Belgrad, 1968: Ein kleiner Frühling?

Scarlett

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Der Belgrader Frühling 1968
Ein Versuch, den Kommunismus vom Kopf auf die Füße zu stellen
Von Boris Kanzleiter

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Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Das Ende des Belgrader Frühlings wird übrigens annekdotenhaft erzählt: Tito schließt sich scheinbar den Forderungen an, macht seine Eliten für das offenkundige Versagen verantwortlich und die Studenten in Belgrad tanzen das "kozaracko kolo" und die Proteste enden.

Das das Regime mitunter kopflos reagierte, mag an einem Beispiel ersehen werden: Teile der Parteiführung suchten um eine Beruhigung der Lage und foglich "verhandelte" man auf einer Versammlung mit ihnen. Es brach etwas Unruhe aus und die Miliz wurde eingesetzt - sie rekrutierte sich vom Lande und erkannte somit die Angehörigen der PArtei nicht. SO ergab sich die äußerst skurile Situation, dass Parteiangehörige und Studenten gemeinsam vor der prügelnden Polizei flohen.

Für die Studenten, gleich in welcher Republik, bedeutet das vor allem die Einübung von Protest - bislang eher unbekannt in Jugoslawien und zusammen mit der Aufnahme von nationalen Forderungen entsteht schließlich in Kroatien 1970/71 eine kroatische Version der Studentenbewegung, die das System herausfordert und in eine Krise stürzt, wie sie nach 1948 nicht mehr vorkam.
Dieses Mal gewaltfrei, bajdeväi. ;)
 
Kanzleiters Bericht liest sich wie eine Revolte, dessen Protagonisten sich noch Tage danach nicht beruhigen konnten, weil sie keine Eintrittskarten für ein überfülltes Konzert bekamen.

Das "Wildcat-Zirkular" Nr. 50/51 aus dem Jahr 1999 lässt wissen:
Ab 1968 gab es in Jugoslawien - wie auf der ganzen Welt - eine massive Welle von Streiks und Protesten. Auch die Belgrader Uni wurde unter der Parole »Nieder mit der roten Bourgeoisie!« besetzt. Die Republikführungen versuchten, teils mit Erfolg, diese Proteste nationalistisch zu kanalisieren. Die Bundesregierung reagierte widersprüchlich, einerseits mit einer Säuberungswelle 71/72 gegen »liberale« und nationalistische Funktionäre, andererseits mit verstärkter Kreditaufnahme im Westen, um die Ansprüche der ArbeiterInnen zu befrieden. Im Laufe der 70er Jahre stieg der Lebensstandard in den industrialisierten Regionen Jugoslawiens auf westeuropäisches Niveau.

Zum Verständnis im Zitat: mit Republikführungen sind die damaligen jugoslawischen Teilrepubliken gemeint.

Interessanter ist der kroatische Frühling von 1971 und der sofortige Bruch der Kommunisten zwischen Jugoslawien und Kroatien.
 
Interessanter ist der kroatische Frühling von 1971 und der sofortige Bruch der Kommunisten zwischen Jugoslawien und Kroatien.

Der Kroatische Frühling ist sicher bemerkenswerter, für mich eine der interessantesten Sachen in der kroatischen Zeitgeschichte überhaupt, die Proteste in Belgrad, die ein - wenn auch schwächeres - Echo in den anderen Republiken finden, bewirken einen Meinungswechsel bei den Studenten: Protest wird nun generell ein akzeptiertes Mittel der politischen Artikulation. Das war vorher durchaus nicht so.

Aber Kanzleitner hat in seiner - ein bißchen dramatischen ;) - Schilderung durchaus Recht, denn es absolut bemerkenswert, wie wenig westliche Historiker die Relevanz dieser Ereignisse überhaupt erkennen.. und mit welcher Arroganz zB. der Kroatische Frühling abgetan wird.
Ein Zeitzeuge sagte mal kürzlich, nie wieder vorher und nie wieder nachher befand sich Jugoslawien im Gleichklang mit globalen Ereignissen.
 
Ein Zeitzeuge sagte mal kürzlich, nie wieder vorher und nie wieder nachher befand sich Jugoslawien im Gleichklang mit globalen Ereignissen.

Daran scheitert auch die Besonderheit der Ereignisse in Belgrad 1968.
Zumal im Nachgang der Ereignisse deutlich wird, dass sozialistische Studenten bessere Lebensbedingungen im Sozialismus forderten. Eine konsequente zielgerichtete Umwälzung politischer Systeme in Jugoslawien konnte eh nicht gefordert werden, da das Tito-Jugoslawien ein kommunistisches nebulöses Konstrukt war.
Die kroatischen Bemühungen für eine Unabhängigkeit wurden schon Mitte der 60er Jahre intensiviert und durch die Niederschlagung des Kroatischen Frühlings 1971 zum Stillstand gebracht (Auswechslung der kommunistischen Führung der Kroaten und glaube ich Verbot der alten kommunistischen Partei Kroatien). Dass Kroatien 1971 wenig Bedeutung im Westen beigemessen wurde lag an der Nichtpaktgebundenheit des titoistischen Jugoslawiens.
 
Daran scheitert auch die Besonderheit der Ereignisse in Belgrad 1968.
Zumal im Nachgang der Ereignisse deutlich wird, dass sozialistische Studenten bessere Lebensbedingungen im Sozialismus forderten. Eine konsequente zielgerichtete Umwälzung politischer Systeme in Jugoslawien konnte eh nicht gefordert werden, da das Tito-Jugoslawien ein kommunistisches nebulöses Konstrukt war.
Die kroatischen Bemühungen für eine Unabhängigkeit wurden schon Mitte der 60er Jahre intensiviert und durch die Niederschlagung des Kroatischen Frühlings 1971 zum Stillstand gebracht (Auswechslung der kommunistischen Führung der Kroaten und glaube ich Verbot der alten kommunistischen Partei Kroatien). Dass Kroatien 1971 wenig Bedeutung im Westen beigemessen wurde lag an der Nichtpaktgebundenheit des titoistischen Jugoslawiens.

Eine wirkliche Systemumwälzung war zum gegebenen Zeitpunkt (1968-71) auch gar nicht möglich. Das haben dann wohl nur die Radikalen der Radikalen gefordert.
Wohl aber die Öffnung des Systems und das hat man versäumt.

Was ich im Bezug mit dem Westen meinte, war, das Journalisten usw dies damals sehr wohl verfolgt haben und man ganz richtig eingeschätzt hat, das dies (1971) die schwerste Krise in YU seit 1948 sei. So wie es von d. polit. Elite ja auch gesehen wurde - was man hätte damals schon 'herauslesen' können, wenn man den aufmerksam gewesen wäre.
Nur die Herren Historiker haben das absolut verschlafen.......

Hm, der Kroatische Frühling würde wohl einen eigenen Thread verdienen. ;)
 
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