"Bandengründungen" in DE nach Französischer Revolution? Waisen?

Lien

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Hallo zusammen! :winke:

Ich habe Fragen zu zwei Themen, auf die ich einfach keine Antwort gefunden habe, oder zum mindestens nicht so detailliert, wie ich es gerne gehabt hätte.
Die Antworten bräuchte ich rein privat, es hat also nichts mit Referaten oder Sonstigem zu tun.


Die Fragen zum ersten Thema wären:

Gab es nach der Französischen Revolution (ich denke da an den Zeitraum um 1800-1850) in Deutschland so etwas wie „Bandengründungen“ von junge Rebellen, die sich gegen die Kirche (und den König) gewandt haben?
Wäre es möglich, dass sie Kirchen/Klöster beschädigt/geplündert haben?

Zum zweiten Thema:

Wie war die Situation in dieser Zeit für Waisen oder für Kinder, die aus bestimmten Gründen (unehelich) in Klosterschulen gesteckt wurden?
Und wann konnten sie diese Klosterschulen verlassen?
Waren diese Schulen früher sehr streng?
Waren sie vielleicht sogar so streng, dass sie Gründe gehabt hätten, sich später von der Kirche abzuwenden und sogar gegen sie zu rebellieren?


Es sind doch ziemlich viele Fragen auf ein Mal.
Aber ich hoffe wirklich sehr, dass Ihr mir weiter helfen könnt!
Je detaillierter desto besser, aber ich wäre auch über Ja/Nein Antworten wirklich froh.


Vielen Dank im Voraus!

Mit freundlichen Grüßen
Lien
 
Zuletzt bearbeitet:
Sicher gab es Räuberbanden, die Zeit von 1790- 1805 kann sogar als Blütezeit des Bandenwesens bezeichnet werden. Allerdings waren die meisten Banditen durchaus nicht politisch motiviert, sondern betrieben Raub als Lebenserwerb. Dabei brachten es einige Banden auf ein sehr hohes Maß an Spezialisierung.

Besonders erfolgreich war die Große Niederländische Bande, die in Flandern, Brabant, den Niederlanden, Nordfrankreich und seit 1800 vor allem am Rhein tätig war. Ihr gehörten zum großen Teil Juden an. Von Winshooten bei Groningen, später von Gent, Brüssel und Tournai zog der "Pate" der Organisation Moses Jakob die Fäden, unterstützt von seinem Sohn Abraham Jakob, der die Pariser Filiale leitete und seinen Schwiegersöhnen Abraham Picard und Franz Bosbeck.

Zu ihrer bevorzugten Taktik gehörte der gewaltsame Überfall auf Höfe, Güter, Schlösser und selbst kleine Dörfer. Der Coup, einen "Masematten handeln" sagten die Räuber, wurde Generalstabsmäßig vorbereitet oft monatelang vorbereitet. Die Chefs und erfahrenen Veteranen reisten zu Pferde oder mit gemieteten Kutschen zum Tatort, der oft mehr als 100 km vom Wohnort entfernt lag.Sie tarnten sich als Marodeure, sangen die Marseilaise oder "Ah, ca ira", sprengten die Haustüren mit einem Baumstamm auf und schüchterten die Bewohner mit Gewalt ein.

Räuber wie Abraham Picard, der 1807 im Gefängnis von Marburg starb und Jan Bosbeck verbündeten sich später mit rheinischen Banditen wie Mathias Weber alias Fetzer, Damian Hessel und Mathieu Rouhet, einem desertierten Sergeant Major, der dafür den Spitznamen Major bekommen hatte. Im Gegensatz zu vielen früheren jüdischen Banditen arbeiten die Niederländer auch mit Christen zusammen. Gleichzeitig waren zwischen 1800- 1810 die Moselbande, die Odenwaldbande des Hölzerlips, die Wetteraubande und die bekannteste, die des Schinderhannes aktiv. Schinderhannes wurde der bekannteste deutsche Räuber, doch im Vergleich zu Picard war er ein Stümper.

Ich bin im Moment ein bisschen schreibfaul und empfehle dir, dich mal hier im Forum umzusehen. Meine Threads "Wer hängt kann nicht ersaufen" und "Johann Bückler, alias Schinderhannes- ein Plädoyer für einen ungewöhnlichen Banditen" findest du unter Persönlichkeiten in der Neuzeit und unter Sonstiges in der Neuzeit. Da sind auch viele Literaturtipps dabei.

Dieses Buch beschäftigt sich im Besonderen mit den Banditen der Großen Niederländischen Bande, den Räubern Abraham Picard, Jan Bosbeck, Claus und Georg Harting:

Martin Lange, "Räuber und Gauner ganz privat" (ISBN978-3-8288-9289-7)
Tectum Verlag Marburg 2007

Vielleicht kann man den Beitrag in den Thread "Wer hängt kann nicht ersaufen- Räuber und Räuberbanden verschieben?

Kirchenraub war ebenfalls sehr beliebt. Zwei bekannte Banditen, die auch mit den Niederländern zusammenarbeiteten Nicolaus Joseph und Georg Harting, genannt Brabanter Claus und Brabanter Georg spezialisierten sich sogar auf (gewaltfreien) Kirchenraub.

Von Jan Bosbeck ist ein besonders gewagtes Unternehmen auf ein Schloss überliefert. Sein Brüder Franz und der gefährliche Picard hatten einen Coup geplant, zu dem er seine Leute mitbringen sollte. Der Besuch galt einem Schloss, das mit zahlreichen Wachen und scharfen Hunden bewacht war. Picard und sein Bruder hielten den "Masematten" für zu gewagt und riskant. Da entschloss sich Jan, das Schloss mit nur einem Dutzend seiner Leute anzugreifen. Als Juwelier getarnt schlich er sich ein und der Schlossherr führte ihn überall herum. Bei Nacht überrumpelten sie die Bewohner im Schlaf, töteten die Hunde mit präparierten Ködern und plünderten das Schloss aus. Jan Bosbeck, genannt Shippertje oder Schifferchen wurde dadurch als Räuber berühmt. 1800 wurde sein Bruder geschnappt und in Den Haag hingerichtet. Jan schlug sich nach Hamburg durch, betrieb und betrieb dort ein Bordell mit Kneipe, wurde aber nach einigen Jahren enttarnt, schlug sich als Puppen- und Marionettenspieler, Hausknecht, Seemann und schließlich wieder als Räuber durch, bis er 1811 in Schwarzenau enttarnt und in Marburg inhaftiert wurde. Er wurde zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt und starb 1818 im "Hexenturm" des Landgrafenschlosses.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Scorpio:
Vielen Dank für deine ausführliche Antwort zum ersten Thema!
Wirklich vielen Dank! Toll.

Deine Threads werde ich mir auf jeden Fall auch noch angucken.


Somit wären meine Fragen zum ersten Thema schonmal geklärt.

Wenn jemand noch etwas zu meinen Fragen zum zweiten Thema weiß oder Verlinkungen kennt, die ich per Google nicht gefunden habe, wäre es wirklich super, wenn ihr mir damit weiterhelfen könntet!

Lien
 
Somit wären meine Fragen zum ersten Thema schonmal geklärt.
Na ja, nach 1815 war ziemlich Schluß mit der Räuberbanderei. Die neuen "Großstaaten" waren nicht so leicht auszuspielen wie die vorherige Kleinstaaterei.
Wenn jemand noch etwas zu meinen Fragen zum zweiten Thema weiß oder Verlinkungen kennt, die ich per Google nicht gefunden habe, wäre es wirklich super, wenn ihr mir damit weiterhelfen könntet!
Das scheitert an den subjektiven Befindlichkeiten. Erniedrigte und Beleidigte gab es zu allen Zeiten. Außerdem waren nach 1803 die meisten konfessionellen Einrichtungen via Säkularisation aufgehoben.
 
Na ja, nach 1815 war ziemlich Schluß mit der Räuberbanderei. Die neuen "Großstaaten" waren nicht so leicht auszuspielen wie die vorherige Kleinstaaterei.

Der relativ abrupte Niedergang des Bandenwesens in den Jahren um 1813-1815 gehört in der Forschung zu den kontroversesten Fragen. Die Modernisierung der Justiz und Polizei spielte dabei sicher eine Rolle, doch ich halte die Pauperisierung der Bevölkerung für noch entscheidender. Selbst in ihrer Blütezeit haben sich die Räuber niemals reich gestohlen, selbst wenn Banditen wie Picard, Fetzer und Bosbeck tatsächlich große Summen erbeuteten. Doch wo nichts zu holen ist, da kann auch der geschickteste Bandit nichts erbeuten. Es gab in dieser Zeit aber auch durchaus so etwas wie einen Strukturwandel in der Kriminalität, weg von der Bande zur "Kabrusche", zum kleinen, organisierten Trupp. Charakteristisch für die Räuberbanden war das Vorgehen auf dem Land, typisch für die organisierte Kriminalität im Vormärz, war dass sich die Banditen auf Einbrüche in Messestädten spezialisierten. Manche Veteranen der Großen Niederländischen Bande waren noch in den 1820ern aktiv, aber ihre Vorgehensweise glich schon eher der von Geldschrankknackern. Die Zeit der Postkutschenüberfälle neigte sich dem Ende zu, wenn auch 1822 verzweifelten hessischen Bauern noch der Postraub an der Subach bei Gladenbach gelang.
 
Zum zweiten Thema:

Wie war die Situation in dieser Zeit für Waisen oder für Kinder, die aus bestimmten Gründen (unehelich) in Klosterschulen gesteckt wurden?
Und wann konnten sie diese Klosterschulen verlassen?
Waren diese Schulen früher sehr streng?
Waren sie vielleicht sogar so streng, dass sie Gründe gehabt hätten, sich später von der Kirche abzuwenden und sogar gegen sie zu rebellieren?

Hmmm... ich rätsele im Augenblick über den Hintergrund Deiner Fragen. Aus dem Bauch heraus scheint es mir eher ein Privileg gewesen zu sein, als Waise oder uneheliches Kind zur damaligen Zeit in Klosterschulen (wo es sie noch gab) "gesteckt" zu werden.
 
@Helma:

Ich schreibe in meiner Freizeit ganz gerne und naja, ich hatte plötzlich eine Idee, bei der es unter anderem um einen Jungen/jungen Mann ging, der als uneheliches Kind oder Waise, in eine Klosterschule kommt und dort so schlecht behandelt wird, dass er sich schwört sich dafür zu rächen.
Später schließt er sich dann einer Bande von Räubern an und macht auch bei der Zerstörung/Plünderung des Klosters mit.

Im Mittelpunkt steht seine Entwicklung, später auch noch die Begegnung mit seiner Mutter und mit einem alten (aus der Gesellschaft ausgestoßenen) Mann... und noch andere Sachen.

Hört sich wahrscheinlich alles ein bisschen blöd an, aber ich will wissen, ob es historisch korrekt wäre, wenn ich es so schreiben würde....
 
Wahrscheinlicher für deinen Helden wäre, dass er als Waise in einem Armen- oder Arbeitshaus aufwächst. Meist waren Armen- und Zuchthäuser nicht ausdrücklich getrennt, dort könnte er den ersten Schliff bekommen haben. Ein recht anschauliches Beispiel und vielleicht ein literarisaches Vorbild sind Romane von Dickens wie Oliver Twist. Wegen unerträglicher Bedingungen rückt er aus, schließt sich einer Kinderbande an, und landet im Gefängnis. Das Gefängnis hieß in der Gaunersprache bezeichnenderweise "Hochschule", Boardingschool, ecole".

Waisenhäuser entstanden in Anlehnung an Findelhäuser aus dem Mittelalter im 17. Jahrhundert. Ein sehr bedeutendes lag in Halle, das vom Pietisten August Herrmann Franke gegründet wurde. Waisenhäuser waren nur selten in kirchlicher Hand. Meist waren es staatliche Einrichtungen oder Stiftungen von Privatleuten. In Preußen wurde ein Waisenhaus für Waisen ehemaliger Soldaten gegründet. Meist aber waren das Einrichtungen, die in Kombination mit Arbeitshäusern und Zuchthäusern geführt wurden. Die Insassen waren durchaus nicht immer freiwillig, und die Trennung von Armen, Waisen und Kriminellen war nur sehr theoretisch. in der Regel waren diese Einrichtungen oft dafür bekannt, dass nicht selten ein furchtbares Regiment herrschte. Das Personal durfte pro Insassen eine bestimmte Anzahl von Schlägen verteilen, und niemand achtete darauf, wenn diese Zahl überschritten wurde.

Als Waise Zugang zu einer Klosterschule zu erhalten, muss dagegen eher als Glücksfall betrachtet werden, denn immerhin hätte ein Waise, dem man eine Ausbildung ermöglicht noch gewisse Chancen im Dienste der Kirche.

Waisen und Findelkinder erfreuten sich nur sehr geringer gesellschaftlicher Beliebtheit. Ein gewisser Friedrich Findling, der sich als Schäfer versuchte, durchzuschlagen, fand sich später auf einer Gaunerliste wieder. Ein anderer Waisenjunge trug den bezeichnenden Namen Georg Nichts. Weil er keine Arbeit fand, schloss er sich schließlich einer Gaunerbande an und wurde später in Würzburg gehenkt.

(Zitiert nach Ernst Schúbert Arme Leute, Bettler und Gauner im Franken des 18. Jahrhunderts).
 
Hört sich wahrscheinlich alles ein bisschen blöd an, aber ich will wissen, ob es historisch korrekt wäre, wenn ich es so schreiben würde....

Blöd? Kommt drauf an. Frage: warum willst Du den Jungen in eine Klosterschule stecken? Warum nicht, wie es "historisch" näher läge, ins Waisen- und/oder Arbeitshaus? In Deiner Eingangsfrage schreibst Du, dass sich die Geschicht ein Deutschland zutragen soll. In welcher Region? Gab es da überhaupt Klosterschulen? Welche?

PS: Scorpio war mit Oliver Twist schneller.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Scorpio:
Deine Ausführlichkeit ist wirklich... wow. Gute Ratschläge. Danke!
Ist das alles aus dem Buch, das du als Quelle angibst?

Eine Frage habe ich noch:
Mit wieviel Jahren könnte er aus dem Armen-, Arbeitshaus herrauskommen? Mit 21? Ich stelle ihn mir eher als jungen Erwachsenen als als Jungen vor...
Dazu habe ich per Google nichts gefunden und so hoffe ich, dass du mir weiter helfen könntest.

@ Helma:
Auch vielen Dank für deine Rückmeldung!

Um die Region habe ich mir noch keine Gedanken gemacht, ich wollte erst wissen, ob die Grundidee richtig ist.

Ich muss sagen, ich weiß es selber nicht genau, warum es eine Klosterschule sein soll.
Das Bild war einfach so in meinem Kopf, bis dahin hatte ich mich auch noch nicht damit beschäftigt, wie die Zustände für uneheliche Kinder oder Waisen zu dieser Zeit waren.
Aber jetzt, nachdem du und Scorpio es mir gesagt habt, ist es wirklich logischer, dass er in einem Waisen-, Armen- oder Arbeitshaus aufwächst.

Das "Gute" ist, dass er dadurch eine ähnliche Ausgangsposition erhält, wie ich sie mir nach der Klosterschule gedacht habe.
Also mit unschöner Kindheit, natürlich auch Hass auf seine Mutter, die ihm das alles zugemutet hat (ich denke er wird doch eher ein uneheliches Kind sein, als ein Waise) und auf der Suche nach Liebe, aber auch Unabhängikeit und Freiheit.

Dabei gerät er an eine Gaunerbande, durch die er Geld verdient, aber vielleicht auch Rache ausübt.

Um noch mehr von der Handlung zu schildern fehlt mir die Zeit...



Danke an euch beiden für den Literatur Hinweis! :) Den werde ich mir mal zu Herzen nehmen.

Könnte ich mich bei weiteren Fragen oder Sonstigem auch per PN an euch wenden?

Lien
 
Also mit unschöner Kindheit, natürlich auch Hass auf seine Mutter, die ihm das alles zugemutet hat (ich denke er wird doch eher ein uneheliches Kind sein, als ein Waise) und auf der Suche nach Liebe, aber auch Unabhängikeit und Freiheit.

Mhm, warum Hass auf die Mutter? Auch uneheliche Kinder haben einen Vater, der sie in eine mehr oder weniger unglückliche Lage gebracht hat. Uneheliche Geburt allein war auch kein Grund, ein Kind mit oder ohne Mutter in ein Arbeitshaus zu stecken, das geschah z.B. dann, wenn beide ihren Lebensunterhalt durch Betteln erwarben.

Noch eins: Zu der Zeit, die Du Dir für Deine Geschichte ausgesucht hast, wurde die Erlaubnis zur Heirat in Städten und Gemeinden nur Menschen erteilt, die ein ausreichendes Vermögen bzw. Einkommen nachweisen konnten. Die Höhe wurde von den Behörden festgesetzt. Wer darunter lag, bekam eben keine Heiratserlaubnis, gründete aber nicht selten trotzdem eine Familie. In Kirchenbüchern kann man Einträge über die späte Heirat von Paaren finden, die schon vorher ein halbes Dutzend uneheliche Kinder miteinander hatten und sie trotz anfänglich zu geringem Einkommen groß bekommen haben.
 
Viele Banditen starteten ihre Laufbahn sehr früh. Banditen hatten nicht selten selbst Nachwuchs, und dem versuchte man dann auch das Handwerk beizubringen, Dass ein Junge von 14, 15 Jahren in diesem Alter seine ersten Einbrüche unternahm. Abraham Picard, die Brüder Bosbeck und der berühmt -berüchtigte Fetzer waren mit 17- 18 Jahren bereits als Bandenchefs etabliert.

Nicht selten waren es aber auch die Gefährtinnen, die einen Banditen anlernten und ihm die höheren Weihen der rotwelschen Zunft beibrachten.

Vielleicht noch ein guter Literaturtipp für einen wirklich gut recherchierten historischen Roman:

Valentin Senger, "Die Buchsweilers". Das Buch spielt im jüdischen Millieu und erzählt die Geschichte des Banditen wider willen David Buchsweiler, der als Lehrer keine Anstellung findet, wegen des Verdachts an einem Raubüberfall beteiligt zu sein im Gefängnis landet, bis ihm zuletzt keine andere Laufbahn, als die Kriminelle übrig bleibt.
 
Noch eins: Zu der Zeit, die Du Dir für Deine Geschichte ausgesucht hast, wurde die Erlaubnis zur Heirat in Städten und Gemeinden nur Menschen erteilt, die ein ausreichendes Vermögen bzw. Einkommen nachweisen konnten. Die Höhe wurde von den Behörden festgesetzt. Wer darunter lag, bekam eben keine Heiratserlaubnis, gründete aber nicht selten trotzdem eine Familie. In Kirchenbüchern kann man Einträge über die späte Heirat von Paaren finden, die schon vorher ein halbes Dutzend uneheliche Kinder miteinander hatten und sie trotz anfänglich zu geringem Einkommen groß bekommen haben.


Daran habe ich ja gar nicht gedacht! :grübel:
Ich glaube, ich sollte mich nochmal grundlegend mit dem 19. Jahrhundert beschäftigen...
Vielen Dank für den Hinweis!!


"Nicht selten waren es aber auch die Gefährtinnen, die einen Banditen anlernten und ihm die höheren Weihen der rotwelschen Zunft beibrachten."


Wie darf ich mir das vorstellen? Ist mit "höhere Weihen der rotwelsche Zunft" die Gaunerschaft gemeint?
Rotwelsch ist eine Gaunersprache, oder?

Noch etwas anderes:
Wie stand die Gesellschaft zu solchen Banden?
Natürlich, wenn sie nicht gerade selbst betroffen waren.
Hatten sie vielleicht manche Städte so unter Kontrolle, dass sie geduldet wurden?
Wurden sie vielleicht sogar von manchen bewundert?
Waren solche jungen Männer "cool" (um es in der Jugendsprache zu sagen) oder wurden sie gemieden?

Ich hoffe, du verstehst, was ich damit meine...

Ich würd ihm nämlich gerne einen "coolen" jungen Mann gegenüberstellen.

Danke für den Literaturhinweis! :yes:
 
Einzelne Banditen waren in manchen Gegenden beim Volk sehr beliebt. Schinderhannes, ein Räuber, der kein Blut, am wenigsten das eigene, sehen konnte, inszenierte sozusagen seinen eigenen Mythos, indem er die Legende ausstreute, dass er nur die Franzosen und Juden überfiel. Er feierte manchmal mit armen Bauern auf der Schmidtburg eine Party.

Legendär war Mathias Klostermayr, alias der "Bayrische Hiesl". Er war ein bekannter Wildschütze, und die waren beim Volk überaus beliebt, weil sie den Bauern das verhasste herschaftliche Schalenwild vom Hals schafften, das die Ernten vernichtete. Klostermayr war in der deutschen Kriminalitätsgeschichte eine Ausnahme, weil er nicht aus der Gaunerschicht stammte und alle Kriterien eines "Sozialbanditen" erfüllte.

Der Begriff Sozialbanditentum wurde von Eric Hobsbawm in der Forschung vertreten, im Grunde ist die Sozialbanditentheorie eine wissenschaftliche Variante des "edlen Räubers". Sozialbanditen entstammen der bäuerlichen Schicht und ihr Handeln wird als nicht kriminell verstanden. Sozialbanditen vertreten eine "primitive Form sozialen Protests". Carsten Küther, (Räuber und Gauner in Deutschland" versuchte Hobsbawms Labeling auch auf "kriminelle Banditen" angewendet wissen. In der Forschung hat man sich ziemlich von dieser Theorie abgewendet. Das heißt aber nicht, dass nicht auch Rachemotive bei professionellen Banditen eine Rolle spielte. Der schwäbische Gauner Konstanzer Hans spezialisierte sich auf Einbrüche bei Pfarrern, weil er fand, dass die am wenigsten Herz hätten. Gegenüber Personen, die besonders stark mit der Obrigkeit identifiziert wurden wie Offiziere, Förster und Beamte hatten manche Gauner Ressentiments, und es kam durchaus vor, dass Opfer gefoltert wurden, um noch mehr Beute aus ihnen herauszupressen. Mancher verlor dabei Gesundheit, Leib und Leben. Dennoch kann von einem prinzipiellen Hass gegen vermögende keine Rede sein, und die Opfer wurden wegen der zu erwartenden Beute, nicht wegen Racheabsichten ausgesucht. Rache ist ohnehin primitiv, es trübt der Hass auf einen Gegner den Verstand und läßt einen Fehler begehen. Ein guter Bandit war so brutal wie nötig, um nicht eventuell selbst verletzt zu werden und so gewaltfrei wie möglich, denn sinnlose Gewalt brachte nur Nachteile.

Die Opfer waren meistens Leute aus dem "Mittelstand" zum Angriff auf ein Schloss oder ein Kloster wären sehr viele gut bewaffnete und organisierte Banditen nötig gewesen, so etwas war eher selten. Gastwirte, Pfarrer, Schutzjuden und Bauern konnten dagegen eher damit rechnen, einmal unerwünschten Besuch zu bekommen. Selbst ganz arme Leute waren nicht davor gefeit, überfallen zu werden. Es war allerdings unter der Würde eines ehrlichen Räubers, einem armen das letzte Hemd zu klauen. Manchmal gab man den Opfern sogar die Beute zurück. "Geh, wir haben des Geldes mehr, als du" sagten die Niederländer einmal zu einem schlucker. Bei einem Überfall der Odenwaldbande erhielt ein Fuhrmann nicht nur sein Eigentum zurück, die Banditen halfen ihm sogar, sein niedergefallenes Pferd wieder auf die Beine zu bringen.
 
Daran habe ich ja gar nicht gedacht! :grübel:
Ich glaube, ich sollte mich nochmal grundlegend mit dem 19. Jahrhundert beschäftigen...
Vielen Dank für den Hinweis!!


"Nicht selten waren es aber auch die Gefährtinnen, die einen Banditen anlernten und ihm die höheren Weihen der rotwelschen Zunft beibrachten."


Wie darf ich mir das vorstellen? Ist mit "höhere Weihen der rotwelsche Zunft" die Gaunerschaft gemeint?
Rotwelsch ist eine Gaunersprache, oder?

Noch etwas anderes:
Wie stand die Gesellschaft zu solchen Banden?
Natürlich, wenn sie nicht gerade selbst betroffen waren.
Hatten sie vielleicht manche Städte so unter Kontrolle, dass sie geduldet wurden?

:yes:

Oh ja, manche Dörfer oder kleine Städte galten als kochem, also hielten es mit den Gaunern. Meist waren das Territorien der Reichsritter, die Banditen duldeten, wenn sie für Schutz zahlen konnten. Da wurden die Räuber oft ganz schön ausgenommen. So erzählte der Bandit Brabanter Claus, dass man ihm geraten hatte, sich im Thüringischen zu verstecken. "Jener Ort gehöre zu einem Patrimonialgericht, und der gnädige Herr habe den Talles 8befinde sich in schlechten Vermögensumständen und der Amtmann sey kochem. Er habe daher der Frau des Amtmanns ein Modetuch geschenkt und hätte sich auch gegen ihn erkenntlich gezeigt". Die Brüder Bosbeck fingen ein Verhältnis mit der Tochter des Amtmanns von Valkenburg bei Maastricht an. Dort waren bereits zuvor schon im Dorf Mersen die Bocksreiter von 1740-1780 aktiv. Die verabscheuten Gewalt und waren bei ihren Einbrüchen so geschickt, dass die Landbevölkerung glaubte, sie seien mit dem Teufel im Bunde.
 
Oh ja, manche Dörfer oder kleine Städte galten als kochem, also hielten es mit den Gaunern. Meist waren das Territorien der Reichsritter, die Banditen duldeten, wenn sie für Schutz zahlen konnten. Da wurden die Räuber oft ganz schön ausgenommen.

Das ist wirklich interessant!
Ich habe eher gedacht, dass das Dorf oder vielleicht Gasthäuser "Schutzgelder" zahlen mussten und nicht die Räuber :D

"Gegenüber Personen, die besonders stark mit der Obrigkeit identifiziert wurden wie Offiziere, Förster und Beamte hatten manche Gauner Ressentiments, und es kam durchaus vor, dass Opfer gefoltert wurden, um noch mehr Beute aus ihnen herauszupressen. Mancher verlor dabei Gesundheit, Leib und Leben. Dennoch kann von einem prinzipiellen Hass gegen vermögende keine Rede sein, und die Opfer wurden wegen der zu erwartenden Beute, nicht wegen Racheabsichten ausgesucht."

Wurden die Gauner nicht von der Französischen Revolution beeinflusst?
Da haben sie ja gesehen, dass man nicht dazu verdammt ist, zur Unterschicht zu gehören.
Warum ging es ihnen nur um Beute und nicht darum, sich an den Vermögenden zu rächen und auch eine Revolution hervorzurufen?
Hätten sie da auf längere Sicht nicht mehr von gehabt?
 
Sie waren de facto tatsächlich dazu verdammt, als Außenseiter der Gesellschaft zu leben. Auch für eine revolutionäre Gesellschaft gehören Gauner und Vagabunden zu den Pariahs. Die Räuber und Gauner waren stolz darauf, Kochemer zu sein, die legale Gesellschaft lehnten sie ab. Wer legal durchs Leben fuhr, war nach Ansicht der Gauner ein "Wittstock", ein Dummkopf. Einig waren sie sich allerdings nur in der Ablehnung der legalen Gesellschaft. Untereinander gab es oft Konkurrenzkampf. Räuberbanden waren keine verschworenen Gemeiunschaften, sondern Interessengruppen, in denen jeder sehen mußte, wo er blieb. Oft zogen sie sich gegenseitig ab, und manche Banditen waren sich durchaus nicht grün.

Dann darf man auch nicht vergessen, dass die Französische Revolution durchaus stark die Vorstellung von Eigentum betonte, und bei deutschen Jakobinern wie Georg Friedrich Rebmann, der als Justizbeamter in Mainz tätig war, ist durchaus eine tiefere Reflexion über das enorme Eigentumsgefälle zu vermissen. Einen Wiedereinstieg in die bürgerliche Gesellschaft schaffte kaum ein Bandit, und wenn, dann hätte die Möglichkeit, sich legal den Lebenserwerb zu sichern darin bestanden, eine Kneipe oder ein Bordell zu betreiben.

Rache ist ein sehr kostspieliges Motiv, und wer gezwungen ist, sich illegal seinen Lebensunterhalt zu verdienen, wird sich so etwas kaum leisten können, wenn natürlich die Chance, sich für erlittenes Unrecht zu rächen gerne wahrgenommen wurde, wenn sie sich denn bot. Wahrscheinlicher aber war, dass die Räuber nur nachahmten, was an ihnen selbst in punkto Folter von einem Büttel vollzogen wurde. Interessant ist, dass die Humanisierung der Justiz auch zu einem Rückgang an Gewaltkriminalität führte.
 
Warum lehnten Sie die legale Gesellschaft ab?
Hatte das was mit ihrer gesamten Lebenseinstellung zu tun?


Ich dachte, sie hätten nur etwas gegen die "oberige" Gesellschaft gehabt?
 
1. weil sich ihre Lebensweise, ihre Normen, ihr Ehrenkodex strikt von der legalen Gesellschaft unterschied und

2. diese Gsellschaft ihnen keinen Platz zum Leben ließ.

Die Räuber und Gauner waren durchaus so etwas wie eine alternative Subkultur, eine Gegengesellschaft, auch wenn man diesen Begriff nicht überstrapazieren sollte.
 
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