Es ist in diesem Forum verschiedentlich, über den Schlieffenplan, seine Implikationen und seine Gefährlichkeit geschrieben worden, unter entsprechender Kritik vor allem am jüngeren Moltke, der als Preußischer Generalstabschef die Kriegsplanungen in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg federführend verantwortete und die entsprechenden Schlüsselentscheidungen dafür traf, dass ab dem August 1914 der Versuch unternommen wurde, nach diesem Plan Krieg zu führen.
Das Resultat ist bekannt, der Plan scheiterte, hatte aber erhebliche politische Auswirkungen, weil sich das Deutsche Reich mit dem Einmarsch un Luxemburg und Belgien international ins Unrecht setzte und Großbritanniens Tendenz sich der Entente anzuschließen, statt neutral zu bleiben, mindestens erheblich unterstützte, wenn nicht möglicherweise sogar herbeiführte.
Dementsprechend wird der Plan rhetrospektiv, wie auch Moltkes Entscheidung überwiegend negativ betrachtet. In der Literatur zum Ersten Weltkrieg findet sich regelmäßig das Urteil, dass man so einen Plan nie und nimmer hätte fassen dürfen und dass man eben anders hätte planen müssen.
Bezeichnenderweise bleibt die Literatur aber regelmäßig eine Antwort auf die Frage schuldig: "Wie?".
Ich würde in diesem Faden gerne darüber diskutieren, welche anderen realistischen Möglichkeiten der Kriegsplanung denn realistischer Weise infrage gekommen wären, um mit der vorhandenen geostrategischen und politischen Herausforderung umzugehen, die sich aus der Problematik der Triple-Entente, den innenpolitischen Verhältnissen im Reich, seiner Wehrverfassung und den vorhandenen militärischen Mitteln eventuell noch hätten ergeben können.
Hintergrund der Überlegung ist, dass ich umso mehr ich über das Thema lese desto mehr den Eindruck gewinne, dass Moltke d. J. bei der Planung eines Krieges, gleich ob mit agressiven oder defensiven Implikationen vor dem Hintergrund der Gesamtsituation unter Maßgabe der gegebenen Mittel, jedenfalls in den letzten Jahren vor dem Krieg, zu keiner befriedigenden Lösung kommen konnte, die eine erfolgreiche, Kriegsführung gegen alle drei Ententemächte und eventuell weitere Verbündete, einigermaßen plausibel hätte gewährleisten können.
Die wesentlichen faktoren hierfür, die ich bisher meine ausgemacht zu haben sind:
- Die letztendlich inkonsequente Außenpolitik, die Deutschland in der internationalen Mächtekonstellation weitgehend isolierte (damit meine ich allerdings entgegen der gängigen Deutung weniger Bülows Säbelgerassel und die beiden Marokko-Krisen, als viel mehr einen völlig inkonsequenten Umgang, vor allem mit Großbritannien, in geringerem Maße auch mit Russland).
- Die geographischen Gegebenheiten.
- Die Wehrverfassung des Reiches, die durch ihre 4 verschiedenen Armeen einige Probleme aufwarf.
- Fehlpriorisierungen bei der Rüstung zu Gunsten einer letztendlich im Konfliktfall (weitgehend) nutzlosen Flotte gegenüber dem Heer, die aber auch mit der Popularität der Flotte und der Bereitschaft der zivilen Politik diese in größerem Umfang zu finanzieren korrespondierte und somit kein rein hausgemachtes Problem von Kriegsministerium und Generalstab war.
- Zu starker Konservatismus innerhalb des Kriegsministeriums, wo verabsäumt wurde jenseits der reinen Operationsplanung entsprechende Planungen für die Organisation einer zentralisierten Kriegs- und Ersatzstoffwirtschaft im vorhinein zu etablieren (vulnerabilität gegen Seeblockade)
- Fehlende Einsicht auch der zivilen Reichsleitung insgesamt in die Notwendigkeit den modernen Krieg auch auf technologischer und wirtschaftlicher Ebene zu flankieren und den Ausbau von Schlüsselindustrien, im Besonderen im dual-use Bereich (Düngemittel, Sprengstoffe, Motorisierung etc.) staatlich massiv zu unterstützen.
Ich werde die einzelnen Punkte später noch etwas detaillierter ausführen um die Problemstellungen zu konkretisieren.
Jedenfalls sehe ich ganz erhebliche Einengungen von Planungsspielräumen unter den gegebenen Umständen.
Man mag dem Ansatz dem Einwand entgegenhalten, dass bis 1913 die Planungen am "Großen Ostaufmarsch" fortgesetzt wurden und es also bis dahin eine planerische Alternative zum Schlieffenplan gegeben hat.
Hier stellt sich in meinen Augen allerdings die Frage: "Für welches Szenario wäre dieser Alternativplan verwendbar gewesen?".
In meinen Augen wäre das ein guter Plan gewesen, wenn man von britischer Seite her die Zusage hätte bekommen können, dass Großbritannien seine Neutralität wahren würde, wenn Deutschland im Westen nicht aktiv vorginge, sondern defensiv bleibe oder alternativ, wenn Großbritannien in einen anderen Konflikt verstrickt gewesen und somit zu erwarten gewesen wäre, dass sich ein Eingrifen Großbritanniens dadurch mindestens signifikant verzögern würde.
Ich halte den Ostaufmarsch als Alternativszenario für Plausibel, so lange man mit einiger Sicherheit darauf hätte rechnen dürfen, dass die Seewege weitgehend offen bleiben würden.
Im Fall eines Eingreifens Großbritanniens, halte ich diesen Plan unter den gegebenen Umständen nicht für plausibel als Kriegsplan gegen die gesamte Entente, weil mit der Verknappung von Schlüsselgütern für Rüstung und Versorgung jedenfalls gerechnet werden musste, so lange keine Vorsorge getroffen wurde eine Ersatzwirtschaft aufzubauen, mit der Implikation, dass sich die Auswirkungen dessen steigern mussten.
Abschließend möchte ich noch auf zwei Dinge verweisen, die ich in diesem Faden explizit nicht diskutieren möchte:
1. Die Erfolgsaussichten des Schlieffenplans oder seine Konsequenzen selbst, weil dass von Diskussionen um mögliche Alternativen ablenken würde.
2. Erwägungen, die auf eine Entlastung Moltkes d. J. hinauslaufen würden, sollte man zu dem Schluss kommen, dass dieser tatsächlich keine validen Möglichkeiten hatte im gegebenen Moment (d.h. etwa zwischen 1910 und 1914, nicht davor und nicht darüber hinaus) einen anderen plausiblen Kriegsplan vorzulegen, der in einem Krieg mit allen drei Ententemächten einigermaßen erfolgsversprechend gewesen wäre.
Eine Entlastung Moltkes erübrigt sich bereits aus dem Grund, dass er wenn er keine anderen Möglichkeiten, als dieses hochriskante Spiel gesehen haben sollte, in der Pflicht gewesen wäre, dies dem Kaiser, der zivilen Reichsleitung und nach meinem Dafürhalten auch den Spitzen der politischen Parteien im Reichstag mitzuteilen um Fehlprioritäten bei der Rüstung zu beheben und zusätzliche Mittel zu mobilisieren um dem Problem abhilfe schaffen zu können.
Für die Kommunikation mit der zivilen Politik wäre zwar in erster Linie nicht der Generalstab, sondern das Kriegsministerium zuständig gewesen, nichtsdesto weniger hätte das Kriegsministerium da natürlich mindestens ein eindeutiges Statement des für die Operationsplanung verantwortlichen Generalstabs gegenüber den zivilen Politikern, im Besonderen den Chefs der stärker werdenden militärskeptischen SPD benötigt um erfolgreich Verständnis und Mittel einwerben zu können.
Da das nicht erfolgt ist, kann Moltke in der Sache auch nicht entlastet werden.
Umgekehrt würde sich allerdings die Frage stellen, inwiefern auch das Verhalten der zivilen Politik und ihrer Akteure, sei es wissentlich oder unwissentlich Moltkes Planungsspielräume möglicherweise entscheidend einengte.
Und hierbei wäre nicht ausschließlich die Außenpolitik zu betrachten.
Das Resultat ist bekannt, der Plan scheiterte, hatte aber erhebliche politische Auswirkungen, weil sich das Deutsche Reich mit dem Einmarsch un Luxemburg und Belgien international ins Unrecht setzte und Großbritanniens Tendenz sich der Entente anzuschließen, statt neutral zu bleiben, mindestens erheblich unterstützte, wenn nicht möglicherweise sogar herbeiführte.
Dementsprechend wird der Plan rhetrospektiv, wie auch Moltkes Entscheidung überwiegend negativ betrachtet. In der Literatur zum Ersten Weltkrieg findet sich regelmäßig das Urteil, dass man so einen Plan nie und nimmer hätte fassen dürfen und dass man eben anders hätte planen müssen.
Bezeichnenderweise bleibt die Literatur aber regelmäßig eine Antwort auf die Frage schuldig: "Wie?".
Ich würde in diesem Faden gerne darüber diskutieren, welche anderen realistischen Möglichkeiten der Kriegsplanung denn realistischer Weise infrage gekommen wären, um mit der vorhandenen geostrategischen und politischen Herausforderung umzugehen, die sich aus der Problematik der Triple-Entente, den innenpolitischen Verhältnissen im Reich, seiner Wehrverfassung und den vorhandenen militärischen Mitteln eventuell noch hätten ergeben können.
Hintergrund der Überlegung ist, dass ich umso mehr ich über das Thema lese desto mehr den Eindruck gewinne, dass Moltke d. J. bei der Planung eines Krieges, gleich ob mit agressiven oder defensiven Implikationen vor dem Hintergrund der Gesamtsituation unter Maßgabe der gegebenen Mittel, jedenfalls in den letzten Jahren vor dem Krieg, zu keiner befriedigenden Lösung kommen konnte, die eine erfolgreiche, Kriegsführung gegen alle drei Ententemächte und eventuell weitere Verbündete, einigermaßen plausibel hätte gewährleisten können.
Die wesentlichen faktoren hierfür, die ich bisher meine ausgemacht zu haben sind:
- Die letztendlich inkonsequente Außenpolitik, die Deutschland in der internationalen Mächtekonstellation weitgehend isolierte (damit meine ich allerdings entgegen der gängigen Deutung weniger Bülows Säbelgerassel und die beiden Marokko-Krisen, als viel mehr einen völlig inkonsequenten Umgang, vor allem mit Großbritannien, in geringerem Maße auch mit Russland).
- Die geographischen Gegebenheiten.
- Die Wehrverfassung des Reiches, die durch ihre 4 verschiedenen Armeen einige Probleme aufwarf.
- Fehlpriorisierungen bei der Rüstung zu Gunsten einer letztendlich im Konfliktfall (weitgehend) nutzlosen Flotte gegenüber dem Heer, die aber auch mit der Popularität der Flotte und der Bereitschaft der zivilen Politik diese in größerem Umfang zu finanzieren korrespondierte und somit kein rein hausgemachtes Problem von Kriegsministerium und Generalstab war.
- Zu starker Konservatismus innerhalb des Kriegsministeriums, wo verabsäumt wurde jenseits der reinen Operationsplanung entsprechende Planungen für die Organisation einer zentralisierten Kriegs- und Ersatzstoffwirtschaft im vorhinein zu etablieren (vulnerabilität gegen Seeblockade)
- Fehlende Einsicht auch der zivilen Reichsleitung insgesamt in die Notwendigkeit den modernen Krieg auch auf technologischer und wirtschaftlicher Ebene zu flankieren und den Ausbau von Schlüsselindustrien, im Besonderen im dual-use Bereich (Düngemittel, Sprengstoffe, Motorisierung etc.) staatlich massiv zu unterstützen.
Ich werde die einzelnen Punkte später noch etwas detaillierter ausführen um die Problemstellungen zu konkretisieren.
Jedenfalls sehe ich ganz erhebliche Einengungen von Planungsspielräumen unter den gegebenen Umständen.
Man mag dem Ansatz dem Einwand entgegenhalten, dass bis 1913 die Planungen am "Großen Ostaufmarsch" fortgesetzt wurden und es also bis dahin eine planerische Alternative zum Schlieffenplan gegeben hat.
Hier stellt sich in meinen Augen allerdings die Frage: "Für welches Szenario wäre dieser Alternativplan verwendbar gewesen?".
In meinen Augen wäre das ein guter Plan gewesen, wenn man von britischer Seite her die Zusage hätte bekommen können, dass Großbritannien seine Neutralität wahren würde, wenn Deutschland im Westen nicht aktiv vorginge, sondern defensiv bleibe oder alternativ, wenn Großbritannien in einen anderen Konflikt verstrickt gewesen und somit zu erwarten gewesen wäre, dass sich ein Eingrifen Großbritanniens dadurch mindestens signifikant verzögern würde.
Ich halte den Ostaufmarsch als Alternativszenario für Plausibel, so lange man mit einiger Sicherheit darauf hätte rechnen dürfen, dass die Seewege weitgehend offen bleiben würden.
Im Fall eines Eingreifens Großbritanniens, halte ich diesen Plan unter den gegebenen Umständen nicht für plausibel als Kriegsplan gegen die gesamte Entente, weil mit der Verknappung von Schlüsselgütern für Rüstung und Versorgung jedenfalls gerechnet werden musste, so lange keine Vorsorge getroffen wurde eine Ersatzwirtschaft aufzubauen, mit der Implikation, dass sich die Auswirkungen dessen steigern mussten.
Abschließend möchte ich noch auf zwei Dinge verweisen, die ich in diesem Faden explizit nicht diskutieren möchte:
1. Die Erfolgsaussichten des Schlieffenplans oder seine Konsequenzen selbst, weil dass von Diskussionen um mögliche Alternativen ablenken würde.
2. Erwägungen, die auf eine Entlastung Moltkes d. J. hinauslaufen würden, sollte man zu dem Schluss kommen, dass dieser tatsächlich keine validen Möglichkeiten hatte im gegebenen Moment (d.h. etwa zwischen 1910 und 1914, nicht davor und nicht darüber hinaus) einen anderen plausiblen Kriegsplan vorzulegen, der in einem Krieg mit allen drei Ententemächten einigermaßen erfolgsversprechend gewesen wäre.
Eine Entlastung Moltkes erübrigt sich bereits aus dem Grund, dass er wenn er keine anderen Möglichkeiten, als dieses hochriskante Spiel gesehen haben sollte, in der Pflicht gewesen wäre, dies dem Kaiser, der zivilen Reichsleitung und nach meinem Dafürhalten auch den Spitzen der politischen Parteien im Reichstag mitzuteilen um Fehlprioritäten bei der Rüstung zu beheben und zusätzliche Mittel zu mobilisieren um dem Problem abhilfe schaffen zu können.
Für die Kommunikation mit der zivilen Politik wäre zwar in erster Linie nicht der Generalstab, sondern das Kriegsministerium zuständig gewesen, nichtsdesto weniger hätte das Kriegsministerium da natürlich mindestens ein eindeutiges Statement des für die Operationsplanung verantwortlichen Generalstabs gegenüber den zivilen Politikern, im Besonderen den Chefs der stärker werdenden militärskeptischen SPD benötigt um erfolgreich Verständnis und Mittel einwerben zu können.
Da das nicht erfolgt ist, kann Moltke in der Sache auch nicht entlastet werden.
Umgekehrt würde sich allerdings die Frage stellen, inwiefern auch das Verhalten der zivilen Politik und ihrer Akteure, sei es wissentlich oder unwissentlich Moltkes Planungsspielräume möglicherweise entscheidend einengte.
Und hierbei wäre nicht ausschließlich die Außenpolitik zu betrachten.
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