Das Leben Friedrichs des Großen in Sanssouci

Maciej

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Hallo,


ich stehe gerade am Anfang einer etwas tiefergehenden Recherche für ein Literaturprojekt, das eine Geschichte zur Zeit Friedrichs des Großen erzählt. Da ich mich von der Literatur zu dieser Zeit etwas erschlagen fühle – allein die Zahl der Bücher über Friedrich II. selbst ist enorm – wollte ich mal hier fragen, um die Literaturliste näher einzugrenzen. Genauer suche ich Informationen über Friedrich II. in Sanssouci und dessen Umfeld. Dabei interessiert mich eher die private Seite des Königs, also weniger politische Probleme oder militärische Verstrickungen, und zudem wie das Leben in und um Sanssouci so ablief. Vielleicht mal ein paar konkretere Fragen, um die Richtung in die es gehen soll zu verdeutlichen:
  1. Zu Friedrich selbst: Wie sah ein typischer Tagesablauf in seinem Leben in Sanssouci aus? War er Frühaufsteher oder Langschläfer? Wann und wie intensiv hat er sich dem Flötenspiel oder anderen "Hobbies" gewidmet? Welchen Besuch hat er empfangen und wie häufig? Wer waren seine Vertrauten? Wie sah die Beziehung zu seiner Frau aus?
  2. Zum näheren Umfeld in Sanssouci: Wer war noch im oder um das Schloss herum einquartiert? Gab es größere militärische Gruppen am Schloss oder nur einige wenige Wachen? Welche Veranstaltungen, Feiern, etc. gab es regelmäßig am Schloss?
  3. Zum weiteren Umfeld um das Schloss herum: Wie "nah" war das Volk dem König? Durfte man als normaler Bürger bspw. einfach durch den Park laufen? Durfte man bei Problemen persönlich beim König vorsprechen? Ging der König auch mal durchs Dorf spazieren und plauderte ganz ungezwungen mit den Bürgern?
  4. Allgemein zur Zeit in Preußen: Wie unterschied sich das Leben der Menschen in den einzelnen Schichten und wie agierten die Schichten miteinander? Durfte ein Offizier bspw. einfach so eine arme Bauerstochter heiraten? Durften Adlige willkürlich über die unteren Schichten befehlen? Hatten die Offiziere Einfluss auf das Privatleben der Soldaten?
  5. Und ganz wichtig noch, zur Sprache: Wie sah die Sprache der Menschen damals aus? Wie unterschied sie sich zwischen den einzelnen Schichten? Sprach man am Hofe auch im (Berliner) Dialekt? Was waren typische Floskeln oder Redewendungen dieser Zeit? Ich bin hier durchaus auch an sprachwissenschaftlicher Literatur interessiert, die sich mit der Sprache dieser Zeit auseinandersetzt.
Fragen über Fragen. Ich möchte gar nicht mal unbedingt alle diese Fragen hier beantwortet haben, ich würde mich aber über Literaturvorschläge freuen, die genau diese oder ähnliche Fragen klären können. Sonstige Verweise auf Foren, Einrichtungen, etc. sind natürlich auch herzlich willkommen.

Besten Dank vorab! Und sorry für den Riesentext ... =)

Viele Grüße,
Maciej
 
Zum Militär mit entsprechend vielen Infos zum Garnisonsleben:
Hans Bleckwenn: Unter dem Preußen Adler (bekommt man sehr günstig und ist sehr gut, viele zeitgenößische Abbildungen)
Jörg Muth: Flucht aus dem militärischen Alltag (ist sogar speziell zu Potsdam)

Von Volker Schobeß gibt es Bücher die interessant klingen, z.B. die Leibgarde Friedrichs des Großen. Davon würde ich jedoch eher abraten, sehr oberflächlich. Zum Garnisonsleben erfährt man bei Bleckwenn und Muth deutlich mehr.

Zur Person Friedrich II.:
Henri de Catt: Gespräche mit Friedrich dem Großen
Johannes Kunisch: Friedrich der Große

Von der ansonsten vorzüglichen Christopher Duffy Biographie würde ich für deinen Zweck abraten, da geht es mehr um militärische Operationen und große Politik.

Durfte ein Offizier bspw. einfach so eine arme Bauerstochter heiraten?
Heiraten waren beim Militär nicht gern gesehen, da ein großer Troß bei der Armee vermieden werden sollte. Eine Heiratserlaubnis war für einen Offizier nicht so einfach zu bekommen. Kommt auch drauf an, ob der Offizier adlig war oder nicht bzw. ob die Bauerstochter arm war oder nicht. Bei Adligen konnte eine Heirat mit einer Magd zu unschönen Szenen führen, war daher sehr selten.

Durften Adlige willkürlich über die unteren Schichten befehlen?
Nein, wieso auch?

Hatten die Offiziere Einfluss auf das Privatleben der Soldaten?
Ja, aber Einfluss ist ja ein recht breit gefächerter Begriff. In der prß. Armee gab es wehrpflichtige Kantonisten und Berufssoldaten; daher die Soldaten gingen wegen des geringen Soldes einem Nebenerwerb nach. Die Armee bot erbuntertänigen Kantonisten einen gewißen Schutz vor ihren Herren, da sie nicht geprügelt werden durften. Von Bleckwenn gibt es dazu einen interessanten Aufsatz: "Bauernfreiheit durch Wehrpflicht"
Man könnte daraus sicher eine ziemlich lange Liste machen.
Und ganz wichtig noch, zur Sprache:
http://www.ingenieurgeograph.de/Living_History/Material/Benimm_18_JH_2009_03_01.pdf
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Beziehung zu seiner Frau war quasi eine Nicht-Beziehung, Elisabeth Christine hatte keinen Zutritt in Potsdam. Die Sommer verbrachte sie im Schloß Schönhausen in Pankow, ansonsten war sie häufig diejenige, die in Berlin den Hofstaat regelte, wozu er keine Lust hatte.

Zum Umgang mit normalen Bürgern ist der berühmte Müller von Sanssouci ein schönes Beispiel, der sogar gegen seinen König prozessierte.
 
Vielen Dank euch beiden für die Hinweise, ich werde mir die empfohlene Literatur anschauen.

Heiraten waren beim Militär nicht gern gesehen, da ein großer Troß bei der Armee vermieden werden sollte.
Wie ist das mit dem großen Tross hier zu verstehen? Ging es um anfallende Kosten oder Extra-Aufwand, der dann vom Militär übernommen werden musste?

Eine Heiratserlaubnis war für einen Offizier nicht so einfach zu bekommen. Kommt auch drauf an, ob der Offizier adlig war oder nicht bzw. ob die Bauerstochter arm war oder nicht. Bei Adligen konnte eine Heirat mit einer Magd zu unschönen Szenen führen, war daher sehr selten.
Gibt es da Literatur, wo man zu Hochzeiten zwischen den verschiedenen Schichten mehr erfährt? Oder vielleicht ein konkretes Fallbeispiel?

Nein, wieso auch?
Ich gebe zu, das war etwas unglücklich formuliert. Durch Filme zu dieser Zeit wird bspw. immer wieder suggeriert, dass Herren ihre Untertanen (im Vergleich zu heute) zuweilen schäbig behandelt haben. Du hast das Beispiel Prügelstrafe genannt, die damals offenbar noch rechtens war. Die Frage sollte eher dahingehen, welcher Umgang mit den Untertanen damals üblich bzw. was erlaubt, was verboten war, z.B. bei Bestrafungen.

Die Beziehung zu seiner Frau war quasi eine Nicht-Beziehung, Elisabeth Christine hatte keinen Zutritt in Potsdam.
Oh, ich habe schon gelesen die Beziehung zu ihr war eher kühl, aber dass man so sehr auf Distanz ging war mir neu.

Viele Grüße,
Maciej
 
Ludwig Reiners hat 1952 eine Biographie über den Preußenkönig veröffentlicht und beschreibt in dem Kapitel "Der Alte Fritz" den Tagesablauf des Monarchen.

Friedrich stand um 4.00 Uhr auf. Gegen 21.00 Uhr ging er zu Bett. Er war ein harter Arbeiter. Lediglich die Mittagstafel, die mehrere Stunden dauern konnte, bot ihm etwas Entspannung. Der alte Mann in seiner ungepflegten Uniform scheint seine Gäste bezaubert zu haben.

Das Buch ist keine wissenschaftliche Biographie. Reiners war ein nicht ganz unkritischer Verehrer des großen Preußenkönigs.

Zu den übrigen Fragen: Meines Wissens durfte ein Offizier ohne die Einwilligung des zuständigen Vorgesetzten nicht heiraten. Ob Friedrich sich diese Entscheidungen vorbehielt, weiß ich nicht. Und dann musste die Ehe "standesgemäß" sein. Da Offiziere - bis auf wenige Ausnahmen - dem Adel entstammten, konnten sie auch nur eine Adlige heiraten. Falls du an einem historischen Roman arbeitest: Eine Bauerstochter konnte eine Geliebte sein, aber nicht mehr.
 
Wie ist das mit dem großen Tross hier zu verstehen? Ging es um anfallende Kosten oder Extra-Aufwand, der dann vom Militär übernommen werden musste?

Was wurde denn im militärischen Tross transportiert? Lebensmittel, Zelte, Munition, Uniformen, Reservewaffen, Sold und vieles mehr. Je mehr man mit nimmt, desto größer wird der Tross. Desto mehr Transportfahrzeuge braucht man. Des weiteren braucht der Tross militärische Bedeckung um vor Überfällen geschützt zu werden. Und das Heer wird immer unbeweglicher.
Mit den Marianischen Reformen in Rom wurde der Tross dramatisch verkleinert und die Legionen deutlich beweglicher.
Wilhelm der Eroberer soll auch mit kleinem Tross sein Heer bewegt haben und dadurch seinen Gegner immer wieder überrascht haben.
Und wenn der Tross verloren geht drückt es sehr auf die Moral der Truppe.

Apvar
 
Zuletzt bearbeitet:
Offiziere - bis auf wenige Ausnahmen - dem Adel entstammten, konnten sie auch nur eine Adlige heiraten.
Mal ein Beispiel, leider erst 5 Jahre nach dem Tod Friedrichs des Großen: Levin von Elverfeldt zu Steinhausen (1762-1830) heiratete 1791 die Bauernmagd Anna Sils (1768-1848), Tochter eines Heuermanns. Anna Sils wurde geadelt und nannte sich fortan Maria Anna Sils von Silshoven. Eine Heirat mit einer Nichtadligen war sehr selten, aber nicht unmöglich.
Bei reichen Bürgerlichen bestand im 18. Jahrhundert die Chance einer Nobilitierung. Das könnte man sicher alles noch weiter differenzieren, z.B. regional.

Noch zu Heiraten bei Militärs im allgemeinen; Soldaten waren in Preußen selten in Kasernen untergebracht, sondern bei der Zivilbevölkerung einquartiert. Ein Soldat mit Familie machte bei einer Einquartierung mehr Probleme als ein einzelner Soldat. Kasernen waren im Preußen des 18. Jahrhunderts hauptsächlich zur Unterbringung der Soldaten mit Familie gedacht.
 
Was wurde denn im militärischen Tross transportiert? Lebensmittel, Zelte, Munition, Uniformen, Reservewaffen, Sold und vieles mehr. Je mehr man mit nimmt, desto größer wird der Tross. Desto mehr Transportfahrzeuge braucht man. Des weiteren braucht der Tross militärische Bedeckung um vor Überfällen geschützt zu werden. Und das Heer wird immer unbeweglicher.

Dass ein großer Tross für das Heer hinderlicher als ein kleiner war, ist mir schon klar. Ich verstehe nur nicht den Zusammenhang zur Hochzeit. Die Soldaten haben doch nicht ihre ganze Familie in den Krieg mitgenommen, oder?

Viele Grüße,
Maciej
 
Zu Friedrich selbst: Wie sah ein typischer Tagesablauf in seinem Leben in Sanssouci aus? War er Frühaufsteher oder Langschläfer?

Ein arbeitsgeiler Frühaufsteher, wenn ich mich richtig erinnere... polemisch gesagt: Der konnte sich nicht entspannen, der Gute...

Zum näheren Umfeld in Sanssouci:
Wer war noch im oder um das Schloss herum einquartiert? Gab es größere militärische Gruppen am Schloss oder nur einige wenige Wachen? Welche Veranstaltungen, Feiern, etc. gab es regelmäßig am Schloss?

Achtung, Sanssouci war nur die Sommerlaube des Alten Fritz, und wurde nur in den Sommermonaten bewohnt. Von außen (und auch von innen) sieht das Gemäuer ja herrschaftlich aus, aber genau genommen ist es winzig, und eine Heizung hatte es damals auch nicht...

Potsdam allerdings war damals ein Zentrum Preußens, auch und gerade militärisch; hier standen zu Friedrichs Zeiten zahlreiche Einheiten, zumindest zu Friedenszeiten. Diese lebten allerdings noch nicht (oder kaum) in Kasernen, sondern waren in Bürgerhäusern untergebracht.

Und ganz wichtig noch, zur Sprache: Wie sah die Sprache der Menschen damals aus? Wie unterschied sie sich zwischen den einzelnen Schichten? Sprach man am Hofe auch im (Berliner) Dialekt?

Most surely not...

Hofsprache war französisch; Friedrich sprach mWn zeitlebens ein miserables Deutsch; der für ihn bekannte Gebrauch der 3. Person Pl. („Mache Er dies!“) war weniger Unhöflichkeit denn Unfähigkeit...

Soweit es die „Berliner Schnauze“ schon damals gab, hatte das mit der Sprache des Hofes oder der Aristokratie wenig bis nichts gemein.

In der prß. Armee gab es wehrpflichtige Kantonisten und Berufssoldaten; daher die Soldaten gingen wegen des geringen Soldes einem Nebenerwerb nach.

Das ist bei weitem nicht so einfach; grundsätzlich war die preußische Armee eine Berufsarmee, eine allgemeine Wehrpflicht gab es nicht. Das Kantonsystem, dass manchmal in dieser Richtung interpretiert wird, hatte "nur" die Aufgabe, der Armee die benötigten Berufssoldaten zuzuführen, wenn nötig mit Gewalt, da ein Kanton die erforderliche Zahl Rekruten stellen musste. Delbrück analysiert, dass die preussische Armee des 18. Jh. das genaue Gegenteil einer auf Wehrpflicht beruhenden Armee war: Statt einer Einheit von Armee und Bevölkerung ("Bürger in Uniform", wie das heute heißt) ging es im Preußen des Soldatenkönigs und seines Sohnes um die größtmögliche Scheidung von Soldatenstand und Bevölkerung.

Nebenbei: Die Soldaten gingen deshalb einem "Nebenerwerb" nach, weil dass zur Kompaniewirtschaft gehörte: Eine große Zahl wurde "freigestellt", d.h. sie blieb Soldat, obowhl sie keinen Dienst tatenj, bekamen aber auch keinen/kaum Sold...

Mehr dazu hatten wir hier:

http://www.geschichtsforum.de/f288/das-leben-garnison-im-18-jahrhundert-38417/

Die Armee bot erbuntertänigen Kantonisten einen gewißen Schutz vor ihren Herren, da sie nicht geprügelt werden durften.

Ich weiß nicht, in welcher Zeit Du gerade bist, aber beim Alten Fritz galt noch der Grundsatz, dass der Soldat mehr Angst vor dem eigenen Offizier oder Spieß haben musste als vor dem Feind; und der setzte seine Anweisungen mit dem dem Stock oder eben dem Spieß durch...

Zum Umgang mit normalen Bürgern ist der berühmte Müller von Sanssouci ein schönes Beispiel, der sogar gegen seinen König prozessierte.

Laut Gerhard Prause (Niemand hat Kolumbus ausgelacht) ist das leider kein Glanzlicht für Friedrich, da sich der Müller schlicht im Unrecht befand; auch "gut gedacht" kann in Willkür enden, wenns nicht "gut gemacht" wird... ;)

Wie ist das mit dem großen Tross hier zu verstehen? Ging es um anfallende Kosten oder Extra-Aufwand, der dann vom Militär übernommen werden musste?

Wenn Frauen ihre Männer ins Feld begleiten, wird der Troß schnell riesig; eine Erfahrung der Söldnerkriege, v.a. des 30-jährigen Krieges, die dann von den stehenden Heeren abgelöst wurden, bei denen das nicht mehr der Fall war. Der Grund liegt v.a. darin, dass diese Söldner mehr oder minder auf sich gestellt waren, was die Versorgung angeht; spätestens im Falle einer Verwundung, aber auch alltäglichen Leben brauchten die Söldner/Soldaten jemanden, der ihnen zur Hand geht. Dass die Versorgung der Soldaten durch die Armee zentral sichergestellt wurde entwickelte sich erst im Laufe der Zeit; für das 18. Jh. und Friedrich ist das entscheidende Schlagwort Magazinsystem. Erst im Laufe des 19. Jh. wurde der Tross eine wirklich militärische Angelegenheit. Das Problem ist v.a., dass eine Armee, die zu 2/3 aus Tross besteht, nicht vorankommt und nur schwer sinnvoll operieren kann.

Verständlich geschrieben und allgemein interessant zum preußischen Militär evtl:

Aspekte zum Militärwesen im 18. Jahrhundert

Bei Friedrich wurden gerade Offiziere nicht von ihren Frauen begleitet. Die Frauen, die damals noch im Tross zu finden waren, hatten keinen guten Ruf, im Gegenteil... Das heißt nicht, dass diese Vorurteile stimmen; auch diese Frauen lebten oft in Ehen oder eheähnlichen Gemeinschaften mit Soldaten, aber für Offiziere wäre das nicht denkbar... zumindest nicht in einer Ehe.

Die Frage sollte eher dahingehen, welcher Umgang mit den Untertanen damals üblich bzw. was erlaubt, was verboten war, z.B. bei Bestrafungen.

Bis zum Ende des Königreichs Preußens 1918 hatten die ostelbischen jukner die Patrimonialgerichtsbarkeit inne. Zu Zeiten von Absolutismus und Erbuntertänigkeit konnten die preußischen Junker ihre Untergebenen mehr oder minder nach belieben behandeln, züchtigen etc.; dieses Verhältnis zwischen (adligen) Offizieren und einfachen, die Leibeigenschaft gewohnten Soldaten prägten natürlich den alltäglichen Umgang in der Armee. Anders war das v.a. bei Truppenteilen, die viele Adlige auch in den unteren Rängen hatten, v.a. manche Elite-Kavallerieregimenter; aber das sind Ausnahmen.
 
Delbrück analysiert, dass die preussische Armee des 18. Jh. das genaue Gegenteil einer auf Wehrpflicht beruhenden Armee war: Statt einer Einheit von Armee und Bevölkerung ("Bürger in Uniform", wie das heute heißt) ging es im Preußen des Soldatenkönigs und seines Sohnes um die größtmögliche Scheidung von Soldatenstand und Bevölkerung.
Delbrück ist der Forschungsstand vor 100 Jahren. Zu Zeiten der "größtmöglichen Scheidung von Soldatenstand und Bevölkerung" lebten die Soldaten mit der Zivilbevölkerung im selben Haus, in der Zeit des Bürgers in Uniform lebten die Soldaten getrennt von der Zivilbevölkerung in Kasernen? Richtig ist, dass eine Trennung zwischen Zivilbevölkerung/Nichtkombatanten und Kombatanten im Krieg ein Ideal des 18. Jahrhunderts war. Im Alltag waren die Anknüpfungspunkte zwischen Militär- und Zivilgesellschaft jedoch groß, z.B. in Form der Arbeit für Zivilisten. Militärmusiker spielten oft auf Hochzeiten, Soldaten die Schneidern konnten arbeiteten günstiger als Schneidermeister. Anknüpfungspunkte gab es in der Realität mehr als genug. Falls du dich zum neueren Forschungsstand informieren möchtest:

  • Bleckwenn: Unter dem Preußen Adler
  • Bleckwenn: Bauernfreiheit durch Wehrpflicht
  • Tagebuch des Musketiers Dominicus (hsrg. von Bleckwenn)
  • Muth: Flucht aus dem militärischen Alltag
  • Winter: Untertanengeist durch Militärpflicht
  • Guddat: Handbuch zur preußischen Militärgeschichte
  • Aufsätze von Olaf Jessen
Das ist bei weitem nicht so einfach; grundsätzlich war die preußische Armee eine Berufsarmee, eine allgemeine Wehrpflicht gab es nicht. Das Kantonsystem, dass manchmal in dieser Richtung interpretiert wird, hatte "nur" die Aufgabe, der Armee die benötigten Berufssoldaten zuzuführen, wenn nötig mit Gewalt, da ein Kanton die erforderliche Zahl Rekruten stellen musste.
Mir ist bis jetzt noch keine Studie neueren Datums untergekommen, in der das Kantonssystem als allgemeine Wehrpflicht interpretiert wird. Das es sich beim Kantonssystem um eine Wehrpflicht handelt ist die herrschende Forschungsmeinung. Das Kantonssystem ist eine Protowehrpflicht bzw. eine Wehrpflicht, jedoch keine Allgemeine Wehrpflicht. Vgl. auch Winters Dissertation: "Unstreitig bestätigt Winters in jeder Hinsicht gewichtige Dissertation, was auch für andere Bereiche vermutet oder sogar empirisch nachgewiesen wurde: Das preußische Militärsystem trug insgesamt ein etwas menschlicheres Antlitz, als uns das gängige Bild erwarten lässt, und war in allererster Linie auf den Ausgleich zwischen den Bedürfnissen der Armee und den Imperativen von Wirtschaft und Peuplierung abgestellt. Auch die Stadtverwaltungen handelten mit dem fordernden Militär den kleinsten gemeinsamen Nenner aus, trachteten "wertvolle Mitglieder der Gesellschaft" vor dem Militärdienst zu bewahren, waren also alles andere als Opfer unzähmbarer Militärherrschaft." SEHEPUNKTE - Rezension von: Untertanengeist durch Militärpflicht? - Ausgabe 6 (2006), Nr. 3
Lars-Holger Thümmler schreibt auf seiner Website nichts anderes: "Das Kantonsystem kann als eine Vorstufe der Idee der allgemeinen Wehrpflicht angesehen werden, die als Bestandteil der Reformen des 1808 beginnenden Reformwerkes in Preußen im Jahre 1814 zur Realität wurde." Man beachte den Unterschied zwischen einer Wehrpflicht und allgemeiner Wehrpflicht. Das Kantonssystem war eine Wehrpflicht, genau wie die Konskriptionen der napoléonischen Armee mit ihren Exemptionen eine Wehrpflicht waren.

Ich weiß nicht, in welcher Zeit Du gerade bist, aber beim Alten Fritz galt noch der Grundsatz, dass der Soldat mehr Angst vor dem eigenen Offizier oder Spieß haben musste als vor dem Feind; und der setzte seine Anweisungen mit dem dem Stock oder eben dem Spieß durch...
Es gibt von Sascha Möbius eine gleichnamige Studie; "Mehr Angst vor dem Offizier als vor dem Feind?". --> Sascha Möbius: Mehr Angst vor dem Offizier als vor dem Feind? Eine mentalitätsgeschichtliche Studie zur preußischen Taktik im Siebenjährigen Krieg. Saarbrücken 2007. - H-Soz-u-Kult / Rezensionen / Bücher
"Nicht Drohungen oder Schläge, der gemeinsame Wille zum Überleben, so Möbius, habe in der Schlacht das Verhältnis zwischen Offizier und Soldat beherrscht; im Kampf führten Offiziere vor allem durch Vorbild und Können. Auch die charismatische Bindekraft des roi connétable wird in vielen Berichten bezeugt. Gewalt gegen eigene Soldaten, wertet Möbius, habe es zweifellos gegeben, „doch es ist fraglich, ob sie eine größere Rolle spielte, als z. B. in den Heeren der napoleonischen Kriege“ (S. 137)."

Bis zum Ende des Königreichs Preußens 1918 hatten die ostelbischen jukner die Patrimonialgerichtsbarkeit inne. Zu Zeiten von Absolutismus und Erbuntertänigkeit konnten die preußischen Junker ihre Untergebenen mehr oder minder nach belieben behandeln, züchtigen etc.; dieses Verhältnis zwischen (adligen) Offizieren und einfachen, die Leibeigenschaft gewohnten Soldaten prägten natürlich den alltäglichen Umgang in der Armee.
Eben nicht, Prügel waren in der Zivilgesellschaft des 18. Jahrhunders weit verbreitet, gerade auch bei Handwerkern. Das Kantonssystem war ein Zeichen der Dominanz der Krone über die Junker. Es schränkte die Gewalt der Junker gegenüber Erbuntertänigen Bauern ein. Vgl. Thümmler: "Der Gutsbesitzer konnte selbst keine Gerichtsbarkeit an diesen "Bauernsoldaten" üben. Wenn es Klagen gab, wurden die Urlauber zum Regiment befohlen und dort wurde verhandelt. Der König hatte sich zwischen den Bauern und den Gutsherren geschoben."


Hofsprache war französisch; Friedrich sprach mWn zeitlebens ein miserables Deutsch; der für ihn bekannte Gebrauch der 3. Person Pl. („Mache Er dies!“) war weniger Unhöflichkeit denn Unfähigkeit...
Erzen ist im 18. Jahrhundert eine Höflichkeitsform. Das Barometer der Höflichkeit nach "Friedrich Gedike: Über Du und Sie in der deutschen Sprache" von 1794: Du, Ihr, Er, Wir, Sie
 
Zuletzt bearbeitet:
Delbrück ist der Forschungsstand vor 100 Jahren. Zu Zeiten der "größtmöglichen Scheidung von Soldatenstand und Bevölkerung" lebten die Soldaten mit der Zivilbevölkerung im selben Haus, in der Zeit des Bürgers in Uniform lebten die Soldaten getrennt von der Zivilbevölkerung in Kasernen?

Delbrück mag vor hundert Jahren geschrieben haben, aber was die Bedeutung der allgemeinen Wehrpflicht betrifft: Als Mensch, der diese selbst in Kriegen erfahren hat, die "ortsnah" mit Wehrpflichtigen geführt wurden, halte ich ihn da für eine nach wie vor unerlässliche Quelle; die Voraussetzungen bringt heute kein Militärhistoriker der industrialisierten Welt mehr mit. ;)

Konkret zu diesem Punkt: Natürlich war die Kasernierung der Truppen zur Zeit Friedrichs weder üblich noch mögich (Ausnahmen eben ausgenommen); dies konnte der Staat nicht leisten, auch nicht oder gerade nicht der preussische Militärstaat, für den es wichtig war, möglichst viele Truppen ins Feld stellen zu können.

Innerhalb dieser von den gegebenen Ressourccen und der Wirtschaftsleistung abhängingen Voraussetzungen aber wurde auf diese Trennung großen Wert gelegt. Dies wird gerade an den "freigestellten" Soldaten deutlich: Diese mussten Uniform tragen, unerstanden dem Militärrecht, durften nicht heiraten und waren in allen Punkten Soldaten... außer das sie halt nicht bei der Truppe waren und nicht bezahlt wurden...

Auch und gerade für die in Bürgerhäusern einquartierten Soldaten gilt dies; sie waren nicht in die Familien integriert und trugen zu iherm Unterhalt bei, wie das bei Handwerkern mit Lehrlingen üblich war, sondern waren Außenstehende, für die bezahlt wurde. Im normalen gesellschaftlichen Leben blieben sie Fremdkörper.

Richtig ist, dass eine Trennung zwischen Zivilbevölkerung/Nichtkombatanten und Kombatanten im Krieg ein Ideal des 18. Jahrhunderts war. Im Alltag waren die Anknüpfungspunkte zwischen Militär- und Zivilgesellschaft jedoch groß, z.B. in Form der Arbeit für Zivilisten. Militärmusiker spielten oft auf Hochzeiten, Soldaten die Schneidern konnten arbeiteten günstiger als Schneidermeister. Anknüpfungspunkte gab es in der Realität mehr als genug.

Das bestreite ich keineswegs; danke für die Hinweise. ;)

Entscheidend ist für mich, dass die Soldaten in der Ständegesellschaft des 18. Jh. einen eigenen Stand bildeten, gerade in Preußen. :winke:

Das es sich beim Kantonssystem um eine Wehrpflicht handelt ist die herrschende Forschungsmeinung. Das Kantonssystem ist eine Protowehrpflicht bzw. eine Wehrpflicht, jedoch keine Allgemeine Wehrpflicht.

Wenn dies als Entwicklungstrend aufgefasst werden sollte, die in der allgemeinen Wehrpflicht mündet ("Vorstufe", s.u.), würde ich dem deutlich weiterhin widersprechen. Die allgemeine Wehrpflicht, die im Europa des 19. Jh. zur Regel wurde, hat völlig andere Wurzeln und ist weder ursächlich noch symptomatisch mit dem Kantonsystem verknüpft; aber das wäre das Thema eines eigenen Threads. ;)

Vgl. auch Winters Dissertation: (...)

Inwieweit das preussische Militär "menschlicher war als das gängie Bild": Das kommt v.a. auf das Bild an, das man hat, zugegeben; so schlimm wie in den übelsten Alpträumen mancher war es evtl doch nicht... ;)

Und das bestimmte Gesellschaftsgruppen (insb in den wirtschaftlich wichtigen Städten) von der Militärpflicht frei gestellt wurden trug nur dazu bei, dass diese Pflichten den Rest der Bevölkerung (insb auf dem Land) um so stärker trafen...

Eben nicht, Prügel waren in der Zivilgesellschaft des 18. Jahrhunders weit verbreitet, gerade auch bei Handwerkern. Das Kantonssystem war ein Zeichen der Dominanz der Krone über die Junker. Es schränkte die Gewalt der Junker gegenüber Erbuntertänigen Bauern ein. Vgl. Thümmler: "Der Gutsbesitzer konnte selbst keine Gerichtsbarkeit an diesen "Bauernsoldaten" üben. Wenn es Klagen gab, wurden die Urlauber zum Regiment befohlen und dort wurde verhandelt. Der König hatte sich zwischen den Bauern und den Gutsherren geschoben."

Über die "Bauernsoldaten" selber nicht mehr, aber über die Bauern in seinem Gutsbezirk sehr wohl; wie wird das auf das Militär zurückgewirkt haben, in der die Sähne der Gutsbesitzer die Offiziere und die Söhne der Bauern die einfachen Soldaten stellten?

Gerade bei Handwerkern galten seit Alters her andere Regeln, gerade Gesellen ließen sich nicht so ohne weiteres prügeln; bei Lehrlingen sah auch das anders aus. Aber die preussische Armee war ja eben nicht von den Verhältnissen in den Städten geprägt; deren Bewohner waren zu großen Teilen vom Militärdienst befreit. In der Armee galt das, was auf dem flachen Land galt, eben in den märkischen und ostelbischen Gutsbezirken; und da galt der Bauer oder Knecht nicht viel.

Wenn das der derzeitige Forschungsstand ist: Da war soziologisch ja ein gewisses, von mir vor einiger Zeit zitiertes Werk weiter, das im Militärverlag der DDR erschien...
:rofl:
 
Gerade bei Handwerkern galten seit Alters her andere Regeln, gerade Gesellen ließen sich nicht so ohne weiteres prügeln; bei Lehrlingen sah auch das anders aus.
Körperliche Züchtigungen waren bis zum späten 18. Jahrhundert Normalität in Kindheit, Schule, Lehrlings- und Gesellenzeit und in den Augen vieler Zeitgenossen ein wirksames Mittel um einen Lernprozess zu beschleunigen. Ohne eigenen Hof oder Betrieb stand gab es fast immer Jemanden der körperliche Gewalt über eine Person hatte. Meister hatten ein Elternrecht über Lehrlinge und Gesellen, Züchtigungsrecht mit eingeschlossen. Bei Abwesenheit des Meisters ging dieses Recht auf den ältesten Gesellen über. Es handelt sich dabei um keine Besonderheit auf den Gütern von märkischen und ostelbischen Junkern. Siehe dazu auch das preußische Allgemeine Landrecht von 1794, bei dem die Befugnis des Meisters schon etwas eingeschränkt wurde:

"§. 298. Dem Lehrherrn gebührt das Recht, den Lehrlin, nach Erforderniß der Umstände, mäßig zu züchtigen." (zitiert nach Krünitz: Oekonische Encyklopädie, Band 88, 1802, Stichwort: Meister)

Vgl. auch die Situation in Frankreich die Robert Darnton in "Das Große Katzenmassaker" anhand eines Fallbeispiels in einer Druckerwerkstatt untersucht hat. Dort rächen sich die Lehrlinge für Prügel, schlechtes Essen, usw. und töten die Lieblingskatze der Meisterin. In Frankreich bot die Armee den Soldaten in dieser Beziehung sogar noch mehr Schutz, da bis zu den Reformen des späten 18. Jahrhunderts nicht geprügelt wurde. Gleichzeitig war die französische Armee durch beinah vollständige Kasernierung stärker von der Zivilbevölkerung getrennt.
Prügel waren in der Preußischen Armee, ähnlich wie beim preußischen Landrecht, auch nicht unbeschränkt erlaubt. Nach dem Dienstreglement für die Infanterie von 1751 durften die Strafen nicht in Exzessen ausarten. Einfache Soldaten hatten zumindest theorethisch die Möglichkeit sich bei Vorgesetzten über überzogene Strafen zu beschweren. Die Praxis war von Regiment zu Regiment unterschiedlich. Auch im Heer von Louis XV wurden die Soldaten manchmal geprügelt, obwohl es eigentlich nicht erlaubt war. Im Späten 18. Jahrhundert gibt es die gesamtgesellschaftliche Tendenz von der Prügelstrafe abzurücken, die sich dann auch in den Preußischen Heeresreformen wiederfindet. In der Praxis des preußischen Militärs gab es auch vor den Heeresreformen schon viele Regimentschefs die von der Prügelstrafe abgerückt waren.

grundsätzlich war die preußische Armee eine Berufsarmee, eine allgemeine Wehrpflicht gab es nicht.
Bei der Bezeichnung Berufssoldat für preußische Soldaten des 18. Jahrhunderts gehe ich weitgehend d'accord mit dir. Viele Autoren trennen ja leider nicht zwischen Söldnern des 30-jährigen Krieges und Berufssoldaten des 18. Jahrhunderts.
Das preußische Militär unterschied in Dokumenten klar zwischen Inländern und Ausländern (nicht-Kantonisten). Insofern war man sich des Komposit-Charakters der Armee schon bewusst. Es handelte sich um eine Mischung aus Wehrpflicht/Konskription und Berufssoldaten.
Auch und gerade für die in Bürgerhäusern einquartierten Soldaten gilt dies; sie waren nicht in die Familien integriert und trugen zu iherm Unterhalt bei, wie das bei Handwerkern mit Lehrlingen üblich war, sondern waren Außenstehende, für die bezahlt wurde. Im normalen gesellschaftlichen Leben blieben sie Fremdkörper.
Soldaten blieben nicht unbedingt ihr ganzes Leben Soldaten. Bei dauerhafter Stationierung etablierten sich auch einfache Soldaten in der städtischen Gesellschaft. Eine Garnison war immer ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für eine Stadt. Auf regionaler Ebene kann man viele Beispiele für Ehen zwischen handwerklich versierten Soldaten und Handwerksmeisterwitwen finden. Meine Heimatstadt war im 18. Jahrhundert Kantonsgebiet und gleichzeitig Standort einer Kompanie. Einige wenige einfache Soldaten erlangten sogar das Bürgerrecht und besaßen Häuser. Aus der gemeinsamen Nutzung einer Wohnung erwuchsen soziale Kontakte. Soldaten waren im Leben einer Stadt als Käufer, Verkäufer und Arbeitnehmer präsent. Dazu gibt es von Ralf Pröve eine wirklich lesenswerte Studie: "Stehendes Heer und städtische Gesellschaft im 18. Jahrhundert"
Es geht zwar um Kurhannover, das Einquartierungssystem ist jedoch das Selbe. Der Musketier Johann Jakob Dominicus, Kantonist, ziviler Beruf Handwerker, macht in seinem Tagebuch auch deutlich, dass er Teil der städtischen Gesellschaft seines Wohnorts war.

Wenn dies als Entwicklungstrend aufgefasst werden sollte, die in der allgemeinen Wehrpflicht mündet ("Vorstufe", s.u.), würde ich dem deutlich weiterhin widersprechen. Die allgemeine Wehrpflicht, die im Europa des 19. Jh. zur Regel wurde, hat völlig andere Wurzeln und ist weder ursächlich noch symptomatisch mit dem Kantonsystem verknüpft; aber das wäre das Thema eines eigenen Threads. ;)
Schauen wir uns mal Gerhard von Scharnhorst an. Woher kommt seine positive Einstellung gegenüber einer allgemeinen Wehrpflicht? Scharnhorst konnte auf der Offiziersschule Wilhelmsstein in der Grafschaft Schaumburg-Lippe eine allgemeine Wehrpflicht en miniature in Form der Landmiliz betrachten und hatte dort Wilhelm von Schaumburg-Lippe als Lehrer. Grundlage dieser Landmiliz waren Konfirmandenlisten, daher kann man diesmal tatsächlich von einer allgemeinen Wehrpflicht sprechen, bzw. etwas was im Kontext der Zeit ungewöhnlich ausgreifend war. Von Schaumburg-Lippe war von verschiedenen Heerwesen Europas inspiriert, insbesondere Hannover und England, aber eben auch Preußen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Körperliche Züchtigungen waren bis zum späten 18. Jahrhundert Normalität in Kindheit, Schule, Lehrlings- und Gesellenzeit und in den Augen vieler Zeitgenossen ein wirksames Mittel um einen Lernprozess zu beschleunigen. Ohne eigenen Hof oder Betrieb stand gab es fast immer Jemanden der körperliche Gewalt über eine Person hatte. Meister hatten ein Elternrecht über Lehrlinge und Gesellen, Züchtigungsrecht mit eingeschlossen. Bei Abwesenheit des Meisters ging dieses Recht auf den ältesten Gesellen über. Es handelt sich dabei um keine Besonderheit auf den Gütern von märkischen und ostelbischen Junkern. Siehe dazu auch das preußische Allgemeine Landrecht von 1794, bei dem die Befugnis des Meisters schon etwas eingeschränkt wurde:

"§. 298. Dem Lehrherrn gebührt das Recht, den Lehrlin, nach Erforderniß der Umstände, mäßig zu züchtigen." (zitiert nach Krünitz: Oekonische Encyklopädie, Band 88, 1802, Stichwort: Meister)

der Zivilbevölkerung getrennt.
Prügel waren in der Preußischen Armee, ähnlich wie beim preußischen Landrecht, auch nicht unbeschränkt erlaubt. Nach dem Dienstreglement für die Infanterie von 1751 durften die Strafen nicht in Exzessen ausarten. Einfache Soldaten hatten zumindest theorethisch die Möglichkeit sich bei Vorgesetzten über überzogene Strafen zu beschweren. Die Praxis war von Regiment zu Regiment unterschiedlich. Auch im Heer von Louis XV wurden die Soldaten manchmal geprügelt, obwohl es eigentlich nicht erlaubt war. Im Späten 18. Jahrhundert gibt es die gesamtgesellschaftliche Tendenz von der Prügelstrafe abzurücken, die sich dann auch in den Preußischen Heeresreformen wiederfindet.

In der Praxis des preußischen Militärs gab es auch vor den Heeresreformen schon viele Regimentschefs die von der Prügelstrafe abgerückt waren.
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Da ist vor allem Hans Joachim von Zieten, der "Vater der Husaren" zu erwähnen, der seine Männer auch ohne Prügelstrafe motivieren konnte.
Husaren wurden um die Mitte des 18.Jhds vielfach nicht als vollwertige reguläre Soldaten betrachtet und nicht selten auch kurzerhand massakriert, im Laufe des 18. Jahrhunderts stellten aber immer mehr Staaten Husareneinheiten auf oder formierten wie GB Light Dragoons zu Husaren.

Vielerorts so z. B. auch in Hessen-Kassel gab es zwei Einheiten, bei denen es nicht an freiwilligen mangelte: Das Jägerkorps und die Husaren.

Die Jäger, die mit gezogenen Gewehren und Hirschfängern bewaffnet waren, wurden aus Forstbediensteten und Bewerbern für den Forstdienst rekrutiert. Ein hessischer Jäger, Johann Ewald aus Vellmar bei Kassel nahm als Capitaine eines Jägerbattallions am Unabhängigkeitskrieg teil und schrieb eines der ersten, wenn nicht das erste Handbuch für den Guerillakrieg.
Die Jäger erhielten bedeutend höheren Sold, als Grenadiere, waren vom Wachdienst befreit und brauchten auch nicht zu befürchten, wegen geringer Vergehen ausgepeitscht zu werden.

Husaren bewegten sich häufig nahe und hinter feindlichen Linien mit zahlreichen Möglichkeiten der Desertion. Um diesen Dienst schmackhaft zu machen, machten viele Kommandeure ihren Leuten Zugeständnisse in Form einer weniger strengen Disziplin und es gab keine vorgeschriebene Mindestgröße und es wurden Rekruten unabhängig von ihrer sozialen Herkunft eingestellt.

Vom Husarenregiment des Franz von der Trenck, das durch kühne Unternehmungen wie auch zahlreicher Kriegsverbrechen von sich reden machte, ging die Sage, dass es aus "vom Galgen abgeschnittenen Halunken" bestand.
 
1.
Bei der Bezeichnung Berufssoldat für preußische Soldaten des 18. Jahrhunderts gehe ich weitgehend d'accord mit dir. Viele Autoren trennen ja leider nicht zwischen Söldnern des 30-jährigen Krieges und Berufssoldaten des 18. Jahrhunderts.
Das preußische Militär unterschied in Dokumenten klar zwischen Inländern und Ausländern (nicht-Kantonisten). Insofern war man sich des Komposit-Charakters der Armee schon bewusst. Es handelte sich um eine Mischung aus Wehrpflicht/Konskription und Berufssoldaten.

2.
Schauen wir uns mal Gerhard von Scharnhorst an. Woher kommt seine positive Einstellung gegenüber einer allgemeinen Wehrpflicht? Scharnhorst konnte auf der Offiziersschule Wilhelmsstein in der Grafschaft Schaumburg-Lippe eine allgemeine Wehrpflicht en miniature in Form der Landmiliz betrachten und hatte dort Wilhelm von Schaumburg-Lippe als Lehrer. Grundlage dieser Landmiliz waren Konfirmandenlisten, daher kann man diesmal tatsächlich von einer allgemeinen Wehrpflicht sprechen, bzw. etwas was im Kontext der Zeit ungewöhnlich ausgreifend war. Von Schaumburg-Lippe war von verschiedenen Heerwesen Europas inspiriert, insbesondere Hannover und England, aber eben auch Preußen.
1.
Dann müsste aber die Wehrpflicht in den meisten deutschen Staaten existiert haben oder nicht?

2.
Diese Landmiliz ähnelt dann der Landesdefension in anderen Staaten? Wenn ich mich recht entsinne ergriff die Landesdefension i.d.R. zumindest formell sämtliche geeignete Individuen. Wegen ihrer Ineffizienz wurde die Landmiliz nur letztlich entweder offiziell abgeschafft oder schlief mehr oder weniger ein.
Hauptsächlich scheint die Ursache für den häufigen Niedergang der Landesdefensionen am Desinteresse der Landesherrschaft gelegen zu haben. Es wurde wenig bis garnicht exerziert und nur im Bedarfsfall die Truppen zusammen gerufen.
Kann man dann die Landesdefensionen generell nicht als eigentliche Vorläufer der allgem. Wehrpflicht ansehen?
Wo sind dann die Wurzeln? Im 16.Jh.?
 
Mal ein Beispiel, leider erst 5 Jahre nach dem Tod Friedrichs des Großen: Levin von Elverfeldt zu Steinhausen (1762-1830) heiratete 1791 die Bauernmagd Anna Sils (1768-1848), Tochter eines Heuermanns. Anna Sils wurde geadelt und nannte sich fortan Maria Anna Sils von Silshoven. Eine Heirat mit einer Nichtadligen war sehr selten, aber nicht unmöglich.
Bei reichen Bürgerlichen bestand im 18. Jahrhundert die Chance einer Nobilitierung. Das könnte man sicher alles noch weiter differenzieren, z.B. regional.

Noch zu Heiraten bei Militärs im allgemeinen; Soldaten waren in Preußen selten in Kasernen untergebracht, sondern bei der Zivilbevölkerung einquartiert. Ein Soldat mit Familie machte bei einer Einquartierung mehr Probleme als ein einzelner Soldat. Kasernen waren im Preußen des 18. Jahrhunderts hauptsächlich zur Unterbringung der Soldaten mit Familie gedacht.


Die Einquartierung bei Privatleuten war auch im Militärstaat Hessen- Kassel üblich, und man tat das ganz bewusst, um das Verhältnis von Untertanen und Soldaten zu intensivieren und mehr Akzeptanz und Solidarität mit der Armee zu erreichen, ganz abgesehen vom Aspekt der Sozialdisziplinierung.
Durch die Kantonsverfassung und die Militärreformen, die eigene Armee vorzugsweise aus Landeskindern zu rekrutieren, wollte man zugleich Desertionen vorbeugen. Diese Praxis gab aber dennoch immer wieder Anlass für Unfrieden, da es zahlreiche Ausnahmen gab. Hugenotten und Universitätsbedienstete waren von Einquartierung befreit, und in der Universitätsstadt Marburg bestand sozusagen eine natürliche Rivalität zwischen Soldaten und Studenten.
Nach Gewohnheitsrecht hatte der Quartierwirt den Soldaten "Holz, Licht, Süß und Sauer" also Brennholz, Licht, etwas Zucker, Essig und eventuell auch Bier bereitzustellen. war das nicht da, drohten die Soldaten zu randalieren oder auch schon mal in den Hausflur zu urinieren, wie ein Quartierwirt in Marburg beklagte.
 
Da ist vor allem Hans Joachim von Zieten, der "Vater der Husaren" zu erwähnen, der seine Männer auch ohne Prügelstrafe motivieren konnte.

Absolute Zustimmung, und das war auch unbedingt notwendig, für alle leichte Truppen; Soldaten, die den "kleinen Krieg" führen und dazu allein oder in kleinen Gruppen umherstreifen sollen, können allzu leicht desertieren; hier war es eine unabdingbare Voraussetzung, verlässliche Leute einzusetzen, sonst wäre ein Regiment Husaren schneller weg gewesen, als man "Dolman" sagen kann. ;)

Wie Du ja auch sagst galt gleiches gilt auch für die leichte Infanriebzw im preussischen Jägerkorps, dessen Soldaten unter den Söhnen von staatlich beauftragten Förstern rekrutiert wurde: Die Behandlung der Soldaten war weit besser, die Moral und Disziplin auch ohne drakonische Maßnahmen gut bis sehr gut.

Bei der Linieninfantrie sah das halt anders aus: Die Truppe musste u.a. deswegen aus Magazinen versorgt werden, weil es vielzu riskant war, die Masse der Truppe zur Fouragierung auszusenden, wie das bspw Napoleons Armeen machten: Ein allzu großer Teil wäre halt nicht wieder aufgetaucht... ;)

Husaren wurden um die Mitte des 18.Jhds vielfach nicht als vollwertige reguläre Soldaten betrachtet und nicht selten auch kurzerhand massakriert, im Laufe des 18. Jahrhunderts stellten aber immer mehr Staaten Husareneinheiten auf oder formierten wie GB Light Dragoons zu Husaren.

Die Light Dragoons, die im Laufe des 18. Jh. aufgestellt wurden, entsprachen militärisch den Husaren; allerdings sperrte sich das konservative britische Militär lange Zeit gegen die "extravaganten" Husarenuniformen ungarischen Ursprungs; diese gabs bei den Briten erst ab 1804, und die entsprechenden Regimenter trugen den Zusaz "Hussars" lange Jahre danach noch nur als Anmerkung, liefen aber offizielle noch unter "Light Dragoons".
 
Diese Landmiliz ähnelt dann der Landesdefension in anderen Staaten? Wenn ich mich recht entsinne ergriff die Landesdefension i.d.R. zumindest formell sämtliche geeignete Individuen. Wegen ihrer Ineffizienz wurde die Landmiliz nur letztlich entweder offiziell abgeschafft oder schlief mehr oder weniger ein.
Genau, es war eine Landesdefension, die bei Regierungsantritt des Grafen allerdings schon nicht mehr angewandt wurde. Wilhelm von Schaumburg-Lippe hat dann die alten Kamellen wieder ausgegraben und auch in sein theoretisches Werk miteinbezogen. Während der spanisch-französischen Invasion Portugals 1761/62 gab es einen recht erfolgreichen Bauernaufstand gegen die Invasionsarmee, der wohl zu den Überlegungen des Grafen zum Thema Landesverteidigung beigetragen hat.

Bei der Linieninfantrie sah das halt anders aus: Die Truppe musste u.a. deswegen aus Magazinen versorgt werden, weil es vielzu riskant war, die Masse der Truppe zur Fouragierung auszusenden, wie das bspw Napoleons Armeen machten: Ein allzu großer Teil wäre halt nicht wieder aufgetaucht... ;)
Gibt es Desertionszahlen für die napoleonische Armee? Ich habe leider wenig an Literatur zu den napoleonischen Kriegen zur Hand, aber gab es nicht auch auf französischer Seite die Gendarmerie nationale, die die Truppen begleitet hat und Desertionen verhindern sollte? Jessen führt einen Brief Napoléons vom 26. Oktober 1804, abgedruckt in der Correspondance de Napoléon 1er, Band 10, S. 35, auf:
- von 82.000 Wehrpflichtigen des Jahres 1804 trafen nur 64.000 ein
- von diesen 64.000 zog Napoléon 14.000 Deserteure ab
39% der 82.000 Rekruten verweigerten also den Dienst.
 
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Absolute Zustimmung, und das war auch unbedingt notwendig, für alle leichte Truppen; Soldaten, die den "kleinen Krieg" führen und dazu allein oder in kleinen Gruppen umherstreifen sollen, können allzu leicht desertieren; hier war es eine unabdingbare Voraussetzung, verlässliche Leute einzusetzen, sonst wäre ein Regiment Husaren schneller weg gewesen, als man "Dolman" sagen kann. ;)
Wobei man für Freikorps, die ja oft eine Mischung aus Infanterie und Kavallerie darstellten, nicht sehr wählerisch war. Im Westdeutschland des Siebenjährigen Krieges spielt der kleine Krieg die größte Rolle. Für die Légion Britannique rekrutierte Kurhannover viele Deserteure.
Zu Strafen bei den Freikorps: Der deutsch-französische Freikorpkommandant Jean-Chrétien Fischer ist vielleicht bekannt, oder besser berühmt-berüchtigt. In Einzelfällen wurde innerhalb des Fischerschen Freikorps sehr hart durchgegriffen: Beim Durchzug durch die preußische Stadt Unna am 27. April 1757 erpresste ein Husar von seinem Quartierwirt Wein und wurde dafür zu Tode geprügelt. Die Franzosen haben im Siebenjährigen Krieg auch schnell mal ihre eigenen Leute gehängt, kann man in Tagebüchern der Zeit nachlesen. Wenn ich mich recht erinnere kommt so eine Episode im Tagebuch des Celler Garnisonsauditeurs Johann Philipp Schowart vor.

Ein hessischer Jäger, Johann Ewald aus Vellmar bei Kassel nahm als Capitaine eines Jägerbattallions am Unabhängigkeitskrieg teil und schrieb eines der ersten, wenn nicht das erste Handbuch für den Guerillakrieg.
Lesenswert ist auch "The Partisan in War" von Andreas Emmerich. Das Buch erschien zwar erst 1789, es sind jedoch hauptsächlich Erfahrungen des Siebenjährigen Krieges und des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges verarbeitet. Hier im Volltext:
http://www.loyalamericanregiment.org/The Partisan in War.pdf
 
Wobei man für Freikorps, die ja oft eine Mischung aus Infanterie und Kavallerie darstellten, nicht sehr wählerisch war. (...)

Danke für den Hinweis auf die Feikorps; diese spielten gerade im 7-jährigen Krieg tatsächlich eine nicht unbedeutende Rolle.

Diese sind, zumindest beim preussischen Militär, allerdings strikt von den regulären leichten Truppen zu unterscheiden. Bei der Kavallerei wären das die Husaren, bei der Infantrie einzig das 1744 aufgestellte Jäger-Bataillone.
 
Die Soldaten wurden ja mindestens schon beim Soldatenkönig bei Privatleuten einquartiert. Wie sahen dann die Kasernen aus? Gab es welche oder wurden die Truppen auf für jeden zugänglichen Plätzen ausgebildet und gedrillt? Zeughäuser, waren sie wie in Berlin, mitten in der Stadt/Ort?

Apvar
 
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