Das europäische Christentum im Hochmittelalter

Seldschuk schrieb:
Trotzdem möchte ich die weltliche Komponente, der Ziele der Päpste, nicht vernachlässigen und nochmal betonen, dass das geistliche vom weltlichen sehr wohl differenziert betrachtet werden muss. Auch in dieser Zeit waren die (viele) Menschen machtgierig und machthungrig. Das gilt zumindest für diejenigen die gewisse Macht hatten und diese auszubauen versuchten.

Kein grundsätzlicher Widerspruch von meiner Seite, aber wie ich an anderer Stelle schon einmal betonte, ist es wichtig, dabei NICHT zu übersehen, daß wir bei den Menschen im Mittelalter - und insbesondere bei denen im Hochmittelalter - das Weltliche und das Geistliche nicht voneinander trennen können.
 
Seldschuk schrieb:
Auch wenn der Begriff damals noch nicht existiert hatte, stimme ich eher dem Pope zu, dass der Papst totalitär herrschte, oder zumindest es sein vorhaben war (auch wieder hypothetisch)

Da muss ich kurz einen kleinen Einwurf machen, weil Timotheus - der übrigens ansonsten meine volle Zustimmung hat - dieses Problem nicht weiter verfolgt hat. Wie er oben richtig bemerkte, ist der Begriff Totalitarismus nicht auf das Papsttum im Mittelalter anzuwenden. Dieses Phänomen taucht erst in der Neuzeit auf. Wenn man so will, kann man außerhalb des 20. Jahrhunderts meines Erachtens nur den Revolutionsterror im Frankreich der Jahre 1793/94 als totalitär bezeichnen, keinesfalls jedoch den Vatikan.

Totalitarismus definiert sich nach gängiger Ansicht der Politikwissenschaftler über Primär- und Sekundärphänomene. Ich versuche im Folgenden zu zeigen, dass es nur der eine Teil, nämlich die Sekundärphänomene sind, die glauben machen können, der Papst sei ein totalitärer Herrscher.

Hier erst einmal ein paar Sekundärphänomene:

+ Beiseitigung konkurrierender Willensbildung: Dass die Kirche versuchte und immernoch versucht, die christliche Lehre möglichst "rein" zu halten, ist kein Geheimnis, daher Bedingung erfüllt.

+ Beseitigung der Gewaltenteilung: Im Papst bündelt sich sämltliche politische Macht, daher Bedingung erfüllt.


Diese Punkte sind aber nur ein Obeflächenphänomen, das nicht isoliert betrachtet werden darf und man darf daraus nicht gleich auf ein totalitäres System schließen. Das wirklich ausschlaggebende Erkennungsmerkmal stellt das Primärphänomen dar. Totalitarismus wird nicht durch traditionelle Herrschaft, wie sie beim Papstamt gegeben ist, herbeigeführt, sondern es ist ein Umsturz, eine Revolution notwendig. Es muss ein "neues Wertesystem eingeprägt bzw., aufgezwungen" werden. Folglich braucht es neue Ideen, oder zumindest den Willen, bereits bekannte Weltanschauungen radikal durchzusetzen. Das Papsttum mit seinem Versuch, sein Legitimitätsfundament über Jahrhunderte hinweg zu festigen, ist also mit Sicherheit kein totalitäres System.

Die politikwissenschafltichen Definitionen habe ich aus dem Standardwerk zur Politikwissenschaft von Werner J. Patzelt übernommen.
 
Lukrezia Borgia schrieb:
Da muss ich kurz einen kleinen Einwurf machen, weil Timotheus - der übrigens ansonsten meine volle Zustimmung hat - dieses Problem nicht weiter verfolgt hat. Wie er oben richtig bemerkte, ist der Begriff Totalitarismus nicht auf das Papsttum im Mittelalter anzuwenden. Dieses Phänomen taucht erst in der Neuzeit auf. Wenn man so will, kann man außerhalb des 20. Jahrhunderts meines Erachtens nur den Revolutionsterror im Frankreich der Jahre 1793/94 als totalitär bezeichnen, keinesfalls jedoch den Vatikan.
Alles klar! Man müsste sich dann wohl auf "diktatorisch" einigen? Autoritär fiele mir noch ein, aber dieser Begriff ist poltisch geprägt. :grübel:
 
Seldschuk schrieb:
Alles klar! Man müsste sich dann wohl auf "diktatorisch" einigen? Autoritär fiele mir noch ein, aber dieser Begriff ist poltisch geprägt. :grübel:
Ich fürchte, dass die Anwendung eines Begriffs, der vor allem erst im 20. Jahrhundert mit der uns bekannten Bedeutung gefüllt wurde (vs. Diktator im röm. Staatsrecht), das Herrschaftsverständnis im Mittelalter nicht erhellen kann.

Wieso wiederhole ich hier eigentlich Aussagen von Timotheus? :grübel: Weil er recht hat. Wir können Gegebenheiten, die vergangene Gesellschaften betreffen, nicht adäquat mit heutigen Vokabeln beschreiben.
 
Blöde Frage, aber wird die Herrschaft Karls V. nicht auch als hegemonial bezeichnet, obwohl der "Hegemon" ja auch ein neuerer Begriff ist? Verzichten Historiker in Frühgeschichtswerken auf alle Wörter, die nach 3.000 v.Chr. entstanden sind?

Den Begriff "Totalitäre Herrschaft/Gesellschaft" auf's Mittelalter anzuwenden, ist sicherlich angesichts der strengen modernen Definition und Assoziation schwierig, dennoch wird der Begriff "Demokratie" auch für das antike Griechenland verwendet (von wo er ja eigentlich herkommt): eine wohlhabende, maskuline Minderheit bestimmt die Geschicke des Staates.

Wir können gerne den Begriff "Totalitäre Herrschaft" weglassen. Das Wesen der Herrschaft kann man auch ohne ihn beschreiben.

Nun aber zum eigentlichen Thema:

Adhemar de Monteil, Bischof von Le Puy

http://de.wikipedia.org/wiki/Adhemar_de_Monteil

1. War sein Kniefall vor dem Papst nach dem "Kreuzzugsaufruf" inszeniert? Musste man der christlichen Sache theatralisch nachhelfen?

2. Wenn er wusste, dass die Heilige Lanze in Konstantinopel lag, wie konnte er die Kreuzfahrerer mit dem Plagiat zum Sieg verhelfen? Sind Täuschungsmanöver Ausdruck christlichen Gottvertrauens?

Zum Kern der Sache: War Bischof Adhemar überzeugt, dass diese Gotteskrieger in Gottes Sinne handelten und Gott ihnen den Sieg schenken würde, oder musste man alle Register ziehen, damit der pilgernde Haufen es noch irgendwie bis Jerusalem schaffen konnte?

War der Weg das Ziel?
 
Pope schrieb:
... wird die Herrschaft Karls V. nicht auch als hegemonial bezeichnet, obwohl der "Hegemon" ja auch ein neuerer Begriff ist? Verzichten Historiker in Frühgeschichtswerken auf alle Wörter, die nach 3.000 v.Chr. entstanden sind?

Der Begriff Hegemon ist mW antik (griechisch), aber das ist ein anderes Thema...

Pope schrieb:
Den Begriff "Totalitäre Herrschaft/Gesellschaft" auf's Mittelalter anzuwenden, ist sicherlich angesichts der strengen modernen Definition und Assoziation schwierig, dennoch wird der Begriff "Demokratie" auch für das antike Griechenland verwendet (von wo er ja eigentlich herkommt): eine wohlhabende, maskuline Minderheit bestimmt die Geschicke des Staates.

Wie Du schon schreibst, ist der Begriff Demokratie aus der Antike und kann dementsprechend auch deshalb auf das antike Griechenland angewendet werden; immer noch anderes Thema...

Pope schrieb:
Wir können gerne den Begriff "Totalitäre Herrschaft" weglassen. Das Wesen der Herrschaft kann man auch ohne ihn beschreiben.

Danke; ich erinnere aber daran, daß dieser Begriff zu Beginn von Dir selbst in die Diskussion gebracht wurde...

Pope schrieb:
Nun aber zum eigentlichen Thema:

Adhemar de Monteil, Bischof von Le Puy

http://de.wikipedia.org/wiki/Adhemar_de_Monteil

1. War sein Kniefall vor dem Papst nach dem "Kreuzzugsaufruf" inszeniert? Musste man der christlichen Sache theatralisch nachhelfen?

Der Aufruf selbst war bereits inszeniert, um die Bereitschaft für das Unternehmen zu demonstrieren.
So war bspw. ein Raymond IV de St Gilles (der Graf von Toulouse, der dann die Grafschaft Tripolis begründete) schon vorher von Urban gewonnen worden, zumal das Hilfegesuch von Byzanz schon in Piacenza - und sogar schon vorher - vorgebracht worden war.
Urban II. - wie wahrscheinlich auch sein Vorgänger Gregor VII. - hegte bereits länger den Plan, dem Byzantinischen Reich zu Hilfe zu kommen.
Nach der Moral seiner Zeit war dies auch gerechtfertigt, wie ich schon in früheren Beiträgen geschrieben habe - und weswegen ich es jetzt nicht noch einmal haarklein herleite.

Wie jede Inszenierung einen Inhalt hat, so eben auch diese...
Wichtige Anmerkung dazu: damals hatten gerade Gesten eine starke Bedeutung!

Ein Kniefall vor dem Papst ist nun wiederum überhaupt nichts Ungewöhnliches, zumal bis weit über das Mittelalter hinaus auch die Kniebeuge vor episcopalen Autoritäten katholischer Usus ist.

Pope schrieb:
2. Wenn er wusste, dass die Heilige Lanze in Konstantinopel lag, wie konnte er die Kreuzfahrerer mit dem Plagiat zum Sieg verhelfen? Sind Täuschungsmanöver Ausdruck christlichen Gottvertrauens?

Noch besser: höchstwahrscheinlich wußte Adhemar nicht nur von der Heiligen Lanze in Konstantinopel, sondern auch von der Heiligen Lanze, welche sich im Besitz des römisch-deutschen Kaisers befand.
Deshalb konnte er mehr als berechtigte Zweifel an der Echtheit der Heiligen Lanze von Antiochia hegen.
Andererseits aber sah er die schwindende Moral des Kreuzfahrerheeres im Angesicht von Kerboghas Heer und dachte sich wohl, es könnte für den Kampfgeist, den die Verteidigung Antiochias erforderte, nützlich sein, wenn sie etwas hatten, an dessen überirdische Kräfte sie glaubten.
Die Gedanken, welche den Legaten bewegten, lassen sich zwar weder belegen und noch widerlegen, aber der Glaube an Artefakte, Reliquien u. dgl. war im Mittelalter nachweislich sehr tief - unabhängig davon, ob sie sich in der neuesten Forschung als echt oder unecht erwiesen...

Pope schrieb:
Zum Kern der Sache: War Bischof Adhemar überzeugt, dass diese Gotteskrieger in Gottes Sinne handelten und Gott ihnen den Sieg schenken würde, oder musste man alle Register ziehen, damit der pilgernde Haufen es noch irgendwie bis Jerusalem schaffen konnte?

Auch hier wiederhole ich eine Aussage, welche ich bereits mehrfach gemacht habe: Du kannst das Eine nicht vom Anderen trennen...
Oder anders ausgedrückt: das Eine schließt das Andere nicht aus, denn "auf halbem Wege verzagen" war nach damaliger Sicht nicht in Gottes Sinn - und dazu bedurfte es eben Ermahnung, immer wieder auf Gott zu vertrauen.

Pope schrieb:
War der Weg das Ziel?

Ich nehme an, Du meinst damit den Weg nach Jerusalem...
Ganz gewiß war der Weg nach Jerusalem das Ziel, denn schließlich war diese Stadt der Endpunkt des Pilgerweges - ob sie nun als unbewaffnete oder als bewaffnete Pilger kamen.
 
timotheus schrieb:
Danke; ich erinnere aber daran, daß dieser Begriff zu Beginn von Dir selbst in die Diskussion gebracht wurde...

Genau. Weil ich etwas meinte, was am ehesten mit diesem Begriff umschrieben werden konnte, auch wenn ich zugestehe, dass der Begriff selbst "vorbelastet" ist.

timotheus schrieb:
Ein Kniefall vor dem Papst ist nun wiederum überhaupt nichts Ungewöhnliches, zumal bis weit über das Mittelalter hinaus auch die Kniebeuge vor episcopalen Autoritäten katholischer Usus ist.

Es ging mir darum, dass Adhemar sich als erster meldete, dem Aufruf folgen zu wollen. Abgesprochene Gottesbegeisterung ...

timotheus schrieb:
Andererseits aber sah er die schwindende Moral des Kreuzfahrerheeres im Angesicht von Kerboghas Heer und dachte sich wohl, es könnte für den Kampfgeist, den die Verteidigung Antiochias erforderte, nützlich sein, wenn sie etwas hatten, an dessen überirdische Kräfte sie glaubten.

Damit bringst Du meinen Gedanken auf den Punkt. Man hätte auch goldene Kälber zugelassen, wenn es nur den Sieg gebracht hätte? Wo endete überhaupt die Gottgefälligkeit? Alles ist gottgefällig, solange es uns bis Jerusalem bringt?

timotheus schrieb:
Oder anders ausgedrückt: das Eine schließt das Andere nicht aus, denn "auf halbem Wege verzagen" war nach damaliger Sicht nicht in Gottes Sinn - und dazu bedurfte es eben Ermahnung, immer wieder auf Gott zu vertrauen.

Eben dieses Gottvertrauen bezweifele ich. Denn man war gezwungen nachzuhelfen.

timotheus schrieb:
Auch hier wiederhole ich eine Aussage, welche ich bereits mehrfach gemacht habe: Du kannst das Eine nicht vom Anderen trennen...

Das mittelalterlich-europäische Christentum war also ein religöses System mit dem Oberziel der Errichtung der christlichen Weltherrschaft.
 
Pope schrieb:
Es ging mir darum, dass Adhemar sich als erster meldete, dem Aufruf folgen zu wollen. Abgesprochene Gottesbegeisterung ...

Als einer der ersten; um dem Aufruf zu folgen, brauchte es aber eine Begeisterung und letztlich eine religiöse Stimmung dafür...

Pope schrieb:
Damit bringst Du meinen Gedanken auf den Punkt. Man hätte auch goldene Kälber zugelassen, wenn es nur den Sieg gebracht hätte? Wo endete überhaupt die Gottgefälligkeit? Alles ist gottgefällig, solange es uns bis Jerusalem bringt?

Ich bringe Deine Gedanken bestimmt nicht auf den Punkt - nein, Du hast meinen Beitrag leider überhaupt nicht verstanden.
Ich kann Dich nur bitten, ihn nochmals genau zu lesen...

Pope schrieb:
Eben dieses Gottvertrauen bezweifele ich. Denn man war gezwungen nachzuhelfen.

Es steht mir nicht zu, Dir keine Zweifel zuzugestehen.
Aber ich habe jetzt - den anderen Thread mitgerechnet - mindestens ein halbes Dutzend Beiträge geschrieben, wo ich immer wieder alles von Grund auf zu erklären versucht habe.
Da wir uns aber mit der Diskussion im Kreis drehen, hält sich mein Elan in Grenzen, noch einmal alles von vorn herzuleiten...

Pope schrieb:
Das mittelalterlich-europäische Christentum war also ein religöses System mit dem Oberziel der Errichtung der christlichen Weltherrschaft.

Und hier begehst Du wieder den Fehler, Deine Weltsicht einem historischen Thema und seinen Protagonisten überzustreifen, was fast 1000 Jahre zurück liegt.
 
timotheus schrieb:
Und hier begehst Du wieder den Fehler, Deine Weltsicht einem historischen Thema und seinen Protagonisten überzustreifen, was fast 1000 Jahre zurück liegt.

Entschuldige, aber gab es eine Theologie oder nicht?! Sollte die Welt nach der Bibel, oder die Bibel nach der Welt ausgelegt werden?

Was Du sagst, ist dass egal was die Leute taten, sie taten es für Gott. Halleluja, wir töten die Frauen und Kinder! Halleluja, wir bauen Heilige Lanzen! Halleluja, wir ernennen einen Gegenpapst!

Wo bleibt die Theologie, wenn jeder so handelt, wie er will?! :motz:
 
Pope schrieb:
Entschuldige, aber gab es eine Theologie oder nicht?! Sollte die Welt nach der Bibel, oder die Bibel nach der Welt ausgelegt werden?

Natürlich gab es eine Theologie, aber die Auslegung der Heiligen Schrift war damals nun einmal eine andere als heute - ich schrieb dies bereits in Beitrag #19 vom 19.04.2006, 00:55...
Das paßt zwar heute nicht mehr und stößt uns - vollkommen zu Recht - sauer auf, aber es war so - ob uns dies gefällt oder nicht!
Anm.: Die Heilige Schrift ist zu verschiedenen Zeiten immer wieder anders ausgelegt worden; dies wird Dir übrigens jeder ernstzunehmende Theologe auch bestätigen.

Außerdem verweise ich nochmals auf einen ganz entscheidenden Punkt, der für die Herausbildung dieser Sichtweise grundlegend war: fast automatisch ab dem Punkt, als das Christentum Staatsreligion wurde, lernte die Kirche zu denken und zu handeln wie der Staat selbst.
Was besonders für die Westhälfte des früheren Imperium Romanum sehr bedeutsam war, da sich hier - im Gegensatz zum Ostteil - die Struktur des Reiches auflöste und die Kirche sich in keinen Staat befand, der ihr den Schutz abnahm.
Infolgedessen konnte die Kirche im westlichen Europa - so sie denn während solch unsicherer Zeiten nicht vernichtet werden wollte - den urchristlichen Pazifismus nicht beibehalten, sondern mußte den Kampf gegen den Unglauben in Form des Kampfes gegen die "Ungläubigen" als gerechtfertigt erklären.

Auch im Hochmittelalter sah man sich jenseits der Grenzen noch immer mit "Ungläubigen" konfrontiert, welche - nach damaliger Sicht - die Kirche und damit impliziert den Glauben selbst bedrohten. Und den Humanismus der Renaissancezeit wie auch die Gedanken der Aufklärung und der Französischen Revolution gab es noch nicht...

Pope schrieb:
Was Du sagst, ist dass egal was die Leute taten, sie taten es für Gott. Halleluja, wir töten die Frauen und Kinder! Halleluja, wir bauen Heilige Lanzen! Halleluja, wir ernennen einen Gegenpapst!

Wo bleibt die Theologie, wenn jeder so handelt, wie er will?! :motz:

Ich sage keineswegs, daß es egal war, aber sie selbst sahen es so.

Sehr anschaulich wird diese Sichtweise übrigens in Liedern des 11. bis 13. Jh., von denen ich das Bekannteste hier schon einmal eingestellt hatte: http://www.geschichtsforum.de/showpost.php?p=92260&postcount=71
Hier ist vor allem die letzte Strophe entscheidend!!!

Heute sind wir natürlich "schlauer" und wissen, daß die Angehörigen anderer Religionen eben keine "Ungläubigen" sind, sondern nur eine andere Form der Gottesverehrung praktizieren.

Wo da die Theologie bleibt?
Die Frage verstehe ich nicht, denn wenn gelehrt wurde, daß der Kampf gegen die Bösen (Heiden) nicht Verfolgung derselben bedeute, sondern ein Gebot von Güte und Menschlichkeit sei, und die Kirche auch den Befehl geben dürfe zu kämpfen, zu verfolgen und gegebenenfalls Beute zu machen, war dies doch genau ab dem Punkt "Handeln wie jeder will", wo das Ganze Eigendynamik gewann und in um sich greifende Gewalt abglitt.
Derartige Gewaltexzesse, die jenseits aller "Kontrolle" ablaufen, sind aber weder typisch mittelalterlich noch typisch Kreuzzugszeit...
 
timotheus schrieb:
Natürlich gab es eine Theologie, aber die Auslegung der Heiligen Schrift war damals nun einmal eine andere als heute - ich schrieb dies bereits in Beitrag #19 vom 19.04.2006, 00:55...
Das paßt zwar heute nicht mehr und stößt uns - vollkommen zu Recht - sauer auf, aber es war so - ob uns dies gefällt oder nicht!

Es geht nicht darum, ob es "uns" gefällt. Es geht darum, warum so vielen einfachen Menschen die Lebensberechtigung entzogen wurde. Die Verfolgung Andersgläubiger war vielen Religionen unbekannt, wenn nicht gar tabu. Und die weltlichen Herrscher - von Ägypten über die Reiche der Hethiter und Perser, bis zum Römischen Reich - hatten kein Problem mit der religiösen Vielfalt. War das mittelalterliche Christentum grausam gegenüber Andersdenkenden? Wie hätte ein Mensch des 12.Jhds. diese Frage beantwortet?

timotheus schrieb:
Außerdem verweise ich nochmals auf einen ganz entscheidenden Punkt, der für die Herausbildung dieser Sichtweise grundlegend war: fast automatisch ab dem Punkt, als das Christentum Staatsreligion wurde, lernte die Kirche zu denken und zu handeln wie der Staat selbst.

Wir kommen dem springenden Punkt immer näher. :cool:

timotheus schrieb:
Wo da die Theologie bleibt?

Erzähle mir die Theologie vom Gegenpapst. Und vom Ämterkauf. Und vom fälschen heiliger Lanzen. :fs: Auf welche Bibelstelle bezog man sich dabei? :pfeif:
 
Pope schrieb:
Es geht nicht darum, ob es "uns" gefällt.

Meine Worte...

Pope schrieb:
Es geht darum, warum so vielen einfachen Menschen die Lebensberechtigung entzogen wurde.

Warum werden Menschen von Menschen getötet?
Weil Menschen Menschen sind, und weil Gewalttätigkeit leider auch Teil der menschlichen Natur ist - unabhängig von dem, woran die Menschen glauben bzw. was sie für richtig halten?
Ich bin kein Philosoph, so daß ich Dir die Frage nicht beantworten kann...

Pope schrieb:
Die Verfolgung Andersgläubiger war vielen Religionen unbekannt, wenn nicht gar tabu.
Und die weltlichen Herrscher - von Ägypten über die Reiche der Hethiter und Perser, bis zum Römischen Reich - hatten kein Problem mit der religiösen Vielfalt.

Kannst Du das wirklich so generell und allgemeingültig sagen?
Sicher war bspw. das Römische Reich prinzipiell tolerant diesbezüglich, dennoch aber wurden Christen verfolgt - wenn dies auch im Kontext der Zeit und v.a. der römischen Gesellschaft nachvollziehbar ist und zudem später einigermaßen überhöht wurde. Die Verfolgungen incl. der Martyrien gab es trotzdem...
Zum Kontext http://de.wikipedia.org/wiki/Christenverfolgung

Das ist aber wieder ein anderes Thema...

Pope schrieb:
War das mittelalterliche Christentum grausam gegenüber Andersdenkenden?

Natürlich war es das - wie Fatimiden sowie Seldschuken im 11. Jh. bspw. auch...

Pope schrieb:
Wie hätte ein Mensch des 12.Jhds. diese Frage beantwortet?

Woher soll ich denn das wissen?
Ich bin im Jahr 1970 geboren - und nicht um 1070 oder 1170...

Pope schrieb:
Wir kommen dem springenden Punkt immer näher. :cool:

Finde ich weniger; wir drehen uns nach wie vor im Kreis.
Die in meinem Beitrag wichtigen Folgesätze zu meiner zitierten Aussage - welche ich nicht geschrieben hatte, um den Beitrag länger zu machen - hast Du ja leider unterschlagen...

timotheus schrieb:
... verweise ich nochmals auf einen ganz entscheidenden Punkt, der für die Herausbildung dieser Sichtweise grundlegend war: fast automatisch ab dem Punkt, als das Christentum Staatsreligion wurde, lernte die Kirche zu denken und zu handeln wie der Staat selbst.
Was besonders für die Westhälfte des früheren Imperium Romanum sehr bedeutsam war, da sich hier - im Gegensatz zum Ostteil - die Struktur des Reiches auflöste und die Kirche sich in keinen Staat befand, der ihr den Schutz abnahm.
Infolgedessen konnte die Kirche im westlichen Europa - so sie denn während solch unsicherer Zeiten nicht vernichtet werden wollte - den urchristlichen Pazifismus nicht beibehalten, sondern mußte den Kampf gegen den Unglauben in Form des Kampfes gegen die "Ungläubigen" als gerechtfertigt erklären.

Auch im Hochmittelalter sah man sich jenseits der Grenzen noch immer mit "Ungläubigen" konfrontiert, welche - nach damaliger Sicht - die Kirche und damit impliziert den Glauben selbst bedrohten. Und den Humanismus der Renaissancezeit wie auch die Gedanken der Aufklärung und der Französischen Revolution gab es noch nicht...

Pope schrieb:
Erzähle mir die Theologie vom Gegenpapst. Und vom Ämterkauf. Und vom fälschen heiliger Lanzen. :fs: Auf welche Bibelstelle bezog man sich dabei? :pfeif:

Zunächst einmal muß ich selbst etwas korrigieren, weil ich das auch ziemlich unscharf gehandhabt hatte: Theologie ist mehr als nur Auslegung der Heiligen Schrift - vgl. auch http://de.wikipedia.org/wiki/Theologie

Gegenpapst - ein Papst, der zu Lebzeiten eines bereits kanonisch gewählten und nicht zurückgetretenen Papstes aufgestellt wurde. Zur Aufstellung von Gegenpäpsten kam es, wenn sich das Kardinalskollegium spaltete oder der Kaiser bzw. römische Aristokraten in die Papstwahl eingriffen.
Dieses Phänomen existierte seit dem 3. Jh. bis ins 15. Jh. und hat mit Theologie mW gar nichts zu tun...

Ämterkauf bzw. Simonie - eine Erscheinung, gegen die sich die für die Kreuzzugsideologie grundlegenden Reformpäpste des 11. Jh. selbst positioniert hatten. Dies wurde also durch Päpste wie Nikolaus II. und Gregor VII. erstmals systematisch bekämpft - z.B. durch das Verbot der Laieninvestitur -, wenn dies auch noch Jahrhunderte brauchte...
Immerhin aber berührt es die Theologie, daß es eine kirchliche Bewegung im 11. Jh. gab, die der Simonie den kampf ansagte...

Zur falschen Heiligen Lanze habe ich meine Ausführungen bereits geschrieben...
 
Lustig auch, wie sich die Päpste gegenseitig zurichteten. Oder vom römischen Adel zugerichtet wurden. Erstaunlich, wozu diese tiefgläubigen Menschen fähig waren - bis hin zum Papstmord ...

Wir drehen uns keineswegs im Kreis. Ich sehe schon viel klarer ...
 
Pope schrieb:
Die Verfolgung Andersgläubiger war vielen Religionen unbekannt, wenn nicht gar tabu. Und die weltlichen Herrscher - von Ägypten über die Reiche der Hethiter und Perser, bis zum Römischen Reich - hatten kein Problem mit der religiösen Vielfalt. War das mittelalterliche Christentum grausam gegenüber Andersdenkenden? Wie hätte ein Mensch des 12.Jhds. diese Frage beantwortet?
Mal ein Zwischensatz. Der Verfolgung "Andersgläubiger" war teilweise auf christlicher jedoch auch auf muslimischer Seite die religiöse Begründung nur vorgeschoben! So ging es den christlichen Zweitgeborenen im Kreuzzugsheer sicherlich vermehrt um Pfründe und sachliche Werte, während die Kirche das nutzte um auch "ihre" Religion zu verbreiten und umkgekehrt.
Hier ist sicher nochmals auf Timos Anmerkung hinzuweisen, daß eins nicht losgelöst vom Anderen betrachtet werden kann und somit sehr komplex wird.

Desweiteren war selbiges auch auf orientalischer Seite zu beobachten, daß Postengeschacher in Giftmord, Gemetzel etc. unter Gleichgäubigen auftrat und Gräuel an Christen, wie auch muslimischen Brüdern oft unter dem reliogösen Deckmantel geschahen. Ich erinnere hier an die bis heute blutigen Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten. Auch zu nennen die Fehden von Fatimiden, Ayubiten, Kalifen von Bagdad, den Atabegs von Homs, Damaskus... Das fehlende Wissen über dessen Religion und Koran verhindert eventuelle Ähnlichkeiten im Bereich Reliquienfälschung.

Demnach würde ich nicht von christlichen Phänomenen sprechen, und um das zu erklären eher heutige Machenschaften anführen, wo Politik und Wirtschaft verwoben sind und schwer erklärbar. So sind doch die Geschehnisse vor ca. 1000 Jahren mit heutiger Denkweise noch schwerer zu erklären.
 
Zuletzt bearbeitet:
Pope schrieb:
Ich sehe schon viel klarer ...

Pure Einbildung.
Markus 9,21 wird in mein Nachtgebet für dich einfließen.
Dagegen kannst du dich nicht wehren. Mein Dank für diese Einsicht gilt Pfarrer Christian Führer.
 
Speaker schrieb:
Mal ein Zwischensatz.

Gerne. Aber dann müssen wir uns auch die Finger verbrennen und die jüdische Geschichte anpacken: Dort haben wir die Wurzel der "Ein-Volk-ein-Gott"-Ideologie in Reinform.
 
Pope schrieb:
Gerne. Aber dann müssen wir uns auch die Finger verbrennen und die jüdische Geschichte anpacken: Dort haben wir die Wurzel der "Ein-Volk-ein-Gott"-Ideologie in Reinform.

Ich bin seit jeher der Meinung, daß eine objektive Sichtweise solcher Themen, die jüdische Seite beinhalten muß und so etwas nicht Tabu sein kann!!
Und ich hasse "political correctness" :motz:! Objektivität is nur ohne Tabus möglich.
Doch das geht jetzt zu weit von Deiner anfänglichen Fragestellung weg.
Wollte nur darstellen, daß diese Sachverhalte nicht nur christlich, papistisch o. ä. ist, Pope ! :scheinheilig: :pfeif:
 
Pope schrieb:
Gerne. Aber dann müssen wir uns auch die Finger verbrennen und die jüdische Geschichte anpacken: Dort haben wir die Wurzel der "Ein-Volk-ein-Gott"-Ideologie in Reinform.

Wie Speaker schon sagte, ist das Judentum bzw. die jüdische Geschichte wieder ein anderes Thema.

Abgesehen davon sind Christentum, Judentum, Islam etc. zuallererst einmal Religionen und keine Ideologien - vgl. dazu bspw. http://de.wikipedia.org/wiki/Religion und http://de.wikipedia.org/wiki/Ideologie
Auf der anderen Seite gibt es jedoch Ideologien, welche durchaus religiös motiviert sind.

Aber die Diskussion über Religion und Ideologie wäre wiederum ein anderes Thema...
 
timotheus schrieb:
Wie Speaker schon sagte, ist das Judentum bzw. die jüdische Geschichte wieder ein anderes Thema.

Abgesehen davon sind Christentum, Judentum, Islam etc. zuallererst einmal Religionen und keine Ideologien - vgl. dazu bspw. http://de.wikipedia.org/wiki/Religion und http://de.wikipedia.org/wiki/Ideologie
Auf der anderen Seite gibt es jedoch Ideologien, welche durchaus religiös motiviert sind.

Aber die Diskussion über Religion und Ideologie wäre wiederum ein anderes Thema...

Lassen wir Judentum weg, und reden fortan über das Alte Testament. Dort liegt der Hund begraben.

Und ich definiere Ideologie als Ideenlogik, also wertfrei. Daher ist für mich jedes Glaubens- und Wertesystem ein ideologisches Konstrukt. Religion und Ideologie sind in diesem Sinne als Synonyme zu sehen.
 
Zurück
Oben