April 1945: Alt Teterin - Ein Dorf tötet seine Kinder

Nun ja, wenn ich mir den letzten Abschnitt des Wiki-Artikels zum Massaker von Nemmersdorf durchlese, steht eigentlich nur eins 100%ig fest: Wie auch immer die Zivilisten dort nun umgekommen sind und was sonst noch alles während der 4 Stunden russischer Anwesenheit oder danach mit ihnen angestellt wurde - Goebels Propagandamaschine hat dort sehr gut funktioniert und scheinbar haben es auch sehr viele geglaubt und glauben es auch heute noch.
Desweiteren glaube ich auch, das in Teilen der Zivilbevölkerung wenigsten Gerüchte über "deutsche Taten" im Osten bekannt waren (durch Urlauber, Briefe, Fotos usw.). Da facht so eine Tat und die entsprechende Berichterstattung die Angst vor der "Rache" doch erheblich an.
 
Das eigentlich schreckliche ist, so finde ich, ist, dass die Frauen ihre Kinder umbrachten und dann sich selbst, quasi ein Mitnehmen in den Tod.

Also ohne Emotionen betrachtet, gibt es diese Handlung der Tötung des Nachwuchses in absoluter Streßsituation oder einer in die Enge getriebener Mutter doch auch im Tierreich?

Im Grunde hat die eigenen Erziehung und Propaganda, im Bezug auf die Bevölkerung und deren Lebensweisen und Handlungsweisen der Nachbarstaaten der Nazis, die eigene Bevölkerung wieder eingeholt.
Dieses verbreiten von Hass und Gewalt der Russen, war doch nur von Propaganda verbreitet um eigene Gewalttaten zu vertuschen bzw. die Verbreitung der Gewalttaten der Russen entspricht indem, was die Nazis selbst in Russland veranstalteten.

Wieviel Angst muß wohl den Menschen dort im Geist eingeimpft worden sein, um so zu reagieren?
 
Fällt mir gerade ein,

Billard um Halb Zehn, von Heinrich Böll, ist ein ähnlicher Fall aufgeführt.
Die Freundin des Enkels hat bei Kriegsende die "Mordattacke" ihrer Mutter durch das Dazwischengehen eines Soldaten überlebt.

Demnach scheinen die Fälle nicht mal so selten gewesen zu sein.
 
Desweiteren glaube ich auch, dass in Teilen der Zivilbevölkerung wenigsten Gerüchte über "deutsche Taten" im Osten bekannt waren (durch Urlauber, Briefe, Fotos usw.).

Das braucht man inzwischen nicht mehr zu glauben. Die Flugblätter der Weißen Rose z.B. griffen das auf und inzwischen sind ja auch recht viele Feldpostbriefe historisch ausgewertet worden. Es ist teilweise erschreckend, wie offen da an die "Heimatfront" berichtet wurde.
 
Bloß wurde durch die Propaganda im Hintergrund ein Gräuel, welches ein Soldat des eigenen Landes beging, zu einer Heldentat hochstilisiert - würde ich zumindest mal annehmen. Wenn ein Wehrmachtssoldat seiner Familie davon schrieb, dass sein Batallion ein russisches Dorf "gesäubert" hat, o.Ä., wertete die Propaganda dies zu einer "guten" Tat für sein Land, sprich: Gewinnung von "Lebensraum" oder "Ausmerzen von minderwertigen Genen" (das ist jetzt ein reines Beispiel). Dass er da Frauen und Kinder vergewaltigt und abgeschlachtet hat, war "nicht so schlimm" denn es waren ja Feinde, die hatten es ja nicht besser verdient. Wenn nun aber ein russischer Soldat ein deutsches Kind umgebracht hat oder eine deutsche Frau vergewaltigt hat, war das was ganz Anderes - zumindest von der deutschen Seite betrachtet. Ich behaupte auch, dass es in den anderen Nationen umgekehrt nicht anders ausgesehen hat. Wenn erstmal ein ausreichendes Feindbild und entsprechender Patriotismus aufgebaut sind, wird den eigenen Soldaten so Einiges verziehen, das ein normal denkender Mensch als abartig und grauenhaft empfindet. In einem Krieg wird aber kaum jemand noch vernünftig denken können, einfach weil man persönlich involviert ist. Bei den USA ist es ein bisschen anders, die haben so schon einen überstreckten Patriotismus anerzogen, einfach aufgrund der Geschichte des Landes bzw. dessen Gründungsgeschichte. Aber in jedem anderen Land, in dem ein Krieg ausbricht, wird das Modell, das ich eben zu beschreiben versuchte, greifen. Wie ich schon sagte: ich maße mir nicht an, über Menschen zu urteilen, in deren Situation ich mich nicht selbst befinde/befunden habe - man betrachte nur die Veteranen von Vietnam oder, weils näher dran ist, deutsche Soldaten die aus dem Irak oder aus Afghanistan zurückkommen. Nach Kriegseinsätzen hat sich nicht nur EIN Soldat umgebracht, Soldaten sind allgemein suizidgefährdet, denn sobald der Verstand sich wieder einschaltet und diese Leute begreifen, WAS sie da eigentlich erlebt und/oder getrieben haben, halten es bei Weitem die Wenigsten noch mit sich selbst aus. Und angesichts der Tatsache, dass die russische Armee nicht erst seit dem 2. Weltkrieg einen sehr, hm, schlechten Ruf hatte, kann man unter Umständen die Massenhysterie verstehen. Ob Mord an den eigenen Kindern und Suizid der richtige Weg sind, bleibt dahingestellt. Ich halte es für eine grauenhafte Tragödie, aber ich kann (und ehrlich gesagt will) mir einfach nicht vorstellen, wie verängstigt man sein muss, um als Mutter sein eigenes Kind umzubringen.
 
An dieser Stelle möchte ich mich für die miserable bzw. nicht vorhandene Formatierung des vorhergehenden Beitrages entschuldigen - mein Firefox weigert sich leider jegliche Formatierung vorzunehmen, geschweige denn, zu speichern :(
 
Das braucht man inzwischen nicht mehr zu glauben. Die Flugblätter der Weißen Rose z.B. griffen das auf und inzwischen sind ja auch recht viele Feldpostbriefe historisch ausgewertet worden. Es ist teilweise erschreckend, wie offen da an die "Heimatfront" berichtet wurde.


Das meinte Himmler mMn mit den "abgebrochenen Brücken", und wenn ich die Aussagen von mir bekannten (inzwischen meist verstorbenen) Zeitzeugen betrachte, wurde das auch so gesehen.
"Wenn wir das büßen müssen.... wehe uns..."
Der offiziellen Lesart "Wir haben von nichts nichts gewusst" entgegenstehend. (Die meine Generation einst fürchterlich empörte".


Letztlich, und das macht wieder Hoffnung, hat sich die fürchterliche Brutalität der Kriegsführung für beide Seiten nicht ausgezahlt.
 
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Ist leider kein Einzelfall in Pommern gewesen. Besonders Marschall Rokossowsks Truppen waren diesbezüglich gefürchtet.
Hysterie: Der Massenselbstmord von Demmin - Politik | STERN.DE
Zu den Ereignissen in Demmin und ihre Instrumentalisierung gibt es die spannende Dokumentation "Über Leben in Demmin", in der das Narrativ der grausamen Russen teilweise dekonstruiert wird. (Die tagespolitischen Aspekte der Dokumenation könnt ihr natürlich ignorieren.) Verschiedene Zeitzeugen berichteten, sie seie von sowjetischen Soldaten gerettet worden und zwar vor den eigenen Eltern.

Vieles kann nicht mehr rekonstruiert werden, auch weil die Aufarbeitung erst nach 1990 begann.

Der Beginn jener Massenhysterie wird im Film unter anderem so beschrieben:

„Studienrat Gerhard Moldenhauer, der zu seiner Nachbarin sagte: ‚Ich habe eben meine Familie getötet, jetzt lege ich noch einige Russen um und dann scheide ich selbst aus dem Leben.’ Und so hat er das auch gemacht, und hat hiermit eine Schuld auf sich geladen, die nun nach sowjetischem Kriegsrecht dazu führte, dass Demmin drei Tage zur Plünderung freigegeben wurde. Die Russen zündeten die Stadt an und übten das Kriegsrecht aus." Demmin wird "vogelfrei", auf militärischen Befehl. Am 1. Mai eskaliert die Situation. Der Apotheker am Markt veranstaltet in seiner Wohnung eine sogenannte Siegesfeier. Die eingeladenen sowjetischen Offiziere überleben das Fest nicht. Die Todesursache: vergifteter Rotwein. Vergiftet durch den Apotheker, der sich und seine Frau gleich mit vergiftet. Die Rache erfolgt umgehend und trifft die Schwächsten: die Frauen und Mädchen, egal in welchem Alter, erzählt Heinz-Gerhard Quadt“

https://www.bpb.de/mediathek/video/290178/ueber-leben-in-demmin/
Der Plünderungsbefehl war aber auch nur ein Gerücht. Wer das Feuer in Demmin gelegt hat, bleibt unklar. Klar ist aber, dass die Selbstmorde schon vorher begannen.
 
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Der französische Historiker Emmanuel Droit hat zum Thema geforscht und 2021 das Buch "Les suicidés de Demmin" veröffentlicht. Eine deutsche Übersetzung gibt es leider noch nicht.
 
Der Plünderungsbefehl war aber auch nur ein Gerücht. Wer das Feuer in Demmin gelegt hat, bleibt unklar. Klar ist aber, dass die Selbstmorde schon vorher begannen.
Ein Großteil meiner Information habe ich aus der TV-Reportage "Eine Stadt bricht ihr Schweigen. Der Massenselbstmord von Demmin" von Ingelis Gnutzmann gezogen. Da direkt im Anschluss die Doku "Über Leben in Demmin" lief, haben sich die Inhalte in meinem Kopf schon ein wenig vermischt.

Beim Thema Erinnerung und Täuscung bin ich aber schon wieder richtig im Thema. Im Fokus der medialen Aufmerksamkeit steht die Erinnerung und die Erinnerungskultur. In den letzten Jahren wurden Überlebende befragt, die die Ereignisse als Kind erlebt haben. Ich gehe davon, dass sie die familiäre Dynamik, die zum Beinahe-Tod oder zum Überleben führte aus ihrer Sicht schon richtig wiedergeben. Allerdings fehlt den Kinder von einst der Zugang zum politischen Kontext. Sie selbst waren auch nicht die Akteure und haben vieles sicherlich nicht verstehen können.
Angsichts der detailreichen Schilderungen der Ereignisse scheint mir aber die Bezeichnung als Massenselbstmord schon übler Euphemismus zu sein, da die Kinder vielfach umgebracht wurden oder wenigstens zum Selbstmord(versuch) genötigt wurden.
Die Bezeichnung Massenselbstmord hat mir schon vor Jahren nicht gefallen und deshalb habe ich damals die Thread-Überschrift "Ein Dorf tötet seine Kinder" gewählt. Ich denke, man sollte besser auch über eine massenhafte Kindstötung sprechen und nicht nur über Selbstmorde.
Besonders spontan scheint das Vorgehen in Demmin nicht gewesen zu sein. Zumindest die Erwachsenen auf den Selbstmord vorbereitet waren. Besonders deutlich wird das an dem Fall, der aus dem brennenden Haus fliehenden Familie. Die Mutter hatte die Rasierklingen für alle schon vor der Flucht aus dem brennenden Haus eingepackt.
Auch das Selbstzeugnis des Studienrats Moldenhauer spricht eine ganz andere Sprache: "Ich habe eben meine Familie getötet ..." Das ist doch kein Selbstmord! (Die Echtheit der Aussage kann ich nicht überprüfen. Sie kann ja nur auf Erinnerung der Nachbarin basieren.)

Es existieren jedenfalls gegenteilige Deutungen der Ereignisse. Mal wird betont, die Gewalt der Russen sei durch die Schießereien mit Anwohnern (wie Moldenhauer) und den angeblichen Giftanschlag des Apothekers ausgelöst worden und die anschließende Rache der Russen hätte die "Selbtmordwelle" ausgelöst. Andere verschweigen die deutsche Gegenwehr oder tun sie gar als DDR-Propaganda ab.
In diesen medialen Erzählungen werden die "Selbstmorde" meist direkt mit Vergewaltigungen von Frauen verknüpft.
Bizarr sind auch die extrem verschiedenen Zahlenangaben zu den Opfer, 500 bis 2500.
Der Bericht Zeitung nd aktuell von 2012 stellt verschiedenste Angaben und Deutungen aus dem öffentlichen Diskurs gegenüber, die dort gestellten Fragen werden nicht beantwortet. Es bleiben jedenfalls viele Fragen.

Soweit ich den Google-Übersetzer richtig verstanden habe, hält Emmanuel Droit die wenigen Angriffe deutscher Zivilisten auf Rotarmisten in Demmin nicht für ausschlagebend für die Ereignisse in Demmin.
Droit betont viel mehr die hohe symbolische Bedeutung des Kalendertages für den Lauf der Ereignisse.
Am 30. April 1945 verließ die Wehrmacht Demmin und sprengte alle Brücken hinter sich, am Nachmittag nahmen sowjetische Soldaten die Stadt fast kampflos ein.
Der 1. Mai war als "Tag der Arbeit" für die Sowjets ein hoher Feiertag. Gleichzeitig war die Eroberung Demmins zu feiern. Es gab viel Alkohol in der Stadt.
Am Abend des 1. Mai gab das deutsche Radio den Tod Hitlers bekannt. (Dass Hitler ebenfall Selbstmord begangen hatte, wurde aber verschwiegen. Offiziell wurde verkündet, der Führer sei den Heldentod im Kampf gegen den Bolschewismus gestorben.)
Die Stadt war voller betrunkender Russen, Hitler tot und gleichzeitig verwandelte sich die Altstadt in ein Flammenmeer. Die hierdurch entstandene Stimmungslage tiefer Verzweiflung habe neben anderen Faktoren zu jener tödlichen Dynamik geführt.
Eine monokausale Erklärung kann es aber nicht geben. Die ersten Selbstmorde wurden ja schon vor dem Einmarsch der Roten Armee verübt.
 
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