Das Jahrhundert der Massenmörder

Klaus

Aktives Mitglied
Ich frage mich, warum die größten politischen Massenmörder der Geschichte, Mao, Stalin und Hitler, in einem so begrenzten Zeitraum von knapp 50 Jahren des 20. Jahrhunderts ihre Haupt-"Aktivitäten" entfaltet haben.

Warum also nicht 1853 oder 2007, sondern ca. 1927 bis in die 1970er ?

Tatort waren drei verschiedene Länder mit völlig unterschiedlichem geographischen, geschichtlichen, kulturellen philosophischen, ideologischen, ökonomischen oder sonstigen Hintergrund.

Gibt es einen gemeinsamen Faktor, der die Mitte des 20. Jahrhundert kennzeichnet, und der dieses Phänomen erklären könnte ?
 
Die Technik, insbesondere die mediale Technik. Sie hält Bewegungen zusammen und dient als Sprachrohr eines Regierungswillens. Insbesondere beim deutschen Faschismus hat die Technik dann auch noch ihren Platz in der Ausführung des Massenmordes gefunden, der über die Kommunikation hinausgeht.
 
Tatort waren drei verschiedene Länder mit völlig unterschiedlichem geographischen, geschichtlichen, kulturellen philosophischen, ideologischen, ökonomischen oder sonstigen Hintergrund.
Die Länder waren unterschiedlich - aber die drei genannten Politiker bzw. ihre Ideologien sind nicht unabhängig voneinander, sondern kopierten letztlich mit ihren Methoden dasselbe Vorbild (Lenin).

Gibt es einen gemeinsamen Faktor, der die Mitte des 20. Jahrhundert kennzeichnet, und der dieses Phänomen erklären könnte ?
Auch das: Es gab deutlich mehr Menschen und wesentlich bessere Mordtechniken (bzw. einen höheren Organisationsgrad). Daher sind die absoluten Opferzahlen viel höher als früher.

In Prozenten bezüglich der Bevölkerungszahl gerechnet waren die Massaker verschiedener früherer Herrscher aber vergleichbar.
 
Die Länder waren unterschiedlich - aber die drei genannten Politiker bzw. ihre Ideologien sind nicht unabhängig voneinander, sondern kopierten letztlich mit ihren Methoden dasselbe Vorbild (Lenin).
Der Kongokrieg von 1996 bis 2008 soll etwa 5,4 Millionen Todesopfer gefordert haben. Das sind knapp 10% der Bevölkerung!
Während der Regierung Pol Pot (1976 bis 1989) in Kambodscha worden zwischen zwischen 1,4 und 2,2 Millionen Menschen umgebracht.
In Abessinien fielen 1935/36 dem völkermordartigen Vorgehen der Italiener rund 700.000 Äthiopier zum Opfer, auch etwa 10% der Bevölkerung.
Der Koreakrieg 1950 bis 1953 forderte vermutlich fast 3 Milionen Menschenleben.

Und so geht es munter weiter, durch alle Jahrhunderte und alle Regionen der Welt. Ich kann aber keinen direkten Zusammenhang dieser Gräueltaten erkennen, weder politisch noch kulturell.

Gruss Pelzer

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Das Phänomen, das mich interessiert, sind weniger Kriegs- oder Bürgerkriegshandlungen, sondern eher ein politisches Vorgehen durch innere, der eigenen Regierung unterstehenden "Ordnungskräfte". Ich glaube, das ist ein neues Element im 20. Jahrhundert, eine neue Dimension im Vergleich zu militärischen Mördereien.
 
Gibt es einen gemeinsamen Faktor, der die Mitte des 20. Jahrhundert kennzeichnet, und der dieses Phänomen erklären könnte ?

Alle drei verkörperten Gottstatus. Sie wurden als Religionsführer verehrt oder haben sich selbst dazu gemacht.
Wenn neue Religionen sich quasi über Nacht (also kurzer Zeitraum von fünf bis zwanzig Jahren) in der Geschichte der Menschheit etablieren wollten wurde immer Angst, Schrecken und Tod verbreitet.
Tötungstechnologie und Bevölkerungszahl spielten zudem auch eine Rolle.
 
Es mag zwar sein, dass sie quasireligiöse Elemente aufgegriffen haben, aber zumindest Stalin und Mao haben die Religion abgelehnt; Hitler, obwohl zeitlebens Katholik, war ein Feind des Christentums, welches er allerdings auch bewunderte. Bei ihm kann man von einer Pseudoreligion sprechen und zwar in dem Maße, wie er die Vorsehung für sich beansprucht. Desweiteren sind Gebete an Hitler überliefert, was einigermaßen skurril ist und sicherlich nicht der eigentliche Anspruch des obersten Nationalsozailisten war.
 
Es mag zwar sein, dass sie quasireligiöse Elemente aufgegriffen haben, aber zumindest Stalin und Mao haben die Religion abgelehnt;

Gebete - wie wir sie verstehen - müssen nicht Merkmal einer Religion sein. Die vorgeschriebenen 1. Mai-Losungen und die ständig wiederkehrenden Phrasen in den Medien waren alles sozialistische Gebete. Die sozialistische Religion zeichnete sich dadurch aus, dass das Merkmal des persönlichen Gebetes durch zentralistische Gebete ersetzt wurden. Schliesslich wurde dem Bürger das Denken und selbstständige Handeln abgenommen. So auch die Artikulierung des sozialistischen Gebetes.
Dem obersten Gott (1. Vorsitzende der Staatspartei) und den nachfolgenden Göttern (Staatspartei-Führung) wurden ständig in Wort und Bild gehuldigt, wie unfehlbar und wie einzigartig sie seien.
 
Die Länder waren unterschiedlich - aber die drei genannten Politiker bzw. ihre Ideologien sind nicht unabhängig voneinander, sondern kopierten letztlich mit ihren Methoden dasselbe Vorbild (Lenin).
Hmmm
Mao und Stalin knüpften ohne Frage an Lenin an, aber Vorbild in Bezug auf Massaker? Hat Lenin da soviele Beispiele geliefert?
Und das Hitler bewusst Lenin kopiert hat, wage ich auch zu bezweifeln.
Auffällig ist, dass wir es in allen Fällen mit EReignissen nach großen Brüchen (Ende der Monarchie) zu tun haben, die in einigen Ländern ruhiger und langsamer verliefen, in China, Deutschland und Russland/SU aber sehr plötzlich geschahen, sodass sich die politischen Kräfte einem viel größeren Rechtfertigungsdruck gegenübersahen und ihre Legitimität nicht durch langsame Gewöhnung sondern Gewalt und intensive Propaganda durchsetzten.
 
gemeinsamer Faktor:

das Ende des Gottesgnadentums der Monarchien und der damit verbundenen "Ergebenheit/Lethargie/Glæubigkeit/Gleichgueltigkeit" (mir fallen keine bessere Begriffe ein) der Bevølkerung.
Der Mensch des 16./17./18. Jahrhunderts sah die Machtstrukturen und die Obrigkeit (zumeist) eben als - im wahrsten Sinne des Wortes - Gottgegeben an, der Mensch des 20.Jahrhunderts nicht mehr.
Die Demokratie war ja in vielen Staaten neu, und noch nicht so gefestigt und wehrhaft wie in der heutigen Zeit.
Alle die o.g. Diktatoren haben sich ihre Macht erkæmpft, und mussten damit rechnen, genauso wieder abgeløst zu werden. Deshalb war deren Konsequenz, potentielle und echte Gegner zu ermorden.
Bei Hitler kam ein grausamer Aspekt hinzu, der Vølkermord an den Juden - der ja erstmal nichts mit "Machterhaltung" zu tun hat.

Gruss, muheijo
 
Hmmm
Mao und Stalin knüpften ohne Frage an Lenin an, aber Vorbild in Bezug auf Massaker? Hat Lenin da soviele Beispiele geliefert?
Na ja, vom roten Terror des Bürgerkriegs bis zum Kronstädter Matrosenaufstand finden sich da schon genug Beispiele.
Es war bei Lenin wohl von Anfang an Prinzip, die Ideologie mit aller Härter durchzusetzen, da gab es keinerlei Menschenrechtsüberlegungen.

Und dieser totalitäre und brutale Machtanspruch ist von den Nazis durchaus übernommen worden, trotz ideologischer Unterschiede in anderen Bereichen.
 
Übernommen oder selbstständig entwickelt? die Wurzeln würde ich eher im italienischen Faschismus suchen. Gibt es Hinweise auf Lenin als Vorbild für Mussolini?
 
Es war bei Lenin wohl von Anfang an Prinzip, die Ideologie mit aller Härter durchzusetzen, da gab es keinerlei Menschenrechtsüberlegungen.

Es ging um die Verteidigung der Macht. Alles andere ordnete sich unter und die Ideologie wurde damals im Halbjahrestakt zu Gunsten der Machterhaltung ständig geändert.
Irgendwie verständlich, wenn man Macht um jeden Preis will.
 
Die Grundidee der Staaten ist irgendwie endzeitlich. Das eigene Staatswesen wird als Erfüllung der Geschichte begriffen.
Diese mehr oder weniger teleologische Sicht auf den eigenen Staat begründet einen radikalen Determinismus: Der Zweck heiligt jegliche Mittel.
Durch den Weg der Gewalt soll eben das Endziel erreicht. Bei Stalin und Mao ist das die Weltrevolution. Für Hitler ein endzeitlicher Rassenkampf zwischen Ariern und Juden, an dessen Ende eben der Endsieg oder der Untergang steht.
Gemein ist ihnen auch, eine klare Trennung von Freund und Feind. Für sie gibt nur diese beiden Extreme. Die einen sind eben für die Mission der einen Partei und des einen Staates, die anderen dagegen. Wenn Lenin etwas erfunden hat, dann die Idee einer Kaderpartei. Die Propaganda verspricht ein harmonischen Miteinander des ganzen Volkes.
Der totalitäre Staat ist total, umfasst die ganze Gesellschaft. Alle anderen gelten als Volksfeinde. Grundlage hierfür ist eine Verschwörungstheorie. Hitler spricht von einem "internationalen Finanzjudentum" oder einer internationalen, bolschewistischen Verschwörung. Stalin hingegen ist auf der Jagd nach faschistischen Agenten und Trotzkisten.
Ein Problem ist die Eigendynamik des Systems. Staat und Partei gelten als unfehlbar. Alle die Greueltäten gelten als notwendig für das angestrebte Endziel. Ein Ausstieg ist für die Täter im Grunde nicht mehr möglich, denn er bedeutet, dass all die Untaten umsonst und vergebens waren und sie selbst schuldig werden, da die Geschichte sie nicht mehr frei spricht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Grundidee der Staaten ist irgendwie endzeitlich. Das eigene Staatswesen wird als Erfüllung der Geschichte begriffen.
Diese mehr oder weniger teleologische Sicht auf den eigenen Staat begründet einen radikalen Determinismus: Der Zweck heiligt jegliche Mittel.
Durch den Weg der Gewalt soll eben das Endziel erreicht.
Für den Nationalsozialismus ist Gewalt nicht nur Mittel zum Zweck, sondern auch Selbstzweck und wird positiv bewertet.
 
Die Grundidee der Staaten ist irgendwie endzeitlich.

Zumindest wirr.
Mao Tse Tung, Ausgewählte Werke Band V, Verlag für fremdsprachige Literatur, Peking 1978, S.587-588
Für den Kampf gegen die Feinde haben wir uns im Verlauf einer langen Zeit folgende Auffassung erarbeitet: Strategisch müssen wir alle Feinde geringschätzen, taktisch aber müssen wir sie ernst nehmen. Das heißt, im ganzen genommen müssen wir sie geringschätzen, in jeder konkreten Frage aber müssen wir sie ernst nehmen. Wenn wir die Feinde nicht im ganzen genommen geringschätzen, so werden wir in opportunistische Fehler verfallen. Marx und Engels waren nur zwei Einzelmenschen ...
 
Da das 20. Jh eine Frage für die Menschen aufwarf: "Was kommt nach dem Christentum?"
Die Aufklärung war größtenteils abgeschlossene Sache und Religion hatte zu großen Teilen abgedankt, die Leute brauchten eine neue Richtline an der sie sich festklammern konnten.
Dies spielte Demagogen in die Hände.
Deshalb wird das 20. Jh auch oft als das "Zeitalter der Ideologien" bezeichnet.
Parallel dazu kamen hier die Mittel auf, mit denen sich solche Massenmorde leichter durchführen ließen.

Seit 1991 ist das "Ideologien-Zeitalter" vorbei, deshalb geschah dies nicht 2007.
Aber es gibt durchaus berechtigte Annahmen, dass dies wieder kommen wird, und dass der schlimmste Massenmörder erst noch auftachen wird.
 
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