Arbeitslosenversicherung 1927

G

Gast

Gast
Hi ich hätte gerne gewußt warum die Arbeitslosigkeit eingeführt wurde und welche Parteien
dafür waren.
Ich habe verschiedene Gründe gehört :
1.Das Gesetz über Arbeitslosenversicherung und Arbeitsvermittlung sollte das vorherige
Regelung die Erwerbslosenfürsorge der Gemeinden ersetzen.
2.Sie wurde eingeführt wegen dem Börsenzusammenbruch 13.5.1927 eingeführt weil man eine
schlimme Wirtschaftskrise befürchtete.

Und wer war darin versichert ? (Ich weiß das anfangs die
Sozialversicherungen (ohne die AV) nur Arbeitern zugänglich waren und zu Beispiel Forstarbeiter ausgeschlossen waren und sich selbst versorgen mussten.)
 
Den Beginn der Unterstützungen legten die Gewerkschaften Mitte des 19. JH, als Beihilfen für Beschäftigungslosigkeit gewährt wurden. Einige Städte richteten etwa ab 1890 Unterstützungen ein. Mit dem Anstieg der Arbeitslosigkeit unmittelbar nach Kriegsende wurden die Gemeinden zu Unterstützungsleistungen verpflichtet, wobei 5/6 der Kosten durch Reich und Länder erstattet wurden.

Parallel dazu wurde ab 1922 ein Netz für die Arbeitslosen-Nachweise eingerichtet.Die Neuregelungen der Finanzierung Okt.23 bis Febr. 24 sah dann vor, dass die Umlagen von den Arbeitsgebern und Arbeitnehmern aufgebracht wurden, nebst Zuschüssen der Gemeinden.

Der Gesetzentwurf des Arbeitslosenversicherung wurde dann im Herbst 1925 vorgelegt und im Juli 1927 verabschiedet; er löste die zuvor bestehende Erwerbslosenfürsorge ab.


Abstimmungsergebnis und Aussprache findet man hier: Gegenstimmen gab es von KPD und NSDAP, Enthaltungen von einzelnen Abgeordneten.
Verhandlungen des Deutschen Reichstags
Sitzung vom 7. Juli 1927
Verhandlungen des Deutschen Reichstags
 
Zuletzt bearbeitet:
Sie [die AlV]wurde eingeführt wegen dem Börsenzusammenbruch 13.5.1927 eingeführt weil man eine schlimme Wirtschaftskrise befürchtete.

Die AlV gehört sozusagen noch zu den Errungenschaften der Revolution 1918/19. Noch die verfassungsgebende Deutsche Nationalversammlung verabschiedete am 23.03.1919 das "Sozialisierungsgesetz" (RGBl. S. 341), dessen § 1 Abs. 2 lautete:
[Satz 1] Die Arbeitskraft als höchstes wirtschaftliches Gut steht unter dem besonderen Schutz des Reichs.
[2] Jedem Deutschen soll die Möglichkeit gegeben werden, durch wirtschaftliche Arbeit seinen Unterhalt zu erwerben.
[3] Soweit ihm Arbeitsgelegenheit nicht nachgewiesen werden kann, wird für seinen notwendigen Unterhalt gesorgt.
[4] Das Nähere wird durch besondere Reichsgesetze bestimmt.
Diese Sätze wurden, leicht verändert, in die WRV aufgenommen (Satz 1 --> Art. 157 Abs. 1; Sätze 2-4 --> Art. 163 Abs. 2).

Weil es hochaktuell ist und gleichzeitig weit in die Geschichte der sozialen Sicherungssysteme zurückweist:
Die AlV hat einen Doppelcharakter insofern, als sie nicht nur "einer materiellen Existenzsicherung beim Ausfall des Arbeitseinkommens" dient, sondern auch "den Angebotszwang der Arbeitslosen" mildert, "jede Arbeit anzunehmen. Wie kaum eine andere sozialpolitische Regelung greift damit die AlV in das Zentrum des Interessenkonfliktes zwischen Kapital und Arbeit ein. Dies erklärt auch, warum die gesetzliche Grundlage für die AlV im Jahr 1927 erst relativ spät eingeführt wurde..." (Bäcker u.a., Sozialpolitik und soziale Lage in Deutschland, S. 539).
 
Es wurde vergessen zu erwähnen, daß ab 1911 die Erwerbslosenfürsorge diskutiert und mangels "Gerechtigkeit" und damit als unrealisierbar verworfen wurde, während des Krieges über die Armenunterstützung ansatzweise entstand, welche nach einer Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt werden sollte und mit Verordnung vom 13.11.1918 vollständig realisiert wurde.
Daraus wurde dann die Arbeislosenversicherung bis 1927 mit entprechenden Zwischenstufen entwickelt.

(...)
So gesehen hat die Einführung einer umfassenden Leistung, wie sie seit 1927 existiert, ihre Vorteile, aber auch gravierende Nachteile, die zu diskutieren einen gewichtigen tagespolitischen Punkt tangiert, da die Meinungen, je nach politischer Auffassung, um ca. 180 Grad differieren. Wobei man diese Debatte in ähnlicher Form schon seit 1911 führte, was dann aber wieder normalerweise historisch wäre?

Zur Geschichte der ALV

Verordnung über ELFS
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Vielleicht interessiert in diesem Zusammenhang, dass als Punkt 15 der "Offenburger Beschlüsse" vom 11. Mai 1849 (also vor genau 160 Jahren) die Einführung eines umfassenden Pensionsfonds für alle "nicht mehr arbeitsfähigen Bürger" beschlossen wurde.

Meines Wissens der 1. derartige Beschluss in Deutschland.
Als Geburtstag der deutschen Sozialversicherung daher mit Recht der 11. Mai 1849 anzusehen ist.
 
Als Geburtstag der deutschen Sozialversicherung daher mit Recht der 11. Mai 1849 anzusehen ist.

Jein. Ohne die revolutionäre Intelligenz der badischen "Landes-Volksversammlung" in Zweifel ziehen zu wollen - die in den "Beschlüssen" vom 13.05.1849 erhobene Forderung [1] ging von einer andersartigen Grundlage aus, dem sog. Versorgungsprinzip. Man kann sich den Unterschied zu dem die deutsche Sozialversicherung prägenden Versicherungsprinzip am besten anhand eines Schemas klar machen --> Lehrbuch der Sozialpolitik - Google Buchsuche.

Ob die auf die Alterssicherung bezogene Gleichstellung des normalen Menschen mit dem Staatsdiener 1849 erstmals postuliert wurde, überblicke ich derzeit nicht.

Das Versicherungsprinzip jedenfalls ist schon älter: 1772 wurde England eine solche Konstruktion propagiert, bei der die Arbeiter in eine vom Staat kontrollierte "Sparkasse" einzahlen sollten, und 1833 wurde in Stuttgart eine der ersten deutschen Rentenversicherungsanstalten gegründet. Initiativen wie diese beruhten allerdings auf Freiwilligkeit - hierin grundsätzlich unterschieden von der Bismarckschen Zwangs-Rentenversicherung.

Gleichwohl Dank für den Hinweis.:winke:


[1] nach Struve, Geschichte der drei Volkserhebungen in Baden, S. 158: "Errichtung eines großen Landespensionsfonds, aus dem jeder arbeitsunfähig gewordene Bürger unterstützt werden soll. Hierdurch fällt der besondere Pensionsfond für die Staatsdiener von selbst weg."
 
Es wurde vergessen zu erwähnen, daß ab 1911 die Erwerbslosenfürsorge diskutiert und mangels "Gerechtigkeit" und damit als unrealisierbar verworfen wurde

Ich bin nicht ganz sicher, welche Vorgänge im Jahre 1911 - und welche Argumentationen im einzelnen - hiermit gemeint sind.

Die ELF wurde lange vor 1911 schon diskutiert und auch in vielen Ländern partiell realisiert, und zwar überwiegend in Trägerschaft der Gewerkschaften nach dem sog. "Genter Modell". Eine staatliche und allumfassende Trägerschaft forderte z. B. der Münchener Parteitag der Sozialdemokraten 1902 (vgl. Geschichte der sozialen Ideen in ... - Google Buchsuche).
 
Im Prinzip ging es auch damals schon bei den Diskussionen um den Mißbrauch der Unterstützungsleistungen, die sogar eine eigenes Gesetz hervorbrachte, obwohl es eine Arbeitslosenversicherung, im heutigem Sinne, gar nicht gab. Nämlich das "Arbeitsscheuengesetz" von 1912 in Preußen, daß Arbeitsscheuheit unter Strafe stellte. Darunter zählten dann Arbeitslose, Obdachlose, Vagabunden und Bettler.
 
Zuletzt bearbeitet:
Jein. Ohne die revolutionäre Intelligenz der badischen "Landes-Volksversammlung" in Zweifel ziehen zu wollen - die in den "Beschlüssen" vom 13.05.1849 erhobene Forderung [1] ging von einer andersartigen Grundlage aus, dem sog. Versorgungsprinzip. Man kann sich den Unterschied zu dem die deutsche Sozialversicherung prägenden Versicherungsprinzip am besten anhand eines Schemas klar machen --> Lehrbuch der Sozialpolitik - Google Buchsuche.

Ob die auf die Alterssicherung bezogene Gleichstellung des normalen Menschen mit dem Staatsdiener 1849 erstmals postuliert wurde, überblicke ich derzeit nicht.

Das Versicherungsprinzip jedenfalls ist schon älter: 1772 wurde England eine solche Konstruktion propagiert, bei der die Arbeiter in eine vom Staat kontrollierte "Sparkasse" einzahlen sollten, und 1833 wurde in Stuttgart eine der ersten deutschen Rentenversicherungsanstalten gegründet. Initiativen wie diese beruhten allerdings auf Freiwilligkeit - hierin grundsätzlich unterschieden von der Bismarckschen Zwangs-Rentenversicherung.

Gleichwohl Dank für den Hinweis.:winke:


[1] nach Struve, Geschichte der drei Volkserhebungen in Baden, S. 158: "Errichtung eines großen Landespensionsfonds, aus dem jeder arbeitsunfähig gewordene Bürger unterstützt werden soll. Hierdurch fällt der besondere Pensionsfond für die Staatsdiener von selbst weg."


Die "Allgemeine Rentenanstalt" ist bis heute, wie Du schreibst eine Versicherung, kann man einen Vertrag abschließen oder auch nicht.

Die "Offenburger Beschlüsse" würde ich aber höher als eine "Forderung" ansiedeln. Zumindest "Regierungsprogramm" waren die schon.

Und Marx war da noch Zeitungsredakteur und Bismarck Landwirt. Stell dir mal vor, was aus uns hätte werden können, wenn .... Onkel Brust hätte, und die "Offenburger Beschlüsse" umgesetzt worden wären.....


Keine schlechte Literatur die Du da zitierst:friends:
(Sorry für das falsche Datum, Literatur zu Hause, Repo im Büro)
 
Die Diskussion hat sehr interessante Aspekte herausgebracht. Ich möchte das um Überlegungen ergänzen, zumal hier ein Vergleich angedeutet wurde.

Herausgestellt wurde schon mehrfach, dass es sich um eine lange Entwicklung handelt, deren Diskussion 1927 zu einem Ergebnis führte. Die Einführung war dabei nicht "nur" eine soziale Frage, sondern stand unter Rahmenbedingungen, die sich ebenfalls mit entwickeln mußten. Das möchte ich unterstreichen.


Die "Bedürftigkeit" war dabei ein Aspekt, der zunächst politisch zu entscheiden war, aber zugleich ein Problem der organisatorischen Strukturen und der Finanzen.

- hier sind regionale Unterschiede zu sehen: in den eher ländlichen Gebieten des Reichs traten Wanderarbeiter auf, die kaum einer Erfassung unterlagen. Überhaupt waren die Fluktuationen ein Problem. In den städtischen Gebieten war dann die Bedürftigkeit - misst man sie an der Frage einer "Beschäftigung" - kaum prüfbar. Folglich stritt man über diesen Aspekt, verknüpfte ihn mit Ansprüchen und Forderungen etc., oder richtete die Unterstützung schließlich danach aus: Es fehlte an kommunalen, ländlichen oder staatlichen Strukturen, weswegen die Frage der Unterstützung verbunden wurde mit Fragen der Erfassung, Verwaltung der Beschäftigung bzw. Nichtbeschäftigung und sodann der Frage der Prüfung der Bedürftigkeit.

- die Finanzen: es geht hier um einen Zeitraum bis 1914, in dem der Reichshaushalt zu 90% aus Militärausgaben bestand. Die Steuersysteme als Einnahmengrundlage waren - überspitzt - nur auf diesen Aspekt ausgerichtet, und gemessen an späteren Entwicklungen nur als rudimentär anzusehen.

"Neue" Ausgabenblöcke (auch wenn man sich kaskadenartig eine Rückfinanzierung der Städte und Gebiete durch das Reich für die Fürsorgeausgaben vorstellt) mußten deswegen Entwicklungen auch auf anderen Gebieten - Finanzen, Verwaltung - nach sich ziehen.
 
Dazu aus: Strauß, Wandererfürsorge in Bayern 1918-1945 unter besonderer Berücksichtigung Nürnbergs

Zunächst zum Bild des Arbeitslosen in der Gesellschaft (Kaiserreich) einige Klischees: potentieller Revolutionär, Arbeitsscheue, Kriminalität + Verwahrlosung, als Bilder gespeist von vorindustriellen Pauperismus. Verunglimpfungen gab es bis in die SPD hinein (Lohndrücker, arbeitsscheue Landstreicher).

Das änderte sich in der Weimarer Republik angesichts der Revolutionserfahrung. Nun wurde die politische Radikalisierung vorwiegend gefürchtet, es gab Arbeitslosendemonstrationen im Reich. Mit scheinbarer Beseitigung der Probleme rückte ab etwa 1922 das Bild des "Arbeitsscheuen" wieder in den Vordergrund.

Vor den Regelungen hing die Wohlfahrts-Unterstützungslesitung, so eng begrenzt sie war, von der Zahlungsfähigkeit der Kommune ab. Dieses führte zu Wanderungsbewegungen, Arbeiterlager, Speisungsstellen, Wandererfürsorge etc. Zahlreiche Hürden und Fallstricke bei der Unterstützung, daneben die Unzulänglichkeiten der Leistungen, hielten die Empfängerzahlen zusätzlich niedrig. Gegenstück war die fürsorgerechtliche "Pflichtarbeit": Straßenarbeiten, Regulierungen, Trockenlegungen etc. mit Zügen von Zwangsarbeit. Mißbrauch zur Prüfung der "Arbeitswilligkeit". Es gab hierfür allerdings Bezahlung, die wiederum die Kommunen belastete und die Zahl der Pflichtarbeiter auf kleine Bruchteile (so um 5%) begrenzte. Noch 1926 wurden in Großstädten bis zu 80% der Arbeitslosen von der Wohlfahrtshilfe nicht erfaßt.

Die Studie ist sehr zu empfehlen, wenn man sich einen regionalen Ausschnitt und die Verhältnisse "vor Ort" anschauen will. Der Fokus liegt allerdings auf der Wandererfürsorge, wobei die Wanderungen wieder Ergebnis der sozialen Probleme darstellen. Das ist allerdings nicht übertragbar auf die Ballungszentren mit ihren Besonderheiten.
 
Zurück
Oben