Delbrück widerlegt?

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Ich frage mich seit einiger Zeit ob es der modernen Geschichtswissenschaft gelungen ist, Hans Delbrück in einem oder mehreren seiner Kernthesen zu widerlegen, ist euch dazu ein Fall bekannt?
 
Ich frage mich seit einiger Zeit ob es der modernen Geschichtswissenschaft gelungen ist, Hans Delbrück in einem oder mehreren seiner Kernthesen zu widerlegen, ist euch dazu ein Fall bekannt?

In einer recht ausführlichen Rezension von Delbrücks "Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte" findest du eine Reihe von kritischen Hinweisen.
Die Deutsche Nationalbibliothek verweist auf zwei Bücher über Delbrück: nämlich
Delbrück's modern military history
Delbrück, Hans. - Lincoln : Univ. of Nebraska Press, 1997
und
Hans Delbrück und der "Strategiestreit"
Lange, Sven. - Freiburg im Breisgau : Rombach, 1995, 1. Aufl.

Die Literaturangaben über D. im Wikipedia-Artikel kennst du sicher.
 
In der Rezession findet sich dieser Satz:

Daß die "Geschichte der Kriegskunst" zumal auch für das Mittelalter und die Frühe Neuzeit durch die Forschung weitgehend überholt ist, wird niemanden überraschen.

Bekannt was genau überholt ist? Es sind leider keine Detailinformationen vorhanden.
 
[Zitat]Daß die "Geschichte der Kriegskunst" zumal auch für das Mittelalter und die Frühe Neuzeit durch die Forschung weitgehend überholt ist, wird niemanden überraschen.
Ja, das ist es, was ich an Rezensionen dieser Art hasse: pauschale Abwertungen ohne den geringsten Nachweis oder auch nur Verweis! Das finde ich die von Klaus verlinkte Rezension prinzipiell nützlicher einschließlich des Hinweises, dass Delbrück jemand war, der sich gern ins "Getümmel" stürzte.

Sieht man von (geschichts-)politisch motivierten Streitigkeiten ab, wozu ich auch den "Strategie"-Streit rechne und Delbrücks Rolle bei der Arbeit des Untersuchungsausschusses nach dem Kriege, so ist vor allem seine Kontroverse mit Kromayer über diverse Punkte der Kriegführung im klassischen Altertum zu nennen. [1] Da mag D. bisweilen eines anderen belehrt worden sein, ohne dass er elementare Aussagen, etwa zur Unglaubwürdigkeit der Krieger-Zahlen, hätte zurücknehmen müssen.


[1] Zu Kromayers grundsätzlicher Position dabei vgl. ders., Antike Schlachtfelder, Bd. 1, S. 13-15; er nennt D. eine "Publizistennatur", dessen Verdienste ("blendende Gedanken, geistreiche Kombinationen") er aber keineswegs verkennen wolle.
 
Delbrücks bleibendes Verdienst ist, dass er die antiken und mittelalterlichen Zahlenangaben (Heer des Xerxes) auf realistische Dimensionen zurecht gestutzt hat. Wenn man mal in Wikipedia blättert, ist diese Erkenntnis selbst heute noch nicht allgegenwärtig. Deshalb ist er nach wie vor aktuell, auch wenn man ihn aus seiner Zeit heraus verstehen sollte.
 
Interessanter FAZ Artikel. Dellbrück ist also in Punkto Geschichte der Kriegskunst im Mittelalter überholt? Gibt es da aktuellere Bücher?
 
Sehr wunderlich dass es von diesem großen Werk so wenig gibt, was im Detail widerlegt wurde, vielleicht haben wir es auch nur noch nicht gefunden.

Bisher steht nur der Satz betreffend Mittelalter im Raum. Könnte sein dass hiermit die (mögliche) Praxis gemeint ist, die Schlachten als ehrenerscheinungen zwischen Rittern anzusehen, also mit vorher von beiden Seiten ausgemachten Ort und Zeit. Ich meine darüber etwas gelesen zu haben in einem der Rezessionen, die dem Buch direkt angefügt sind, allerdings ob das wirklich den Tatsachen entspricht?


Das Problem ist, dass sich wohl kaum mehr ein historiker an diese Problemstellung herangewagt hat nach dem 1. WK wie es scheint.
 
Nun, Delbrücks Mittelalterbuch umfasst meiner Erinnerung nach auch Teile der Völkerwanderung und da hat er sich zum Teil schon etwas verrannt. Wie er germanischen Heeren über Sozialstruktur nachspürte ist originell. Leider fehlte ihm damals eine ausreichend entwickelte Basis von der heraus er seine Schlüsse ziehen konnte. Dabei war er sich auch nicht zu schade, "Quellentexte" in Hinblick auf das Militär als völlig unbrauchbar zu bezeichnen.

Aus seinem Grundverständnis des Krieges im Sinne von Clausewitz heraus mussten Delbrück agonale Verhaltensweisen in mittelalterlichen Kriegen natürlich problematisch sein. Für ihn war Krieg Willensausdruck eines Staates und seiner Glieder mit erkennbaren Zielen. Daher wären ihm auch moderne "Warlords" und ihre Kinderarmeen für sein Rüstzeug (Staatsauffassung und clausewitzsches Kriegsverständnis) der Betrachtung schwer zu fassen. Ohne Frage ist daher sein Mittelalterband der schwächste Teil seines Werkes.
 
Nun, Delbrücks Mittelalterbuch umfasst meiner Erinnerung nach auch Teile der Völkerwanderung und da hat er sich zum Teil schon etwas verrannt. ...
Ich bin gern bereit, das zu akzeptieren. Jedoch wird mir noch nicht hinreichend klar, worin das Verrennen bestand. Kannst Du das vielleicht an einem Textbeispiel erläutern? Liegt das Problem in den Fakten oder in der Bewertung oder in beidem?
 
Besonders Hinweise auf aktuellere Bücher wären sehr wünschenswert, mein ganzes Verständnis der Kriegsgeschichte baut auf Delbrücks Grundzügen auf, ich denke vielen wird es ähnlich gehen. Es müssen doch modifizierte Versionen verfügbar sein.
 
Nun, Delbrücks Mittelalterbuch umfasst meiner Erinnerung nach auch Teile der Völkerwanderung
Da trügt Dich deine Erinnerung. Der Mittelalterband beginnt mit Karl dem Großen, Völkerwanderung wird in Band II - Die Germanen abgehandelt. Was mich leicht erstaunt, dass er mit ihnen einen ganzen Band voll bekommt, während der Vorgänger noch Griechen und Römer fassen muss und keine 200 Seiten (700 statt 550) länger ist.
 
Da trügt Dich deine Erinnerung. Der Mittelalterband beginnt mit Karl dem Großen, Völkerwanderung wird in Band II - Die Germanen abgehandelt. Was mich leicht erstaunt, dass er mit ihnen einen ganzen Band voll bekommt, während der Vorgänger noch Griechen und Römer fassen muss und keine 200 Seiten (700 statt 550) länger ist.

Das liegt daran, dass der Name dieses Bandes irreführend ist; neben den Germanen (mE der schächste Teil des ganzen Werkes) ist die Entwicklung des römischen Kriegswesens nach Augustus Thema, der der erste Band über die Griechen unde Römer nur zur Zeitenwende geht (ca.).

Ich stelle mir übrigens die gleiche Frage wie Brissotin und unser Gast: Viele der grundlegenden Thesen Delbrücks (insb was die Zahlen angeht) erschienen mir sehr überzeugend, sind aber in späteren (überwiegend populärwissenschaftlichen) Werken nicht oder kaum rezipiert.
 
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@ Reinecke

Warum eben der über die Germanen der schwächste ist, liegt für mich auf der Hand. Die Ursache sieht man schon in den Beschreibungen zu den Diadochenkriegen von Delbrück. Wo er meint zuwenig Quellen zu haben, lässt er sich zwar dennoch aus, sagt aber letztlich dass man aus dem Ereignis aufgrund der mangelnden Quellenlage nichts Verwertbares für die Entwicklung der Kriegskunst gewinnen kann.
 
Wenn man bedenkt, dass sich gerade die Quellen aus den Ausgrabungen in den 100! Jahren nach seinen Bänden doch bedeutend vergrößert haben müssen, ist es doch sehr seltsam, dass sich so wenig als falsch erwiesen hat, ein Historiker ist nunmal zu großen Teilen von seinen Quellen abhängig.

Was wird heute eigentlich in einem Geschichtsstudium über die Kriegskunst gelehrt? Wird das überhaupt behandelt? So müsste doch herauszufinden sein, was als widerlegt gillt.
 
Wenn man bedenkt, dass sich gerade die Quellen aus den Ausgrabungen in den 100! Jahren nach seinen Bänden doch bedeutend vergrößert haben müssen, ist es doch sehr seltsam, dass sich so wenig als falsch erwiesen hat,

Ich hab von Militärgeschichte wenig bis keine Ahnung, aber hat sich tatsächlich wenig als falsch erwiesen, oder hat es einfach nur keine Veröffentlichungen gegeben?


Was wird heute eigentlich in einem Geschichtsstudium über die Kriegskunst gelehrt? Wird das überhaupt behandelt?

Ein Geschichtsstudium ist keine militärische Ausbildung. In einem Geschichtsstudium in Deutschland wird an ausgewählten Beispielen die Technik der Quellenerschließung gelehrt. In anderen Ländern wird ein Überblickswissen vermittelt.
 
Ein Geschichtsstudium ist keine militärische Ausbildung. In einem Geschichtsstudium in Deutschland wird an ausgewählten Beispielen die Technik der Quellenerschließung gelehrt. In anderen Ländern wird ein Überblickswissen vermittelt.
Ich glaube aber, das ist mittlerweile auch so in Deutschland. Hat mir eine Geschichtsstudentin gesagt. Im Rahmen des Bachelors hat sie auch das Überblickswissen am Anfang des Studiums zu lernen gehabt.
 
Was wird heute eigentlich in einem Geschichtsstudium über die Kriegskunst gelehrt? Wird das überhaupt behandelt? So müsste doch herauszufinden sein, was als widerlegt gillt.

Auszug aus dem Studienplan der Universität Zürich:

Das Bachelor-Studium im Kleinen Nebenfach in Militärgeschichte vermittelt den Studierenden Sachwissen in den Bereichen Militärgeschichte, Gewaltgeschichte und Historische Friedensforschung. Die Fähigkeit, militärhistorische Fragestellungen kritisch aufzuarbeiten und die Ergebnisse adäquat darzustellen, wird eingeübt.

Hier kann man sich die Inhalte ansehen: http://www.vorlesungen.uzh.ch/HS09/.../sc-50306475/cg-50385148.veranstaltungen.html
 
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