Barock - ABERGLAUBE

Es scheint mir evident zu sein, dass man eben diese Komponenten nicht rauslassen kann.
Das gilt aber nur, wenn man Aberglauben aus persönlicher Sicht definiert, also jedem der anders glaubt Aberglauben vorwirft. Die zwingende Folge wäre, dass jeder Andersgläubige als "abergläubisch" bezeichnet werden könnte ... :grübel:

Dann stünde eigentlich der Aberglauben der Aufklärung nicht entgegen, oder anders gesagt ein Theologe könnte seinerseits den Aufklärern "Aberglauben" bzw. aberwitzigen Glauben vorwerfen ... :grübel:
 
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Dann stünde eigentlich der Aberglauben der Aufklärung nicht entgegen, oder anders gesagt ein Theologe könnte seinerseits den Aufklärern "Aberglauben" vorwerfen ...
Na klar.
Man könnte auch noch weiter gehen und Atheisten einen Glauben daran vorwerfen, dass es keinen Gott gibt. Voltaire, weil ich den schon ins Spiel brachte, findet aus dem Grund eigentlich alle dogmatischen Feuerspucker lächerlich. So würde ich ihn verstehen. Ihn als Atheisten zu begreifen, war daher auch besonders falsch.
Ich hatte mal bei einem Bekannten ein zeitgenössisches Buch gegen Voltaire gesehen, das von einem Geistlichen geschrieben war. Leider war das so langweilig, dass ich es gleich nach 10 Seiten wieder zuschlagen musste.
(Tut mir leid, Voltaire ist mein Liebling und eben er betrachtete ja insbesondere seine Zeit und die direkt davor.:rotwerd:)


Doch warten wir mal auf tiedoubleu!
 
Das gilt aber nur, wenn man Aberglauben aus persönlicher Sicht definiert, also jedem der anders glaubt Aberglauben vorwirft.


Abgesehen davon, dass ich es für schier unmöglich halte, eine allgemeingültige Definition von Aberglauben zu finden, würde es nichts daran ändern, dass man Glaube und Vernunft nicht aus dem Thema rauslassen kann.
 
Nun ein paar Beispiele für das, was man scheinbar schon im Barock für Aberglaube hielt.

"Männer=Hosen um den
Kopff wickeln,

Ist ein abergläubisches Wesen
und Einbildung des Weibesvolcks,
so sich bey dem Ohrenzwang ein
Paar Männer=Hosen um den Kopf
wickelt, um dadurch den Ohren=
zwang zu vertreiben."
*

Anmerkung meinerseits: Mit Ohrenzwang ist Ohrenweh genannt. Scheinbar kam der Begriff "Ohrenzwang" schon nach der Mitte des 18.Jh. außer Gebauch.

"Kleidgen bey sich tragen,

Ist ein alter Weiber Aberglau=
be, da einige der irrigen Meynung
seynd, daß derjenige Mensch, der
sein Kleidgen oder Geburts=Häut=
lein stets bey sich trüge, im Spielen
und anderen Dingen müste glücklich
seyn."
**

Mit dem "Spielen" sind wohl alle Glücksspiele und Kartenspiele gemeint. In der Regel spielte man um Einsätze, v.a. wohl Bargeld.

Das "Frauenzimmerlexikon" von 1715 führt sehr viele ähnliche "Einbildung"en als Aberglauben auf, womit diese wohl bloßgestellt werden sollten.
Ich las aber auch schon in Büchern bis ins späte 18.Jh., wo manche solche Hausmittel noch deutlich ernsthafter empfohlen wurden.

* Amaranthes: "Frauenzimmerlexikon" Leipzig, 1715, "bey Joh. Friedrich Gleditsch und Sohn"
S. 1203
** ebenda S. 1051
 
@Brissotin
das Zweite musst du mir erklären. Was ist hier mit dem Häutlein gemeint?
Das müsstest Du den Autor fragen. Ich weiß es auch nicht. Ich kann aber die Tage schauen, ob es der Verfasser selber in seinem Buch irgendwo erläutert.

Der Krünitz hat dazu zumindest keinen Beitrag zu bieten.
 
Da möchte ich doch mal den Begriff "Aberglaube" genauer definiert haben.

Ist der Glaube an die Wirksamkeit von Hausmitteln Aberglaube ? Ist es Aberglaube, wenn man sich bei Ohrenschmerzen eine Hose um den Kopf wickelt, und Medizin, wenn es ein Schal ist ? Wie ist es dann mit einer Kräuterpackung, wenn der Wirkstoff von der Pharmaindustrie (noch) nicht identifiziert worden ist ? Und wenn die Wirkung eine psychsomatische ist ? Widerspricht es der Vernunft, wenn man eine Heilmethode anwendet, die hilft, auch wenn man nicht weiß, warum ? Oder ist es vernünftiger, sie nicht anzuwenden und daran zu sterben ?

Meine Definition ist :
Aberglaube ist jede Überzeugung von der Beschaffenheit der Welt und deren Wechselwirkung mit uns Menschen, die weder von der offiziellen Kirche ("Glaube"), noch von der zeitgenössischen Wissenschaft ("Vernunft") anerkannt ist.
 
Was ist hier mit dem Häutlein gemeint? :S
Ich könnte mir den Nabelschnurrest vorstellen, den das Kind ein paar Tage nach der Geburt verliert. Sollte man den etwa getrocknet aufbewahrt und als Glücksbringer benutzt haben ?

Edit : Turandokhts Erklärung leuchtet mir mehr ein.
 
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@Brissotin
das Zweite musst du mir erklären. Was ist hier mit dem Häutlein gemeint? :S


Ein Blick in den Zedler hilft in solchen Fällen meistens weiter. Es ist ein Häutlein,

"...welches die Leibesfrucht umgiebet, dick, und etwas weiß, ingleichen mit vielen Aestlein der Adern geziert, inwendig platt, äusserlich aber narbig ist."

Das ist nur ein Ausschnitt, den ganzen Eintrag findet ihr in Band 10, Seite 283. Hört sich für mich danach an, als ob man ein getrocknetes Stück Plazenta aufgehoben hat. Ich hab außer meinen eigenen noch keine Geburt miterlebt und bin daher nicht kompetent, was da ansonsten noch alles mit raus kommen könnte.
 
Okay. ich verstehe ja noch dass die seltene Glückshaube dem ursprünglichen Träger Glück bringen sollte, wie man es ja auch Sonntagskindern andichtet, aber dass Seeleute glaubten, sie können sich mit einer fremden Membran, also fremden Federn schmücken und das Glück übernehmen ...

Nun ja, allerdings war ihr Beruf so gefährlich, dass sie wohl jede Art von Glück brauchen konnten, selbst wenn es nur ein Talismann war ...

Ach ja, gar nicht so lange her, da fuhr mein Dad mit Christophorus im Auto ... :pfeif:
 
Ach ja: Im Zedler findet sich auch ein ausgedehnter Eintrag zum Aberglauben. Mir fehlt die Zeit, jetzt hier noch großartig dazu zu schreiben, aber vielleicht können die anderen Mitdiskutanten daraus Gewinn ziehen. :winke:
 
Laut Wiki ist es ein Stück der Fruchtblase. (siehe oben)

Wie gesagt, ich bin über den Bereich Schwangerschaft wenig informiert. An meine eigene Geburt hab ich halt so überhaupt keine Erinnerung mehr. :pfeif: Es mag auch sein, dass Zedler die Glückshaube beschreibt.

(Um es mit Heidegger zu nehmen: Die Geworfenheit beginnt eben nicht schon mit der Geburt. So, jetzt ist aber gut mit Philosophie für den Moment.)
 
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@ Lukrezia Borgia

Vielen Dank für das Nachschlagen! :yes:

Steht im "Zedler" auch was unter "Aberglaube"?

Im "Krünitz" finde ich:

"Aberglaube
nimmt man in wirthschaftlichen Dingen für solche Meynungen und Handlungen, welche allerhand falsche Sätze von der Natur aller Dinge, der Körper und Geister zum Grunde haben, denen man Wirkungen beileget, die durch ihre bekannte Kräfte und nach ihrem Wesen nicht möglich sind. Ja, man verdecket oft allerhand Laster mit solchen abergläubischen Meynungen. Der Ursprung dieser abergläubischen Dinge ist in der Unwissenheit der Natur= und Geister=Lehre der Alten zu suchen. Die Gelehrten sind es, welche diesen Aberglauben nach und nach bestreiten und ausrotten sollen."

Hier findet man schon den aufklärerischen Ansatz, dass es die Aufgabe der Gelehrten (also Wissenschaftler) ist, den Aberglaube auszurotten.

Der "Zedler" wäre dazu noch ein bisschen spannender, weil näher an der Zeit des Barock.
Der "Krünitz" ist ja schon wirklich sehr von der Aufklärung und deren Kritik geprägt.

@ Klaus

Definieren kannst Du, wenn Du magst.

Ich gucke mal, ob ich noch ein anderes Mittelchen finde, das weniger "medizinisch" wirkt.
 
@ Klaus
Definieren kannst Du, wenn Du magst.
Meine Definition stimmt doch sehr gut mit der im "Krünitz" überein.

Im Gegensatz zu diesem fehlt mir allerdings die Kenntnis einer absoluten (religiösen und wissenschaftlichen) Wahrheit, so dass ich nicht zu jeder Zeit über jedes Sujet zu urteilen vermag, ob es einer sochen entspricht.
 
Das ist nur ein Ausschnitt, den ganzen Eintrag findet ihr in Band 10, Seite 283. Hört sich für mich danach an, als ob man ein getrocknetes Stück Plazenta aufgehoben hat. Ich hab außer meinen eigenen noch keine Geburt miterlebt und bin daher nicht kompetent, was da ansonsten noch alles mit raus kommen könnte.
Nein, um die Nachgeburt oder ähnliches wird es nicht gegangen sein. Es hört sich tatsächlich so an, als habe ein Teil der Fruchtblase den Kopf oder das Gesicht bedeckt, wobei ich selbst solche Fälle nicht kenne.
Ich vermute eher, dass es sich dabei um die Käseschmiere (vernix caseosa, natürliche Schutzschicht) gehandelt hat, die man früher tatsächlich abwusch oder runterrieb …
http://www.baby-welten.de/das-neugeborene/baby-koerper/kaeseschmiere.htm
 
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Nein, um die Nachgeburt oder ähnliches wird es nicht gegangen sein. Es hört sich tatsächlich so an, als habe ein Teil der Fruchtblase den Kopf oder das Gesicht bedeckt, wobei ich selbst solche fälle nicht kenne.
Ich vermute eher, dass es sich dabei um die Käseschmiere (vernix caseosa) gehandelt hat, die man früher tatsächlich abwusch oder runterrieb …
http://www.baby-welten.de/das-neugeborene/baby-koerper/kaeseschmiere.htm

Ich halte diese Glückshaube für sehr wahrscheinlich, weil sie Gewebestruktur hat und Zedler beschreibt hier eindeutig ein Gewebe. Dass es nicht unbedingt die Plazenta sein muss, habe ich bereits in meinem allerersten Beitrag zur Causa deutlich gemacht, indem ich schrieb: "Ich hab außer meinen eigenen noch keine Geburt miterlebt und bin daher nicht kompetent, was da ansonsten noch alles mit raus kommen könnte."

Dass es die Käseschmiere nicht sein kann, in die Richtung treibt mich mein gesunder Menschenverstand, denn

1. würde die nach einer Trocknung (wie sonst soll man das längerfristig haltbar machen?) eher pulverförmig aussehen und man würde es dann nicht als "Häutlein" bezeichnen.

2. das einschlägige Lexikon der Zeit beschreibt das Geburtshäutlein als etwas, das Adern enthält, innen platt, außen rau ist etc. Das trifft auf das Käseschmierieschmari nicht zu.
 
Okay, Käseschmiere war doof ... :rotwerd::red:

Aber es ist definitiv die Fruchtblase
Die das Kind umgebenden Eihäute werden Fruchtblase genannt. Diese kann entweder vor Wehenbeginn oder in jeder Geburtsphase springen. Selten bleibt die Fruchtblase bei der Geburt des kindlichen Kopfes intakt. Man spricht dann von einer „Glückshaube“.
Das hat mir eine Babykrankenschwester auch bestätigt. Ist wirklich äusserst selten ...

Was mich hier eher wundert ist, dass man vor diesen "besonderen" Kindern nicht Angst hatte. Das kam andererseits ja auch häufiger vor, ihr "Anderssein" als Teufelswerk abzutun ...
 
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