"Das Prinzip Verantwortung" von Hans Jonas

Apsara Menaka

Neues Mitglied
Autor und geschichtliche Einordnung

Hans Jonas wurde 1903 in Mönchengladbach geboren.
1928 Promoviert er mit der Arbeit “Der Begriff der Gnosis”.
1933 wandert er nach London aus,
1934 geht er nach Jerusalem.
1940-1945 war er Soldat der britischen Armee innerhalb der Jewish Brigade Group.
1945 kommt er nach Deutschland zurück und erfährt, dass seine Mutter nach Auschwitz deportiert wurde.
1948-1949 verteidigt er als Soldat der Israelischen Armee Jerusalem
1949 geht er in die USA, wo er bis zu seinem Tod 1993 bleibt und als Professor und Autor arbeitet.

Jonas war also kein weltfremder Träumer. Im Gegenteil, er kannte den Krieg und gerade deshalb wollte er durch seinen neuen, ökologischen Imperativ eine Basis finden, auf der Menschen heute nicht mehr einer vermeintlich höheren Zukunft geopfert werden. Gleichzeitig ist ihm bewusst, dass der Mensch die technischen Mittel hat, sich selbst auszulöschen und er setzt diesem Können das nicht dürfen seines neuen Imperativs entgegen. Das Buch "Das Prinzip Verantwortung" ist das erste Buch nach dem 2. WK, das Jonas wieder ganz in deutscher Sprache verfasst hat. Er hat es seinen Kindern gewidmet und damit der Zukunft.

Zur geschichtlichen Einordnung zitiere ich Dr. Hildegard Hamm-Brücher, die in einer Laudatio herausstellt, daß das Prinzip Verantwortung für das Denken und Handeln in der hochtechnologischen Zivilisation wegweisend sei:

"Das Prinzip Verantwortung (...) wurde in den 70er Jahren von dem jüdisch-deutsch-amerikanischen Philosophen Hans Jonas vorgedacht und von ihm sinngemäß wie folgt resümiert. Zum einen erfordere es das weltweite Lautwerden sachlicher Einsicht und Vernunft in die Gefahren technologischer Entwicklungen ... und den nachhaltigen Widerhall auf das öffentliche Bewußtsein, sowie die Konsequenzen im privaten und öffentlichen Verhalten. Zum anderen müsse das Prinzip Verantwortung von den Gefährdungen selbst her auf Abhilfe drängen: Der Schock wirklicher und wiederholter Katastrophen kleineren Ausmaßes (er bezeichnet sie als Schreckschüsse der gepeinigten Natur) muß uns den gehörigen Schrecken vor der großen Katastrophe einjagen, sie müssen uns bewußt machen, daß es diese technischen Ausschweifungen sind, die uns für alle Zukunft als Schatten bedrohen. ... Sich dieses Schattens bewußt werden und ihn nicht zu verdrängen, vielmehr die Stimme der Verantwortung nie und nimmer verstummen zu lassen, das ist es, was Jonas das Prinzip Verantwortung nennt, das, wenn es konsequent wahrgenommen wird, zum paradoxen Lichtblick der Hoffnung werden kann. Auf diese Karte möchte ich setzen! Mit diesen Worten schließt er seine Dankesrede anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. (1987)

Auf diese Karte setzen und die Stimme der Verantwortung nicht verstummen lassen wollen, können wir das auch? Ich denke Ja, wenn wir das Prinzip Verantwortung als eine Art Wegweisung für eigenes Denken und Handeln verstehen und beherzigen."

Zum Inhalt des Buches:

Der alte Imperativ Kants lautete

"Handle so, dass du auch wollen kannst, dass deine Maxime allgemeines Gesetz werde."

Dem Imperativ Kants, einem Imperativ der guten Absicht setzt Jonas einen neuen Imperativ entgegen, einen Imperativ der guten Wirkung:

"Schließe in deine gegenwärtige Wahl die zukünftige Integrität des Menschen als Mit-Gegenstand deines Wollens ein."

Der neue Imperativ richtet sich an die öffentliche Politik und nicht wie Kants Imperativ an den Einzelnen. Kants Imperativ forderte den Einzelnen auf, im Moment des Handelns abzuwägen, ob er dahinter stehen könnte, wenn sein Handeln als allgemeingültiges Gesetz gelten würde (in dem Bewusstsein, dass sein Handeln nicht tatsächlich allgemeingültiges Gesetz werden würde.) Es war eine hypothetische Überlegung die dazu führen sollte, den eigenen Impuls einzuordnen in das eigene Wertgefüge.

Während der alte Imperativ Kants dabei prinzipiell die Möglichkeit lässt, das Leben anderer Menschen aufs Spiel zu setzen für mein eigenes Glück - solange ich dies jedem anderen Menschen auch als Handlungsoption zugestehe - ist dies nach Jonas Imperativ nicht möglich. Ich kann mein eigenes Leben wagen, aber nicht das anderer Menschen. Es ist jedoch nicht einfach zu begründen, warum ich das Leben anderer nicht wagen darf. Dies ist nach Jonas eventuell ohne Religion gar nicht zu begründen, jedoch legt der neue Imperativ dies zunächst ohne weitere Begründung als gegeben fest.

Jonas gibt im Anschluß 3 Beispiele für bisherige Zukunftsethik:

1.) Mühsal im irdischen Leben um des ewigen Heils der Seele willen
2.) nachhaltige Politik, die auch die zukünftige Generationen in ihre Überlegungen miteinschliesst
3.) Heutiges Leben als Mittel oder als zu beseitigendes Hindernis zum Erreichen einer Utopie in Zukunft.

Die erste und dritte Variante lehnt Jonas ab, da sie zwar nicht die Zukunft der Gegenwart, aber dafür die Gegenwart der Zukunft unterordnen. Hierbei unterscheidet sich die erste, religiöse Variante von der dritten insofern, dass in dieser Variante die Veränderung in der Zukunft nicht ihre Ursache direkt im Handeln der Gegenwart hat, sondern der Mensch mit seinem Handeln im Jetzt nur auf das Wohlwollen eines Gottes in Zukunft spekuliert. Bisher wurde meist die Gegenwart einem Ziel in der Zukunft untergeordnet betrachtet. Nach dem neuen Imperativ soll sich die Menschheit aber bereits im Jetzt verwirklichen ohne dabei aber die Wirkungen ihres heutigen Handelns für die Zukunft aus dem Auge zu verlieren.

Die Frage bleibt offen, ob nicht auch Punkt 2) die Gegenwart der Zukunft unterordnet und diese über die Gegenwart stellt? Denn Punkt 2) bedeutet ja auch, dass auf politischer Ebene meine gegenwärtigen Handlungen dahingehend überprüft werden sollen, ob ich damit jemandem in der Zukunft schade und schränkt meine Handlungen u.U. auf Grund dieses Punktes ein. Die Politik ordnet dann ihren jetzigen Willen dem Wohl der zukünftigen Gesellschaft unter. Jonas bleibt eine Begründung seines Ansatzes, warum spätere Generationen nicht geschadet werden darf schuldig, jedoch wäre eine gesellschafts-politische Herangehensweise IMHO die Begründung über die Menschenrechte.

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Informationsquellen:

Hans Jonas. "Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt 1988, S. 35-38

Hans Jonas-Zentrum Berlin

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Für einen ersten Überblick: Das Prinzip Verantwortung bei Wiki
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Politik ordnet dann ihren jetzigen Willen dem Wohl der zukünftigen Gesellschaft unter. Jonas bleibt eine Begründung seines Ansatzes, warum spätere Generationen nicht geschadet werden darf schuldig, jedoch wäre eine gesellschafts-politische Herangehensweise IMHO die Begründung über die Menschenrechte.http://de.wikipedia.org/wiki/Das_Prinzip_Verantwortung

Eine isolierte Betrachtung von Jonas löst vermutlich nicht das beschrieben Dilemma. Gleichzeitig ist es m.E. erstaunlich, wie hoch die Schnittmenge der philosophischen Sichtweise zu anderen Philosophen ist.

Ein wichtiger gemeinsamer Ausgangspunkt für die akteulle Bestandsaufnahme unser heutigen hochtechnologischen Gesellschaft ist die These der Individualisierung des Menschen in der modernen Gesellschaft. Dieser Befund zieht sich prägnant durch die Arbeiten von Riesman, Anders, Taylor bis hin zu Beck, auch in Anlehnung an das prophetische Werk von de Tocqueville, in dem er diese Entwicklung bereits prognostiziert hatte.

Mit dieser Entwicklung wird in der Regel die Wirkung eines Verlust der formativen Kraft der Gesellschaft für das Individuum verbunden und gleichzeitig ein verstärkter Egoismus bzw. Hedonismus konstatiert. Bei Taylor wird statt einer kollektiven Moral als Hilfsmittel für Entscheidungen die "instrumentelle Vernunft" ausgebildet.

Bei Jonas führt dieser Verlust an kollektiven Erfahrungswerten mit einer sich beschleunigenden technologischen Entwicklung zu "präzendenzlosen Situationen". Das sind Situationen, für die keine Erfahrungswerte hinsichtlich der Folgen vorliegen und uns somit keine Abschätzung ermöglichen, welche langfristigen Konsequenzen unsere technologische Entwicklung hat.

Ausgehend von diese Situation und Technologien, die immer "mächtiger" und destruktiver werden fordert Jonas eine "konservative Vorgehensweise".

Sofern keine sicheren Erfahrungswerte, als verläßliche Prognose, für eine Technologie vorliegen, solange ist auf die Nutzung zu verzeichten. Damit soll die natürliche Grundlage des Lebens, die Natur, geschützt werden und den nachfolgenden Generationen, für die wir durch unser heutiges Handeln bewußt oder unbewußt Verantwortung übernehmen, eine angemessene Lebensgrundlage zu erhalten.

Bei Apel und der Formulierung einer "Verantwortungs-Ethik" wird der technologische Fortschritt an das Kriterium der "Gerechtigkeit" (vgl. beispielsweise Rawls) und der Achtung der "Menschenwürde" gebunden, wie in der Entwicklung bei Menke und Raimondi beschrieben.

Anders, G.: Die Antiquiertheit des Menschen, 2 Bd., 1956
Apel, K-O.: Diskurs und Verantwortung, 1990
Beck U.: Individualization, 2002
Menke, C. u. F.Raimondi: Die Revolution der Menschrechte, 2011
Rawls, J. Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1979
Riesman, D.: Die einsame Masse, 1958
Taylor, C.: Das Unbehagen an der Moderne, 1995
de Tocqueville, A.: Über die Demokratie in Amerika, 1986
 
Spannende Antwort, mit der ich mich erstmal ein wenig beschäftigen muss. Danke. Eins fällt mir aber spontan auf:

Sofern keine sicheren Erfahrungswerte, als verläßliche Prognose, für eine Technologie vorliegen, solange ist auf die Nutzung zu verzeichten. Damit soll die natürliche Grundlage des Lebens, die Natur, geschützt werden und den nachfolgenden Generationen, für die wir durch unser heutiges Handeln bewußt oder unbewußt Verantwortung übernehmen, eine angemessene Lebensgrundlage zu erhalten.

Würde das nicht letztlich bedeuten, dass man keine neuen Technologien mehr nutzen darf, denn gesichertes Erfahrungswerte kommen ja aus der Erfahrung mit der Technologie und wenn ich diese nur mit diesen Erfahrungswerten nutzen soll, dann kann ich die für die Nutzung dieser Technologie notwendigen Erfahrungswerte gar nicht sammeln. Oder hab ich grad einen Denkfehler?

Da erscheinen mir Apels Überlegungen befriedigender und besser nachvollziehbar in dem Punkt.
 
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