Blankoscheck Deutschlands 1914 in Bezug auf Rumänien und Bulgarien

repression

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Hallo zusammen,

ich bin auf der Suche nach Hilfe bei der Analyse einer Textstellen des sog. Blankoschecks Deutschlands an Ö-U (Quelle: http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/pdf/deu/622_Der Blankoscheck_126.pdf).
Genauer handelt es sich um die folgende:

[FONT=&quot]"Was Rumänien betreffe, so werde er dafür sorgen, dass König Carol und seine Ratgeber sich korrekt verhalten werden. Das Eingehen in ein Vertragsverhältnis mit Bulgarien „sei ihm keineswegs sympathisch"; nach wie vor habe er nicht das geringste Vertrauen zu König Ferdinand noch zu seinen früheren und jetzigen Ratgebern. Trotzdem wolle er nicht die geringste Einwendung gegen die Eingehung eines vertragsmässigen Anschlusses der Monarchie an Bulgarien erheben, doch müsse dafür Vorsorge getroffen werden, dass der Vertrag keine Spitze gegen Rumänien enthalte und – wie dies auch im Memorandum hervorgehoben werde – Rumänien zur Kenntnis gebracht werde.[/FONT]"

Mir sind hier die Beziehungen zwischen Deutschland/ Ö-U und Rumänien bzw. Bulgarien nicht ganz klar. Meint der erste Teil, dass Kaiser Wilhelm II Rumäniens König zurückhalten werde, falls Ö-U Serbien angreift?
Welches Vertragsverhältnis meint er im Bezug auf Bulgarien (evtl. den Dreibund?), das ihm nicht sympathisch sei? Und welche Monarchie soll sich an Bulgarien anschließen?

Der Rest der Quelle ist eindeutig, aber bei den verschiedenen Beziehungen stehen noch ein paar Fragezeichen bei mir. Ich hoffe, ihr könnt mir dabei helfen.

Vielen Dank,
repression
 
Hier ging es um den Anschluss Bulgariens an die Mittelmächte, formal dem Dreibund, dem auch Rumänien geheim angeschlossen war.

Der Anschluss Bulgariens sollte keine Spitze gegen den Verbündeten Rumänien enthalten, mit dem Bulgarien 1913 Krieg geführt hatte. Die Lage war für Bulgarien äußerst schwierig:

- der Gegner Rumänien (1913)
- potenzielle Bedrohung durch das Osmanische Reich
- empfundene Bedrohung durch Serbien wegen Mazedonien, befürchtete Anschläge und Beseitigung des bulgarischen Königshauses
- panslawistische Tendenzen und Anlehnung an Russland (konträr zum Konflikt mit dessen Verbündeten Serbien)

Conrad von Hötzendorf drängte im Züge der Julikrise (29.7.1914) Bulgarien, sich auf die Seite der Mittelmächte zu schlagen und Serbien direkt anzugreifen (Hamilton/Herwig, Decisions for War - Kapitel Bulgaria, S. 173), die Gelegenheit sei günstig und einmalig. Wilhelm fürchtete hier offensichtlich, dass der Beitritt Bulgariens den Verbündten Rumänien verprellen würde.

Siehe auch Hall, Bulgaria's Road to the First World War.
 
König Carol I.stammte aus dem Hause Hohenzollern. Erst im Februar 1913 wurde die vertragliche Bindung mit dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn um sieben Jahre verlängert. Allerdings handelte es sich um eine geheime Abmachung.

Im 2.Balkankrieg konnte Rumänien nicht mehr an sich halten und hat sich an der „Leichenfledderei“ Bulgariens beteiligt. Österreich-Ungarn hat sich vergeblich bemüht, die beiden Kontrahenten zu einer friedlichen Lösung zu bewegen. Das hat dem Ballhausplatz weder in Bukarest noch in Sofia Sympathien eingetragen.


Nach dem Krieg hat Wien eine betont neutrale Haltung gegenüber den beiden Balkanmächten bezogen, denn es benötigte beide als Freunde und Verbündete in einem ganz allgemeinen erwarteten großen Krieg der Großmächte. Ein Blick auf die Karte zeigt schon weshalb und dann ist da auch noch das rein militärische Kräfteverhältnis zu berücksichtigen.


Das Deutsche Reich konnte schon wegen der Implikationen des Schlieffenplans zu Beginn des Krieges nur gerade so die eigene Grenze decken. Österreich-Ungarn würde also im erwarteten Kriegsfalle die ganze Last des Krieges im Osten alleine schultern müssen. So weit die allgemeine Denkhaltung.

Und Rumänien hat schon einige Zeit vor Beginn des Ersten Weltkrieges deutliche Absetzbewegung vom Dreibund gezeigt und sich deutlich auf Russland zubewegt. Es war kaum zu erwarten, dass Rumänien in einer künftigen militärischen Auseinandersetzung auf Seiten des Dreibundes in dem Krieg eintreten würde. Es blieb nur Bulgarien.
 
Ok, vielen Dank schon mal.
Also noch mal zusammenfassend:

Die Textstelle bezieht sich darauf, dass Wilhelm II. bei einem Gegenschlag Österreich-Ungarns gegen Serbien dafür sorgt, dass König Carol I. nicht gegen Österreich-Ungarn handelt.
Durch die Bewegung Rumäniens Richtung Russland blieb den Mittelmächten mehr oder weniger nur Bulgarien als Verbündeter, was allerdings Wilhelm II. nicht besonders recht war. Dennoch sollte Bulgarien in den Dreibund aufgenommen und dies auch Rumänien mitgeteilt werden, jedoch ohne diplomatische Spitzen.
Soweit alles korrekt?

Was aber meint er genau mit: "[FONT=&quot]eines vertragsmässigen Anschlusses der Monarchie an Bulgarien"? Welche Monarchie soll Bulgarien angeschlossen werden?
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Was aber meint er genau mit: "[FONT=&quot]eines vertragsmässigen Anschlusses der Monarchie an Bulgarien"? Welche Monarchie soll Bulgarien angeschlossen werden?
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Ich habe das so verstanden, dass ein Pakt zwischen ÖU und Bulgarien für den Kriegsfall gegen Serbien geschlossen wird.
 
Ich habe das so verstanden, dass ein Pakt zwischen ÖU und Bulgarien für den Kriegsfall gegen Serbien geschlossen wird.


Ganz genau. Bereits 1912 hatte beispielsweise Kriegsminister Auffenberg den Verkauf von 50.000 Maschinengewehren einschließlich der zugehörigen Munition zum Selbstkostenpreis an Bulgarien durchgesetzt. Realisiert wurde der Verkauf dann im Jahre 1913.

In der Julikrise 1914 wurden Zugeständnisse an Rumänien, das begonnen hatte in seinen 1913 erworbenen neuen Territorium militärische Vorkehrungen zu treffen, wurden am Ballhausplatz mit dem Hinweis auf seine Bulgarienpolitik abgelehnt. Auch in Berlin kam man Ende Juli zu der Einsicht, das auf Bukarest nicht zu zählen ist.
 
Das problematische für Rumänien war seine angestrebte Vormachtstellung auf dem Balkan. Ein wichtiges Ziel hierzu war der Erwerb von Siebenbürgen, welches zu Ungarn gehörte. Dort lebte ein großer Anteil an Menschen rumänischer Abstammung. Ungarn war in dieser Frage wenig sensibel und praktizierte eine ziemlich derbe Magyarisieungspolitk, welches die gegenseitigen Sympathien nicht gerade erhöhte. Österreich-Ungarn und sein Verbündeter das Deutsche Reich wurden also als Hindernis für die Realisierung dieser Pläne angesehen.

Der russische Außenminister Sasonow kannte die Aspirationen Rumäniens genau und bot im Juli 14 für einen rumänischen Kriegseintritt Siebenbürgen und Unterstützung beim Erwerb der Bukowina an.
 
Nikolaus hatte Anfang Juni 1914 Konstanza besucht. Allerdings verfingen russische Angebote (wie ja in dieser Zeit Angebote zur Raubteilung allen alles versprachen) in keiner Weise bei König Carol und rumänischen Kreisen, die den Pan-Slawismus fürchteten. Carol starb im Oktober 1914.

Es soll insbesondere der spätere Sieg der Mittelmächte gegen Serbien gewesen sein (zuvor war man durch Bulgariens Eintritt "umringt" worden), der Rumänien (wo nun die Partei die Oberhand gewann, die auf ungarische Gebiete für Groß-Rumänien schielte) zur Aufnahme von Verhandlungen mit London brachte. Frankreich bot ohnehin alles Mögliche an, im Zuge der laufenden Verdun-Schlacht 1916, weil man sich Entlastung erhoffte.

Dann kam die Brussilow-Offensive, die die Regierung in Bukarest schwer beeindruckte, und die Entente-Mächte (Joffre) versprachen durch die Saloniki-Landung die Neutralisation Bulgariens. Im August 1916 siegte dann die Gier, bei der Verteilung dabei zu sein, und sich große ungarische und bulgarische Gebiete einzuverleiben.
 
In Prinzip war die Ausrichtung Bulgariens auf dem Dreibund letztlich nur eine Frage der Zeit gewesen, denn Petersburg hat seine Präferenzen, nicht zuletzt dank des russischen Botschafters Hartwig in Serbien, der auch der König von Belgrad genannt wurde, von Sofia nach Belgrad verlagert.

Hartwig dürfte auch nicht ganz unwesentlich beim Entwurf der geschickten serbischen Antwortnote verantwortlich zeichnen.

Ebenfalls nicht ganz uninteressant in der unmittelbaren Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges ist wie enorm französisches Kapital die serbische Armee aufrüstete, mit den unzutreffenden Hinweis Wien täte das gleich für die bulgarische Armee.
 
Ebenfalls nicht ganz uninteressant in der unmittelbaren Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges ist wie enorm französisches Kapital die serbische Armee aufrüstete, mit den unzutreffenden Hinweis Wien täte das gleich für die bulgarische Armee.

Die "beeindruckende Schlagkraft" Serbien ist eine österr.-ungarische Übertreibung vor dem Krieg (nach den anfänglichen Fehlschlägen 1914 natürlich fortgesetzt), die zB auch Clark leider unkritisch und mE gegen den Forschungsstand übernimmt und sogar noch mit der Aufrüstung durch "französisches Kapital" kombiniert.

Dazu einige Einzelheiten:

Die österrreichischen Beurteilungen stammen aus der Beobachtung 1912/13, bei denen man sich doch beeindruckt von der Serbischen Armee zeigte. Serbische Truppen und Ausrüstung waren indessen nach dem Balkankrieg stark abgenutzt - konträr zur serbischen Erwartung eines neuen Krieges mit Bulgarien. Dieses ist der Hintergrund für die Ersatzbeschaffungen 1913/1914, durch französische und russische Kredite finanziert (der Balkankrieg hatte bereits mit 10 Monaten das dreifache Jahresbudget des serbischen Haushaltes verschlungen, Mannschaftsverluste: rd. 1/4). Das Ergebnis bis 1914 ist dennoch mager:

- nur 528 Feldgeschütze, darunter neue 272 Schneider Creusot M 1897 75mm, der Rest bestand zT aus 40 erbeuteten Krupp 75mm und 216 antiquierten französischen 80mm Model 85 De Bange. Hinzu kamen 54 Schneider 120mm-Haubitzen (darunter 32 moderne), ein Paar türkische Beutegeschütze
- Konzentration der zu schwachen Armee im Süden, Richtung Bulgarien in Kriegserwartung.
- mangelhafte und völlig unzureichende Munitionsausstattung, insbesondere Artillerie.

Quelle: Vojvoda Putnik, The Serbian High Command and Strategy in 1914, in:
Király/Dreisziger, East Central European Society in World War I.

- Der Mob-Umfang sah zwar rd. 350 - 400.000 Mann vor, davon aber nur 185.000 in der 1. Linie, Rest 2. Linie und minderwertige Territorialschutzeinheiten. Zusammen gegenüber Ö-U nur geeignet - wie realisiert - für die Schutzstellungen entlang Gebirgen und Flüssen.

Quelle: Rothenberg, The Austro-Hungarian Campaign against Serbia in 1914, JoMH 1989, S. 127

- Die Ersatzausstattungen der serbischen Gewehre auf Basis Modell 98 Mauser durch russische M1891 Mosin-Nagant erfolgte erst nach Kriegsausbruch im August 1914, vermutlich geordet in der Julikrise. Cetniks nutzten verstärkt das Mannlicher M1895. Bei Kriegsausbruch fehlten der mobilisierten Serbischen Armee rd. 150.000 Gewehre, also die halbe Ausstattung. Die gesamte Armee besaß 210 Maschinengewehre, nur in den "First-Line"- Divisionen wurde die angestrebte Ausstattung von 1:1000Mann erreicht, anfangs 1MG pro Bataillon.

- die ersten Ersatzbeschaffungen für Munition nach dem Balkankrieg trafen überhaupt erst im Juli 1914 ein, obwohl sie früher bestellt worden waren (woraus Clark wohl auch gewisse Fehlschlüsse zieht, weil dies mit der Krise nichts zu tun hatte).

- französische und russische Finanzierungen weisen hier keine Unüblichkeiten gegenüber den anderen Balkanstaaten bzw. dem Osmanischen Reich auf. Das lief entsprechend auch so auf Seiten der Mittelmächte, und wurde durch die Krise nicht beeinflusst oder verändert.

Quelle: James Lyon, A Peasant Mob: The Serbian Army on the Eve of the Great War, in: JoMH 1997, S. 481.
 
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