Gandolf
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Eine der großen völkerrechtlichen Streitfragen des Ersten Weltkriegs war die Bewaffnung der Handelsschiffe. Die Briten hielten diese für völkerrechtmäßig, die Deutschen bestritten dies. In vielen GF-Strängen wurde diese Frage bereits angesprochen. Hier soll sie ihren Heimathafen finden.
Vorweg ein paar einführende Informationen meinerseits:
1. Überblick über die unterschiedlichen Auffassungen von GB und dem Dt.R
Die britische Regierung hatte bereits vor Ausbruch des 1. WK die Bewaffnung bestimmter Handelsschiffe veranlasst. Dies ging aus einer Erklärung des Ersten Lords der Admiralität, Winston Churchill, vor dem britischen Unterhaus am 26.3.1913 hervor. Sie befürchtete, dass in einem künftigen Seekrieg, zahlreiche Handelsschiffe auf hoher See in Kriegsschiffe umgewandelt würden und britische Handelsschiffe erbeuten könnten. Durch ihre Bewaffnung sollten britische Handelsschiffe in die Lage versetzt werden, der Wegnahme Widerstand zu leisten. Trotz Bewaffnung sollten feindliche Kriegsschiffe ihnen gegenüber zu einem Vorgehen nach der Prisenordnung verpflichtet sein, es sei denn, das Handelsschiff versuchte zu fliehen oder leistete (gewaltsamen) Widerstand.
Noch vor Ausbruch des 1. WK bestritten der Vortragende Rat im Reichs-Marine-Amt Georg Schramm und der Berliner Universitätsprofessor Heinrich Triepel in Veröffentlichungen generell die Zulässigkeit der Bewaffnung von Handelsschiffen. Diese wäre mit dem modernen Prisenrecht unvereinbar. Sie bewerteten diese Schiffe als Freibeuter, die im Kriegsfall ohne vorherige Warnung in den Grund gebohrt werden durften (Schramm, „Das Prisenrecht in seiner neuesten Gestalt, 1913, S. 308 ff.; Triepel, „Der Widerstand feindlicher Handelsschiffe gegen die Aufbringung“, in: Zeitschrift für Völkerrecht, Bd. VIII (1914), S. 378 ff.). Die Reichsregierung übernahm im 1. WK diese Auffassung. Sie kam dem britischen Standpunkt allerdings insoweit entgegen, dass sie die Besatzungen bewaffneter Handelsschiffe nicht konsequenterweise als Freibeuter sondern als Kriegsgefangene behandelte (vgl. Nr. 2 des Befehls vom 22.6.1914 (RGBl.1914, 300) als Anlage zur Prisenordnung).
2. Wird das Handelsschiff allein durch seine Bewaffnung zum Kriegsschiff?
„Vorweg ist zu bemerken, dass das Handelsschiff trotz seiner Bewaffnung die Handelsschiffeigenschaft als solche nicht verliert, nicht Hilfskreuzer und somit Kriegsschiff wird, ausgenommen das gemäß des Haager Abkommens über die Umwandlung von Kauffahrteischiffen in Kriegsschiffe „umgewandelte“, das der betreffende Staat vollständig in Kriegsdienste übernimmt und seiner Friedenstätigkeit entzieht“ (Hothorn, „Lusitania-Fall“, in: Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, Band 2, 1925, S. 851). - Das Umwandlungsabkommen fand zwar im Ersten WK keine direkte Anwendung (wegen seiner Allbeteiligungsklausel in Art. 7). Aber zahlreiche Staaten wandelten Handelsschiffe entsprechend Art. 1 bis Art. 5 des Abkommens um, so dass diese Bestimmungen als völkerrechtliches Gewohnheitsrecht Geltung erlangten.
3. Darf sich ein Handelsschiff überhaupt bewaffnen?
Im Zeitalter der Piraterie und der Kaperei wurden die Handelsschiffe bewaffnet. Häufig wurde die Bewaffnung staatlicherseits befohlen. Entsprechende Anordnungen lassen sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen (z.B. Art. 26 des Edikts des spanischen Königs Felipe II. 1563 oder Art. 59 und 60 des Edikts des französischen Königs Heinrich III. vom März 1584). In drei Verträgen des 17. Jahrhunderts wurde das Recht zur Bewaffnung von Handelsschiffen ausdrücklich anerkannt (Art. 20 des Vertrages von Westminster 1654; Art. 3 des Vertrages von Helsingör 1659 und Art. 7 des Vertrages von Nijmegen 1679). Zahlreiche Prisenentscheidungen und Prisenreglements verschiedener Länder bestätigen, dass von allen Seemächten die Bewaffnung von Handelsschiffen für absolut rechtmäßig gehalten wurde. Es hatte sich ein entsprechendes völkerrechtliches Gewohnheitsrecht herausgebildet.
Völkerrechtliche Rechtssätze können natürlich auch untergehen. Hierzu müsste allerdings ein spezieller Untergangstatbestand eingreifen: z.B. ein das alte Recht aufhebender völkerrechtlicher Vertrag oder aufhebender völkerrechtlicher Gewohnheitsrechtssatz.
Schramm und Triepel bestritten das Widerstandsrecht feindlicher Handelsschiffe gegen ihre Anhaltung und Durchsuchung, weil das Kriegsschiff nach Prisenrecht zur Durchführung dieser Maßnahmen berechtigt sei. Wo aber der eine berechtigt ist, eine Handlung durchzuführen, sei der andere verpflichtet, diese Handlung zu dulden. Bei neutralen Handelsschiffen sei dies unbestritten so. Logischerweise müsse dies auch für feindliche Handelsschiffe gelten.
Gegen dieses Argumentation wendete Oppenheim ein, dass zwischen Kriegsrecht und Neutralitätsrecht ein wesentlicher Unterschied besteht. Zwischen dem aufbringenden Kriegsschiff und einem neutralen Handelsschiff besteht ein Rechtsverhältnis. Dem Kriegführenden steht das Recht zur Anhaltung und Durchsuchung zu, um kontrollieren zu können, ob sich Konterbande an Bord befindet. Das neutrale Schiff muss diese Maßnahmen dulden. Zwischen dem Kriegsschiff und einem feindlichen Handelsschiff hingegen besteht ein Kriegsverhältnis. Die Aufbringung zielt auf die Wegnahme des Handelsschiffs als Bestandteil der Handelskriegsführung. Sie ist somit kein Recht, dessen Ausübung geduldet werden müsste, sondern Ausdruck der Feindseligkeit, gegen die Widerstand geleistet werden darf. Zumal die Besatzung des feindlichen Handelsschiffs im Falle der Wegnahme des Schiffs mit ihrer Gefangennahme rechnen muss (vgl. Art. 6 des XI. Haager Abkommens über gewisse Beschränkungen in der Ausübung des Beuterechts im Seekriege (1907)) und niemand verpflichtet sein kann, sich kampflos in Kriegsgefangenschaft zu begeben.
4. Die Unterscheidung zwischen Verteidigung und Angriff
Zu Beginn des 1. WK bekundete GB gegenüber den USA, dass die Bewaffnung von Handelsschiffen lediglich eine Vorsichtsmassregel darstellt, die zum Zweck der Verteidigung gegen Angriffe feindlicher Fahrzeuge getroffen worden ist. Der britische Botschafter in Washington versicherte, „dass britische Handelsschiffe niemals zu Angriffszwecken verwendet werden, dass sie ausschließlich dem friedlichen Handel dienen und nur zur Verteidigung bewaffnet sind, dass sie niemals feuern werden, wenn nicht zuvor auf sie gefeuert worden ist, und dass sie unter keinen Umständen jemals ein Schiff angreifen werden“ (Note des britischen Botschafters an den amerikanischen Außenminister vom 25.8.1914, zitiert nach Anlage 2 der deutschen Denkschrift vom 8.2.1916, in: Zeitschrift für Völkerrecht, Bd. IX (1916), S. 525 f.).
Doch der Seekrieg zwischen England und Deutschland eskalierte. Beide Seiten warfen sich wechselseitig Kriegsrechtsverletzungen vor. Beide Seiten übten im Wege von Repressalien Vergeltung für die jeweils von der andere Seite angeblich oder tatsächlich begangenen Kriegsrechtsverletzungen. Bei Repressalien handelt es sich um an sich völkerrechtswidrige Handlungen, die dadurch ihre Rechtfertigung finden, dass sie eine Reaktion auf eine völkerrechtswidrige Handlung des Feindes darstellen, mit der dieser dazu bewegt werden soll, zu einem rechtmäßigen Verhalten zurück zu kehren. Eine solche Repressalie auf britische Kriegsrechtsverletzungen stellte nach deutscher Auffassung die Kriegsgebietserklärung vom 4.2.1915 dar, mit der das Gewässer rings um GB und Irland als Kriegsgebiet erklärt wurde. „Vom 18. Februar 1915 an wird jedes in diesem Kriegsgebiet angetroffene feindliche Kauffahrteischiff zerstört werden, ohne dass es immer möglich sein wird, die dabei der Besatzung und den Passagieren drohenden Gefahren abzuwenden“ (Nr. 1 der Bekanntmachung der Deutschen Kriegsgebietserklärung vom 4.2.1915, zitiert nach Grewe (Hrsg.), Fontes Historiae Iuris Gentium, Dok.-Nr. 88b, S. 660).
Britische Handelsschiffe konnten sich nun nicht mehr sicher sein, dass die deutschen U-Boote ihnen gegenüber nach Prisenordnung vorgehen würden. Doch wenn die Deutschen den passiven Schutzstatus der britischen Handelsschiffe nicht mehr beachteten, konnten diese auch nicht mehr verpflichtet sein, feindliche U-Boote nicht aktiv anzugreifen. Potentielle Repressalienopfer müssen sich nicht kampflos töten lassen. Entsprechend fiel die Reaktion der Briten aus: Anordnung vom 14.2.15 vor deutschen U-Booten zu flüchten oder auf diese direkt zuzufahren (Churchills „Rammbefehl“); Anordnung vom 25.2.15 das Feuer auf offensichtlich verfolgende feindliche U-Boote zu eröffnen, die feindliche Absichten erkennen ließen); etc. Im eskalierenden Seekrieg 1915 verschwamm der Unterschied zwischen Verteidigung und Angriff.
Vorweg ein paar einführende Informationen meinerseits:
1. Überblick über die unterschiedlichen Auffassungen von GB und dem Dt.R
Die britische Regierung hatte bereits vor Ausbruch des 1. WK die Bewaffnung bestimmter Handelsschiffe veranlasst. Dies ging aus einer Erklärung des Ersten Lords der Admiralität, Winston Churchill, vor dem britischen Unterhaus am 26.3.1913 hervor. Sie befürchtete, dass in einem künftigen Seekrieg, zahlreiche Handelsschiffe auf hoher See in Kriegsschiffe umgewandelt würden und britische Handelsschiffe erbeuten könnten. Durch ihre Bewaffnung sollten britische Handelsschiffe in die Lage versetzt werden, der Wegnahme Widerstand zu leisten. Trotz Bewaffnung sollten feindliche Kriegsschiffe ihnen gegenüber zu einem Vorgehen nach der Prisenordnung verpflichtet sein, es sei denn, das Handelsschiff versuchte zu fliehen oder leistete (gewaltsamen) Widerstand.
Noch vor Ausbruch des 1. WK bestritten der Vortragende Rat im Reichs-Marine-Amt Georg Schramm und der Berliner Universitätsprofessor Heinrich Triepel in Veröffentlichungen generell die Zulässigkeit der Bewaffnung von Handelsschiffen. Diese wäre mit dem modernen Prisenrecht unvereinbar. Sie bewerteten diese Schiffe als Freibeuter, die im Kriegsfall ohne vorherige Warnung in den Grund gebohrt werden durften (Schramm, „Das Prisenrecht in seiner neuesten Gestalt, 1913, S. 308 ff.; Triepel, „Der Widerstand feindlicher Handelsschiffe gegen die Aufbringung“, in: Zeitschrift für Völkerrecht, Bd. VIII (1914), S. 378 ff.). Die Reichsregierung übernahm im 1. WK diese Auffassung. Sie kam dem britischen Standpunkt allerdings insoweit entgegen, dass sie die Besatzungen bewaffneter Handelsschiffe nicht konsequenterweise als Freibeuter sondern als Kriegsgefangene behandelte (vgl. Nr. 2 des Befehls vom 22.6.1914 (RGBl.1914, 300) als Anlage zur Prisenordnung).
2. Wird das Handelsschiff allein durch seine Bewaffnung zum Kriegsschiff?
„Vorweg ist zu bemerken, dass das Handelsschiff trotz seiner Bewaffnung die Handelsschiffeigenschaft als solche nicht verliert, nicht Hilfskreuzer und somit Kriegsschiff wird, ausgenommen das gemäß des Haager Abkommens über die Umwandlung von Kauffahrteischiffen in Kriegsschiffe „umgewandelte“, das der betreffende Staat vollständig in Kriegsdienste übernimmt und seiner Friedenstätigkeit entzieht“ (Hothorn, „Lusitania-Fall“, in: Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie, Band 2, 1925, S. 851). - Das Umwandlungsabkommen fand zwar im Ersten WK keine direkte Anwendung (wegen seiner Allbeteiligungsklausel in Art. 7). Aber zahlreiche Staaten wandelten Handelsschiffe entsprechend Art. 1 bis Art. 5 des Abkommens um, so dass diese Bestimmungen als völkerrechtliches Gewohnheitsrecht Geltung erlangten.
3. Darf sich ein Handelsschiff überhaupt bewaffnen?
Im Zeitalter der Piraterie und der Kaperei wurden die Handelsschiffe bewaffnet. Häufig wurde die Bewaffnung staatlicherseits befohlen. Entsprechende Anordnungen lassen sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen (z.B. Art. 26 des Edikts des spanischen Königs Felipe II. 1563 oder Art. 59 und 60 des Edikts des französischen Königs Heinrich III. vom März 1584). In drei Verträgen des 17. Jahrhunderts wurde das Recht zur Bewaffnung von Handelsschiffen ausdrücklich anerkannt (Art. 20 des Vertrages von Westminster 1654; Art. 3 des Vertrages von Helsingör 1659 und Art. 7 des Vertrages von Nijmegen 1679). Zahlreiche Prisenentscheidungen und Prisenreglements verschiedener Länder bestätigen, dass von allen Seemächten die Bewaffnung von Handelsschiffen für absolut rechtmäßig gehalten wurde. Es hatte sich ein entsprechendes völkerrechtliches Gewohnheitsrecht herausgebildet.
Völkerrechtliche Rechtssätze können natürlich auch untergehen. Hierzu müsste allerdings ein spezieller Untergangstatbestand eingreifen: z.B. ein das alte Recht aufhebender völkerrechtlicher Vertrag oder aufhebender völkerrechtlicher Gewohnheitsrechtssatz.
- Die Pariser Seerechtsdeklaration (1856) verbot mit der Abschaffung der Kaperei lediglich private Unternehmer zur Ausübung des Seebeuterechts staatlich zu autorisieren. Die Bewaffnung der Handelsschiffe diente hingegen dem Zweck, feindliche Erbeutungsversuche abzuwehren. Das defensive Bewaffnungsrecht wurde also vom Kaperei-Verbot nicht berührt.
- Das Haager Abkommen über die Umwandlung von Kauffahrteischiffe in Kriegsschiffe (1907) stand einer Bewaffnung von Handelsschiffen nicht entgegen. Das Abkommen enthielt weder ein Verbot, Handelsschiffe zu bewaffnen noch sah das Abkommen als Folge der Bewaffnung eines Handelsschiffs dessen Umwandlung in ein Kriegsschiff vor. Für eine Umwandlung forderte das Abkommen vielmehr die militärische Integration des Handelsschiffs in die Flotte des Kriegsministers. Auf die Bewaffnung des Schiffs kam es gar nicht an.
- Die alte Gewohnheit, Handelsschiffe zu bewaffnen, wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts immer weniger und bis 1913 gar nicht mehr praktiziert. In diesem Niedergang der alten Gewohnheit könnte ein das alte Bewaffnungsrecht aufhebender neuer Gewohnheitsrechtssatz dann gesehen werden, wenn die Gewohnheit der Bewaffnung aus der rechtlichen Überzeugung, dass das alte Bewaffnungsrecht nicht mehr fortgelten sollte, nicht mehr praktiziert wurde. Doch für den Niedergang waren allein praktische Erwägungen verantwortlich. Auf die Bewaffnung der Handelsschiffe wurde verzichtet, weil diese gegenüber den modernen Kriegsschiffen keine Verteidigungschance zu haben schienen.
- Das von den angesehensten Völkerrechtslehrern der Welt besetzte „Institut de Droit International“ bestätigte 1913 auf seiner Oxforder Sitzung in seinem Entwurf eines „Manual des lois de la guerre maritime“ das alte Gewohnheitsrecht, Handelsschiffe zu Verteidigungszwecke zu bewaffnen. In seinem Artikel 12 wurde das Folgende bestimmt: „La course est interdite. En dehors des conditions déterminées aux articles 3 et suivants, les navires publics et les navires privés, alsini que leur personnel, ne peuvent pas se livrer à des actes d’hostilité contre l’ennemi. Il est toutefois permis ax uns et aux autres d’employer la force pour se défendre contre l’attaque d’un navire ennemi“ (Annuaire de l’ Institut de droit International, Bd. 26 [1913], insb. S. 516 ff.).
- Triepel, der auf der genannten Oxforder Sitzung die Zulässigkeit der Bewaffnung bestritt, räumte in seinem Aufsatz seine Minderheitenposition in der Völkerrechtswissenschaft ausdrücklich ein: Sein britischer Gegner in der in der Zeitschrift für Völkerrecht (Band VIII, Jahrgang 1914) ausgetragenen Diskussion, „Oppenheim“, so Triepel, „hat Recht; die Literatur ist auf seiner Seite. Nicht nur in den englischen und angloamerikanischen Darstellungen des Völkerrechts und speziell des Seekriegsrechts, sondern auch in der französischen, der belgischen, der italienischen, der schwedischen Wissenschaft wird das Verteidigungsrecht, soviel ich sehe, allgemein anerkannt. Nur ganz vereinzelt wagen sich leise Bedenken hervor“ (Triepel aaO., S. 391).
- Auch die deutsche Völkerrechtslehre sah dies bis Kriegsausbruch noch so. So schrieb z.B. Erich Hüttenheim 1912 folgendes: „Das Kriegsschiff wird (...) das begegnende Handelsschiff zum Anhalten auffordern. Der Kauffahrer kann dann entweder gewaltsamen Widerstand leisten oder zu entfliehen versuchen oder sich in sein Schicksal ergeben und der Aufforderung Folge leisten. Dass die Mannschaft zu gewaltsamem Widerstand berechtigt ist, bedarf deshalb besonderer Hervorhebung, weil im allgemeinen Privatpersonen die Beteiligung an den Feindseligkeiten völkerrechtlich streng untersagt ist (...)“ (Erich Hüttenheim, in: Zeitschrift für Völkerrecht, Bd. 6, 1912/13, Beiheft II, S. 49). Der deutsche Völkerrechtsprofessor Theodor Niemeyer sprach sich 1913 auf der Oxforder Sitzung für das Verteidigungsrecht aus. Noch während des Krieges anerkannte Hans Wehberg in seiner Monographie zum Seekriegsrecht ausdrücklich das Recht, Handelsschiffe für Verteidigungszwecke zu bewaffnen (Hans Wehberg, „Seekriegsrecht“, in: Fritz Stier-Somlo (Hrsg.), „Handbuch des Völkerrechts“, Vierter Band, Dritte Abteilung, 1915, S. 284).
Schramm und Triepel bestritten das Widerstandsrecht feindlicher Handelsschiffe gegen ihre Anhaltung und Durchsuchung, weil das Kriegsschiff nach Prisenrecht zur Durchführung dieser Maßnahmen berechtigt sei. Wo aber der eine berechtigt ist, eine Handlung durchzuführen, sei der andere verpflichtet, diese Handlung zu dulden. Bei neutralen Handelsschiffen sei dies unbestritten so. Logischerweise müsse dies auch für feindliche Handelsschiffe gelten.
Gegen dieses Argumentation wendete Oppenheim ein, dass zwischen Kriegsrecht und Neutralitätsrecht ein wesentlicher Unterschied besteht. Zwischen dem aufbringenden Kriegsschiff und einem neutralen Handelsschiff besteht ein Rechtsverhältnis. Dem Kriegführenden steht das Recht zur Anhaltung und Durchsuchung zu, um kontrollieren zu können, ob sich Konterbande an Bord befindet. Das neutrale Schiff muss diese Maßnahmen dulden. Zwischen dem Kriegsschiff und einem feindlichen Handelsschiff hingegen besteht ein Kriegsverhältnis. Die Aufbringung zielt auf die Wegnahme des Handelsschiffs als Bestandteil der Handelskriegsführung. Sie ist somit kein Recht, dessen Ausübung geduldet werden müsste, sondern Ausdruck der Feindseligkeit, gegen die Widerstand geleistet werden darf. Zumal die Besatzung des feindlichen Handelsschiffs im Falle der Wegnahme des Schiffs mit ihrer Gefangennahme rechnen muss (vgl. Art. 6 des XI. Haager Abkommens über gewisse Beschränkungen in der Ausübung des Beuterechts im Seekriege (1907)) und niemand verpflichtet sein kann, sich kampflos in Kriegsgefangenschaft zu begeben.
4. Die Unterscheidung zwischen Verteidigung und Angriff
Zu Beginn des 1. WK bekundete GB gegenüber den USA, dass die Bewaffnung von Handelsschiffen lediglich eine Vorsichtsmassregel darstellt, die zum Zweck der Verteidigung gegen Angriffe feindlicher Fahrzeuge getroffen worden ist. Der britische Botschafter in Washington versicherte, „dass britische Handelsschiffe niemals zu Angriffszwecken verwendet werden, dass sie ausschließlich dem friedlichen Handel dienen und nur zur Verteidigung bewaffnet sind, dass sie niemals feuern werden, wenn nicht zuvor auf sie gefeuert worden ist, und dass sie unter keinen Umständen jemals ein Schiff angreifen werden“ (Note des britischen Botschafters an den amerikanischen Außenminister vom 25.8.1914, zitiert nach Anlage 2 der deutschen Denkschrift vom 8.2.1916, in: Zeitschrift für Völkerrecht, Bd. IX (1916), S. 525 f.).
Doch der Seekrieg zwischen England und Deutschland eskalierte. Beide Seiten warfen sich wechselseitig Kriegsrechtsverletzungen vor. Beide Seiten übten im Wege von Repressalien Vergeltung für die jeweils von der andere Seite angeblich oder tatsächlich begangenen Kriegsrechtsverletzungen. Bei Repressalien handelt es sich um an sich völkerrechtswidrige Handlungen, die dadurch ihre Rechtfertigung finden, dass sie eine Reaktion auf eine völkerrechtswidrige Handlung des Feindes darstellen, mit der dieser dazu bewegt werden soll, zu einem rechtmäßigen Verhalten zurück zu kehren. Eine solche Repressalie auf britische Kriegsrechtsverletzungen stellte nach deutscher Auffassung die Kriegsgebietserklärung vom 4.2.1915 dar, mit der das Gewässer rings um GB und Irland als Kriegsgebiet erklärt wurde. „Vom 18. Februar 1915 an wird jedes in diesem Kriegsgebiet angetroffene feindliche Kauffahrteischiff zerstört werden, ohne dass es immer möglich sein wird, die dabei der Besatzung und den Passagieren drohenden Gefahren abzuwenden“ (Nr. 1 der Bekanntmachung der Deutschen Kriegsgebietserklärung vom 4.2.1915, zitiert nach Grewe (Hrsg.), Fontes Historiae Iuris Gentium, Dok.-Nr. 88b, S. 660).
Britische Handelsschiffe konnten sich nun nicht mehr sicher sein, dass die deutschen U-Boote ihnen gegenüber nach Prisenordnung vorgehen würden. Doch wenn die Deutschen den passiven Schutzstatus der britischen Handelsschiffe nicht mehr beachteten, konnten diese auch nicht mehr verpflichtet sein, feindliche U-Boote nicht aktiv anzugreifen. Potentielle Repressalienopfer müssen sich nicht kampflos töten lassen. Entsprechend fiel die Reaktion der Briten aus: Anordnung vom 14.2.15 vor deutschen U-Booten zu flüchten oder auf diese direkt zuzufahren (Churchills „Rammbefehl“); Anordnung vom 25.2.15 das Feuer auf offensichtlich verfolgende feindliche U-Boote zu eröffnen, die feindliche Absichten erkennen ließen); etc. Im eskalierenden Seekrieg 1915 verschwamm der Unterschied zwischen Verteidigung und Angriff.