Das Verhältnis des Menschen zur Natur

Der Begriff "freie Natur" sagt ja bereits alles.
zu diesem gesellen sich noch "ungezähmte Natur", "unbändige Naturgewalten" etc.

war es nicht Voltaire, der gegen ein Erdbeben revoltierte (sehr hübsch im Zauberberg erzählt) ? ...und huh wie grimmig sind die zerstörerischen Naturkräfte, zu macbeth´schen Hexen personifiziert, in Fontanes Ballade vom Eisenbahnunglück...
 
Zuletzt bearbeitet:
Ja, es geht mir um die Geisteshaltung des Menschen zur Natur. Dabei bleibt natürlich die Frage, was man unter "Natur" verstehen will. Ich habe oben eingewandt, dass die Erhaltung der Funktionsfähigkeit von Ackerböden nicht unbedingt ein Interesse an "Natur" widerspiegelt, sondern auch ein Interesse an der langfristigen Sicherung seiner wirtschaftlichen Ressourcen.

Bisher wurde sich der Geisteshaltung mehr mit modernen Begriffen, wie Nachhaltigkeit genähert. Obwohl die Folgen von nicht nachhaltigem Handeln dem Menschen schon seit der Frühzeit bekannt gewesen sein dürften.

Erlegte der Steinzeitjäger zu viel von seinem Lieblingsbraten, mußte er seine Diät auf anderes Wild umstellen oder es woanders versuchen.
Der neolithische Bauer wird in den meisten Fällen innerhalb weniger Jahre gemerkt haben, dass der Boden seine Nutzpflanzen nicht unerschöpflich ernährte. Fast alle erfolgreichen frühen Gesellschaften, deren Lebensgrundlage die Landwirtschaft war, versuchten dem Boden, der Natur, das entnommene in anderer Form zurückzugeben oder den Böden, den Wäldern eine Regenarationsphase zu gönnen.

Du hast schon recht, Klaus, das geschah aus Eigeninteresse, denn ohne die umgebende Natur zu berücksichtigen, wäre der Mensch, der immer noch Teil der Natur ist, verhungert, verdurstet, von Fluten ertränkt, mangels Heizmaterial erfroren oder sonstwie gestorben.
In den Vorbeiträgen wurden die bekanntesten Beispiele für Übernutzung und nicht nachhaltiges Handeln genannt, sie reichen zurück bis vor die Antike. Also müssen sich die Menschen auch seit jenen frühen Zeiten mit ihrem Verhältnis zur Natur auseinandergesetzt haben.

Die neuzeitliche Geisteshaltung operiert und argumentiert zunehmend wissenschaftlich, mit Analysen von Ursache, Wirkung, Folgen und Gegenmaßnahmen. Diesen Ansatz projezieren wir zurück. Vielleicht suchen wir deshalb nach falschen Indizien bei den vorneuzeitlichen Geisteshaltungen.

Könnten wir bei den verschiedenen Religionen evtl. Indizien finden für die Geisteshaltung bzw. das Verhältnis der Menschen zur Natur?
Ich bin nicht sehr bibelfest, deshalb fällt mir spontan nur "Seid fruchtbar und mehret euch" und "Macht euch die Erde untertan" ein. Oberflächlich klingt das eher wie das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Macht euch die Erde untertan! Ein Widerspruch zur Nachhaltigkeit

Wobei man prüfen müßte, ob man das für den gesamten biblischen Kontext feststellen kann. Wenn das so wäre, müßten die zeitlich und örtlich benachbarten Religionen untersucht werden. Und dann die vielen anderen, mit schriftlichen oder mündlichen Überlieferungen. Aber vielleicht bin ich auf der falschen Spur, bei den Religionen Indizien für die Geisteshaltung des Menschen im Umgang mit der Natur zu suchen.
 
Könnten wir bei den verschiedenen Religionen evtl. Indizien finden für die Geisteshaltung bzw. das Verhältnis der Menschen zur Natur?
Ich bin nicht sehr bibelfest, deshalb fällt mir spontan nur "Seid fruchtbar und mehret euch" und "Macht euch die Erde untertan" ein. Oberflächlich klingt das eher wie das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Macht euch die Erde untertan! Ein Widerspruch zur Nachhaltigkeit

Wobei man prüfen müßte, ob man das für den gesamten biblischen Kontext feststellen kann. Wenn das so wäre, müßten die zeitlich und örtlich benachbarten Religionen untersucht werden. Und dann die vielen anderen, mit schriftlichen oder mündlichen Überlieferungen. Aber vielleicht bin ich auf der falschen Spur, bei den Religionen Indizien für die Geisteshaltung des Menschen im Umgang mit der Natur zu suchen.

Dazu fällt mir ein, dass die Israeliten u. Juden dem Ackerboden und allen landwirtschaftlichen Nutzflächen alle sieben Jahre ein Sabbatjahr/ Brachjahr gegönnt haben.
Nach der Ernte des 6. Jahres, wurde der Boden im Herbst nicht bestellt, nicht eingesät, nicht bepflanzt, die Weinberge nicht beschnitten usw.; im darauffolgenden Frühling, Sommer u. Herbst wurde das bisschen, was trotzdem gewachsen war, nicht (systematisch) geerntet (sondern sollte für alle im Land, vor allem Arme u. Fremde usw., quasi von der Hand in den Mund genossen werden dürfen).
 
Dazu fällt mir ein, dass die Israeliten u. Juden dem Ackerboden und allen landwirtschaftlichen Nutzflächen alle sieben Jahre ein Sabbatjahr/ Brachjahr gegönnt haben.
Nach der Ernte des 6. Jahres, wurde der Boden im Herbst nicht bestellt, nicht eingesät, nicht bepflanzt, die Weinberge nicht beschnitten usw.; im darauffolgenden Frühling, Sommer u. Herbst wurde das bisschen, was trotzdem gewachsen war, nicht (systematisch) geerntet (sondern sollte für alle im Land, vor allem Arme u. Fremde usw., quasi von der Hand in den Mund genossen werden dürfen).

Das tun ja auch die Jünger Jesu oder früher noch die Moabiterin Ruth, die zur Zeit der Richter um 1000 v. Chr. wegen einer Hungersnot aus Bethlehem fliehen muss und für ihre Schwiegermutter Naemi auf den Feldern ihres späteren Mannes Boas Ähren liest. Auf Rat Maemis legt sich Ruth zu Boas woraus Obed, der Großvater König Davids hervorgeht.
 
Die neuzeitliche Geisteshaltung operiert und argumentiert zunehmend wissenschaftlich, mit Analysen von Ursache, Wirkung, Folgen und Gegenmaßnahmen.
Neben der Wissenschaft ist in der jüngsten Neuzeit noch eine weitere Gegenkraft aufgetaucht : Die Public Relations. Es entsteht eine per Meinungsbildung entstandene Lobby, die den vor Ort wirtschaftenden - und zerstörenden - Menschen entgegensteht; was ihr leichtfällt, da sie am Ort des Geschehens keine eigenen wirtschaftlichen Interessen hat.
Das führt dann dazu, dass es bedrohte Tierarten mit einer ach-wie-süüüß-Lobby gibt, wohingegen andere, hässliche, keine Lobby haben.
 
Es lohnt sich vielleicht, auch mal einen Blick aus Europa heraus, in die nordamerikanische Arktis und Subartis vor Kolumbus, zu werfen:
Die Jagd war jedoch nicht nur eine Methode der Subsistenzsicherung , sie war auch Ausdruck einer inneren Einstellung des Menschen zu sich selbst und zu allen anderen Lebewesen und Kräften einer lebenden und fühlenden Umwelt. Tiere waren weit mehr als nur Nahrung zum Erhalt des menschlichen Körpers; sie waren fühlende Teile einer Schöpfung, und die Menschen mussten eine Beziehung zu ihnen aufbauen, die von Vertrauen und Verständnis geprägt war. Die Jäger berührten nicht nur die Körper der Tiere, die ihnen Leben gaben, sondern auch ihren Geist. Sie fühlten sich für die Tiere, die sie jagten, ebenso verantwortlich, wie sie sich füreinander verantwortlich fühlten. Da sie die Autonomie der Tiere ebenso respektierten wie die der Menschen, nahmen sie kein Tier gegen seinen Willen.
...
In ihrem Universum, bestehend aus sichtbaren Landschaften und natürlichen Kräften, sahen die nördlichen Völker auch Zeichen von Ereignissen, die in einer mythischen und bedeutungsschweren Zeit stattgefunden hatten. Für sie waren die Felsen und die Berge, die Flüsse und die Seen, die Sonne, der Mond und die Sterne - genau wie die Pflanzen und Tiere - fühlende Wesen, mit denen sie ständig die Entfaltung lebensspendender und -erhaltender Beziehungen aushandelten. Sie lebten in Regionen, die erfüllt waren vom Wissen um die gegenseitige Abhängigkeit von Menschen, Tieren und natürlichen Phänomenen. Sie studierten das Land und die Tiere, sie studierten sich gegenseitig, und sie gaben die Ergebnisse ihrer Studien in der Form von Mythen und mündlichen Überlieferungen weiter, die Ausdruck waren für das Verständnis eines Volkes für das Leben des Menschen und für das Land, das sie bewohnten.
Robin Ridington "Die Jäger des Nordens", aus "Amerka 1492" von Alvin M. Josephy (Hrsg., 1991)
 
Hallo Klaus,

Informationen waren der Treibstoff, der die Maschine des absolutistischen Staates antrieb, doch den übergeordneten Zweck hatte Henning Eichberg auf die knappe Formel gebracht : 'Ordnen, messen, disziplinieren.' Sümpfe verletzten diesen Ordnungssinn in höchstem Maße. In ihrem natürlichen Zustand belassen, widersetzten sich Sumpfgebiete und Moore einer Vermessung durch die Katasterämter, die für die Festlegung der Grundsteuer erforderlich war, behinderten die Soldaten auf dem Marsch und boten gesetzlosen Elementen wie Wegelagerern und Deserteuren Unterschlupfmöglichkeiten. Ebenso wie die neuen befestigten Straßen und 'Chausseen' jener Zeit waren die Wege, die man auf urbar gemachtem Boden angelegt hatte, und die Meilensteine an ihrer Seite sichtbare Symbole für die Ordnung, die hier Einzug gehalten hatte. Unter dem Blickwinkel einer Organisation der inneren Staatssphäre entsprachen jetzt den Verwaltungslinien auf der Karte Linien auf dem Boden. Und dasselbe galt von den Grenzlinien, die um den Staat gezogen worden waren.
Meines Wissens nach wurde die Sümpfe aber nicht deswegen trockengelegt weil sie sich einer Vermessung durch die Katasterämter widersetzten. Das taten sie nämlich nicht! Man kann katastermäsig den Rand des Sumpfgebiets erfassen und alles darin Eingeschlossene ist der Sumpf. Fürs Kataster reicht das da ja der Sumpf nicht bewirtschaftet wurde.

Die Sümpfe wurden trockengelegt um Ackerland zu gewinnen! Auch wenn zu der Zeit als das gemacht wurde zumindest den Auftraggebenden bewusst sein mußte dass sie die Natur ändern, sie haben es trotzdem gemacht. Gedacht haben sie sich dabei, dass sie das zum Wohle und zur Ernährung der Menschheit machen.
Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa S.283 schrieb:
Sein [Friedrich der Große] größtes Moorkultivierungs-Unternehmen war die Oderbrucherschließung der Jahre 1747 bis 1753, wo 56 000 Hektar trockengelegt wurden. Der Preußenkönig war's zufrieden und sprach den für sein Ansinnen bezeichnenden, vielzitierten Satz: "Hier habe ich im Frieden eine Provinz erobert, ohne einen Mann zu verlieren."

(die nach #59 erstellten Beiträge habe ich noch nicht durch, kommt vielleicht noch ein Kommentar von mir)

Gruß
Segimerus
 
Hallo,

Erlegte der Steinzeitjäger zu viel von seinem Lieblingsbraten, mußte er seine Diät auf anderes Wild umstellen oder es woanders versuchen.
Genau das woanders versuchen taten sie, die Steinzeitmenschen waren nicht seßhaft und sind den Beutetieren nachgezogen.


Der neolithische Bauer wird in den meisten Fällen innerhalb weniger Jahre gemerkt haben, dass der Boden seine Nutzpflanzen nicht unerschöpflich ernährte.
Natürlich haben die das gemerkt, deshalb sind sie ja auch dann Umgezogen wenn die bearbeiteten Ackerflächen nicht mehr viel hergaben (Stichwort: prähistorische Siedlungsweise).
Bis zum Beginn des Frühmittelalters sind ganze Dörfer immer wieder nach einigen Jahren einfach umgezogen*, dh die aktuell bearbeiteten Flächen wurden aufgegeben und ein paar Kilometer weiter wurde neues Land gerodet mit dessen Bäume dann die neuen Häuser gebaut wurden. Die bisher bewohnten Häuser hätten ja sowieso repariert oder erneuert werden müssen, also konnten die neuen Häuser auch an einer anderen Stelle gebaut werden.
Erst durch Einführung der Dreifelderwirtschaft (oder Plaggenwirtschaft in einigen Gegenden) im Frühmittelalter konnten Dörfer länger wie ein paar Jahrzehnte an der gleichen Stelle bleiben und ortsfest werden.


Ich bin nicht sehr bibelfest, ... "Macht euch die Erde untertan" ...
Genau diesen Spruch hatte ich auch bereits im Hinterkopf. Nach der Christianisierung, spätestens im Mittelalter brauchte der Mensch keine Rechtfertigung mehr und hatte deshalb auch kein schlechtes Gewissen wenn er bewußt die Natur änderte. War ja göttlicher Auftrag.

Gruß
Segimerus

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* zumindest in Mittel- und Osteuropa, wie das zB in Italen oder Griechenland war weiß ich nicht.
Vielleicht erklärt sich daraus auch die "Völkerwanderungszeit", die Völker haben auch nichts anderes getan wie früher, aber dann wurde von den römischen Autoren dieses - für sie ungewöhnliche - Verhalten aufgeschrieben.
 
Erst durch Einführung der Dreifelderwirtschaft (oder Plaggenwirtschaft in einigen Gegenden) im Frühmittelalter konnten Dörfer länger wie ein paar Jahrzehnte an der gleichen Stelle bleiben und ortsfest werden.
Vor der Dreifelderwirtschaft gabs die Zweifelderwirtschaft.
Die Entwicklung der Landwirtschaft (Ökosystem Erde)

Das mit dem Wanderfeldbau glaub ich auch nicht so recht:
Ohne Zweifel wird man für das Neolithikum mit einer hohen Siedlungsmobilität rechnen müssen, doch bleibt offen, ob man von einer regelrechten Wanderwirtschaft reden kann. In der Regel scheinen die Siedlungsplätze mindestens eine, manchmal sogar mehrere Generationen lang besiedelt worden zu sein.
(Ulrich Veit)
 
Hallo Sepiola,

Die Zweifelderwirtschaft, also abwechselnd Sommergetreide/Wintergetreide war ja genau das was von der Jungsteinzeit bis ins Frühmittelalter gemacht wurde. Dadurch wurde aber der Boden nicht besser!
Und die Zweifelderwirtschaft die auf deiner Site beschrieben ist und die in Süd- und Südosteuropa betrieben wurde, also Getreite/gepflügtes Brachland verbesserte den Boden bestimmt nicht, die Erosion ist ja dort auch angesprochen.

Erst die Dreifelderwirtschaft (Sommergetreide/Wintergetreide/Brachland) verbesserte die Böden nachhaltig. Das Brachland wurde nämlich nicht gepflügt sondern als Viehweide genutzt und dadurch wurde es eben auch gedüngt.
Brachland darf man sich jetzt nicht so vorstellen dass dort nichts gewachsen ist. Unkräuter und Ausfallgetreide wuchs dort schon.

Das mit dem Wanderfeldbau glaub ich auch nicht so recht:
einige Jahrzehnte wäre besser treffender gewesen wie einige Jahre (war doch schon recht spät)

Gruß
Segimerus
 
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