Den großen Krieg planen

Shinigami

Aktives Mitglied
Es ist in diesem Forum verschiedentlich, über den Schlieffenplan, seine Implikationen und seine Gefährlichkeit geschrieben worden, unter entsprechender Kritik vor allem am jüngeren Moltke, der als Preußischer Generalstabschef die Kriegsplanungen in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg federführend verantwortete und die entsprechenden Schlüsselentscheidungen dafür traf, dass ab dem August 1914 der Versuch unternommen wurde, nach diesem Plan Krieg zu führen.
Das Resultat ist bekannt, der Plan scheiterte, hatte aber erhebliche politische Auswirkungen, weil sich das Deutsche Reich mit dem Einmarsch un Luxemburg und Belgien international ins Unrecht setzte und Großbritanniens Tendenz sich der Entente anzuschließen, statt neutral zu bleiben, mindestens erheblich unterstützte, wenn nicht möglicherweise sogar herbeiführte.

Dementsprechend wird der Plan rhetrospektiv, wie auch Moltkes Entscheidung überwiegend negativ betrachtet. In der Literatur zum Ersten Weltkrieg findet sich regelmäßig das Urteil, dass man so einen Plan nie und nimmer hätte fassen dürfen und dass man eben anders hätte planen müssen.
Bezeichnenderweise bleibt die Literatur aber regelmäßig eine Antwort auf die Frage schuldig: "Wie?".

Ich würde in diesem Faden gerne darüber diskutieren, welche anderen realistischen Möglichkeiten der Kriegsplanung denn realistischer Weise infrage gekommen wären, um mit der vorhandenen geostrategischen und politischen Herausforderung umzugehen, die sich aus der Problematik der Triple-Entente, den innenpolitischen Verhältnissen im Reich, seiner Wehrverfassung und den vorhandenen militärischen Mitteln eventuell noch hätten ergeben können.


Hintergrund der Überlegung ist, dass ich umso mehr ich über das Thema lese desto mehr den Eindruck gewinne, dass Moltke d. J. bei der Planung eines Krieges, gleich ob mit agressiven oder defensiven Implikationen vor dem Hintergrund der Gesamtsituation unter Maßgabe der gegebenen Mittel, jedenfalls in den letzten Jahren vor dem Krieg, zu keiner befriedigenden Lösung kommen konnte, die eine erfolgreiche, Kriegsführung gegen alle drei Ententemächte und eventuell weitere Verbündete, einigermaßen plausibel hätte gewährleisten können.

Die wesentlichen faktoren hierfür, die ich bisher meine ausgemacht zu haben sind:

- Die letztendlich inkonsequente Außenpolitik, die Deutschland in der internationalen Mächtekonstellation weitgehend isolierte (damit meine ich allerdings entgegen der gängigen Deutung weniger Bülows Säbelgerassel und die beiden Marokko-Krisen, als viel mehr einen völlig inkonsequenten Umgang, vor allem mit Großbritannien, in geringerem Maße auch mit Russland).
- Die geographischen Gegebenheiten.
- Die Wehrverfassung des Reiches, die durch ihre 4 verschiedenen Armeen einige Probleme aufwarf.
- Fehlpriorisierungen bei der Rüstung zu Gunsten einer letztendlich im Konfliktfall (weitgehend) nutzlosen Flotte gegenüber dem Heer, die aber auch mit der Popularität der Flotte und der Bereitschaft der zivilen Politik diese in größerem Umfang zu finanzieren korrespondierte und somit kein rein hausgemachtes Problem von Kriegsministerium und Generalstab war.
- Zu starker Konservatismus innerhalb des Kriegsministeriums, wo verabsäumt wurde jenseits der reinen Operationsplanung entsprechende Planungen für die Organisation einer zentralisierten Kriegs- und Ersatzstoffwirtschaft im vorhinein zu etablieren (vulnerabilität gegen Seeblockade)
- Fehlende Einsicht auch der zivilen Reichsleitung insgesamt in die Notwendigkeit den modernen Krieg auch auf technologischer und wirtschaftlicher Ebene zu flankieren und den Ausbau von Schlüsselindustrien, im Besonderen im dual-use Bereich (Düngemittel, Sprengstoffe, Motorisierung etc.) staatlich massiv zu unterstützen.

Ich werde die einzelnen Punkte später noch etwas detaillierter ausführen um die Problemstellungen zu konkretisieren.
Jedenfalls sehe ich ganz erhebliche Einengungen von Planungsspielräumen unter den gegebenen Umständen.

Man mag dem Ansatz dem Einwand entgegenhalten, dass bis 1913 die Planungen am "Großen Ostaufmarsch" fortgesetzt wurden und es also bis dahin eine planerische Alternative zum Schlieffenplan gegeben hat.
Hier stellt sich in meinen Augen allerdings die Frage: "Für welches Szenario wäre dieser Alternativplan verwendbar gewesen?".

In meinen Augen wäre das ein guter Plan gewesen, wenn man von britischer Seite her die Zusage hätte bekommen können, dass Großbritannien seine Neutralität wahren würde, wenn Deutschland im Westen nicht aktiv vorginge, sondern defensiv bleibe oder alternativ, wenn Großbritannien in einen anderen Konflikt verstrickt gewesen und somit zu erwarten gewesen wäre, dass sich ein Eingrifen Großbritanniens dadurch mindestens signifikant verzögern würde.
Ich halte den Ostaufmarsch als Alternativszenario für Plausibel, so lange man mit einiger Sicherheit darauf hätte rechnen dürfen, dass die Seewege weitgehend offen bleiben würden.
Im Fall eines Eingreifens Großbritanniens, halte ich diesen Plan unter den gegebenen Umständen nicht für plausibel als Kriegsplan gegen die gesamte Entente, weil mit der Verknappung von Schlüsselgütern für Rüstung und Versorgung jedenfalls gerechnet werden musste, so lange keine Vorsorge getroffen wurde eine Ersatzwirtschaft aufzubauen, mit der Implikation, dass sich die Auswirkungen dessen steigern mussten.


Abschließend möchte ich noch auf zwei Dinge verweisen, die ich in diesem Faden explizit nicht diskutieren möchte:

1. Die Erfolgsaussichten des Schlieffenplans oder seine Konsequenzen selbst, weil dass von Diskussionen um mögliche Alternativen ablenken würde.

2. Erwägungen, die auf eine Entlastung Moltkes d. J. hinauslaufen würden, sollte man zu dem Schluss kommen, dass dieser tatsächlich keine validen Möglichkeiten hatte im gegebenen Moment (d.h. etwa zwischen 1910 und 1914, nicht davor und nicht darüber hinaus) einen anderen plausiblen Kriegsplan vorzulegen, der in einem Krieg mit allen drei Ententemächten einigermaßen erfolgsversprechend gewesen wäre.
Eine Entlastung Moltkes erübrigt sich bereits aus dem Grund, dass er wenn er keine anderen Möglichkeiten, als dieses hochriskante Spiel gesehen haben sollte, in der Pflicht gewesen wäre, dies dem Kaiser, der zivilen Reichsleitung und nach meinem Dafürhalten auch den Spitzen der politischen Parteien im Reichstag mitzuteilen um Fehlprioritäten bei der Rüstung zu beheben und zusätzliche Mittel zu mobilisieren um dem Problem abhilfe schaffen zu können.
Für die Kommunikation mit der zivilen Politik wäre zwar in erster Linie nicht der Generalstab, sondern das Kriegsministerium zuständig gewesen, nichtsdesto weniger hätte das Kriegsministerium da natürlich mindestens ein eindeutiges Statement des für die Operationsplanung verantwortlichen Generalstabs gegenüber den zivilen Politikern, im Besonderen den Chefs der stärker werdenden militärskeptischen SPD benötigt um erfolgreich Verständnis und Mittel einwerben zu können.
Da das nicht erfolgt ist, kann Moltke in der Sache auch nicht entlastet werden.

Umgekehrt würde sich allerdings die Frage stellen, inwiefern auch das Verhalten der zivilen Politik und ihrer Akteure, sei es wissentlich oder unwissentlich Moltkes Planungsspielräume möglicherweise entscheidend einengte.
Und hierbei wäre nicht ausschließlich die Außenpolitik zu betrachten.
 
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Bezüglich der Alternative eine "Offensive " im Osten":
Wir gehen hier von einer Neutralität GBs aus (Seewege nur von der Flotte Frankreichs bedroht)? Ist das bezüglich Deiner Intention korrekt?
 
Wir gehen hier von einer Neutralität GBs aus (Seewege nur von der Flotte Frankreichs bedroht)? Ist das bezüglich Deiner Intention korrekt?
Mit einer Situation, in der Großbritannien neutral geblieben wäre, hätte man (siehe Ostaufmarsch) durchaus umgehen können.
Aber das war nicht der worst case mit dem Moltke seit der Triple-Entente zu plannen hatte, die politische Großwetterlage war ja dergestalt, dass auf eine solche britische Neutralität nicht sicher gerechnet werden konnte.

Moltke stand von dem her also vor der Aufgabe ein Kriegszenario gegen alle drei Großmächte der Entente planen zu müssen. Er wählte den Ansatz Frankreich in einer Blitzaktion auszuschalten, bevor Russland aktiv würde werden können um das Problem mit 3 Gegnern gleichzeitig Krieg zu führen zu umgehen.

Wenn nun unterstellt wird, dass Moltke eben anders hätte planen sollen, setzt das ja im Prinzip vorraus, dass angenommen wird, dass ein Krieg gegen alle 3 Entente-Staaten à priori gewinn- oder mindestens durchhaltbar gewesen wäre, mit den Mitteln, die Deutschland zu diesem Zeitpunkt hatte.
Der Krieg gegen gesamte Triple-Entente war der worst-case mit dem Moltke zu rechnen und zu planen hatte.

Wie hätte ein solcher Kriegsplan gegen alle 3 Entente-Staaten aussehen können unter den Prämissen:

- Dass sich die Erfolge der Ersatzwirtschaft während des 1. Weltkriegs nicht vorwegnehmen ließen und hierfür nichts vorbereitet war.
- Dass dabei nicht der Versuch unternommen würde auf Kosten der Neutralität anderer Staaten einen der Entente-Staaten (was nach Lage der Dinge nur Frankreich sein konnte) in einer Blitzaktion aus dem Krieg zu nehmen.
 
Soweit mir bekannt, wurde allerdings nicht von einen Konflikt auch gegen GB ausgegangen und ebenso wenig von von der dann wirkungsvoll ausgeführten Fernblokade.
 
Das ein langer Krieg nicht durchhaltbar wäre war wohl soweit bekannt.
Allerdings habe ich beim lesen verschiedener Literatur häufig den Eindruck gewonnen, das führende Militärs/ auch die Berufsoffiziere allgemein, kaum Interesse daran hatten sich mit den Problemen einer Kriegswirtschaft zu beschäftigen, den dafür notwendigen Rohstoffen, der Lebensmittelversorgung, ja den Problemen der Zivilisten allgemein.
Nach meinem Kenntnisstand wurde im kriegswirtschaftlichen Bereich praktische alles notwendige versäumt, auf politischer, wirtschaftlicher und militärischer Ebene.

Ich kann von daher die Planung einer Offensive im Osten unter passiver Haltung im Westen nur unter der Maßgabe einer angenommenen Neutralität GBs annehmen!?
 
Ich kann von daher die Planung einer Offensive im Osten unter passiver Haltung im Westen nur unter der Maßgabe einer angenommenen Neutralität GBs annehmen!?
Wie gesagt, ich gehe davon aus, dass der Ostaufmarsch im Fall einer garantierten Neutralität Großbritanniens eine plausible Alternative gewesen wäre.

Nur konnte angesichts der außenpolitischen Lage ja nicht davon ausgegangen werden. Die Triple-Entente bestand und de facto verfestigte sie sich in Annäherung an den Kriegsausbruch weiter (britisch-russische Marinekonvention), so dass es unter Maßgaben der außenpolitischen Situation eigentlich erforderlich war Kriegspläne für den Fall vorzuhalten, mit allen 3 Entente-Mächten aneinander zu geraten und ebenfalls unter der Vorraussetzung, dass im Falle eines Krieges mit Großbritannien Italien wahrscheinlich die Tendenz haben würde auf Seiten der Zentralmächte nicht mitzugehen, angesichts seiner starken strategischen Verwundbarkeit gegenüber maritimen Operationen.

Unter diesen Umständen musste Moltke von der realen Möglichkeit ausgehen, es je nach Konstellation mit 3 Großmächten zu tun zu bekommen und für diesen Fall nicht zu planen wäre dann doch äußerst fahrlässig gewesen.

Im Hinblick auf den Schlieffenplan konnte man sich immerhin einreden, dass zummindest die Konzeption geeignet sei (unabhängig von der Frage ihrer tatsächlichen Durchführbarkeit), mit drei großen Gegnern fertig zu werden. Einen Gegner auszuschalten, bevor die anderen beiden beiden sich massiv bemerkbar würden machen können, war immerhin eine plausible Idee.
Genau so musste aber auch klar sein, dass das nur bei diesem Gegner und nur über Belgien und Luxemburg funktionieren konnte.
Ein Ausschalten Großbritanniens war mit den gegebenen Mitteln ohnehin nicht machbar (und hätte auch nicht in Moltkes Kompetenzbereich gelegen, weil es weitgehend Aufgabe des Marineamtes und der Admiralität war sich um den Seekrieg zu kümmern) und sowohl ein Losschlagen gegen Osten und Russland, als auch ein potentiell rein defensives Verhalten hätte bedeutet in den Erschöpfungskrieg zu steuern, für den man nicht vorbereitet war.



Der Knackpunkt für mich ist, dass in der Literatur der Schlieffenplan häufig aus Ausdruck militaristischen Übermuts und der Missachtung aller anderen relevanten Bereiche verstanden worden ist.
Das ist eine Einschätzung, die ich zunehmend nicht mehr teile, weil ich nicht sehe, wie Moltke ein worst-case-Szenario, in Form des Krieges gegen die gesamte Triple-Entente anders hätte organisieren können ohne im Hinblick auf die Versorgungslage und Kriegswirtschaft ein eigentlich nicht verantwortbares Vabanquespiel anzufangen.
Das aber bedeutet für mich, dass der Schlieffenplan weniger Ausdruck militärischer Hybris, als viel mehr fehlender Mittel gewesen sein dürfte etwas anderes zu organisieren und an dieser Stelle müsste man dann gegebenenfalls über die indirekte Mitverantwortung der zivilen Politik für diese Planungen reden, anstatt die Verantwortung dafür allein auf die Militärs abzuwälzen.
Wie ich das sehe, stand Moltke spätestens ab ca. 1910, als die Triple-Entente bestand und Russland sich langsam von der Niederlage gegen Japan erholte und wieder zu einem Akteur wurde, mit dem man rechnen musste, vor einer Aufgabe, die im Prinzip mit den Mitteln, die man ihm zugestand, nicht mehr zu lösen war, außer mit der Figur des Schlieffenplans (wenn man dessen prinzipielle Funktionsfähigkeit einmal vorraussetzt).

Daran waren Generalstab und Kriegsministerium gewiss nicht ganz unschuldig, weil sie es versäumten in entsprechender Weise mit ihren Problemen an die zivile Reichsleitung und die politischen Parteien heranzutreten und man wird auch dementsprechend vor allem den politischen Parteien zugute halten können, eventuell nicht über genügend Detailkenntnisse verfügt zu haben um die Gefährlichkeit ihres politischen Handelns in vollem Ausmaß zu erkennen.
Möglicherweise, wäre es aber doch angezeigt mal in die andere Richtung zu denken und sich die Frage zu stellen, ob das Festhalten am Schlieffenszenario und das zunehmende Abstellen darauf, tatsächlich in einer ungesund militaristischen Schlagseite bei den Entscheidungsträgern auf deutscher Seite lag, wie das immer postuliert worden ist oder ob es im Gegenteil vielleicht sogar eher Produkt mangelnde Einsicht und Einsichtsfähigkeit in die militärischen Belange war, die diese Problematik herbeiführte.

Man könnte das provokant in der Frage zuspitzen, ob Deutschlands Planungen (damit sind die militärischen Planungen für den Kriegsfall gemeint, nicht der zivile Entscheidungsprozess hin zum Krieg) zu einem Problem wurden, weil die Entscheidungsträger tatsächlich zu militaristisch tickten oder aber ob sie eher einen kritischen Mangel an Militarismus aufwiesen.

Zur Erklärung, der Terminus "Militarismus" unterstellt ja die Ausrichtung der Politik an einem Primat der militärischen-strategischen Überlegungen und Bedürfnisse, anstatt des umgekehrten Normalzustands.
Nun wird man aber wenn man sich die Problematiken, vor denen Moltke bei seinen Planungen stand, näher anschaut, zu dem Schluss kommen können, dass Außen- Wirtschafts- und teilweise Rüstungspolitik aber keineswegs in diesem Sinne an den Bedürfnissen des Militärs oder jedenfalls des Heeres ausgerichtet waren (von der Flotte könnte man anderes behaupten, aber die war für die Kriegsplanungen zu Lande nur von geringer Relevanz) und mit ihrer mangelnden Rücksicht auf die Problematiken eines Landkrieges Moltke seine Arbeit massiv erschwerten, wenn nicht verunmöglichten.
Vor diesem Hintergrund, könnte man wiederrum auf die provokante Frage zuspitzen, ob Deutschland in derartige strategische Probleme geraten wäre, wenn die Strukturen im Sinne einer Ausrichtung an den militärischen Bedürfnissen, tatsächlich etwas militaristischer gewesen wären?
Denn ein tatsächlicher Militarismus im Sinne eines Primats der militärischen Belange hätte nämlich paradoxer Weise eigentlich eine defensivere Außenpolitik, im Besonderen mit Hinblick auf Großbritannien und andere vorbereitende Maßnahmen (neumodisch würde man das Wohl "Steigerung der Resillienz nennen") zur Folge haben müssen, die zumindest die Situation auf Ebene der militärischen Planung (nicht unbedingt der politischen Entscheidungsfindung) wahrscheinlich entschärft hätten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn Du davon ausgehst, auch GB tritt gegen das DR in den Krieg ein, dann kann es ja keine Alternative zu Moltkes Planung im Westen gegeben haben.
Das russisches Kaiserreich ließ sich nicht schnell niederwerfen.
Über die mangelnden Kriegsvorbereitungen in wirtschaftlicher Hinsicht braucht man sich hier nicht ausbreiten, die sind ja bekannt.

Für mich ist eine Diskussion über einen "Ostplan" nur im Falle einer Neutralität GBs sinnvoll. Das die vermutlich nicht gegeben war, das hat wohl weder die deutsche Politik noch das Militär auf dem Schirm gehabt.
 
Nach heutiger Gesetzgebung ist die Planung eines Angriffskrieges eine schwere Straftat.
Auch für den Generalstabschef.
Die Planung eines Krieges mit defensiven Implikationen allerdings nicht. Und die ist nach wie vor Kernkompetenz der militärischen Stäbe.

Die Frage der Entscheidung über Krieg und Frieden ist hingegen eine Angelegenheit der zivilen Politik und dezidiert nicht Aufgabe der Militärs, jedenfalls in einem Staatswesen in dem es eine einigermaßen gesunde Kontrolle der zivilen Politik über das Militär gibt.


Für mich ist eine Diskussion über einen "Ostplan" nur im Falle einer Neutralität GBs sinnvoll. Das die vermutlich nicht gegeben war, das hat wohl weder die deutsche Politik noch das Militär auf dem Schirm gehabt.
Ich gehe schon davon aus, dass Moltke dass im Hinterkopf hatte, denn vor allem unter dieser Vorraussetzung, macht die Aufgabe des Ostaufmarsches als Szenario Sinn.

Russlands Aufrüstung ab dem Beginn der 1910er Jahre machte die Aufgabe eines Krieges im Osten zwar schwieriger aber sicherlich nicht unmöglich. @Turgot hatte immer wieder den Aufbau der strategischen russischen Bahnen und die Reaktionsfähigkeit Russlands mit als Grund für die Aufgabe des Ostplans angeführt, aber daran glaube ich nicht recht.
Im Gegenteil würde ich meinen, dass der Ausbau der russischen Infrastruktur dem Ost-Szenario eher entgegengekommen wäre, weil sie natürlich auch umgekehrt für ein Vorgehen nach Russland hinein den Weg hätte bereiten können (die Schienen hätte man wegen der Spurweite umnageln müssen aber es wäre immerhin machbar gewesen).


Ich habe ein wenig die Vermutung, (kann sie aber ad hoc nicht belegen), dass die Aufgabe des Ost-Aufmarsches mehr Ausfluss der Erkenntnis war, dass Großbritanniens Anlehnung an Frankreich und Russlands, nachdem Russland sich erholte nicht mehr als temporäres Ausgleichsmanöver interpretiert wurde, sondern eine Verfestigung der Triple-Entente angenommen wurde.
Damit wäre wegen der zu erwartenden Seeblockade die Grundlage für das Ost-Szenario entfallen. Aber wie gesagt, dass ist spekulativ.



Wenn Du davon ausgehst, auch GB tritt gegen das DR in den Krieg ein, dann kann es ja keine Alternative zu Moltkes Planung im Westen gegeben haben.
Das russisches Kaiserreich ließ sich nicht schnell niederwerfen.
Über die mangelnden Kriegsvorbereitungen in wirtschaftlicher Hinsicht braucht man sich hier nicht ausbreiten, die sind ja bekannt.
Dann allerdings, frage ich mich wie man zu dem Urteil kommt, der Schlieffenplan sei eine vor allem von Hybris gespeiste militärische Unbesonnenheit gewesen und man hätte vernünftigerweise anders planen sollen, wie dass immer wieder durch die Literatur geistert.
 
Ja, aber diese Frage stellt sich mir nicht, was die da in der Literatur schreiben, von mir aus, wenn jemand dieser Meinung ist, da wird es aber außer einem "schnellem Sieg gegen RF" trotzdem keine Alternative geben, aber "Papier ist geduldig":)
 
Nun wird man aber wenn man sich die Problematiken, vor denen Moltke bei seinen Planungen stand, näher anschaut, zu dem Schluss kommen können, dass Außen- Wirtschafts- und teilweise Rüstungspolitik aber keineswegs in diesem Sinne an den Bedürfnissen des Militärs oder jedenfalls des Heeres ausgerichtet waren
Sicher war niemand auf den immensen wirtschaftlichen Kraftakt vorbereitet, Millionenheere jahrelang zu versorgen, auszurüsten etc etc (1914 wusste noch niemand, dass der ausgebrochene Krieg ganze vier Jahre (!) andauern würde, und es plante niemand für einen derartigen Zeitraum) - was die Vorbereitungen im Sinne von "be prepared" betrifft, so lief das europaweit seit Anfang der 90er Jahre eigentlich recht gut: niemand verhungerte beim massenhaften Bau strategischer Bahnlinien, beim massenhaften Festungsbau, beim herstellen von Munition und Waffen, beim Flottenrüsten (bestenfalls könnte man einwenden, dass die wirtschaftlichen Bedingungen für diese allumfassende Rüstung zu Wasser und zu Lande zunächst noch im Aufbau waren, d.h. es ging ab 1890 nicht sogleich volles Rohr los - aber es wurde, trotz knapper Mittel (denn das alles war teuer!) doch enorm viel produziert und (auf)gebaut).
...ich weiß...Festu....bin gleich wieder still --- bei Interesse kann man im opulenten Buch "Festungsstadt Köln" nachlesen, dass und wie sich gezielt Industrie um Köln ansiedelte, um den gewaltigen Ausbau leisten zu können (das Militär war ein geschätzter Arbeitgeber) - und anders sah in Frankreich, England, Russland, Belgien etc in dieser Hinsicht auch nicht aus.

Militarismus kontra Friedenspolitik Anfang 20. Jh.: da fällt mir ein, dass niemand 1905 die günstige Gelegenheit ergriff, dem angeschlagenen russischen Bären den Garaus zu machen (dabei wäre das eigentlich ganz im Sinne der Militärs gewesen, einen starken potentiellen Gegner a priori und gründlich auszuschalten)

Ich würde in diesem Faden gerne darüber diskutieren, welche anderen realistischen Möglichkeiten der Kriegsplanung denn realistischer Weise infrage gekommen wären, um mit der vorhandenen geostrategischen und politischen Herausforderung umzugehen, die sich aus der Problematik der Triple-Entente, den innenpolitischen Verhältnissen im Reich, seiner Wehrverfassung und den vorhandenen militärischen Mitteln eventuell noch hätten ergeben können.
Man hätte 1914, da man eigentlich in Sachen Defensive bestens vorbereitet war (Westen: Festungskette von Basel bis Borkum; Norden: uneinnehmbar befestige Inselkette & Küste; Osten: moderne Festungskette von der Ostsee bis Breslau; fernerhin genügend strategische Bahnlinien im Inland, um überallhin Truppen/Equipment dislozieren zu können), stur eingeigelt ausharren können, d.h. niemandem den Krieg erklären und nur im Fall, dass man angegriffen wird, entsprechende Verteidigungsmaßnahmen ergreifen - - moralisch hätte das gewaltige Pluspunkte eingebracht.
 
Sicher war niemand auf den immensen wirtschaftlichen Kraftakt vorbereitet, Millionenheere jahrelang zu versorgen, auszurüsten etc etc (1914 wusste noch niemand, dass der ausgebrochene Krieg ganze vier Jahre (!) andauern würde, und es plante niemand für einen derartigen Zeitraum)
Davon rede ich auch nicht.

Man hätte aber, wenn man nicht auf einen schnellen Sieg im Westen hätte rechnen wollen, eigentlich mindestens Vorbereitungen haben müssen um einen Krieg vielleicht about 1 Jahr lang locker führen zu können, um ein Zeitfenster zu haben bei Bedarf noch Lösungen zu implementieren um den Zeitraum, den man hätte durchhalten können zu verlängern.
...ich weiß...Festu....bin gleich wieder still --- bei Interesse kann man im opulenten Buch "Festungsstadt Köln" nachlesen, dass und wie sich gezielt Industrie um Köln ansiedelte, um den gewaltigen Ausbau leisten zu können (das Militär war ein geschätzter Arbeitgeber) - und anders sah in Frankreich, England, Russland, Belgien etc in dieser Hinsicht auch nicht aus.
Ich hab ja nichts gegen Festungen, auch wenn ich mich bei dem Thema nicht für besonders satisfaktionsfähig halte.
Das wurde natürlich betrieben und half natürlich auch bestimmte strategische Probleme einzudämmen.
Schutz der Lothringer Erze, Verlegung der Option für die Russen enger am Bereich der masurischen Seen zu operieren und damit ihre Armeen besser koordinieren zu können, Sicherung der Weichselübergänge, etc.

Man hätte 1914, da man eigentlich in Sachen Defensive bestens vorbereitet war (Westen: Festungskette von Basel bis Borkum; Norden: uneinnehmbar befestige Inselkette & Küste; Osten: moderne Festungskette von der Ostsee bis Breslau; fernerhin genügend strategische Bahnlinien im Inland, um überallhin Truppen/Equipment dislozieren zu können), stur eingeigelt ausharren können, d.h. niemandem den Krieg erklären und nur im Fall, dass man angegriffen wird, entsprechende Verteidigungsmaßnahmen ergreifen - - moralisch hätte das gewaltige Pluspunkte eingebracht.
Naja, man war in Fragen militärischen Geräts auf Defensive vorbereitet, aber eben nicht in Sachen Nachschub (Chilesalpeter, Nahrungsmitteldefizit) etc.
Nun konnte man ja davon ausgehen, dass mindestens in den ersten Monaten eines Krieges die Neutralen noch würden aushelfen können und dass es mindestens in dieser Zeit nicht so schlimm würde, aber darüber hinaus war man eigentlich nicht vorbereitet, jedenfalls nicht, wenn Großbritannien mitspielte.
Hätte man sich anno 1914 eingeigelt und die Briten wären trotzdem auf der Seite der Entente in den Krieg eingetreten, hätten die Ententemächte wahrscheinlich die Strategie verfolgt zunächst erstmal überhaupt nicht so viel zu unternehmen und das Einsetzen der Blockadewirkung so wie die vollständige russische Mobilisation abzuwarten.
Wahrscheinlich um dann irgenwann nach Eintreten dieser Effekte eine koordinierte Zweifrontenoffensive zu starten.

Frankreich und Russland waren natürlich auch nicht auf einen langen Krieg eingestellt, Großbritannien in gewissen Grad schon und natürlich wären die Entente-Mächte, was Nachschub-Fragen angeht dauerhaft im Vorteil gewesen.
 
Hätte man sich anno 1914 eingeigelt und die Briten wären trotzdem auf der Seite der Entente in den Krieg eingetreten,
dann:
a) sähe die gerne vehement gestellte Kriegsschuldfrage gänzlich anders aus,
b) müsste man darlegen, warum die Entente einen Krieg begonnen hätte
(beides Konsequenzen aus deiner Replik zu meiner Überlegung, dass man sich hätte einigeln können ohne irgendwem den Krieg zu erklären)
 
Aber mit meinem Gedankenspiel "einigeln" kommen wir nicht weiter, denn totale Defensive hatte kein damaliger Militär auf dem Schirm.

Sich 1914 am Aufmarschplan Ost zu orientieren: hätte das zu einer französischen Kriegserklärung (weil Bündnis) geführt? Und wie und wo hätte Frankreich angreifen sollen?
 
a) sähe die gerne vehement gestellte Kriegsschuldfrage gänzlich anders aus,
Die ist ja nun ein Problem der Nachwelt, mit der sich Moltke nicht zu beschäftigen brauchte. Dessen Aufgabe war es aus den vorhandenen Mitteln einen plausiblen Kriegsplan zu zimmern und diesen im Kriegsfall auszuführen, nicht mehr und nicht weniger.
b) müsste man darlegen, warum die Entente einen Krieg begonnen hätte
(beides Konsequenzen aus deiner Replik zu meiner Überlegung, dass man sich hätte einigeln können ohne irgendwem den Krieg zu erklären)

Wenn man anno August 1914 sich von deutscher Seite her einfach nur eingeigelt hätte, ohne irgendwem den Krieg zu erklären oder irgendwo einzugreifen, hätten die Russen Österreich-Ungarn mit einiger Wahrscheinlichkeit ziemlich schnell besiegt, möglicherweise wäre in der Konsequenz das gesamte Habsburger Reich zerbrochen.
Deutschland hätte dann seinen einzigen noch einigermaßen verlässlichen und schlagkräftigen Verbündeten verloren und den Franzosen, Russen und Briten hätte sich eine ähnliche Situation geboten, wie den Deutschen und den Österreichern anno 1905 und folgend.
Nämlich diejenige, für den Moment einen deutlich unterlegenen strategischen Gegner vor sich zu haben und mit einem Krieg, der wahrscheinlich zu gewinnen sein würde, die Machtverhältnisse in Europa umstürzen zu können.

Russland und Frankreich solche Optionen zu eröffnen, hätte sich als überaus gefährlich erweisen können.

Anno 1914 in der realen historischen Entwicklung war, passiv bleiben definitiv keine Option mehr, in dem Moment in dem die russische Intervention zu Gunsten Serbiens sich abzeichnete.
 
Aber mit meinem Gedankenspiel "einigeln" kommen wir nicht weiter, denn totale Defensive hatte kein damaliger Militär auf dem Schirm.

Sich 1914 am Aufmarschplan Ost zu orientieren: hätte das zu einer französischen Kriegserklärung (weil Bündnis) geführt? Und wie und wo hätte Frankreich angreifen sollen?
Genau das wo wäre für Frankreich ein echtes Problem gewesen, im Prinzip nur durch Belgien und Luxemburg, vielleicht auch noch die Niederlande!

Die Grenze zwischen RF und DR war geländetechnisch für einen Angriff eher ungünstig, hier ist die Verteidigung noch stärker begünstigt als sie sowieso schon war.
 
Und von daher wäre natürlich eine große "Aktion im Osten" durchaus möglich und eventuell sogar sinnvoll gewesen.
Immer unter der Voraussetzung GB neutral!!!

Die französische Flotte alleine war zwar durchaus in der Lage, auch aufgrund ihrer Stützpunktverteilung, den deutschen Überseehandel zu behindern, aber sicherlich nicht in dem Maße, hier eine echte Blockadewirkung zu erzielen, zumal ja noch starke Kräfte im Mittelmeer verbleiben mußten.
 
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