Großbritannien war weder Frankreich noch Russland gegenüber in irgendeiner Weise verpflichtet zu helfen. Dies war auch die Meinung vom Premier Asquith und das hat sich auch in der Politik von Grey niedergeschlagen.
Es bestand keine juristische Verpflichtung, wohl aber eine moralisch-politische.
Der Leiter der Abteilung Westeuropa im britischen Außenministerium Sir Eye Crowe brachte dies in seinem Memorandum vom 31.7.1914 für den britischen Außenminister Grey wie folgt auf den Punkt:
"Das Argument, dass es keine schriftlichen uns an Frankreich bindenden Verpflichtungen gibt, ist streng genommen zutreffend. Es besteht keine vertragsmässige Verpflichtung. Die Entente wurde jedoch abgeschlossen, gekräftigt und in einer Weise erprobt und gefeiert, die den Glauben rechtfertigt, dass ein moralisches Band geschmiedet worden ist. Die ganze Politik der Entente kann keinen Sinn haben, wenn sie nicht bedeutet, dass Engalnd in einem gerechten Streitfall seinen Freunden beistehen werde. Diese Ehren-Erwartung wurde erweckt. Ohne unseren guten Namen ernster Kritik auszusetzen, können wir das nicht von uns weisen. (...) Wenn man die Frage auf dieser Grundlage erwägt, dann wird man sicher finden, dass unsere Pflicht und unser Interesse es erheischen, Frankreich in seiner Stunde der Not beizustehen. Frankreich hat den Streit nicht gesucht. Er ist ihm aufgezwungen worden."
Quelle: Immanuel Geiss (Hrsg.), Julikrise und Kriegsausbruch 1914, Band II (1964), Dok.-Nr. 962.
amicus schrieb:
Frankreich, Russland, Deutschland wußten in der Julikrise sehr lange nicht, eindeutig viel zu lange, für welche Position sich Großbritannien letzten Endes durchringen würde.
Unter dem Gesichtspunkt der Friedenserhaltung war es sogar geboten, dass GB sich gegenüber Frankreich und Rußland zurückhaltend verhielt. Diese beide Staaten sollten nicht durch voreilige britische Zusagen zu einem Krieg gegen D/ÖU ermutigt werden. Insoweit kann ich Deine Bemerkungen nicht nachvollziehen.
D hingegen wurde von GB seit 1875 regelmäßig davor gewarnt, die Großmachtrolle Frankreichs in Frage zu stellen. Gleichwohl erhielt sich in Berlin die "Fata Morgana" einer britischen Neutralität in einem von D verursachten deutsch-französischen Krieg. Das hat aber mehr mit dem Wunschdenken deutscher Militärs und Politiker zu tun als mit dem Verhalten der britischen Regierungen.
Ferner lässt Du bei Deiner Analyse die Entwicklung der Julikrise 1914 außer Acht:
Mit einer Bestrafung Serbiens durch ÖU war GB prinzipiell einverstanden. Zugleich wies Grey aber schon am 9.7.1914 (!) darauf hin, dass "sehr viel von der Art der gedachten Massnahmen abhängen [würde], und ob dieselben nicht das slawische Gefühl in einer Weise erregten, die es Herrn Sasonow [Rußlands Außenminister, Gandolf] unmöglich machen würde, dabei passiv zu bleiben" (Lichnowsky an Bethmann Hollweg am 9.7.1914, in: I. Geiss [s.o.], Band I, Dok.-Nr. 60. In einer ganzen Serie von Telegrammen warnte Lichnowksy Berlin eindringlich davor, den Bogen gegenüber Serbien zu überziehen. "Ich wiederhole meine Auffassung, dass bei militärischen Massnahmen gegen Serbien gesamte öffentliche Meinung [GBs, Gandolf] gegen ÖU Stellung nehmen wird" (Lichnowsky an Jagow am 16.7.1914, in: I. Geiss [s.o.], Band I, Dok.-Nr. 110.
Für die Briten begann die Julikrise im Grunde erst mit dem - wochenlang verzögerten - österreichischen Ultimatum vom 23.7.1914 an die serbische Regierung. Als das Ultimatum in London bekannt wurde, hatte man dort noch die Hoffnung auf ein mäßigendes, kriegsverhinderndes Einwirken Berlins auf dessen österreichischen Dreibundpartner. Immerhin wurden die letzten Balkankrisen mit Hilfe eines deutsch-britischen Krisenmanagements eingedämmt. Die deutsch-britischen Beziehungen hatten sich bis zum Vorabend des Ultimatums spürbar verbessert. In London hatte man vor diesem Hintergrund gar nicht die Erwartung, dass Berlin nun ausgerechnet in dieser Krise die Weichen auf Krieg gestellt hatte. Damit die Briten auch arglos blieben, wurde der deutsche Botschafter Lichnowsky über das österreichische Ultimatum auch noch falsch instruiert. So beteuerte dieser fälschlicherweise, Berlin habe vom österreichischen Ultimatum keine Kenntnis gehabt. Die angebliche deutsche Ahnungslosigkeit sollte Berlins Wille, es in dieser Krise zu keiner diplomatischen Lösung kommen zu lassen, verdunkeln.
Hieraus ergaben sich in der Tat Verzögerungen und Fehleinschätzungen. Diese aber nun ausgerechnet den Briten anlasten zu wollen, halte ich dann doch für ausgesprochen unfair.
Das verursachte große Freude auf deutscher Seite.
Wilhelm war nun sofort und intensiv bemüht den Aufmarsch zu stoppen. Er ließ nach Trier den Befehl durchgeben, das die Grenzen zu Luxemburg nicht überschritten werden dürfen. Moltke hat das alles nicht gepaßt, genaus so wenig wie Faleknhayn. Man argumentierte, man könne nun nicht den ganzen Aufmarsch korrigieren.
Es kam sogar noch besser. Am 01.August kam abends ein weiteres Telegramm aus London. Dazu schrieb Admiral Müller " Dann kam ein weiteres erstaunliches Telegramm aus England, worin Sir Edward Grey die englische Neutralität auch für den Fall in Aussicht stellte, dass Deutschland mit Frankreich in Krieg geraten sollte."
Die Freude war ganz außergewöhnlich. Wilhelm ließ Sekt kommen. Sogar Tirpitz war froh, der Auseindersetzung mit England entkommen zu sein. Nur wenige Stunden später, um 23.11 Uhr, kam ein Telgramm von Lichnowsky aus London, in dem er mitteilte, das Grey sein Angebot wieder zurück gezogen hat.
Es war doch ein ziemliches Wechselbad der Gefühle in den letzen Tagen vor dem Krieg und Grey blieb unklar und legte sich nicht fest.
(Von mir benutzte Quelle: "Falkenhayn" von Holger Afflerbach , Stuttgart 1996)
Hier stimmt einiges nicht.
Entgegen Deiner Darstellung löste das Lichnowksy-Telegramm vom 29.7.1914 in Berlin keine Freude aus. Warum auch? Immerhin hatte Lichnowsky in diesem Telegramm Greys Warnung mitgeteilt, wonach GB in einem deutsch-französischen Krieg zu Gunsten Frankreichs intervenieren wird. Dementsprechend besorgt war Bethmann-Hollweg. Dieser unterbreitete nun dem britischen Botschafter sein unmoralisches Angebot, GB solle Frankreich im Stich lassen und Frankreichs territorialer Besitz in Europa bliebe unangetastet.
Richtig ist vielmehr, dass Lichnoswky am 1.8.1914 nach Berlin telegrafierte, GB und Frankreich seien doch bereit, neutral zu bleiben. Nähere Vorschläge würden ihm von Grey noch im Laufe des Tages übermittelt. Diese Meldung löste in Berlin Freude aus. Sie beruhte aber auf einem Missverständnis Lichnowskys und nicht auf einem unklaren, wolkigen Verhalten Greys. Am Abend des 1.8.1914 kam dann die Richtigstellung von Lichnowksy.