schrieb:
Hallo,

in "Fragen und Antworten" habe ich schon eine Menge Details über die Gründe für Antoine Lavoisiers Hinrichtung am 8. Mai 1793 erfahren. Eines der Hauptmotive war wohl der verbreitete Hass auf die Generalsteuerpächter, zu denen auch Lavoisier zählte.
Es gibt aber auch andere, mehr persönliche Motive, die den berühmten Chemiker ans Messer geliefert haben. Darüber wüsste ich gerne mehr. Lavoisier und Jean Paul Marat waren Konkurrenten in der Erforschung von Verbrennungsvorgängen. Lavoisier hatte in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts eine Schrift Marats über das sog. "Phlogiston", das bei Verbrennungen in die Luft entweichen soll, höhnisch abgetan. Marats erinnerte sich daran, als sein Einfluss während der Zeit des "terreurs" unter Robespierre beträchtlich gewachsen war. Er war denn auch unter den Hauptanklägern gegen Lavoisier, nur dass er das Motiv Neid natürlich nicht angeführt hat.

Wer weiß Näheres über die Beziehung Lavoisier/Marat? Nutzte Marat als Ankläger den Volkszorn gegen die Steuerpächter, nur um eine eigene Rechnung zu begleichen? Hatte er noch andere Motive?

Gruß
Chevalier

Hallo chevalier,

schau Dir doch mal die Nummer 3/99 der Zeitschrift "Spektrum der Wissenschaft" an.
Sie widmet sich ausführlich Lavoisiers und geht auch auf die Spekulation über die Hintergründe seiner Hinrichtung ein. Hier wird allerdings bezweifelt, daß es eine revolutionsbedingte Wissenschaftsfeindlichkeit gegeben hat, im Gegenteil.
Der Artikel benennt Terminversäumnisse betreffs seiner Vergangenheit als Steuerpächter bei der Ladung zum Konvent und Lavoisiers leichtfertige Einschätzung dieser Sachlage als Ursache.

http://www.wissenschaft-online.de/artikel/500396&template=d_sonderhefte_detail
 
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