Archäologie mit der Textquelle in der Hand

Dazu, wie spekulativ vieles, was wir über die Vorfahren des Menschen angeblich wissen, ist, siehe z. B. diesen Artikel: Der menschliche Stammbaum ist brüchig DiePresse.com

Wood und Harrison beziehen sich explizit auf die laufende Debatte über „Ardi“ (kurz für Ardipithecus), ein wahrscheinlich weibliches Individuum, das vor 4,4 Millionen Jahren im heutigen Äthiopien lebte, über eine Million Jahre vor der berühmten Australopithecus-Frau „Lucy“. Ardi sei unsere Ahnin, behaupteten ihre Entdecker im Oktober 2009 in Science,und sie mache weite Teile des bisherigen Wissens über unsere Stammesgeschichte obsolet. Die Branche war aufgeregt, sogar die vorsichtige „Presse“ schrieb (mit leichter Ironie) von der „Mutter aller Mütter“.
Kaum ein Jahr danach war die Euphorie verflogen, und alles über Ardi stand zur Debatte: Ist sie aufrecht gegangen? Oder doch auf allen Vieren? Hat sie in der Savanne gelebt? Oder im Wald? War sie gar kein Hominide? Gehört sie in dieselbe Gruppe wie Orrorin und Sahelanthropus (noch zwei umstrittene Arten)? „Wir sagen nicht, dass diese Fossilien definitiv keine frühen Vorfahren der Menschen sind“, erklärt Harrison: „Aber es gibt etliche plausible Interpretationen.“
Quelle: obiger Artikel

Ich verstehe dein Problem nicht, jeder neue Fund aus diesen Zeiträumen ist nun mal meistens ohne Vergleich, und damit äußerst schwierig einzuordnen. Außerdem und dafür können wir Archäologen und Paläontologen nichts, findet so eine Art "Wettkampf" statt wer die ältesten menschlichen Fossilien hat, gerade für einige junge afrikanischen Nationen ist dies sehr wichtig, aber auch für einige Kollegen(innen).
Auch hier gilt wie fast überall in der archl. Forschung, dass man nicht im luftleeren Raum forscht sondern immer wirtschaftlichen und politischen Dogmen untergeordnet ist.
Gerade die Forschungen zum Paläolithikum bewegen sich immer im Raume der wissenschaftlichen Spekulation, was jeder seriöse Forscher der sich mit diesen Zeiträumen beschäftigt auch zugeben wird.

Die Pressemitteilung gibt nichts anderes wieder als auch die Lehrmeinung, unser Wissen über diese frühen Zeiten ist sehr lückenhaft und einige Hypothesen sind nichts anderes als Spekulation, mit einem schwankenden Wahrscheinlichkeitsgrad der Richtigkeit solcher Spekulationen.

Schau doch mal ob du an den Katalog "Roots, Wurzeln der Menschheit" rankommst, der hat einige interessante Artikel.

LG
DerGeist
 
Der Öffentlichkeit gegenüber wird aber leider eher selten zugegeben, dass vieles nur Spekulation ist, da dominieren oft Effekt- und Sensationshascherei. Ich als Laie kann leider nicht wissen, was Archäologen und Paläontologen unter sich zugeben, wirklich zu wissen oder nicht zu wissen, ich bin auf das angewiesen, was publiziert wird. Und da werden eben oft vorschnell Behauptungen aufgestellt, die nicht so ohne weiteres haltbar sind - und zwar nicht nur in der Boulevardpresse, sondern auch in Fachzeitschriften. Das zeigte nicht nur das Beispiel Ardi, sondern auch vor ein paar Jahren dieser kleine Primat aus dem frühen Tertiär, der als frühester Urahn des Menschen angepriesen wurde. Ein paar Monate später wurde dann kleinlaut zugegeben, dass man überhaupt nicht weiß und auch nicht feststellen kann, ob er zu der Entwicklungslinie gehörte, aus der Menschen und Menschenaffen hervorgingen.
 
Leider ist es so:
Wenn du nichts sensationelles ausgräbst und darstellst, bekommst du auch keine Mittel, ohne die Mittel wiederum kann man nicht forschen.
Die vielen kleinen spannenden Dinge, die z.B. eine Scherbe, ein Stückchen geschmolzenes Metall oder vieles anderes, dem Fachmann erzählen, ist für den Laien und das Publikum uninteressant.
Wie z.B. Nebra zeigt geht es für Öffentlichkeit um die tollen, wunderbaren Schätze, da wir für die Öffentlichkeit arbeiten, muss dieses Interesse auch irgendwie bedient werden. Das ganze ist so eine Art Teufelskreis.
So einfach können wir Archäologen uns natürlich nicht raus reden, dass was an der Uni gelernt wird, dient nicht dazu fundierte, wissenschaftlich "gesicherte" Themen der Öffentlichkeit zu präsentieren, sondern ist leider vielmehr die Wissenschaft im Elfenbeinturm. Wenn ich jetzt ein populärwissenschaftliches Buch über ein archl. Thema schreiben würde, wäre das ein kleines berufliches Todesurteil für mich. Denn damit würde ich mich von der "ernsthaften" Wissenschaft entfernen. Ein Blick nach England zeigt das es auch anders gehen kann.
 
Also, ich finde den ganzen Vorgang in der Anthropologie auch komisch. Da werden in Afrika regelrechte Claims abgesteckt, die einzelnen Unis überbieten sich im Alter der Fossilien, sonstige Informationen tröpfeln sehr spärlich, und natürlich ist auch hier nicht alles Gold was glänzt: Die Knochen alleine bieten uns noch kein Bild der Vergangenheit, aber das Interesse der Öffentlichkeit ist ganz enorm, und deswegen herrscht hier wohl Goldgräberstimmung. Und es tummeln sich in Afrika, vorsichtig gesprochen, nicht nur unangreifbare Fachleute. Kein Wunder, wenn solche Debatten aufkommen. Aber so ist halt Wissenschaft. Da muss man kein Spektakel draus machen.
 
Auch wenn die Diskussion sich gerade der Urgeschichte zugewendet hat, möchte ich gern nochmal aus Sicht eines Klassischen A. mich zu Wort melden:

Es geht garnicht um ein "Gegeneinander" in dieser Sache. Jede Wissenschaft ist erst mal von ihren Methoden überzeugt. Aber die beiden Wissenschaften untersuchen auf völlig unterschiedlichem Weg Zeugnisse, die zufällig aus der gleichen Zeit stammen. Im Idealfall sollten sich also die Ergebnisse ergänzen. Tun sie aber - häufig - nicht. Und dann stellt sich die Frage, welchen Erkenntnissen im Dienste der "Wahrheit" der Vorzug zu geben ist.

Ich sehe es in letzter Zeit auch immer häufiger, daß ein "Gegeneinander" konstruiert wird oder besser auf die "völlige Verschiedenheit" der unterschiedlichen Disziplinen hingewiesen wird, wo ich mir mehr ein Miteinander wünschen würde. Letztlich machen der Historiker und der Archäologe das Gleiche, sie versuchen, eine vergangene Kultur zu rekonstruieren, so gut es geht, mit dem Bewußtsein aller Fehler und Mängel und der Tatsache, daß wir diese Kultur nie mehr komplett erschließen können.
Sie nähern sich von unterschiedlichen Ausgangspositionen, aber ein guter Wissenschaftler zeichnet sich doch auch gerade dadurch aus, daß er über seine Grenzen hinausgeht. Das Schlagwort "interdisziplinär" ist viel zu überstrapaziert worden und viel zu wenig umgesetzt worden. Ich bin bei meiner Arbeit als Archäologe froh über jede Schriftquelle, jede Münze und jede Inschrift, die ich mit heranziehen kann.


Die Funde der Archäologen sind überwiegend nicht intentionell vergraben, sondern verloren oder weggeworfen worden. Kaum jemand wird sich Gedanken gemacht haben, dass es einmal eine Wissenschaft geben würde, die seine Hinterlassenschaften ausgraben und daraus Schlüsse ziehen würde.
Und das ist in meinen Augen der entscheidende Unterschied zu den Quellen der Historiker: Die Schriftquellen sind alle intentionell entstanden, die Autoren hatten Hintergedanken und Überzeugungen, die sich in der Quelle niederschlagen.

Hier würde ich anders argumentieren: es geht ja nicht nur darum, wie ein Fund in den Boden gelangte, sondern auch um seine Funktion zu Nutzungszeiten, und die ist auch immer intentionell, und im Fall von Kunstwerken auch immer auf Außenwirkung angelegt, also ähnlich zu hinterfragen wie eine Schriftquelle.

Das Erste ist der Befund, das Zweite der Fund, der wird seit der New Archeaology ein bißchen verpönt behandelt.

Die Analogie so wie du sie beschreibst ist ebenso mittlerweile verpönt und wird von der Mehrzahl der Archäologen kritisch gesehen und so nicht mehr angewendet.
Kurzum du beziehst dich hier auf Methoden die im großen und ganzen heute nicht mehr angewendet werden.

Im Klassischen schon, viel zu viele Leute schauen immer erstmal nach Rom, um irgendetwas zu erklären. Habe ich letztens auf einer Konferenz wieder eindeutig vorgeführt bekommen.
Da paßt die Bemerkung von Ravenik:

Noch abenteuerlicher wird es, wenn z. B. ausgegrabene Objekte oder Gebäude mit ähnlichen Objekten und Gebäuden in ganz anderen Ländern und aus anderen Zeiten verglichen werden, um die Bedeutung zu erschließen.

wunderbar, wenn ein Kollege, den ich hier nicht näher outen möchte, seine Befunde und Funde so eindeutig auf die Urbs bezog, ohne auch nur ansatzweise nach seinem lokalen und regionalen Kontext zu fragen.
 
Der Umgang mit Textquellen kann aber auch konstruktiv sein, wenn man an Chronologien nicht dogmatisch verhaftet bleibt. Ich möchte das an dem oben schon genannten Ausgrabungen von Finkelstein/Silbermann hinsichtlich Jerusalem darstellen. Ich beziehe mich dabei auf einen Artikel v.G. Heinsohn von 2006:

"Drei Überzeugungen liefern I. Finkelstein u. N. Silbermann in ihrem jüngsten Buch David und Salomon [2006=F/S] das Werkzeug für die Tilgung Davids und seiner "Hebräer" (...).
(i) die Davidereignisse der Bibel seien gegen -1000 richtig datiert.
(ii) die in Jerusalem bei -1000 zu erwartende Bauschicht und überhaupt die gesamte
Stratigraphie der Stadt sei ebenfalls richtig datiert.
(iii) auch die so verblüffend gut zu David passenden außerbiblichen Habiru-Quellen aus den Amarna-Briefen der Zeit des indoarischen Reiches der Mitanni seien gegen -1350 korrekt datiert.

Diese drei chronologischen Dogmen gelten in der Tat so unerschütterlich, dass dem Leser nicht einmal erklärt wird, wie man auf diese Daten gekommen sei.
(i) eine textinterne Auszählung königlicher Regierungszeiten, also reiner Bibelfun-damentalismus, liefert das Jahr -1000 für David.
(ii) für die Datierung der ausgegrabenen Schichten Jerusalems bis hin zu Herodes wird eine Mixtur aus astronomischen Rückrechnungen, frommen Bibelangaben und altgrie-chischen Zeitvorstellungen in Ansatz gebracht.
(iii) die Habiru-Stellen in den Amarna-Briefen schließlich sind über astronomische Rückrechnungen auf einen Himmelskörper ungeklärter Idendität -Sothis oder Venus - ermittelt worden...

Die Herkunft dieser höchst divergierenden Datierungsbefunde ist den beiden Autoren wahrscheinlich selbst nicht bewußt. Deshalb können sie unbekümmert folgern: In Jerusalem ist für -1000 - sogar schon ab -1200 und dann gleich bis -720 - keinerlei urbane Schicht nachweisbar. Für bald 300 Jahre judäischer Königszeit von etwa -1000 bis -700 dürfte bestenfalls ein Dorf mit weniger als 1000 Einwohnern angenommen werden: Wir werden beweisen, "dass es ein vereinigtes Königreich Israel in der Art und Weise, wie es die Bibel beschreibt, niemals gegeben hat" [F/S, 2006, 27].
Heinsohn stellt nun das von den Griechichen überlieferte Medien, welches gegen -600 von Amarder Kyaxares groß gemacht und von Kyrus entmachtet - von den Archäologen aber nicht aufgefunden werden kann, dem 800 Jahre älteren (aber Herodot unbekannten) und aus den Armanrna-Briefen bekannt geworden und ausgegrabenen Mitanni gegenüber, welches durch Schauschatra aufgebaut und vom Amoriter Aziru übernommen wird.
Nun regieren "mitannische" Gouverneure wie Biridija aus der Zeit der Armana-Habiru bis weit nach Israel und Juda hinein und befehligen Großfestungen wie Megiddo.
...Die aus der Amarna-Keilschrift gelesenen Habiru - frei umherschweifende Rebellenhaufen und Rächer der ausgeplünderten Bauern - stehen nämlich im Kampf gegen die Philister aus Gat und ähneln dabei Davids biblischen Hebräern, die ebenfalls gegen die Philister aus Gat Krieg führen.
Die in der Amarna-Keilschrift vorkommenden Namen lassen sich als Aiab >>Joab - Neffe Davids, Tadua>> David, Jaschuia>>Jischai ("Jesse") - Vater Davids idetifizieren... Das von David eroberte Jerusalem wird als Stadt der Jebusiter bezeichnet. "Wir wissen nichts über dieses Volk und seine Epoche" [F/S, 2006, 49].
In den Armarnabriefen nun herrscht zu Jerusalem der könig Abdi-Chepa. Der ist in Keilschrift nach der Gottheit Chepa benannt. Dieser Name würde zum Hebräischen Jebu der Jebusiter sehr gut passen. Eben dieser Abdi-chepa schickt bis zu seinem Untergang Depesche nach Depesche an Echnaton und fordert ein Entsatzheer gegen die Habiru.
Finkelstein u. Silbermann stellen fest: "bei genauer Betrachtung sind bestimmte Einzelheiten der biblischen Erzählung nahezu identisch mit den Beschreibungen der Apiru-Banden in den Amarnabriefen" [F/S, 45]. Aber die biblische Davidgeschichte spiele nun einmal "vierhundert Jahre später in derselben Region"
[F/S, 46]. Und für diese Zeit gibt es nach ihrer Chronologie "in Jerusalem keine archäologischen Belege". Bestenfalls ein " armes, unbefestigtes Dorf" [F/S, 239] dürfe dort angenommen werden...
Doch nun gibt es einen Ausweg aus all diesen Merkwürdigkeiten. Die Daviderzählung von angeblich -1000 passt nämlich nicht nur zu den Mitanni von angeblich -1400, sondern auch in die Zeit der angeblich unauffindbaren Medern ab -600...Bei der biblichen Bezeichnung "seranim"[Einzahl: seren) für die davidzeitlichen fünf Phlisterstädte fällt den Dogmatikern nämlich auf, dass dieser Terminus nicht semitischen Ursprungs ist, sondern als eine Verschleifung des griechischen Terminus "tyrannos" gelesen werden muß, "das erstmals im 7. Jh.v.Chr. auftauchte. Tyrannos entstammt vermutlich dem älteren anatolischen Wort tarwanis, was soviel heißt wie >Gouverneur<, >Statthalter<, und wurde ins Griechische übernommen...Das biblische seren wird traditionell in die Eisenzeit I [1200-1000] datiert, also in eine Zeit mehrere Jh. vor dem Auftauchen des gr. tyrannos. Wenn wir jedoch die bibliche Verwendung des Wortes seren ins -7. Jh datieren, als das Deuteronomistische Geschichtswerk entstand, ist das Problem gelöst. Der philistische Städtebund [der Davidgeschichte] stellt ein weiteres Problem dar. Diese Art des politischen Bündnisses ist für der Vorderen Orient eher untypisch. Im Ägäisraum dagegen um 700-480 V.Chf. weit verbreitet [F/S, 252f.]
Nimmt man die altgriechischen Historiker seit Herodot ernst, dann beginnt die Hochkultur (Bronzezeit) erst gegen -1000. Das von den Habiru=Hebräern berannte Jerusalem gehört damit... in das frühe -6. Jh. Damit löst sich Jerusalems mysteriöse 500-jährige Brache von -1200 -700 in Luft auf."
[-Voraussetzung: Mitanni = Meder und Sturz der ägyptischen Chrohologie!!!]
Quelle kann bei mir über PN nachgefragt werden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Umgang mit Textquellen kann aber auch konstruktiv sein, wenn man an Chronologien nicht dogmatisch verhaftet bleibt.

Würde man an den Chronologien dogmatisch festhalten, dann wären auch kleinere Veränderungen der Chronologie nicht machbar. Dies passiert aber immer wieder auch in der wissenschaftlichen Forschung.

Der Terminus 'dogmatisch' wird von Chronologiekritikern immer gerne herangezogen, um wissenschaftliche Arbeit schlechtzureden.

Heinsohn stellt nun das von den Griechichen überlieferte Medien dem 800 Jahre älteren Mitanni gegenüber,
Kann er machen. Keine Frage. Sicher findet er da Dinge, die irgendwie vergleichbar sind und als Beweis hergenommen werden, dass beides das gleiche gewesen sein soll. Und die Dinge, die nicht so gut passen, werden eben ignoriert, vielleicht auch verschwiegen. Jedenfalls stört man sich nicht daran, was nicht passt.
Typisch chronologiekritisches Treiben eben. Wer dran glauben will....

Aber gut für Heinsohn, dass manche dran glauben. Die kaufen nämlich seine Bücher.
 
Hallo tela,

Was macht Heinsohn?

Er läßt Finkelstein und Silbermann feststellen, daß die Amarnabriefe als außerbibliche Quelle die biblischen Erzählungen inhaltlich stützen. Dumm ist nur, daß die bibliche Chronologie nicht zu Amarna paßt, das ägyptisch chronologisiert wurde: es besteht eine Differenz von ca. 400 Jahren, um die Amarna älter sein soll. Archäologisch gibt die Stratigraphie Jerusalems aber nur Bauphasen ab ca. -700 bis -550 her -also ca. 300 Jahre nach David-, die für eine stark ansteigende Bevölkerung für ca. 12.000 Einwoh-ner stehen. Wenn also die Davidgeschichte einen realen Kern hat, mit welchem indoarischen Reich hat Echnaton dann aber wann korrespondiert? Er kann eigentlich nur in dieser Zeit im Raum Jerusalem mit den durch die Griechen verbürgten Medern korrespondiert haben, da die Bauphasen Jerusalems eine deutliche Sprache sprechen.
 
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