Bis wohin war 9 n. Chr. Germanien eigentlich rechtsrheinisch kontrolliert??

DerNutzer

Mitglied
Eigentlich eine sehr einfache Frage, auf die ich aber keine genaue Antwort weiß.
Vielleicht könnt Ihr mir da auf die Sprünge helfen.

Ich habe das selber mal durchdacht, aber hier im Forum gibts da sicherlich ganz andere Koryphäen.
Trotzdem versuche ich mich mal.
Im Folgenden ist alles bezogen auf das Jahre 9, kurz vor dem Aufstand.

Die Kontrolle kann natürlich durch zwei Dinge erfolgen: Durch direkte Präsenz römischer Truppen vor Ort oder durch Verträge mit den entsprechenden Stämmen(Den Verträgen dürfte oft ein Militärschlag vorrausgegangen sein...)

Im Kontext der Archäologie fallen mir rechtsrheinische röm. feste Bauten im Jahre 9 in der Zahl zwei ein:
-Das Römerlager Haltern
und
-Waldgirmes.

Ich fange erstmal mit dem Offensichtlichsten an: Die Lippe war seit Drusus eine römische Autobahn, daher kann man ja schonmal folgern, dass die Lippe sowie die umgebende westfälische Bucht römisch kontrolliert war. Ist eigentlich selbstverständlich, aber ich will es hier nochmal auflisten. Das ist schonmal ein Großteil von Nordrhein-Westfalen.

Waldgirmes als zivile Siedlung ist für mich spannend. Eigentlich muss man doch davon ausgehen, dass in großem Umkreis einer zivilen Stadt alles besetzt war. Das würde einen Großteil Hessens ausmachen. Westlich von Waldgirmes entlang der Lahn wird die römische Kontrolle bis zum Rhein gewesen sein.
Bis wohin ging es östlich? Bis zur Fulda, welche sich mit der Werra zur Weser vereint? Bis wohin ging die Kontrolle nach Norden? Tatsächlich mehrere hundert Kilometer bis zur westfälischen Bucht oder klaffte dort eine Lücke?


(Rechtsrheinische Marschlager aus dem Jahre 9 wie bei Bielefeld-Sennestadt ignoriere ich, denn die könnten auch in Feindesland gestanden haben. Auch ignoriere ich römische Lager, bei denen die Datierung nicht gesichert ist. Z. B. Kneblinghausen.)


Dann wären da die historischen Quellen. Die sind natürlich unpräziser als Ausgrabungen.
Quellen können sich irren, übertreiben, lügen, Interessen vertreten und vieles mehr.

Ich suche jetzt nicht die Quellen raus, aber folgende Dinge sind mir in Erinnerung geblieben:
-Die Norddeutsche Tiefebene wird unter römischer Kontrolle gestanden haben, da man dort ständig mit Schiffen langfuhr, zudem steht geschrieben, dass Germanicus mit Reitern Stämme in der norddt. Tiefebene zurück ins Bündnis zwang.
-Varus war an der Weser. Als kann man als Ostgrenze des römischen Kontrollgebietes in NRW und Niedersachsen wohl (mindestens) die Weser ansehen.
-Bis zur Elbe habe Drusus Germanien besiegt. Also werden mindestens (Zwangs-)Bündnisverträge mit Völkern zwischen Elbe und Weser existiert haben. Das passt dazu, dass Arminius ein Cherusker in röm. Diensten war.
-Tja, dann heisst es in einer Quelle, dass Germanien gar nicht zusammenhängend unterworfen war. Das kann auf Lücken in der Kontrolle hindeuten. Persönliche Theorie: Die Römer haben sich tendentiell auf die Kontrolle flacher Topografien fokussiert. In den Mittelgebirgen ist eine militärische Kontrolle wesentlich schwieriger als in den flachen Gegenden um die westfälische Bucht und in Norddeutschland.
Erforschung, kälteres Klima, umständliche Reisewege, Nachrichtenwege, Formationskampf...Alles schwieriger im Gebirge.
Das könnte eine Kontroll-Lücke zwischen den Gebirgen am südlichen Rand der westfälischen Bucht(Rothaargebirge und Eggegebirge) und den hessischen Gebirgszügen um Waldgirmes herum bedeuten.
Ist jetzt aber auch nur ins Blaue getippt. Ich spinne da jetzt was ohne Belege zusammen.
Dennoch habe ich den Eindruck, dass die flachen Gegenden Deutschlands in wesentlich festerer römischer Hand waren, als die gebirgigen.

Meine Fragen an Euch:
Wo irre ich mich, was besitzt Ihr an Wissen, was ich nicht habe?
Wie seht Ihr das hinsichtlich des Jares 9 n. Chr.?
Wo waren die Grenzen der römischen Kontrolle?
Gab es überhaupt feste Grenzen oder waren diese fließend?
Besonders spannend finde ich den Aspekt Waldgirmes. Ich habe keine persönliche Beziehung zu der Gegend und kann mir im Kopf nur sehr schwer vorstellen, in welchem Umkreis da eine Kontrolle vorlag.
Wo war eigentlich die Südgrenze in Germanien? War das schon, wie später, die Donau?
(Es gibt ja auch noch die Frage, ob eine rechtsrheinische Provinz im Aufbau war. Dafür gibts nen anderen Threat, auch wenn die Thematik natürlich recht konguent ist.)
 
Im Kontext der Archäologie fallen mir rechtsrheinische röm. feste Bauten im Jahre 9 in der Zahl zwei ein:
-Das Römerlager Haltern
und
-Waldgirmes.

Ich fange erstmal mit dem Offensichtlichsten an: Die Lippe war seit Drusus eine römische Autobahn, daher kann man ja schonmal folgern, dass die Lippe sowie die umgebende westfälische Bucht römisch kontrolliert war. Ist eigentlich selbstverständlich, aber ich will es hier nochmal auflisten. Das ist schonmal ein Großteil von Nordrhein-Westfalen.

Waldgirmes als zivile Siedlung ist für mich spannend. Eigentlich muss man doch davon ausgehen, dass in großem Umkreis einer zivilen Stadt alles besetzt war. Das würde einen Großteil Hessens ausmachen. Westlich von Waldgirmes entlang der Lahn wird die römische Kontrolle bis zum Rhein gewesen sein.
Bis wohin ging es östlich? Bis zur Fulda, welche sich mit der Werra zur Weser vereint? Bis wohin ging die Kontrolle nach Norden? Tatsächlich mehrere hundert Kilometer bis zur westfälischen Bucht oder klaffte dort eine Lücke?
Lippe, Lahn und Main waren in der Tat Aufmarschgebiete der Römer und du tust Recht daran, Marschlager nicht als Beleg für den Herrschaftsbereich mit einzubeziehen. Im Sauerland solltest du noch die Bleiminen in Brilon mitberücksichtigen. Nahe bei Waldgirmes findest du noch das Römerlager Dorlar, dessen Befunde allerdings auch mäßig sind, also vermutlich ein Marschlager.

Ich suche jetzt nicht die Quellen raus, aber folgende Dinge sind mir in Erinnerung geblieben:
-Die Norddeutsche Tiefebene wird unter römischer Kontrolle gestanden haben, da man dort ständig mit Schiffen langfuhr, zudem steht geschrieben, dass Germanicus mit Reitern Stämme in der norddt. Tiefebene zurück ins Bündnis zwang.
Naja, ständig? Germanicus hat sich zwei Mal mit Schiffen auf die Ems gewagt, einmal nur in den Mündungsbereich. Mit den Gezeiten etc. kam er offensichtlich nicht so gut klar. Sein Vater hatte sich mit den Brukterern auf der Ems eine Schiffsschlacht geliefert (Strabon). Es ist nicht ganz nachvollziehbar warum du ein paar singuläre Ereignisse, die nie problemlos verliefen, auf eine andere Stufe hebst, als die Marschlager, von denen du sagst:

Rechtsrheinische Marschlager [...] ignoriere ich, denn die könnten auch in Feindesland gestanden haben.​

-Varus war an der Weser. Als kann man als Ostgrenze des römischen Kontrollgebietes in NRW und Niedersachsen wohl (mindestens) die Weser ansehen.
Sagt Cassius Dio 200 Jahre nach der Varusschlacht. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass Varus an der Weser war. Wir haben Spuren der Römer an der Weser: Minden-Barkhausen, Hedemünden... Cassius Dio ist aber eine eher problematische Quelle.
Auch solltest du berücksichtigen, dass man mit einem gewaltigen Berufsheer im Rücken natürlich durch Ländereien marschieren kann, die man nicht effektiv beherrscht.
Ein paar Beispiele aus der spanischen Geschichte. Im 10. Jhdt. hat das Kalifat von Córdoba regelmäßig die christlichen Reiche Nordspaniens bedroht, es gab mehrere Schlachten und mehrfach wurden Städte belagert. Die Glocken von Santiago de Compostela wurden in der Moschee von Córdoba aufgehängt und kamen erst im 13. Jhdt. (1236 wurde Córdoba von Fernando III. erobert) nach Santiago zurück.
Im 11. Jhdt., das Kalifat war in gut zwei Dutzend Kleinkönigreiche zersplittert, eroberte Alfonso VI. Toledo (1085). Sein Herrschaftsgebiet endete aber am Tajo.
Trotzdem gelang es ihm diverse Burgen im andalusischen Territorium zu errichten oder zu besetzen (Aledo, Almodóvar del Río) und damit die Kleinkönige zu Tributzahlungen zu zwingen. Er soll mit seinem Pferd bei Tarifa (Südspitze Spaniens) bis zum Bauch des Pferdes ins Wasser geritten sein und nante sich imperator totius Hispaniae, was in arabischen Quellen (Ibn al-Kardabūs: Kitāb al-iktifāʾ) als Imbaraṭūr dū-l-Millatayn (Imperator der zwei Religionen) wiedergegeben wurde.
Sein Schwiegersohn Alfonso I. von Aragón reagierte 1125 auf einen Brief der Christen von Granada und zog von Aragón aus (er hatte sein Herrschaftsgebiet eben aus den Pyrenäen bis über den Ebro erweitert) bis nach Granada und nahm auf dem Rückweg einige Zehntausend andalusische Christen mit nach Norden.
Niemand würde auf die Idee kommen, dass das Kalifat von Córdoba, nur weil es ständig nördlich von Duero und Ebro operierte, oder dass Alfonos VI. oder sein Schwiegersohn Alfonso I., nur weil sie südlich des Guadalquivir operierten, sein Herrschaftsgebiet hierher ausgeweitet hätten. Mit seinem Heer durchs Feindesland zu ziehen, ist eine Machtdemonstration. Man macht Beute, sorgt ein wenig für Durcheinander, und lässt den jeweiligen Gebietsherrscher schlecht aussehen, ist aber selbst zu schwach oder desinteressiert, um das Gebiet unter die eigene Kontrolle zu bringen.

-Bis zur Elbe habe Drusus Germanien besiegt. Also werden mindestens (Zwangs-)Bündnisverträge mit Völkern zwischen Elbe und Weser existiert haben. Das passt dazu, dass Arminius ein Cherusker in röm. Diensten war.
Das Problem war wohl, dass die Stämme in Germanien weniger stark verfasst waren, wie die gallischen Stämme mit ihrer Oppida-Kultur. Caesar benötigte zehn Jahre, die Gallier zu besiegen. Danach waren die aber auch einigermaßen fest ins Reich integriert (Befürchtungen nach der Varusschlacht, die Gallier könnten abgehen, bewahrheiteten sich ja nicht). Die Germanen konnte man immer wieder unterwerfen und doch mussten sie im Folgejahr erneut unterworfen werden. Unsere Nachrichten über die Drususfeldzüge oder den immensum bellum sind ja eher spärlich, aber was wir erfahren, ist, dass die Römer sich zum Winter hin immer wieder zum Rhein zurückzogen, wenn einzelne Winterlager östlich des Rheins errichtet wurden, wird das in den Quellen heraussgehoben.

-Tja, dann heisst es in einer Quelle, dass Germanien gar nicht zusammenhängend unterworfen war. Das kann auf Lücken in der Kontrolle hindeuten. Persönliche Theorie: Die Römer haben sich tendentiell auf die Kontrolle flacher Topografien fokussiert. In den Mittelgebirgen ist eine militärische Kontrolle wesentlich schwieriger als in den flachen Gegenden um die westfälische Bucht und in Norddeutschland.
Das passt nicht so ganz, siehe Taunus, siehe Brilon. Auch nicht, wenn du nach Frankreich schaust. Die Römer brauchten die Flüsse für die Versorgung der Legionen. Anders als Gallien, das leicht über das Mittelmeer zu versorgen war (Rhône/Saône) mit relativ kurzen Wegen zu Loire und Seine, musste Germanien über Gallien versorgt werden. Das war schwieriger. Die Waren mussten zum Rhein und quasi von dort aus weiterverteilt werden. Logistisch ein riesiger Aufwand, wenn man nur die Weser dauerhaft sichern wollte.

Gab es überhaupt feste Grenzen oder waren diese fließend?
Es ist durchaus sinnvoll, Grenzen vor dem 18. Jhdt. als eher fließend denn fest zu begreifen.

Es gibt ja auch noch die Frage, ob eine rechtsrheinische Provinz im Aufbau war.
Ja, das war wohl so. In Köln (Ara Ubiorum, später Colonia Claudia Ara Agrippinensium) war schon der Kaiserkult für die germanischen Provinzen eingerichtet worden, Arminius' späterer Schwager war dort bis 9 (vermutlich wohl seit 5) Priester.
 
Naja, ständig? Germanicus hat sich zwei Mal mit Schiffen auf die Ems gewagt, einmal nur in den Mündungsbereich. Mit den Gezeiten etc. kam er offensichtlich nicht so gut klar. Sein Vater hatte sich mit den Brukterern auf der Ems eine Schiffsschlacht geliefert (Strabon).
Zum Punkt der Kontrolle über die nordd. Tiefebene:
Die Germanicus / Drusus Flotten werden doch auch an der Nordsee ausserhalb der Kriegszeiten Präsenz gezeigt haben. Es wurden gewaltige Anstrengungen unternommen, um eine Erreichbarkeit per Schiff zu haben. Die Drusus Kanäle, für einen besseren Zugang zum Meer. Die riesigen Drusus Schiffsflotten baute man doch auch nicht, um sie nach dem Feldzug ungenutzt zu lassen.

Unter Germanicus wurden im Rahmen des Bruktererfeldzuges sowohl die beiden Nordsee-Stämme der Chauken und Friesen wieder unterworfen, teilweise sogar in die eigene Streitmacht zwangs-integriert.

Das ist für mich ein Hinweis darauf, wie schnell & gut die Römer Kontrolle über die norddeutschen Gebiete ausüben konnte und lässt mich vermuten, dass Norddeutschland auch im Jahre 9 vor dem Aufstand fest unter römischer Kontrolle war. Der schnelle Zugriff war einfach immer gegeben, sowohl per Schiff als auch für Reiterei.


Habt Ihr andere Vorschläge, oder Gegenmeinungen, wo rechtsrheinisch römisch kontrollierte Gebiete waren bzw. wo nicht?

Gibt es andere Funde, die ich nicht auf dem Schirm habe?
 
Ich würde gerne die vermuteten Kontrollgebiete bei Gelegenheit in eine Karte einzeichnen und hier hochladen. Dafür brauche ich aber mehr fundierte Meinungen.
 
Dann wären da die historischen Quellen. Die sind natürlich unpräziser als Ausgrabungen.
Quellen können sich irren, übertreiben, lügen, Interessen vertreten und vieles mehr.
Nicht nur das: Quellen können auch bewußt polemisch, feinsinnig, ästhetisch stilisiert sein - Tacitus "Germania" ist eine solche, ungefähr 100 Jahre nach dem Varus-Desaster verfasst. Berühmt ist darin die polemische Bemerkung, dass die Elbe früher ein wohlbekannter Fluß war, den man heute nur noch vom Hörensagen kennt (sinngemäß wiedergegeben) Die Polemik daran: die einstmalige große Absicht, die Elbe zum Grenzfluss zu machen (also ganz Germanien bis zur Elbe zu annektieren/erobern) wirkt peinlich angesichts der Faktenlage um 100 n. Chr., wo man die Elbe im Imperium nur noch von Hörensagen kennt.
Tacitus also als Gewährsmann darüber, dass es zu seiner Zeit keine militärische Kontrolle über ganz Germanien östlich des Rheins gab - und wir wissen, dass Kaiser Tiberius von solchen Planungen Abstand genommen hatte (sich damit begnügte, das Vorfeld gesichert zu halten und eben nicht die römischen Kräfte mit der Etablierung einer neuen Provinz gegen zahlreiche Widerstände zu überlasten (evtl auch, um Germaniens Erfolge politisch nicht zu hoch kommen zu lassen))
 
Friesen und Chauken zahlten Tribut. Wie weit die Abhängigkeit ging, wissen wir nicht, aber damit sind wir an der Elbe und haben den Großteil des Gebiets der nordseegermanischen Kultur* westlich davon umfasst.

Die Elbe wird mehrfach als eine Art ideeller Grenze erwähnt, auch durch Augustus. Zumindest zum Teil war das sicher Wunschdenken, zum Teil aber auch - Chauken und Cherusker - real.

Die Cherusker waren anscheinend der Verbündete Roms im Bereich der Rhein-Weser-Germanen. Das ist aus anderen Gegenden zu beobachten. Bleibt ein Verbündeter treu, war die Aussicht gut, dass er als civitas Privilegien bekam, die Oberschicht sehr schnell integriert wurde und die Gesamtheit immerhin besser als andere. Auch, wenn wir nicht wissen, wie weit das gediehen war, zeigt es einen modernen Denkfehler auf. Weniger Kontrolle und mehr Autonomie dienten der römischen Herrschaft. Dass es sich als Vorbedingung der Varuskatastrophe erwies, tut dem keinen Abbruch.

Die Chatten wurden augenscheinlich gegeneinander ausgespielt und die späteren Mattiaker blieben Verbündete Roms. Andere Rhein-Weser-Gruppen scheinen vor 9 n.Chr. keine große Wahl gehabt zu haben.

Die Elbgermanische Kultur lag großteils außerhalb des fraglichen Gebiets. Wir wissen nicht, wie wir die Situation von Gruppen westlich der Elbe war. Im Süden sind natürlich Markomannen und Quaden als Klientelstaaten festzustellen.

Dazwischen gab es Militärlager, Land unter Militärverwaltung und Keimzellen von Städten wie Waldgirmes. Vielleicht sogar erste Ansiedlungen von Veteranen.

Das ergab nolens volens einen bunten Flickenteppich wie in den anderen Provinzen auch. Und auch, wenn das eine oder andere anders gewesen sein kann, dürfte es nicht möglich sein, dass auf einer Karte festzuhalten, weil wir zu wenig Informationen haben. Schon das Gebiet der Cherusker kann z. B. nicht genauer als zwischen Weser und Elbe, im Laufe der Zeit an einigen Stellen über die Weser ausgreifend, beschrieben werden. Und bis in die 70er sahen sie viele noch bei Paderborn.

*Archäologische Kulturen sind nicht mit politischen Einheiten zu verwechseln. Wohl aus zufälligen geographischen Gründen sind unterschiedliche Vorgehensweisen der Römer festzustellen. Tacitus bringt dies allerdings mit kulturimmanenten Gründen in Zusammenhang. Das dürfen wir aber nicht überbewerten. Wenn er etwa sagt, dass Chauken und Friesen friedlicher seien heißt das nichts anderes, als dass sie Rom gegenüber meist Frieden hielten und, wie gesagt, Tribut zahlten. Es ist also nur eine Scheinerklärung.
 
Dazwischen gab es Militärlager, Land unter Militärverwaltung und Keimzellen von Städten wie Waldgirmes. Vielleicht sogar erste Ansiedlungen von Veteranen.
welche Militärlager wurden unter Kaiser Tiberius und seinen Nachfolgern weit östlich des Rheins weiterhin betrieben, welche Ländereien dort standen unter römischer Militärverwaltung? Hat Tacitus in seiner Germania in Sachen Elbe fake news verbreitet?
 
Im Sauerland solltest du noch die Bleiminen in Brilon mitberücksichtigen.

Ist bei denen eigentlich mittlerweile der genaue Standort belegt und dass sie von römischer Seite her selbst betrieben wurden?
Mein letzter Stand dazu war, dass man sich wohl relativ sicher war, dass es in der Gegend von Brilon Bleiabbau gegeben hat, man die genaue Abbaustätte aber nicht lokalisieren konnte, respektive mehrere Kandidaten dafür hatte.

Ist zugegeben aber auch schon einige Jahre her, dass ich das letzte mal etwas dazu gelesen hatte, sollte 2019 gewesen sein.

Gibt es dazu einen neuen Stand?
 
welche Militärlager wurden unter Kaiser Tiberius und seinen Nachfolgern weit östlich des Rheins weiterhin betrieben, welche Ländereien dort standen unter römischer Militärverwaltung? Hat Tacitus in seiner Germania in Sachen Elbe fake news verbreitet?

Wieso weit östlich des Rheins? Wieso Tiberius und seine Nachfolger? Bist du noch im anderen Thread? Hier wurde ausdrücklich nach der Situation vor der Varusschlacht gefragt. Gebiete weit östlich des Rheins habe ich zudem gar nicht erwähnt.

Und wieso unterstellst du mir schon wieder diese Meinung? Hermundure sucht nach Germanicus Römer weit östlich des Rheins, ich nicht, wie ich ja auch gerade erst dargelegt hatte.

Alles bis zur Elbe und nördlich des Mainz befand sich laut Quellen im Bereich der Feldzüge bis 9 nach Christus. Erobertes Gebiet stand in Rom erst einmal unter Militärverwaltung. Im Grunde war auch die 'normale' Provinz eine Militärverwaltungszone. Und wie es linksrheinisch noch lange der Fall war, so standen Gebiete auch rechts des Rheins unter direkter Militärverwaltung. Und zwar vor und nach 9 n. Chr., wie im anderen Thread schon geschildert. Wie kommst du darauf, dass Rom im Gegensatz zu allem, was wir über Rom wissen, hier eine Zivilverwaltung einsetzte oder die Verwaltung der Germania Magna den Einheimischen überließ? Andere Möglichkeiten existieren ja nicht. Das mit der direkten Militärverwaltung ist übrigens Konsens.

Und wieso sollte ich das spezifizieren, nachdem ich dargelegt habe, dass genau das nicht möglich ist? Übrigens ist die genaue Einteilung der meisten Provinzen nur lückenhaft oder gar nicht rekonstruierbar. So genaue Grenzen wie für die Kölner civitas, später colonia, sind die Ausnahme.

Es gab auch keinen Beamtenapparat. Der Statthalter brachte seinen Stab mit und nutzte im übrigen die ihm untergebenen Militärs. Eventuell war ein Quaestor zugeteilt. Mit der Zeit verfestigte sich die Bürostruktur, doch nicht zu diesem Zeitpunkt. Die civitates hatten weitgehende Autonomie und der Rest war privatisiert. Dementsprechend individuell konnten Lösungen und Einteilungen aussehen. Eine wichtige Konstante war aber, dass dem Heer (exercitus) auch in eingerichteten Provinzen gewisse Ressourcen wie einzelne Steinbrüche und Weideland unterstanden, da es sonst seine Aufgaben nicht erfüllen konnte.

Zu Tacitus und seiner Aussage über die Elbe und deinen Post darüber habe ich mich gar nicht geäußert. Es gibt da mit Augustus 'politischem' Testament eine bessere Quelle, die ich anführte und die Tacitus übrigens recht sicher gekannt hat. Es ist schon oft geschrieben worden, dass Augustus da nicht lügen musste, auch wenn es nicht die ganze Wahrheit war.
 
welche Militärlager wurden unter Kaiser Tiberius und seinen Nachfolgern weit östlich des Rheins weiterhin betrieben, welche Ländereien dort standen unter römischer Militärverwaltung? Hat Tacitus in seiner Germania in Sachen Elbe fake news verbreitet?
Die Nachfrage verstehe ich nicht ganz. @Riothamus beschreibt explizit die Situation vor 9 n. Chr., was ist der Bezug zu Tacitus' Zeit?
(Edit: Rio war schneller.. )
 
Bist du noch im anderen Thread?
da scheine ich die Fäden verwechselt zu haben, Pardon.
Und wieso unterstellst du mir (...)
ganz allgemein: wenn man dir eine oder zwei Fragen stellt, dann unterstellt man dir nicht automatisch irgendwas ;)

zur Kontrolle germanischer Gebiete bis 9 n.Chr. (soweit ich mich an Wolters "die Römer in Germanien" erinnere) eine genaue Kartierung der kontrollierten/annektierten Gebiete scheint es nicht zu geben, darüber wie weit das einrichten einer Provinz fortgeschritten war, herrscht keine Einigkeit; die Funde und Quellen lassen als wahrscheinlich annehmen, dass wir in lokalen Grenzen entlang der Aufmarschrouten den Beginn einer Provinzeinrichtung retrospektiv "beobachten" können, ein Unterfangen, welches nach 9 n.Chr. entweder gescheitert war oder aufgegeben wurde (Waldgirmes als Beginn einer Urbanisierung a la Römer)
 
Als Drusus im Feldlager an der Elbe im Sterben lag, überwand sein älterer Bruder in einem Tag und einer Nacht eine Strecke von 200 römischen Meilen (300 km) nur begleitet von einem Reitknecht und vielleicht einer kleinen Eskorte. Er traf seinen Bruder noch lebend an. Das wäre nicht möglich gewesen ohne ein System von Relaisstationen, Militärposten, vielleicht kleineren Kastellen, wo man mehrfach Pferde wechseln konnte, und es wäre wohl kaum möglich gewesen, wenn das Gebiet nicht im römischen Sinne ausreichend befriedet gewesen wäre.
 
Zum Punkt der Kontrolle über die nordd. Tiefebene:
Die Germanicus / Drusus Flotten werden doch auch an der Nordsee ausserhalb der Kriegszeiten Präsenz gezeigt haben. Es wurden gewaltige Anstrengungen unternommen, um eine Erreichbarkeit per Schiff zu haben. Die Drusus Kanäle, für einen besseren Zugang zum Meer. Die riesigen Drusus Schiffsflotten baute man doch auch nicht, um sie nach dem Feldzug ungenutzt zu lassen.
Naja, Germanicus ließ im Jahr 16 angeblich 1000 Schiffe bauen oder die vorhandene Flotte auf 1000 Schiffe aufstocken:

Silius et Anteius et Caecina fabricandae classi praeponuntur. mille naves sufficere visae properataeque,...
(Tac. ann. II, 6)​

Die berühmte fossa Drusiana ist bis heute nicht überzeugend nachgewiesen, manche meinen, es sei ein Kanal zwischen Rhein und IJssel von etwa zwei Meilen Länge gewesen.

Dass man sich ziemlich schlecht mit den Gezeiten auskannte, erfahren wir in Tac. ann. I, 70 und Tac. ann. II, 8:

At Germanicus legionum, quas navibus vexerat, secundam et quartam decimam itinere terrestri P. Vitellio ducendas tradit, quo levior classis vadoso mari innaret vel reciproco sideret. Vitellius primum iter sicca humo aut modice adlabente aestu quietum habuit: mox inpulsu aquilonis, simul sidere aequinoctii, quo maxime tumescit Oceanus, rapi agique agmen. et opplebantur terrae: eadem freto litori campis facies, neque discemi poterant incerta ab solidis, brevia a profundis. sternuntur fluctibus, hauriuntur gurgitibus; iumenta, sarcinae, corpora exanima interfluunt, occursant. permiscentur inter se manipuli, modo pectore, modo ore tenus extantes, aliquando subtracto solo disiecti aut obruti. non vox et mutui hortatus iuvabant adversante unda; nihil strenuus ab ignavo, sapiens ab inprudenti, consilia a casu differre: cuncta pari violentia involvebantur. tandem Vitellius in editiora enisus eodem agmen subduxit. pernoctavere sine utensilibus, sine igni, magna pars nudo aut mulcato corpore, haud minus miserabiles quam quos hostis circumsidet: quippe illic etiam honestae mortis usus, his inglorium exitium. Iux reddidit terram, penetratumque ad amnem [Visurgin], quo Caesar classe contenderat. in positae dein legiones, vagante fama submersas; nec fides salutis, antequam Caesarem exercitumque reducem videre. (Tac. ann. I, 70)​

classis Amisiae ore relicta laevo amne, erratumque in eo quod non subvexit aut transposuit militem dextras in terras iturum; ita plures dies efficiendis pontibus absumpti. et eques quidem ac legiones prima aestuaria, nondum adcrescente unda, intrepidi transiere: postremum auxiliorum agmen Batavique in parte ea, dom insultant aquis artemque nandi ostentant, turbati et quidam hausti sunt. (Tac. ann. II, 8)

Ziemlich heftige Probleme schildert uns Tacitus in Tac. ann. II, 23 -25.:

pluris Caesar classi inpositas per flumen Amisiam Oceano invexit. ac primo placidum aequor mille navium remis strepere aut velis inpelli: mox atro nubium globo effusa grando, simul variis undique procellis incerti fluctus prospectum adimere, regimen inpedire; milesque pavidus et casuum maris ignarus dum turbat nautas vel intempestive iuvat, officia prudentium corrumpebat omne dehinc caelum et mare omne in austrum cessit, qui tumidis Germaniae terris, profundis amnibus, immenso nubium tractu validus et rigore vicini septentrionis horridior rapuit disiecitque navis in aperta Oceani aut insulas saxis abruptis vel per occulta vada infestas. quibus paulum aegreque vitatis, postquam mutabat aestus eodemque quo ventus ferebat, non adhaerere ancoris, non exhaurire inrumpentis undas poterant: equi, iumenta, sarcinae, etiam arma praecipitantur quo levarentur alvei manantes per latera et fluctu superurgente.

[24] Quanto violentior cetero mari Oceanus et truculentia caeli praestat Germania, tantum illa clades novitate et magnitudine excessit, hostilibus circum litoribus aut ita vasto et profundo ut credatur novissimum ac sine terris mare. pars navium haustae sunt, plures apud insulas longius sitas eiectae; milesque nullo illic hominum cultu fame absumptus, nisi quos corpora equorum eodem elisa toleraverant. sola Germanici triremis Chaucorum terram adpulit; quem per omnis illos dies noctesque apud scopulos et prominentis oras, cum se tanti exitii reum clamitaret, vix cohibuere amici quo minus eodem mari oppeteret. tandem relabente aestu et secundante vento claudae naves raro remigio aut intentis vestibus, et quaedam a validioribus tractae, revertere; quas raptim refectas misit ut scrutarentur insulas. collecti ea cura plerique: multos Angrivarii nuper in fidem accepti redemptos ab interioribus reddidere; quidam in Britanniam rapti et remissi a regulis. ut quis ex longinquo revenerat, miracula narrabant, vim turbinum et inauditas volucris, monstra maris, ambiguas hominum et beluarum formas, visa sive ex metu credita.

[25] Sed fama classis amissae ut Germanos ad spem belli, ita Caesarem ad coercendum erexit.​
 
Ist bei denen eigentlich mittlerweile der genaue Standort belegt und dass sie von römischer Seite her selbst betrieben wurden?
Das wurde ja staatlicherseits an die sogenannten publicani verpachtet. Die publicani waren equites, welche privatwirtschaftlich staatliche Aufgaben übernahmen und dem Staat dafür einen Pachtzins übergaben. Für den sauerländischen Bleiabbau ist ein publicanus mit Namen Pudens gesichert.
 
Für den sauerländischen Bleiabbau ist ein publicanus mit Namen Pudens gesichert.
Da muss ich nachfragen: Lässt sich der Bleiabbau auf das Jahre 9 datieren, so dass um Brilon römische Kontrolle vorlag?

(Wobei das Sauerland sowieso das südliche Randgebiet der westfälischen Bucht ist und auf Grund der Nähe von römischer Kontrolle auszugehen ist.)
 
Da muss ich nachfragen: Lässt sich der Bleiabbau auf das Jahre 9 datieren, so dass um Brilon römische Kontrolle vorlag?
Es gibt Inschriften auf Bleibarren mit den Namen der in der Varusschlacht verlorengegangenen Legionen.
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Das wurde ja staatlicherseits an die sogenannten publicani verpachtet. Die publicani waren equites, welche privatwirtschaftlich staatliche Aufgaben übernahmen und dem Staat dafür einen Pachtzins übergaben. Für den sauerländischen Bleiabbau ist ein publicanus mit Namen Pudens gesichert.

Das sagt aber, so wie ich das sehe, ohne Lokalisierung der Abbaustätten und deren Überreste, wenig darüber aus ob von römischer Seite hier organisiert Bergbau betrieben wurde oder ob lediglich organisiert Bergbauerzeugnisse der Region aufgekauft, weiterverarbeitet und weiterverfrachtet wurden.

Wäre für die Frage nach den Machtverhältnissen in der Region nicht uninteressant zu wissen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hier ist eine Karte, die die südliche Grenze 50 v.Chr. und 50 n Chr. zeigt.
Inwiefern diese korrekt ist bzw. dem aktuellen Stand der Forschung entspricht, ist fraglich.

Eigentlich ist alles möglich. Zwischen 15 v. Chr und 9 n. Chr. , wo rechtsrheinisch man schon fast von einer Provinz ausging und Waldgirmes gründete, kann natürlich auch die südliche Grenze wo völlig anders gewesen sein.
 

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Bekannte und interessante Zitate.
Ich kann daraus aber keine Schlussfolgerung auf die Infrastruktur an Drusus Todesort ziehen, damit folglich auch nicht auf die Grenzen des römischen Gebietes.

Ich denke, dieser Ansatz ist eine Sackgasse.
 
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