Bewertung von Arbeit

rena8

Aktives Mitglied
Die Bewertung von Arbeit ist ein altes wirtschaftspolitisches und ideologisches Thema, das mich in letzter Zeit wieder tagespolitisch umtreibt. Deshalb habe ich mich gefragt, ob man es auch geschichtlich diskutieren kann. Mir ist klar, dass die Gefahr besteht, tagespolitische Fragen anzusprechen, da mein Eingangspost die heutige Situation beschreibt. In diesem Forum geht es mir aber nicht um die Diskussion von Lösungsmöglichkeiten, sondern um Erkenntnisse, warum es zum aktuell als ungleich empfundenen Entlohnungsgefüge gekommen ist.

Wir haben heute einen ausgeprägten Niedriglohnbereich überwiegend im Dienstleistungssektor bei z.B. Kranken- und Altenpflegern, Frisören, Beschäftigten in Gastronomie und Angestellten bei Freiberuflern wie Ärzten, Anwälten usw.
Theoretische Arbeitsteilung in einer Tauschwirtschaft müßte doch folgendermaßen funktioniert haben: Jeder tut das, was er gut kann und tauscht 1 Stunde Schneiderarbeit gegen 1 Stunde Krankenpflege. Man könnte natürlich einwenden, dass jeder Kranke pflegen aber nicht alle gut schneidern können und sich daraus die Unterschiede in der Bewertung von Arbeit entwickelt haben könnten.
Ich vermute aber, dass es eine Vielzahl von weiteren Faktoren gibt, die eine Rolle spielen und die sich bis heute auswirken, wie z.B. das mittelalterliche Zunftwesen.
 
nun, das ist aber eigentlich erst in den letzten 30 Jahren zu beobachten mit dem Niedriglohnsektor.
So "Handwerk hat goldenen Boden" davor wurde von der "Do it yourself" welle ausgebremst.

Nun ist ja Do it yourself bei Ärzten usw schlecht möglich, in anderen Bereichen konkurrierten die Ausgebildeten eben mit ungelernten, das Lohnniveau "sackte durch" und die Entlohnungsspirale ging abwärts. Geringe Kaufkraft bei denen, die Fremdleistung nachfragen, "Geiz ist Geil" bei Besserverdienenden , somit werden Dienstleistungen eben immer schlechter entlohnt.

Zünfte, Kammerpflicht waren ja Selbstschutz vor Pfuschern, unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes
 
Hallo rena8,

ein interessantes, aber auch schwieriges Thema hast du dir da mal wieder für uns ausgedacht :winke: (und dann werden solche interessanten Themen immer dann "serviert", wenn ich eine Zeit lang offline bin und es nicht mitbekomme).

Die Geschichte der Arbeit ist gar nicht so einfach zu erforschen, mir ist auch kein umfassendes Werk bekannt, das das mal versucht hätte. Von der Fernuni-Hagen gibt es dazu einen Kurs, den man im alten Magisterstudiengang im Grundstudium beackern musste/durfte. Aber auch der ist kein homogenes Gebilde, sondern eher eine Art Flickenteppich, in dem verschiedene Aspekte der Arbeit beleuchtet werden.

Eines der Probleme ist, dass die Arbeit an sich nur relativ selten in historischen Quellen direkt thematisiert wird. Man muss sich dem Thema also eher auf Umwegen nähern.

Erschwert wird das Ganze noch, dass die Sichtweise von Arbeit in den verschiedenen Epochen und Kulturen oft von soziologischen, psychologischen, religiösen, wirtschaftlichen etc. Aspekten geprägt wird.

Aber um auf den von dir angesprochenen Niedriglohnsektor zu kommen: Meiner Meinung nach kann man bei der Beurteilung dieses Phänomens die Geschichte der Arbeit nicht von der Geschlechtergeschichte trennen. Während im Mittelalter (im christlichen Europa) Arbeit noch eine gottgewollte Plage war, wobei jeder auf dem Platz in den er hinengeboren wurde seine Bürde zu tragen hatte brachte der Strukturwandel in der frühen Neuzeit von der Naturalwirtschaft zur Geldwirtschaft mit der Ausweitung des Fernahndels und dem Übergang zur arbeitsteiligen ("industriellen") Produktion. erste Änderungen, wobei den Frauen im Wesentlichen weiterhin die Haushaltsführung oblag, so dass diese von diesen Änerungen direkt eher weniger betroffen gewesen sein dürften.

"Richtige" Frauenarbeit (im Sinne einer Berufstätigkeit außerhalb der Landwirtschaft) brachte in größerem Ausmaß erst die Industrialisierung in der Neuzeit, wobei die reine wirschaftliche Not der untersten sozialen Schichten der Grund für die Frauenarbeit war (im theoretischen Ideal war die Frau wie in den bürgerlichen Schichten weiterhin für Haushalt und Kinder zuständig). Bereits damals zeigte sich, dass Frauenarbeit schlechter bezahlt wurde als Männerarbeit.

Aber um auf die heutige Situation zurückzukommen (ohne Tagespolitik). Der von dir angesprochene Niedriglohnsektor vor allem im Dienstleistungssektor beinhaltet eine ganze Reihe "typischer" Frauenberufe, z. B. die von dir angesprochenen Pflegeberufe. Hier könnten die Wurzeln durchaus in der jahrhundertelangen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern liegen. Die Pflege der Kranken und Alten fiel wohl in den Bereich Haushalt und damit in die Zuständigkeit der Frau. Gleichzeitig war die Haushaltstätigkeit ja immer "unproduktiv" im Vergleich zur Berufstätigkeit des Mannes, der das Geld (oder zumindest den Großteil) heim brachte. Weibliche Arbeit konnte also durchaus als "weniger Wert" angesehen werden als die des Mannes. Was sich über Jahrhunderte als selbstverständlich in den Köpfen der Menschen festsetzt, ändert sich nur sehr langsam, so dass ich mir durchaus vorstellen kann, dass auch heute noch mehr als nur Relikte von diesem Denken vorherrschen.

Meine wichtigste Erklärung für den Niedriglohnsektor sind also geschlechterspezifische Unterschiede. Weiters möchte ich dazu gar nciht ausführen, denn da würde ich allzu leicht in den Bereich der Tagespolitik reinrutschen. Nur soviel: Meiner Meinung nach gibt es einfach auch heute noch Unterschiede zwischen Mann und Frau, die es begünstigen, Frauen mehr "auszubeuten" als Männer. Männer sind tendenziell skrupelloser, egoistischer und weniger konsensorientiert und nutzen das aus.

Viele Grüße

Bernd
 
Sehr interessantes Thema. Was mich dabei interessieren wuerde sind kulturelle Unterschiede, denn was im Eingangspost geschildert wird scheint mir ein deutschen/ europaeisches Phaenomen zu sein, naemlich, die Bewertung der Arbeit nach Qualifikation und dem Grad der Verantwortung. "Das kann doch jeder!"
Ich finde es beispielsweise hochinteressant wie in Asien Arbeit, als solche, kaum Beachtung findet. Spricht man ueber den Beruf einer Person dann steht und faellt der Ruf gegenueber dieser mit a) dem Werdegang vor Antritt der Arbeit und b) der Motivation der Person.
Kommt man von einer guten Universitaeten oder hat eine Ausbildung bei eine bekannten Firma gemacht, dann interessiert es letzten Endes niemanden, was man an sich arbeitet, da man sich schon vorher in einer harten Auswahlphase durchgesetzt hat. Symptomatisch dafuer ist etwa das Universitaetsleben, die meisten Studenten sind recht faul und mehr im Sport o. anderem engagiert, als im Unterricht, wenn sie ueberhaupt hingehen. Und das gilt selbst fuer Topunis. Aber jeder weiss, davor haben es diese Studenten durch die Hoelle der Eingangspruefung geschafft. egal ob sie spaeter nur die Kaffeetassenhalter des Abteilungsleiters sind, allein durch den Werdegang gute Uni -> Firmeneingangspruefung bestanden, gilt alles was danach kommt als beachtlich.
Zweitens empfinde ich es als bemerkenswert, dass auch, aus unserer Sicht eventuell weniger angesehene Arbeit, wie die der Putzfrau, des Friseurs oder Gastwirts (Wer nichts wird, wird Wirt.) durchaus in hohem Ansehen stehen, denn diese Arbeit traegt zu allgemeinem Wohlbefinden bei. "Niedrige Qualifikation" tritt hinter "schlechte Motivation" zurueck. Jemand der mit dem Wohl der Gesamtheit im Sinne eifrig arbeitet, dem wird auch ein gewisses Mass an Respekt entgegengebracht.

(Meine Ansichten basierend auf Erfahrungen und Lektuere, keineswegs allgemeingueltig!)

Ich denke, dass ist sicherlich ein historisch gewachsenes Phaenonem, insbesondere die konfuzianistische Tradition kommt mir da in den Sinn. Shi-no-ko-sho und die 5 Beziehungen, d.h. jeder hat seinen Platz in der Gesellschaft und seine Rolle auszufuellen, nach bestem Wissen und Gewissen. Und wer das macht, der macht seine Arbeit automatisch "gut".
 
An dem Punkt könnte man die Frage stellen, ob von Bewertung oder "Bepreisung" der Arbeit gesprochen werden soll.
 
OT Manche Themen brauchen im GF aber auch in meinem Kopf länger, umso erfreulicher sind die Beiträge der letzten Tage.

Wilfried, die Zünfte und die nachfolgenden Kammern könnte man als Standesorganisationen von bestimmten Berufszweigen betrachten. Dabei wäre es für das Thema interessant, welchen Einfluß sie auf die Preisgestaltung von Handwerkstätigkeiten in der Geschichte hatten und ob und welche Preise traditionell bis heute übernommen wurden. Dazu könnte man auch die Gebührenordnungen von freien Berufsgruppen wie Ärzten, Architekten, Ingenieuren, Anwälten usw. zählen.

Cephalotus, kann die schwierige Quellenlage bedeuten, dass es niemals in der Geschichte objektive Kriterien zur Bewertung von Arbeit gab?

Deinen Ausführungen zum Niedriglohnsektor und seiner geschichtlichen Herkunft aus den "typischen" Frauenberufen, stimme ich zu.
Man könnte dieses Phänomen und seine Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Wandel zurückzuführen, auf Melchiors "kulturelle Schockwelle" http://www.geschichtsforum.de/632280-post17.html.


Jetleechan, andere Weltgegenden und ihre tradionelle Bewertung von Arbeit hilft mir weiter, andere Aspekte der Frage zu betrachten.
Muß man dabei vielleicht auch unsere protestantische Einschätzung des Handels betrachten?
In arabischen und afrikanischen Ländern wird Handel allgemein anders bewertet und ist gesamtgesellschaftlich viel präsenter, d.h. viel mehr Menschen handeln miteinander oder haben auf Märkten etwas zu verkaufen.
War das in Europa vor der staatlichen Reglementierung ca. ab 19.Jht. auch so?


An dem Punkt könnte man die Frage stellen, ob von Bewertung oder "Bepreisung" der Arbeit gesprochen werden soll.
Du hast absolut recht, Bepreisung trifft es viel besser und ist auch neutraler.
Von mir aus könntest du den Threadtitel ändern.:winke:
 
Inwieweit spielt das Produkt eine Rolle?
Wenn ich etwas herstelle erziele ich über dessen Verkauf einen Erlös, den ich dann als meinen Arbeitslohn auffassen kann. Demgegenüber steht die Dienstleistung, die kein "Ding zum Anfassen" hervorbringt, sondern (i.a.R.) ein Bedürfnis deckt. Wieviel ist diese Dienstleistung dann wert? Ist das subjektiv und einzelfallabhängig? (Beispiel: "Was ist mir das Wohlbefinden durch eine gepflegte Massage wert? Leiste ich mir das oder kaufe ich mir für das gleiche Geld lieber etwas, das ich benötige?")
Heutzutage werden oft Dienstleistungen aller Art ebenso wie rein theoretische Gebilde vornehmlich aus dem Finanzmarkt als "Produkt" bezeichnet und verkauft. Das war früher nicht so. Wie wichtig ist/war bei der Bewertung von Arbeit das hervorzeigbare Endergebnis - also das Produkt?
Kann man im Hinblick auf die geschichtliche Entwicklung von Arbeit und deren Bewertung einen Unterschied zwischen produzierendem Gewerbe und Dienstleistung ausmachen? Vereinfacht und plakativ ausgedrückt, war Dienstleistung früher vom Image her eher bei Fronarbeit anzusiedeln?
 
Jetleechan, andere Weltgegenden und ihre tradionelle Bewertung von Arbeit hilft mir weiter, andere Aspekte der Frage zu betrachten.
Muß man dabei vielleicht auch unsere protestantische Einschätzung des Handels betrachten?
In arabischen und afrikanischen Ländern wird Handel allgemein anders bewertet und ist gesamtgesellschaftlich viel präsenter, d.h. viel mehr Menschen handeln miteinander oder haben auf Märkten etwas zu verkaufen.
War das in Europa vor der staatlichen Reglementierung ca. ab 19.Jht. auch so?

Wenn wir von der "Bepreisung" reden, fiele mir da noch das Stichwort "Senioritaetsprinzip" ein. Gerade in Japan ist es, auch heute noch, obgleich sich das auch langsam aendert, ueblich dass sich die Bezahlung nach dem "Dienstalter" richtet. Nun haette ich diesen einen der "drei Schaetze" des japanischen Betriebswesens vor meinem Aufenthalt hier noch als weniger ausgepraegt bewertet, schliesslich ist es auch in Deutschland nicht unueblich, dass das Gehalt mit der Dienstdauer steigt.
Aber in Japan ist das Gehaltsgefaelle zum Teil extrem, genauso wie die Art und die Menge an Arbeit, die junge Mitarbeiter im Vergleich zu aelteren Mitarbeitern verrichten muessen.
Aus einem Seminar ueber japanisches Management konnte ich auch mitnehmen, dass Manager bzw. HR-Leute, also diejenigen die direkt die Arbeit der Angestellten bewerten und "bepreisen", stark auf das Alter der Kollegen achten. Es ist hier naemlich ueblich Boni auszuzahlen, die sich in der Regel nach dem festzustellenden Erfolg eines Mitarbeiters zu Ende des Jahres richten, und da wird bei gleichem Erfolg der juengere besser bewertet! Man kann demnach konstatieren, dass das Alter eine wichtige Rolle spielt.

Zweitens wuerde ich gerne noch ein paar Worte zu "historischen" Managementmethoden sagen. Waehrend aus Amerika das taylerische Scientific Management kommt, setzen die Japaner eher auf Konzepte wie das beruechtigte "kaizen" oder "5S". Taylor studierte damals im beginnenden 20. Jahrhundert Arbeitsprozesse sehr genau, und das ging so weit, dass er die optimale Schaufelgroesse beim Kohleschaufeln berechnete. Jeder Arbeitschritt sollte auf groesstmoegliche Effektivitaet geprueft werden.
Die Japaner dagegen, uebernahmen vor und nach dem Krieg amerikanische Ideen, legten den Fokus aber viel mehr auf die Optimierung der Arbeitsumgebung bzw. logistischer Prozesse. Hier geht es viel mehr um saubere Arbeitsplaetze, Sortiersysteme, Datenbanken, kurze Lieferwege. Um es etwas plakativer darzustellen, die Schaufelgroesse ist den Japaner relativ wurscht, solange die Schaufeln an ihrem Platz sind, der Schaufler die richtigen Stiefel anhat und keine unnoetigen Dinge am Schaufelplatz rumliegen.
selbstverstaendlich ueberschneiden sich diese Konzepte an vielen Stellen, dennoch wuerde ich sagen, der Fokus ist jeweils ein anderer.

Was hat das mit der Bepreisung der Arbeit an sich zu tun? Nun, zunaechst einmal wuerde ich wie oben bereits erwaehnt, feststellen, dass man sich in Japan (Ostasien vllt?) weniger auf die Arbeit als solche konzentriert. Wir, oder ich bin mal vorsichtig und sage ich, bin es gewoehnt, dass demjenigen, der mehr arbeitet, bessere Resultate erzielt und die groessere Verantwortung hat, gewissermassen "natuerlich" mehr Lohn zusteht. Dazu kommt, wie im Eingangsbeitrag erwaehnt, die Frage nach der Qualifikation der Arbeitenden: Kann die Arbeit jeder machen, oder braucht besondere Faehigkeiten?
Wirtschaftliche Zwaenge, Stichwort Angebot und Nachfrage machen sicherlich auch in Japan keinen halt vor Traditionen, aber dennoch bin ich versucht zu sagen, dass es deutliche Unterschiede in der "Bepreisung" gibt, ob es das Alter ist, oder das, historisch gewachsene Ansehen.

Eine Anekdote am Rande, auf der Suche nach einem Praktikum durfte ich ein klein wenig in der japanische Bewerberwelt hineinschnuppern. Diese ist ausgesprochen rigide, Formalia beherrschen den gesamtem Prozess, die Firmen stellen nur zu ganz bestimmten Zeiten neue Leute ein, Uniabsolventen haben eigentlich nur eine wirkliche Chance, in ihrem letzten Jahr als Student einen Job zu finden etc. Als ich meinen Bewerbungsbogen ausfuellte, war dort ein Feld unter der Frage: "Was sind Ihre persoenlichen Staerken? Welchen Ihrer Charakterzuege wuerden sie besonders hervorherben wollen?" auszufuellen. (schlechte, nicht textnahe Uebersetzung von mir :D) Mir wurde tatsaechlich mitgeteilt, dass nicht wenige Studenten "ich vertrage viel Alkohol" oder aehnliches dort hinein schreiben. Da war ich erstmal verwirrt. :confused: :grübel:
 
Cephalotus, kann die schwierige Quellenlage bedeuten, dass es niemals in der Geschichte objektive Kriterien zur Bewertung von Arbeit gab?

Es ist vielleicht unbefriedigend, aber mir scheint diese Annahme tatsächlich zuzutreffen. Ich muss aber einschränken, dass es meiner Meinung nach eine objektive Bewertung irgendwelcher Sachverhalte viel seltener gibt, als man gemeinhin annehmen möchte. Wenn ich irgendwas aus der Beschäftigung mit Geschichte gelernt habe, dann das... :grübel:

Bewertung von Arbeit im Sinne einer Bepreisung kann man nicht immer, aber doch ab und zu hinbekommen, wenn man z. B. "umrechnet" wie lange jemand arbeiten musste, um den Gegenwert eines Kilos Brot (oder üblichen Grundnahrungsmittels) zu erwirtschaften. Allerdings ist dies epochenübergreifend auch nicht so ganz unproblematisch, vor allem, wenn man die neuste Zeit mit einbezieht, in der zumindest in einigen Erdteilen wie Europa Lebensmittel teilweise so billig sind, dass sie vernichtet oder verheizt werden (auch ein Thema, über das man sich herrlich aufregen könnte, aber nicht in diesem Forum...).

Schwieriger ist es aber, die Bewertung bestimmter Arbeit im Sinne des gesellschaftlichen Stellenwerts vorzunehmen. Epochenübergreifend ist das m. E. kaum möglich, hier kann man nur die jeweiligen Unterschiede herausarbeiten.

Nur ein paar stark vereinfachte Beispiele (Europa):

Wenn sich z. B. in der Antike griechische Phliosophen mit dem Thema Arbeit beschäftigten, dann war denen sicher bewusst, dass sie ohne die Arbeit (Anderer) nicht überleben könnten. Dennoch wurde gerne die Meinung vertreten, dass Arbeit eines "echten (bzw. besser: freien) Mannes" nicht würdig sei. Dies sei vielmehr Sklaven und auch Frauen vorbehalten. Der freie Mann sollte seine Zeit mit sinnvollerem wie eben Philosophie oder Politik verbringen.

Im Mittelalter war Arbeit die gottgewollte Plage, die jedem nach seinem Stand auferlegt war, an der es nichts zu rütteln gab und mit derem Erdulden man sich das jenseitige Leben im Himmelreich verdienen musste.

Etwas weiter gehen dann bestimmte vor allem protestantische Stömungen. Nach deren Ansicht war es gottgefällig, nicht nur zu arbeiten, sondern gleichzeitig nach Gewinn und Erfolg zu streben. Je erfoglreicher und reicher ein Kaufmann war, desto gottgefälliger agierte er (wie war das mit dem Kamel und dem Nadelöhr? :grübel:).

Im deutschen Reich war Arbeit, insbesondere geistige Arbeit eine Möglichkeit zum gesellschaftlichen Aufstieg. Wer Beamter war, stellte etwas dar. Schaffte man es gar in eine höhere Laufbahn oder war Professor, kam man schon in "Schlagdistanz" zum Adel (einige schafften es ja auch, sogar geadelt zu werden). Körperliche Arbeit war weitaus weniger angesehen und regelmäßig auch deutlich schlechter bezahlt. Ein "Titel" war Garant für Ansehen und machte vielleicht sogar eine etwas schlechtere Bezahlung wett. Z. B. konnte ein Jurist im Vorstand eines Bankhauses sicherlich mehr verdienen, als ein Regierungsrat. Aber Regierungsrat war damals schon etwas, womit man vorne dabei war.

In der neueren Zeit begann man, Arbeit auch als Quelle für Selbstverwirklichung anzusehen. Karriere zu machen, dient heutzutage nicht nur dem Einkommenserwerb und dem Schaffen eines Status nach außen, sondern es gibt Menschen, die machen ihre Arbeit gerne und aus Überzeugung. Berufungen gab es natürlich immer, aber Berufung für einen x-beliebigen Beruf ist relativ neu (zumindest in der breiteren Wahrnehmung). Schön erkennen kann man das an der Forschung zur Personalwirtschaft. In den letzten 100 Jahren hat sich da einiges getan. Vom Taylorismus über "Human-Relations"-Ansätze bis zum modernen Human Ressources Management. Hier hat die Etablierung der Psychologie als Wissenschaft ganz wesentliches geleistet.

Kurz und gut: Es gab und gibt in der Geschichte so viele verschiedene Sichtweisen der Arbeit, dass man die kaum unter einen Hut bringen kann

Außereuropäische Aspekte habe ich noch nicht mal angesprochen. Aber die Ansicht vom "faulen Neger" in den Kolonien der europäischen Staaten dürfte auch z. T. mit der Arbeitsauffassung der verschiedenen Völker z. B. in Afrika begründet werden können.

Viele Grüße

Bernd
 
Erstmal OT: Das Thema ist mir wichtig, trotzdem läuft es nebenher, hoffentlich ist das nicht bezeichnend für die Bewertung von Arbeit in der Geschichte.:winke:


Inwieweit spielt das Produkt eine Rolle?
Wenn ich etwas herstelle erziele ich über dessen Verkauf einen Erlös, den ich dann als meinen Arbeitslohn auffassen kann.

Seit deinem Beitrag denke ich daran herum und da ich meist beim Anfang beginne, bin ich ziemlich ratlos.
Keramik wurde spätestens in der Bronzezeit gehandelt aber schon da müssen begehrte Güter einen Tauschwert gehabt haben. http://www.geschichtsforum.de/f22/handel-der-fr-hzeit-austausch-oder-fernreisende-38578/
Nur wie bildete sich der? Aktuelle Preiskalkulationen kann man kaum zugrundelegen, obwohl ich den mesopotamischen Webern oder den kretischen Töpfern die "ökonomische Schere im Kopf" durchaus zutraue, mit der sie einen aufwanddeckenden Mindesttauschwert ermittelten. Alles darüberhinaus war Gewinn und je begehrter ein Produkt war, desto höher der Gewinn. Gerade in der geldlosen Frühzeit sehe ich den Unterschied zwischen produzierender und dienstleistender Arbeit als nicht so groß an, da ja im Prinzip die gesamte Wirtschaft mit Beginn von Spezialisierungen auf dem Austausch von Tätigkeiten beruhte.
Manche Tätigkeiten erzeugten ein Produkt, z.B. ein Scheffel Korn, einen Topf oder eine Elle Tuch.
Demgegenüber steht die Dienstleistung, die kein "Ding zum Anfassen" hervorbringt, sondern (i.a.R.) ein Bedürfnis deckt. Wieviel ist diese Dienstleistung dann wert? Ist das subjektiv und einzelfallabhängig? (Beispiel: "Was ist mir das Wohlbefinden durch eine gepflegte Massage wert? Leiste ich mir das oder kaufe ich mir für das gleiche Geld lieber etwas, das ich benötige?")
Andere mindestens ebenso wichtige Tätigkeiten erzeugten immaterielle Werte wie Schutz, Gesundheit, Glück, Rechtssicherheit. Für die Frühzeit bis evtl. ins Mittelalter könnte man sogar sagen, dass die Dienstleistungen von Priestern, Kriegern, Richterkönigen, Schamanen, Ärzten höher bewertet wurden, denn bei diesen Hierarchieebenen findet man materiellen Reichtum in Häusern und Gräbern.
"Niedere" Dienstleistungen fanden dagegen im häuslichen Umfeld statt und hatten keinen Tauschwert, da sie in jedem Haushalt selbst erbracht wurden.


Heutzutage werden oft Dienstleistungen aller Art ebenso wie rein theoretische Gebilde vornehmlich aus dem Finanzmarkt als "Produkt" bezeichnet und verkauft. Das war früher nicht so. Wie wichtig ist/war bei der Bewertung von Arbeit das hervorzeigbare Endergebnis - also das Produkt?
Kann man im Hinblick auf die geschichtliche Entwicklung von Arbeit und deren Bewertung einen Unterschied zwischen produzierendem Gewerbe und Dienstleistung ausmachen? Vereinfacht und plakativ ausgedrückt, war Dienstleistung früher vom Image her eher bei Fronarbeit anzusiedeln?

Leisteten nicht die unfreien Bauern Fronarbeit, sozusagen als Pacht für das Stück Land, das sie auch zum eigenen Nahrungserwerb bewirtschafteten?
 
Und dann gibt es noch die Frage der freischaffenden Produktion, auch Kunst. Ich denke doch, dass in diesem Bereich zwar auch ein allgemeiner Wert dargelegt wurde, dennoch nicht jeder Künstler und jedes Werk gleich entlohnt wurde. Ähnlich sieht es wohl bei den Architekten und Baumeistern aus. Es gab ja durchaus den Meisterlohn, auch im Handwerk, d.h. wurde etwas von einem Meister selbst angefertigt, zahlte man dafür entsprechend mehr. Baumeister, Künstler, Musiker, etc.pp die über die Grenzen ihres Landes einen Namen hatten, wurden entsprechend höher entlohnt, weil ihrer Arbeit bereits ein höherer Wert zugemessen und zugebilligt wurde, als einem Anfänger.

*Nachtrag*
Auch bei der beginnenden Industrialisierung und später in den ersten Fabriken gab es sehr bald Unterschiede in den Löhnen: ungelernte Artbeiter, Facharbeiter, Vorarbeiter, Schichtführer etcpp erhielten entprechend niedrige oder höhere Löhne.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Thema ist für mich schon spannend, auch wenn es für mich schwierig ist so recht eine Faden in den bisherigen Beiträgen zu entdecken, den ich aufnehmen könnte.

Ich kann mich daran erinnern, dass einmal ein Bekannter von mir meinte, dass sich die Entlohnung weg von den produktiven Kräften (Handwerker erschafft einen Tisch.) hin zu den Jongleuren mit Geld entwickelt habe (Manager ist für Firmenfusion, Gewinne, Stand des Unternehmens an der Börse verantwortlich.). Den Gedanken fand ich sehr interessant. Kann man denn erstmal diese These unterschreiben? (Ich kenne viele gut verdienende Ingenieure, die ja quasi, wenn auch eher geistig, nicht händisch, auch etwas schaffen. Ob sie ungerecht im Vergleich zu Verwaltern der Finanzen bezahlt werden, kann ich nicht beurteilen.)

Die Frage ist wahrscheinlich nach dem Untersuchungszeitraum. Wird dieser sehr weit gefasst und wir kommen bis hin zu den Geldverleihern der Antike, wird der Thread rasch philosophisch und wahrscheinlich für viele schwer fassbar.
Wenn ich mir das Prestige allein anschaue, waren Handwerker sicher in der FNZ noch hoch angesehen und standen bspw. akademischen Wissenschaftlern nicht besonders nach. Das betrifft ebenso Dienstleister (Bader, Coiffeure) wie auch Leute, die überdauernde Werke schufen (Zimmerleute, Steinmetze).

Leider habe ich mich bis jetzt nur sehr ausschnittsmäßig mit der Thematik beschäftigt.

"Richtige" Frauenarbeit (im Sinne einer Berufstätigkeit außerhalb der Landwirtschaft) brachte in größerem Ausmaß erst die Industrialisierung in der Neuzeit, wobei die reine wirschaftliche Not der untersten sozialen Schichten der Grund für die Frauenarbeit war (im theoretischen Ideal war die Frau wie in den bürgerlichen Schichten weiterhin für Haushalt und Kinder zuständig). Bereits damals zeigte sich, dass Frauenarbeit schlechter bezahlt wurde als Männerarbeit.
Hm, ich würde Dir nur begrenzt beipflichten. "Richtige Frauenarbeit" gab es schon seit Jahrhunderten und auch abgesehen von der Landwirtschaft. Die meisten größeren Haushalte wären ohne Mägde nicht zu wuppen gewesen. Dass sich ärmere Bürger eher eine Magd leisten konnten als einen Knecht, kommt aber wieder durch die von Dir angeführte Ungleichbehandlung in der Bezahlung. Die Qualifikation von Mägden und Knechten scheint kaum ein Kriterium gewesen zu sein, denn da gab es sicher kaum Unterschiede. Die Tätigkeiten waren durch Anlernen zu erreichen.

Qualifizierte Frauenarbeit, also welche wofür man etwas wie eine Berufsausbildung brauchte, war hingegen weniger, aber da hatte das Handwerk auch gewisse Nischen, natürlich vor allem als Zuarbeiter im Textilgewerbe, das andererseits noch nicht in dem Maße wie im 20. und 21. Jh. von Frauen dominiert war.
 
Schwierig empfinde ich die Bezeichnung "Dienstleistung" in diesem Zusammenhang, zumindest wenn ihr ein höherer oder nidrigerer Wert beigemssen werden soll.
Dienstleistung wäre inhaltlich ja auch die Oberaussicht auf Arbeiter, weil man nicht selbst Hand anlegt und produziert und eben auch ein Baumeister, soweit er nicht selbst tätig ist, um Skizzen, Pläne etc. aufzustellen, sondern überwacht. Will heissen, diese Arbeitszeit müsste man von Entwurf und Planung abziehen. Ist dieser Teil seiner Arbeit dann weniger wert?

Andererseits gibt es in vielen handwerklichen Berufen und auch in der Industrie den Meister, der dann noch über den Schichtführern steht, aber unter den Ingenieuren z.B. im Maschinenbau.

Welchen Anteil hat der Ingenieur am fertigen Produkt, und ist der wirklich nominativ mehr wert als der Hände Arbeit?
 
Das Thema ist für mich schon spannend, auch wenn es für mich schwierig ist so recht eine Faden in den bisherigen Beiträgen zu entdecken, den ich aufnehmen könnte.

...

Brissotin hat m.E. recht, ein spannendes Thema, aber der "rote Faden" fehlt mir auch in der Diskussion.

In der Diskussion "purzeln" verschiedene wissenschaftliche Ansätze durcheinander. Einersets Kategorien der ökonomischen Theorie, wie Tauschwert, Arbeitswert- und Werttheorie, die Kategorie Preis tauchte auch schon auf, ebenso wie die sektoralen Beziehungen in der Volkswirtschaft.

Wenn ich das Posting der Threaderstellerin richtig beurteile, stellt rena8 eher auf den soziohistorischen Wandel bei der Einschätzung des Wertes der Arbeit ab, also die soziologische Widerspiegelung der Wertschätzung von Arbeit, die sich dann letztlich auch in den unterschiedlichsten Entlohnungsformen und Einkommensniveaus sich niederschlagen. Wenn rena8 das auch so sieht, findet sich dann m.E. relativ schnell der "rote Faden".

M. :winke:
 
Brissotin hat m.E. recht, ein spannendes Thema, aber der "rote Faden" fehlt mir auch in der Diskussion.

In der Diskussion "purzeln" verschiedene wissenschaftliche Ansätze durcheinander. Einersets Kategorien der ökonomischen Theorie, wie Tauschwert, Arbeitswert- und Werttheorie, die Kategorie Preis tauchte auch schon auf, ebenso wie die sektoralen Beziehungen in der Volkswirtschaft.

Wenn ich das Posting der Threaderstellerin richtig beurteile, stellt rena8 eher auf den soziohistorischen Wandel bei der Einschätzung des Wertes der Arbeit ab, also die soziologische Widerspiegelung der Wertschätzung von Arbeit, die sich dann letztlich auch in den unterschiedlichsten Entlohnungsformen und Einkommensniveaus sich niederschlagen. Wenn rena8 das auch so sieht, findet sich dann m.E. relativ schnell der "rote Faden".

M. :winke:

So ungefähr, Melchior, ausgehend von den aktuell erheblichen Vergütungsunterschieden habe ich mich gefragt, wie diese entstanden sind.
Brissotin hat auch Recht, das Thema muß weiter eingegrenzt werden, zeitllch, hinsichtlich Berufsgruppen oder räumlich, wobei ich den Beitrag von Jetleechan über die andere Wertschätzung in Ostasien sehr interessant fand. Oder man behandelt es mehr allgemein schichtensoziologisch.
Was meint ihr?
 
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