Das Heilige Römische Reich - eine verunglückte Staatsbildung?

Dieter

Premiummitglied
Lange Zeit galt das Heilige Römische als bizarres Gebilde: Die Vielzahl selbstständiger Territorien - Herzogtümer, Grafschaften, Reichsstädte, Reichsabteien usw. - machte es für viele Historiker zu einem schwachen politischen Verband, der nicht einmal volle Staatlichkeit erreichte. Im Vergleich zu zentralistischen Staaten wie England oder Frankreich erschien es anachronistisch und wenig wehrhaft.

In neuerer Zeit gibt es Stimmen, die darauf verweisen, dass die föderative Struktur des Reichs die Eigenständiglkeit der Regionen förderte, ihre Teilhabe am politischen Prozess garantierte und ein reicheres kulturelles Leben ermöglichte. Sie machen geltend, dass ein Einheitsstaat nicht das Ziel sein könne, da lokale Mächte ihr Umfeld gezielter fördern könnten, als eine ferne Zentrale.

Soll man nun die politische Struktur des Heiligen Römischen Reichs eher positiv oder negativ bewerten? Wäre ein starkes und zentral regiertes Reich wünschenswert gewesen, oder war das föderative Reichsgebilde doch die bessere Lösung?
 
Sollte die Frage nicht heißen positiv für wen?

Dem König (oder gar Kaiser) wäre ein einheitlicher Staat bestimmt lieber. Während regionale Fürsten mit vielen Splitterstaaten eine bessere Stellung hatten.

Für den Rest der Bevölkerung (rund 97% waren Bauern) ist die Frage schon schwieriger zu beantworten. Dadurch, dass das heilige römische Reich teilweise sehr schwach war, waren die Bauern von plötzlichen aufrufen zu Feldzügen bestimmt weniger betroffen als in Frankreich oder England.
Dem Handel hingegen war die mosaikartige zusammensetzung bestimm nicht zugänglich (Zölle gab es doch bereits?).
Ich kann mir auch vorstellen, der Horizont der Deutschen war kleiner, als der von Franzosen und Briten, da jemand in 10 km Entfernung vielleicht schon in einem anderen "Land" lebte.


Aber einem bin ich mir sicher: Für die anderen Länder ist ein militärisch und politisch schwacher Nachbar doch etwas lieber (da sicherer) als ein starkes Gebilde, von dem jederzeit ein Eroberungszug ausgehen kann.
Außer vielleicht, man braucht einen Verbündeten.
 
Wir betrachten das ganze natürlich jetzt aus der Sicht eines zentralisierten Staates als Idealbild(unsere föderatives Grundgesetz kann man ja nicht mit dem HRR vergleichen) doch bin ich immer noch der Meinung, dass das HRR in seiner grundstruktur einfach anders war.
Das Problem des HRR lag nicht unbedingt in seiner Förderativen Strucktur sondern eher darin, dass es nie eine lange starke Dynastie auf dem Thron gab, denn dann wären auch die föderativen Struckturen geschwunden.
Deswegen sehe ich das Hauptproblem des HRR eher im Wahlkönigtum (später Wahlkaisertum) welches die Macht der Fürsten weiter stärkte.

Was die Postion der Bauern betrifft war es sicher schlechter, schon allein wegen der anhaltenden regelmäßig wiederkehrenden Bürgerkriege.
 
Wulfnoth schrieb:
Das Problem des HRR lag nicht unbedingt in seiner Förderativen Strucktur sondern eher darin, dass es nie eine lange starke Dynastie auf dem Thron gab, denn dann wären auch die föderativen Struckturen geschwunden.
keine langen starken Dynastien?
Habsburger: 1273/1438-1806
Ottonen und Salier; waren verschwägert, keine Schwierigkeiten beim dynastischen Wechsel: 919-1125
Staufer waren auch nicht schwach
und die Luxemburger haben das Kaisertum im Spätmittelalter erneuert und dann die zweite Habsburgerperiode eingeleitet - auch keine schwache Dynastie

längere Dynastien gab es in Frankreich und England auch nicht.


Das Problem nach 1648 war nicht der föderative Charakter, sondern das Fehlen bzw. schlechte Funktionieren der Reichsinstitutionen.
Ein Reichstag ist ja schön und gut aber wenn nur einstimmige Ergebnisse zählen, verändert sich eben nichts.
Man stelle sich einmal heute den Bundestag vor, der für jedes Gesetz einstimmig abstimmen müsste. Da würde noch weniger passieren. :rofl:
 
Zuletzt bearbeitet:
Was viele Jahrhunderte gehalten und funktioniert hat, wird man wohl kaum als "verunglückt" betrachten können.

Da gab es in der Geschichte Mitteleuropas weit "verunglücktere" Staatsbildungen.
 
Sorry ich muss meinen Beitrag wohl noch einmal korrigieren aber nicht mehr Heute dazu bin ich zu Müde. Nur soviel noch.

Staufer waren auch nicht schwach
Haben bei weitem nicht unangefochten geherrscht man bedenke den Konflikt zwischen Otto IV und Phillip von Schwaben nach Heinrichs Tod.

Habsburger: 1273/1438-1806
Den ersten Abschnitt sehe ich pers. nicht als Dynastie an und den zweiten kann man noch länger beschreiben, aber nicht mehr heute Abend. Wesentlich dafür finde ich in jedem Fall, dass in meinen Augen ab 1438 nur noch ein Hausmachterweitern galt und die Habsburger für das Reich nichts (wensentliches, großes) mehr getan haben. (Ja, dass ist hart zu sagen und nun hackt auf mir rum:teach: )
 
Da ich vermute, dass Dieter dieses Thema als Reaktion auf die abschweifende Diskussion um Friedrich II. gestartet hat, bin ich mal so frei und kopiere die meiner Meinung nach zentralen Passagen zum Thema Reich hier herüber:

Herold schrieb:
Dieter schrieb:
Nein, mein lieber Herold! Du wirst nicht ernsthaft behaupten wollen, dass dieses anachronistische Reich mit über 300 Territorien und einer Unmenge selbstständiger Könige, Herzöge, Fürsten, Grafen und Reichsstädte ein erstrebenswerter politischer Verband war. Welch eine Vergeudung von Ressourcen durch die elende Kleinstaaterei, welche Benachteiligung der Wirtschaft durch die Zollgrenzen hunderter von Zaunkönigtümern, welche Verschleuderung von Mitteln durch die aufwändige fürstliche Repräsentation all dieser kleinen Potentaten!

Doch, mein lieber Dieter, ich bin durchaus der Meinung, dass das Reich ein durchaus anerkennungswürdiger politischer Verband war. Nicht die Bündelung aller Macht an der Spitze ist für mich die Krönung staatlicher Entwicklung - das Reich war vielmehr ein vornationaler staatlicher Verband mit starken föderalen Zügen. Es stellte die Rahmenbedingungen her, innerhalb derer unterschiedlichste politische Gebilde in einem fruchtbaren Nebeneinander existieren konnten: Das Reich integrierte fürstliche, kirchliche und bürgerliche Elemente in einem Staatswesen ohne deren eigene Freiheit (wir können in der Sprache der zeitgenössischen Staatsrechtler gerne Libertät sagen) großartig zu beschneiden. Das Reich kannte regionale Institutionen (etwa Reichskreise) zur Lösung politischer Probleme durch die regionalen Mächte und stärkte somit politisches Bewusstsein und Handlungsfähigkeit am unteren Ende der politischen Skala - heute nennt man das Subsidiaritätsprinzip und hält es für erstrebenswert. Das Reich kannte aber auch zentrale Organe (etwa Reichstag, Reichskammergericht) und gewährleistete damit die Handlungsfähigkeit des gesamten Reichsverbandes ohne dabei die Interessen kleinerer Herrschaftsträger zu übergehen; vielmehr waren auch diese in die politische Entscheidungsfindung auf Reichsebene eingebunden und nicht dem Staatswesen als subalterne Befehlsempfänger entfremdet. Dem Reich gelang (wenn auch nach blutigen Erfahrungen) die Integrationen aller drei großen Konfessionen in den Reichsverbund mittels eines umfassenden religiösen Toleranzprinzips. Das Reich hatte nicht nur einen großen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Gravitationskern, es hatte zudem zahlreiche mittlere und kleine Höfe, deren konkurrierendes Nebeneinander immer wieder politisch wie kulturell fruchtbar wirkte und deren Ausstrahlungskraft wir noch heute an vielerlei Dingen (etwa Universitäten oder Theater) erahnen können. Das Reich unterstützte halt die Vielfalt in der Einheit und setzte nicht auf ein absolutistisches Staatsverständnis (konnte es auch gar nicht).

Aber solche Leistungen wie die politische Integration verschiedenster regionaler Herrschaftsträger oder auch die Konfliktlösung durch regionale Vernetzung gehen natürlich leicht hinter lauter Polemik von "elender Kleinstaaterei", "Zaunkönigtümern", "unregierbarem Reich" und "Anachronismus" unter.


Herold schrieb:
Dieter schrieb:
Trotz deiner verbalen Künste kannst du mich nicht davon überzeugen, dass ein in unzählige Länder zersplitterter Staat vorteilhafter und effektiver ist, als ein Einheitsstaat oder einer, der lediglich aus wenigen Regionen besteht. Das gilt für die Neuzeit ebenso wie für das Mittelalter. Stell dir doch einmal vor, die Bundesrepublik bestünde aus etwa 100 Territorien (das Heilige Römische Reich hatte sogar nahezu 300 !!): 100 Ministerpräsidenten, 100 Landtage bzw. Parlamente, vor allem eine hundertfach aufgeblähte Bürokratie - kaum auszudenken, was solch ein staatliches Unikum an Geldern verschlingt, wie ineffizient es arbeitet und welchen Schaden eine Wirtschaft erleidet, die hundert Zollgrenzen überwinden muss!

Vielleicht gehst du einfach von (meiner Meinung nach) falschen Voraussetzungen aus: Für dich scheint sich staatliche Effektivität primär daraus zu ergeben, dass oben einer sitzt, der das Sagen hat, und der ganze Rest bitteschön nicht zu widersprechen hat - damit wäre ja die Effizienz des ganzen Staatswesens dahin. Du übersiehst dabei aber, dass Mitsprache, Machtbeteiligung und Repräsentativität elementare Elemente für die Funktionsfähigkeit eines Staates sind, heute wie zu jedem Zeitpunkt in der Geschichte auch. Ich wiederhole gerne noch einmal die oben genannten Begriffe Subsidiarität und Integration; Regionen und regionale Herrschaftsträger können gewisse Fragen einfach besser lösen als eine entfernte Zentralregierung (in Mittelalter sind sie häufig die einzigen, die manche Probleme überhaupt lösen können), und ihre Vertretung und Einbindung in den Gesamtstaat stärkt eher dessen Strukturen als dass sie sie schwächt. Das Mittelalter kennt die Frage von reichsfernen und reichsnahen Regionen, interessanterweise waren die reichsnahen Regionen durchaus die Gegenden, in denen starke Fürstengewalten vorherrschten - und das ist kein Zufall. Oder schauen wir uns die Zeit nach Friedrichs II. Tod an: Es bilden sich in einem langsamen Prozess die Kurfürsten heraus und übernehmen zentrale Funktionen für Bestand und Handlungsfähigkeit des Reiches - ein weiteres Beispiel dafür, wie starke Fürstenmacht und Funktionieren des Reiches miteinander einher geht.

Letztendlich ist die Summe der in einem Staat versammelten politischen Körperschaften egal, gleich ob es 16 Bundesländer, 100 oder 300 Reichsterritorien sind (ganz abgesehen davon, dass man auf eine Zahl von 300 nur durch Addition aller reichsunmittelbaren Herrschaften kommt, die aber keinesfalls alle Sitz und Stimme auf dem Reichstag hatten): es kommt allein auf die Organisation dieser Körperschaften an, darauf, wie ihre Zusammenarbeit gestaltet ist - und genau an diesem Punkt ist folgende Aussage schlichtweg vollkommen falsch:
Dieter schrieb:
Die regionalen Instutionen des Reichs waren übrigens machtlos bzw. ständig blockiert. Als der alte Maximilian das ändern wolllte, hat er ganz schön auf Granit gebissen. Reichstag und Reichsgericht waren zu effizienter Arbeit unfähig und lediglich die Reichskreise eigneten sich in bescheidenem Maße als Regierungsinstrument.

Weder Reichstag noch Reichsgerichte oder Reichskreise waren machtlos und auch nicht ständig blockiert. In der Tat haben sie funktioniert, sicherlich an einigen Stellen verbesserungsbedürftig und durchaus weit von den Maßstäben entfernt, die wir heute an moderne staatliche Institutionen stellen dürfen. All diese Einrichtungen haben aber tatsächlich die politische Funktionsfähigkeit des Reiches aufrecht erhalten, eine tragfähige Balance zwischen den teilweise grotesken Machtunterschieden der Reichsstände geschaffen und der Politik von Reich wie von Territorien einen notwendigen Rahmen gegeben. Und, btw, gerade die Verdienste Maximilians um eine Reichsreform waren alles andere als ein ergebnisloses "Auf-Granit-Beissen", sie waren es nämlich, die wichtige "verfassungs"mäßige Grundlagen für die nächsten dreihundert Jahre des Reiches legten (ergänzt übrigens 1555 und 1648, weiteren Daten, die eine Art Reformunfähigkeit des Reiches widerlegen).
 
Andronikos schrieb:
Das Problem nach 1648 war nicht der föderative Charakter, sondern das Fehlen bzw. schlechte Funktionieren der Reichsinstitutionen.

Ähem, an was denkst du bei dieser Aussage? Fehlen von Reichsinstitutionen? Neben dem Kaiser inklusive Hausmacht und zugehöriger Klientel im Reich, dem Reichstag als zentralem Organ zur Vertretung der Reichsstände, Reichskammergericht und Reichshofrat als obersten Justizbehörden, Reichskreisen als regionalen Institutionen zur Bewältigung geographisch begrenzter Probleme (insbesondere im militärischen wie ökonomischen Bereich) sowie den kurfürstlichen, fürstlichen und städtischen Bünden, konfessionellen Organisationsformen wie dem Corpus Catholicorum und dem Corpus Evagelicorum oder auch der Reichskirche allgemein sowie einer großen Zahl nachgeordneter Behördenorganisationen, die im Namen des Reiches tätig waren - wo fehlte da etwas, was das Reich denn so unbedingt gehabt haben müsste?

Schlechtes Funktionieren der Reichsinstitutionen? Was hat denn schlecht funktioniert? Der Reichstag, der gerade nach 1648 seine institutionelle Verdichtung und Verfestigung erfahren hat und zu einem dauerhaft tagenden Gesandten"parlament" wurde? Oder der frühere, noch nicht so verfestigte Reichstag, der etwa solche wichtigen Gesetze wie den Augsburger Religionsfrieden aufgerichtet hat? Die Reichskreise, die das spätmittelalterliche Fehdewesen erfolgreich beenden konnten? Oder die Reichstürkenhilfen, mit denen die Abwehr der Osmanen durch die Habsburger maßgeblich finanziert wurde? Sollen wir über die Reichsritter und ihre Bedeutung für kaiserliche wie territoriale Verwaltung reden? Oder über solche Gesetzeswerke wie Reichsmünz- oder Reichshandwerksordnungen oder über die Reichskriegsverfassung? Ein generell schlechtes Funktionieren der Reichsinstitutionen kann man jedenfalls nicht so per se konstatieren!


Andronikos schrieb:
Ein Reichstag ist ja schön und gut aber wenn nur einstimmige Ergebnisse zählen, verändert sich eben nichts.

Da hast du Recht, glücklicherweise funktionierte der "deutsche" Reichstag nicht nach diesem Prinzip - ganz im Gegensatz übrigens zum polnischen Reichstag, auf dem mit dem liberum veto tatsächlich ein einziger, noch so unbedeutender Adeliger komplett alles blockieren konnte - mit entsprechenden katastrophalen Folgen. Einstimmigkeit oder Mehrheitsprinzip sind jedenfalls Aspekte, die nicht ohne weiteres auf die vormodernen Reichstage angewandt werden können.


Wulfnoth schrieb:
Was die Postion der Bauern betrifft war es sicher schlechter, schon allein wegen der anhaltenden regelmäßig wiederkehrenden Bürgerkriege.

Von was für Bürgerkriegen ist jetzt bitteschön die Rede? Anhaltend? Und regelmäßig? Kein Staat der Vormoderne hat ein solches Gewaltmonopol innegehabt, dass Binnenkonflikte zu vermeiden gewesen wären - das trifft auf alle europäischen Staaten zu, auf das Reich genauso wie auf Frankreich, England, Spanien oder die Niederlande. Das Reich konnte genauso viel oder genau so wenig den inneren Frieden wahren, wie andere zeitgenössische Staaten auch.


Wulfnoth schrieb:
Wesentlich dafür finde ich in jedem Fall, dass in meinen Augen ab 1438 nur noch ein Hausmachterweitern galt und die Habsburger für das Reich nichts (wensentliches, großes) mehr getan haben.

Entschuldigung, aber das ist ziemlicher Blödsinn. Die Habsburger haben neben ihrer (selbstverständlich vorhandenen) Hausmachtpolitik immer auch Reichspolitik betrieben, mal mehr, mal weniger erfolgreich. Der Kaisertitel war ohne eine Einbeziehung dieses ganzen komplexen Staatswesens, den das Reich darstellte, auch gar nicht denkbar. Die ganze Debatte um die Reichsreform im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert wurde maßgeblich von Maximilian I. befördert. In Reformation und konfessionellem Zeitalter ging es den habsburgischen Kaisern, allen voran sicherlich Karl V. und auch Ferdinand II., um die umfassende Geltung der alten katholischen Religion, von Hausmachtdenken ist in diesem Kontext eher wenig zu spüren. Und auch im 18. Jahrhundert ist nichts von einem Rückzug kaiserlicher Politik zu spüren.
 
Von was für Bürgerkriegen ist jetzt bitteschön die Rede? Anhaltend? Und regelmäßig? Kein Staat der Vormoderne hat ein solches Gewaltmonopol innegehabt, dass Binnenkonflikte zu vermeiden gewesen wären - das trifft auf alle europäischen Staaten zu, auf das Reich genauso wie auf Frankreich, England, Spanien oder die Niederlande. Das Reich konnte genauso viel oder genau so wenig den inneren Frieden wahren, wie andere zeitgenössische Staaten auch.
Natürlich hast du recht mit der Behauptung kein Staat in der Ueit konnte von sich behaupten von inneren Konflikten frei zu sein. Schon garnicht Frankreich, welches ja oben als Paradebeispiel aufgeführt wurde.
Ich habe in meiner schlurigkeit im letzten Beitrag einfach zuviel in einen Topf geschmissen.
Ein Paradebeispiel für anhaltenden Bürgerkrieg im HRR ist meiner Meinung nach die Zeit der Staufer. Friedrich I Barbarossa führte fast seine ganze Herrschaft einen mehr oder weniger offenen Konflikt mit Heinrich dem Löwen. Dann folgte der Krieg zwischen Philipp von Schwaben und Otto IV und dann kam auch noch Friedrich II. dazu.
Ein weiteres gutes Beispiel sind die nicht selten vorkommenden Doppelwahlen von Königen.

Entschuldigung, aber das ist ziemlicher Blödsinn. Die Habsburger haben neben ihrer (selbstverständlich vorhandenen) Hausmachtpolitik immer auch Reichspolitik betrieben, mal mehr, mal weniger erfolgreich. Der Kaisertitel war ohne eine Einbeziehung dieses ganzen komplexen Staatswesens, den das Reich darstellte, auch gar nicht denkbar. Die ganze Debatte um die Reichsreform im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert wurde maßgeblich von Maximilian I. befördert. In Reformation und konfessionellem Zeitalter ging es den habsburgischen Kaisern, allen voran sicherlich Karl V. und auch Ferdinand II., um die umfassende Geltung der alten katholischen Religion, von Hausmachtdenken ist in diesem Kontext eher wenig zu spüren. Und auch im 18. Jahrhundert ist nichts von einem Rückzug kaiserlicher Politik zu spüren.
Da ich nicht besonders Habsburgerfreundlich bin und in den Sachen auch ziemlich voreingenommen werde ich mich aus diesem Teil der Diskussion verabschieden, da meine Beitrage vermutlich demotivierend wären und somit Regelverstöße folgen würden.
Nur soviel noch. Die Habsburger haben durchaus Gebietsgewinne, sowohl unter Maximial wie auch unter Karl V zu verzeichnen, aber sie haben diese Gebietsgewinne niemals versucht dem Reich einzugliedern. Deswegen bin ich nach wie vor der Meinung, dass die Kaiserkrone für sie nur noch zur Absicherung ihrer Hausmacht da war und nicht umgekehrt.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Wulfnoth schrieb:
Natürlich hast du recht mit der Behauptung kein Staat in der Ueit konnte von sich behaupten von inneren Konflikten frei zu sein. Schon garnicht Frankreich, welches ja oben als Paradebeispiel aufgeführt wurde.
Ich habe in meiner schlurigkeit im letzten Beitrag einfach zuviel in einen Topf geschmissen.
Ein Paradebeispiel für anhaltenden Bürgerkrieg im HRR ist meiner Meinung nach die Zeit der Staufer. Friedrich I Barbarossa führte fast seine ganze Herrschaft einen mehr oder weniger offenen Konflikt mit Heinrich dem Löwen. Dann folgte der Krieg zwischen Philipp von Schwaben und Otto IV und dann kam auch noch Friedrich II. dazu.
Ein weiteres gutes Beispiel sind die nicht selten vorkommenden Doppelwahlen von Königen.


Da ich nicht besonders Habsburgerfreundlich bin und in den Sachen auch ziemlich voreingenommen werde ich mich aus diesem Teil der Diskussion verabschieden, da meine Beitrage vermutlich demotivierend wären und somit Regelverstöße folgen würden.
Nur soviel noch. Die Habsburger haben durchaus Gebietsgewinne, sowohl unter Maximial wie auch unter Karl V zu verzeichnen, aber sie haben diese Gebietsgewinne niemals versucht dem Reich einzugliedern. Deswegen bin ich nach wie vor der Meinung, dass die Kaiserkrone für sie nur noch zur Absicherung ihrer Hausmacht da war und nicht umgekehrt.


Mein lieber Wulfnoth, warum so ängstlich?

Wenn du Probleme mit den Habsburgern hast, und deine Kritik sachlich fundiert darstellen kannst, ist das doch kein Problem? An welchen "Regelverstoß" denkst du im Übrigen? Ein kritischer Ansatz gehört nicht in die Rubrik "demotivierend", sonst müssten wir ja alle stets Friede, Freude, Eierkuchen von uns geben.

Also: Bring deine Meinung bitte mal auf den Punkt; ich bin sehr daran interessiert!
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Eigentlich geht es ja doch eher um eine Gesamtbestandsaufnahme des Heiligen Römischen Reichs, um eine Bewertung seiner Strukturen und deren Folgen für die Bevölkerung, als um ein "Abarbeiten" einzelner Punkte.

In diesem Sinn ist der Vertrag von Versailles weniger wichtig, da das HRR überhaupt erst auf dem Fundament des Ostfränkischen Reichs entstand. Die Ausgangsbasis In West- und Ostfranken war also ziemlich gleich, doch haben die französischen Könige etwas ganz anderes daraus gemacht, als die deutschen Herrscher. Erst hier setzt eigentlich die Bewertung ein, wobei sicherlich ganz unterschiedliche Aspekte zu beleuchten sind.
 
Dieter schrieb:
Eigentlich geht es ja doch eher um eine Gesamtbestandsaufnahme des Heiligen Römischen Reichs, um eine Bewertung seiner Strukturen und deren Folgen für die Bevölkerung, als um ein "Abarbeiten" einzelner Punkte.

Sehe ich nicht ganz so, denn die angesprochene "Bestandsaufnahme" in Bewertung seiner Strukturen und deren Folgen muß man schon im jeweiligen Zeitkontext betrachten - vor allem auch, was ihren Wandel betrifft. Als Beispiele nenne ich mal bloß den Kurfürstenstand oder die Reichsritterschaft.

Dieter schrieb:
In diesem Sinn ist der Vertrag von Versailles weniger wichtig, da das HRR überhaupt erst auf dem Fundament des Ostfränkischen Reichs entstand. Die Ausgangsbasis In West- und Ostfranken war also ziemlich gleich, doch haben die französischen Könige etwas ganz anderes daraus gemacht, als die deutschen Herrscher. Erst hier setzt eigentlich die Bewertung ein, wobei sicherlich ganz unterschiedliche Aspekte zu beleuchten sind.

Ich gebe Dir recht, daß der Vertrag von Versailles für die Betrachtung irrelevant ist, aber ich sprach bzw. schrieb ja auch von Vertrag von Verdun. Außerdem muß der Vertrag von Verdun schon betrachtet werden, denn gewisse Grundlagen wurden bereits im Karolingerreich gelegt, und sowohl in diesem wie auch nach dem Vertrag von Verdun war die Ausgangsbasis im Westfränkischen ud Ostfränkischen Reich eben nicht gleich.
Und um beispielsweise unterschiedliche Aspekte bei der Entwicklung vom Ostfränkischen Reich zu König Heinrich I. - die meines Erachtens nach nicht nur zu beleuchten sind, sondern grundlegend waren - zu diskutieren, braucht man zumindest die Voraussetzungen aus der Karolingerzeit dazu.

Außerdem hatte ich bereits geschrieben, daß ich dies als Anregung verstanden wissen wollte und sich ja keiner daran halten braucht. Und ich denke, wenn sich alle soweit einig sind (ob nun ja oder nein), dann sollte es mit dem eigentlichen Thema doch weitergehen können, oder?

in diesem Sinne

Timo
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Zunächst besten Dank, Timo, dass du auf dem "Versailler Vertrag" nicht weiter herumgeritten bist - eine großmütige Geste!

Die Ausgangslage ist meines Erachtens klar: War die ungeheure Zersplitterung im Heiligen Römischen Reich nun eine positive Entwicklung, oder wäre eine zentralistische Lösung wie in Frankreich oder England besser gewesen? Hierbei wäre wohl noch zu differenzieren nach positiven Auswirkungen auf Bevölkerung und Kultur oder die Machtstruktur auch im Rahmen der Außenpolitik. Diese Elemente müssen ja nicht deckungsgleich sein.

Beim Regierungsantritt Heinrichs I. gab es in Ostfranken/Deutschland vier recht mächtige Stammesherzogtümer, nämlich Sachsen, Bayern, Franken und Schwaben. Hinzu kam das fragilere Herzogtum Lothringen, dass mehr Verwaltungseinheit als Stammesherzogtum war, und relativ rasch zerfiel.

In Frankreich gab es beim Regierungsantritt der Kapetinger eine für den franzöischen König weit ungünstigere innenpolitische Konstellation als für den deutschen König. Während z.B. die Ottonen über ihr mächtiges Stammesherzogtum Sachsen verfügten, erstreckte sich die unmittelbare Regierungsgewalt der Kapetinger nur über die kleine Krondomäne im Umfang etwa der Isle de France. Ihnen standen weitaus mächtigere Vasallen gegenüber wie z.B. die Herzöge der Bretagne, Normandie, von Aquitanien usw. Dennoch gelang es den französischen Königen in mühevoller, jahrhundertelanger Kleinarbeit, die Großen des Landes zurückzudrängen, indem sie sie beerbten, herabdrückten oder unterwarfen. So gab es schließlich am Ende des Hundertjährigen Krieges ein zentralistisches Frankreich, das zu etwa Dreivierteln aus Krongut bestand.

Im HRR dagegen gaben die deutschen Könige und Kaiser Stück für Stück ihre Machtbefugnisse und Regalien auf. Es gelang ihnen nicht, die Zersplitterung des Reichs in unzählige nahezu selbstständige Territorien zu verhindern, die das HRR schließlich zu einem ohnmächtigen und machtlosen Gebilde machten.

Hier könnte man einwenden, dass diese Zersplitterung für die Bevölkerung ihr Gutes hatte, da die Dezentralisierung für die Regionen förderlicher war, weil die Landesherren vor Ort sich besser um alle Belange kümmern konnten.

Nach meiner Meinung war die Zersplitterung freillich nachteilig, denn die Landesherren schöpften die begrenzten Ressourcen ihrer zum Teil winzigen Länder so bedenkenlos aus, dass schließlich in wirtschaftlicher Hinsicht für die Bevölkerung wenig oder nichts übrig blieb, anders als z.B. in England oder Frankreich. Auch der Handel und überhaupt alle wirtschaftlichen Verknüpfungen litten zwangsweise unter dieser unglaublichen Fülle von Zollgrenzen. Noch um 1830 - zur Zeit des Deutschen Bundes - beklagten Liberale wie Friedrich List die elende Kleinstaaterei mit ihren eigenen Schlagbäumen, Zollhäusern, den eigenen Währungen und Maßeinheiten. Mit Neid sahen die Verfechter eines deutschen Natinalstaates damals auf die westeuropäischen Staaten und wünschten sich ein weniger zersplittertes Deutschland.

Es stellt sich für mich die Frage, welche politischen Initiativen die deutschen Könige und Kaiser versäumten, um ihre Regierungsgewalt gegenüber den Kronvasallen durchzusetzen
 
Dieter schrieb:
Während z.B. die Ottonen über ihr mächtiges Stammesherzogtum Sachsen verfügten
... sah es z. B. für Konrad von Staufen oder z. B. Rudolf von Habsburg so aus, daß sie wieder fast bei Null anfangen mußten. Die Staufer und Habsburger arbeiteten natürlich genauso zielstrebig an der Ausweitung ihrer Hausmacht wie die Kapetinger. Politik war Familienpolitik, war Hausmachtspolitik.



Dieter schrieb:
Im HRR dagegen gaben die deutschen Könige und Kaiser Stück für Stück ihre Machtbefugnisse und Regalien auf.
Realistischer gesehen, stand im Mittelalter (fast) jeder neue Monarch vor dem Problem, die oft nicht einmal auf dem Papier vorhandenen "Befugnisse" überhaupt erst einmal in der Praxis realisierbar zu machen.



Dieter schrieb:
die das HRR schließlich zu einem ohnmächtigen und machtlosen Gebilde machten.
Das Heilige Römische Reich war auch im Mittelalter kein mächtiges "Gebilde", sondern eine Idee. Mächtig waren die jeweiligen Herrscherhäuser. Das Reich als Institution war in der Neuzeit ganz sicher eine weit stabilere Institution als im Mittelalter.



Dieter schrieb:
Nach meiner Meinung war die Zersplitterung freillich nachteilig, denn die Landesherren schöpften die begrenzten Ressourcen ihrer zum Teil winzigen Länder so bedenkenlos aus, dass schließlich in wirtschaftlicher Hinsicht für die Bevölkerung wenig oder nichts übrig blieb, anders als z.B. in England oder Frankreich.
Daher revoltierte ja 1789 auch die ausgepreßte deutsche Bevölkerung gegen ihre Landesherren, während die Franzosen völlig zufrieden mit ihrer gutfunktionierenden Zentralregierung waren.




Dieter schrieb:
Noch um 1830 - zur Zeit des Deutschen Bundes - beklagten Liberale wie Friedrich List die elende Kleinstaaterei mit ihren eigenen Schlagbäumen, Zollhäusern, den eigenen Währungen und Maßeinheiten. Mit Neid sahen die Verfechter eines deutschen Natinalstaates damals auf die westeuropäischen Staaten und wünschten sich ein weniger zersplittertes Deutschland.
... womit wir mal wieder im 19. Jahrhundert (und dessen Sicht) angekommen wären.
 
Die Eingangsfrage beantwortet sich bereits selbst - das HRR war eine höchst geglückte Staatsbildung, schliesslich bestand es fast ein Jahrtausend inmitten des höchst umtobten Europas.
Aber: man kann keine Gesamtbetrachtung der Reichsgeschichte in einem Thread machen - das hieße Äpfel und Birnen mischen. Ich möchte daher nur einige Anregungen geben die mir bis dato etwas zu kurz gekommen sind:

Aus einer ex-post-Betrachtung ist es vollständig klar dass die Art und Weise der kapetingischen Politik zum zentralisierten, französischen Einheitsstaatvon heute führt (wie auch oben mehrmals angeführt).
Betrachtet man einige Etappen der fanzösischen Geschichte so kommt man zu einem absolut konträren Ergebnis. Der 100-jährige Krieg brachte Frankreich nicht nur einmal, sondern mehrmals an den Rande des Untergangs. (Kronvasallen wie die burgundischen Herzöge errichten Territorialfürstentümer mit größerer Macht als der König um nur ein Beispiel zu nennen).
Die Religionskriege im 16. Jhdt. zerreissen das Land genauso - erst Richelieu gelingt es den Zentralsismus und Einheit durchzusetzten.
Der Aufstand der Fronde hätte genausogut anders enden können - denn erst danach (also NACH 1653) haben wir endgültig einen französichen Zentralstaat - davor gibts ein Auf und Ab zwischen zentraler Königsmacht und ständischer Dominanz - also aus Sicht des Jahres 1380 war es keineswegs klar dass Frankreich ein Einheitsstaat wird und das HRR nicht......

Denn auch die Reichsgeschichte ist nix anderes als ein Wechsel zwischen Erstarken und Erschlaffen der Reichsinstitutionen.
Was wäre wenn -Argumente sind in der Geschichte nicht zulässig. Aber haben 1629 die kaiserlichen Truppen nicht die Hegemonie im Reich wieder hergestellt? Nun ein geschickter Friedensschluss und ein Verzicht aufs Restitutionsedikt - voila, ein zentraler Einheitsstaat unter habsburgischer Leitung.
Das ist natürlich reine Spekulation, aber schaut man zu dieser Zeit ins benachbarte Frankreich - da passiert das gleiche! (Nur war Richelieu ungleich gschickter als der Habsburger und all seine Berater)

Die "Reichsrenaissance" der Zeit von 1660 bis 1740 wurde überhaupt noch nicht erwähnt - (mach ich jetzt aber auch nicht mehr weil ich los muss)
 
Bei den Burgunderherzögen muss man aber bedenken, dass diese Valois-Prinzen aus dem Königshaus waren. Durch ihre frz. Lehen waren sie an die Krone und ihre Familie gebunden. Theoretisch hätte man ihnen ihre Lehen - da es eigentlich Teile der Krondomäne waren - einfach wegnehemen können. Gefährlich wurde dies aber durch die exterritorialen Besitzungen der Burgunder im Reich; ganz besonders die reichen Niederlanden. Dadurch konnten sie einen gesteigerten Machanspruch anmelden, der aber den Schönheitfehler der Exterritorialität hatte. Mit dem Tod Karl des Kühnen fiel auch automatisch sämtlicher frz. Besitz wieder an die Krone zurück und wurde nicht den Habsburgern vererbt.

Bei den Religionskriegen und der Fronde bin ich mir auch recht sicher, dass diese nicht zu einer föderalen Zersplitterung Frankreichs geführt hätten. Beide Konflikte waren Auseinandersetzungen bei denen es um Einfluß und Beteiligung in der Regierung ging, nicht aber um territoriale Autonomie. Selbst das Edikt von Nantes gewährte den Protestanten nur Sicherheitsplätze und keine souveränen Provinzen. Schon diese starken - fast autonomen - Städte empfand die Krone als unerträglich. Was Louis XIII. und Richelieu dann auch zum Eingreifen anspornte und im erneuten Hugenottenkrieg die Beseitung aller Sonderrechte bedeudete.

In Frankreich war die Zentralisierung und nationale Einheit - Schlagwort der Unveräußerlichkeit der Krondomäne - fiel stärker ausgeprägt als im Reich. Die frz. Könige gingen gnadenlos gegen jeden vor, der auch nur den Anschein von Autonomie hatte. Zur Durchsetzung dieser Politik standen den Königen Frankreichs aber ganz andere Machmittel zu Verfügung als dem römisch-deutschen Kaisern. Allein der Zugriff auf große Geldmengen und Truppen war für die Franzosen viel einfacher; wodurch ein dynamischeres und zielgerichtetes Einschreiten besser funktionierte.

Auch darf man nicht vergessen was für eine bedeutende Leistung es war, dass die Wählbarkeit des Königs so schnell wie möglich abgesschafft wurde, um durch eine sehr strikte Auslegung des Salischen Gesetztes ersetzt zu werden. Dadurch war eine dynastische Kontinuität bis 1830 gesichert, ohne dass es zum Konflikt in der Thronfolge kam.
 
Wenn ich die bisherigen Beiträge überfliege, bin ich erstaunt, wie positiv im Grundtenor das föderale Gebilde "Heiliges Römisches Reich" bewertet wird. Die Gründe sind mir jedoch bisher wenig einsichtig, denn allein die Tatsache, dass es sich um ein langlebiges Gebilde inmitten Europas handelte, reicht zu einer positiven Beurteilung nicht aus. Es existieren auch langlebige politische Scheusslichkeiten! Zu Gunsten des HRR wäre anzuführen, dass es die Menschen Jahrhundertelang vor großen Kriegen bewahrte. Aber so ganz trifft das wohl auch nicht zu. Oder sollte die positive Wertung vielleicht in einer etwas romantischen Verklärung wurzeln, die Respekt vor diesem "ehrwürdigen" Reich signalisiert?

Falls man Anhänger einer eher zentralistischen Staatsform ist, erhebt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt es die deutschen Könige versäumten, diesen Weg einzuschlagen. Ein zentralistisches Frankreich war ja auch nicht von Natur her vorgezeichnet, sondern entstand erst durch entsprechende Maßnahmen, die bestimmte kapetingische Könige ergriffen.

Wann standen also deutsche Herrscher an diesem Kreuzweg, ab dem das föderalistische Prinzip nicht mehr aufzuhalten war?
 
Dieter schrieb:
Wann standen also deutsche Herrscher an diesem Kreuzweg, ab dem das föderalistische Prinzip nicht mehr aufzuhalten war?
Eine Chance zur Zentralisierung wurde sicher am Ende des Investiturstreits vergeben: Paschalis bot Heinrich V. vor der im Februar 1111 geplanten Kaiserkrönung an, dem König alle Besitzungen und Herrschaftsrechte der Kirchenfürsten, die nachweislich vom Reich herrührten zurückzugeben, wenn dieser uneingeschränkt und für alle Zeiten auf die Investitur der Reichsbischöfe und - äbte mit Ring und Stab verzichtete.
Die Kirchen sollten sich mit Spenden und den Gütern begnügen, die sie von anderen empfangen haben, damit wäre der Rechtsgrund für die Investitur durch den Inhaber der weltlichen Herrschaft und die Verpflichtung zum Reichsdienst entfallen (Paschalis II. privilegium primae conventionis. In: MGH Constitutiones I, Nr.90).

Wäre dieser Vorschlag realisiert worden, wären Besitz- und Herrschaftsrechte von gewaltigen Ausmaßen an das Reich zurückgefallen und hätten dem König unmittelbar zur Verfügung gestanden. Für Heinrich V. eröffnete sich die Aussicht, durch eine offensive Territorialpolitik die Stellung der Monarchie zu stärken und ein Gegengewicht gegen das Machtstreben der Fürsten zu schaffen.
Bischöfe und Äbte waren von dem päpstlichen Vorschlag schockiert, sie sahen darin nichts anderes als einen großangelegten Kirchenraub, einen Angriff auf die Grundlagen ihres reichsfürstlichen Ranges. Von ihrer wirklichen Macht wäre nicht viel geblieben, wenn sie alle Grafschaften, Reichsvogteien, Reichsburgen und Zentschaften dem König zurückgaben, die Herrschaft über die Bischofsstädte verloren und auf die Einkünfte aus Münz-, Markt- und Zollrecht verzichteten.
Auch die weltlichen Herren waren von dem päpstlichen Vorschlag nicht begeistert: viele von ihnen fürchteten den Verlust der Güter und Rechte, die sie bisher von der Kirche zu Lehen trugen, und sahen das Gespenst der absoluten Monarchie heraufziehen.
Es kam nach Wortgefechten zu blutigen Kämpfen vor der Peterskirche, der Papst wurde auf Befehl des Königs gefangengenommen- an eine Krönung war nicht mehr zu denken und der Vorschlag, die Kirchengüter an das Reich zurückzugeben wurde natürlich auch nicht verwirklicht.
 
Dieter schrieb:
Wenn ich die bisherigen Beiträge überfliege, bin ich erstaunt, wie positiv im Grundtenor das föderale Gebilde "Heiliges Römisches Reich" bewertet wird.

Das liegt wohl an der verunglückten Formulierung der Überschrift. So wie die Frage gestellt ist, beantwortet sie sich von selbst.

Auch der Schlußsatz des Eingangsbeitrags läuft auf eine "Wäre-es-nicht-besser-gewesen-wenn"-Diskussion hinaus. Solche Diskussionen erübrigen sich eigentlich auch.
 
Zurück
Oben