Der Doggerbank-Zwischenfall 1904

balticbirdy

Ehemaliges Mitglied
Tante Wiki machte mich heute darauf aufmerksam.
Doggerbank-Zwischenfall ? Wikipedia

Das ist in meinen Augen das Dämlichste, was passieren konnte und sagt alles über die Qualität der Geschwaderführung und der russischen Marine allgemein.

Liest man die Einzelheiten, ist das fast schon Slapstick.
Fast hätte das einen russisch-britischen Krieg heraufbeschworen, man mag sich mal die Konsequenzen für die Weltgeschichte bis zum heutigen Tag überlegen.
Der 1. Weltkrieg hätte so nicht stattgefunden, womöglich hätte es sogar britsch-frz. Spannungen (Nur in den Kolonien ausgetragen?) gegeben. Wilhelm II als lachender Dritter?
Viel Platz zum Spekulieren...

Und überhaupt. Wie konnte man überhaupt auf die Idee kommen, japanische (!) Torpedoboote würden 1904 (!) in der Nordsee (!) kreuzen - das ist doch mehr als absurd. Das russische Flottenkommando muss mit dem Klammerbeutel gepudert gewesen sein. :autsch:
 
Tja, zu so was kommt es halt, wenn vermeintliche oder echte Geheimdienstleute in Ermangelung von Nachrichten selber welche erfinden.
Scheinbar kann in einem Konflikt keine "Geheim"-Nachricht dumm genug sein, als das sie nicht jemand an entscheidender Stelle glaubt.
 
Und überhaupt. Wie konnte man überhaupt auf die Idee kommen, japanische (!) Torpedoboote würden 1904 (!) in der Nordsee (!) kreuzen - das ist doch mehr als absurd. Das russische Flottenkommando muss mit dem Klammerbeutel gepudert gewesen sein. :autsch:

Die sollten auch nicht von Japan überführt worden sein.

Der Kontext, um den Hype zu verstehen, liegt in den britisch-japanischen Beziehungen sowie im britisch-russischen Gegensatz, der mehrfach in den Jahrzehnten zuvor an der Schwelle zum Krieg stand.

GB hatte sich mit Japan in Fernost einen Juniorpartner in einem Vertrag mit antirussischer Basis beschafft, der seit 15 Jahren kräftig mit Schiffsbauten versorgt wurde, dessen gesamte Flotte fast nur aus britischen Schiffen bestand.
http://www.geschichtsforum.de/475147-post107.html

Offenbar traute man den beiden eine Absprache dergestalt zu, dass neugebaute Torpedoboote in Großbritannien von japanischen Besatzungen übernommen wurden. So wird das auch im Wiki-Artikel angedeutet.

Hier:
Constantine Pleshakov, The Tsar's Last Armada: The Epic Voyage to the Battle of Tsushima, 2003, wird auf die zahlreichen Meldungen noch in der Ostsee hingewiesen, ua aus Norwegen, von russischen Frachtern etc. Vor dem Zwischenfall gab es außerdem chaotische Sichtungsmeldungen von Schiffen der "Armada". Pleshakov beschreibt den Zustand der Führungsoffiziere vor dem Durchbrennen der Sicherungen als "drunk of fear".
 
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Dass die meisten japanischen Kriegsschiffe von britischen Werften stammten, ist mir klar. Trotzdem, wie hirnrissig ist das denn. Selbst wenn man komplette japanische Besatzungen gehabt hätte - die Schiffe sind doch nicht sofort kamfbereit. Man muss sie einfahren und die Besatzung schulen. Auch 1904 wäre dies nicht unbemerkt möglich gewesen.
Da stellt sich mir folgende Frage: Wer überführte die in England gebauten japanischen Schiffe nach Fernost, Briten oder Japaner?
Dass man dazu nicht die volle Gefechtsstärke braucht, sondern eine minimale Notbesatzung, ist mir dabei klar.
 
@BeBe, abgesehen davon, daß der vermutete Torpedoangriff in der Nordsee stattfand, war diese Art des Angriffes damals sehr gefährlich für Linienschiffe. Torpedoschotts und Doppelte Böden waren noch nicht sehr verbreitet als Schutz gegen Torpedos und wie wirkungsvoll diese Torpeodangriffe waren, hatten die ersten Angriffe auf die russischen Lineinschiffe in Port Arthur Februar 1904 gezeigt.

Und das eine Angst der russischen Admirale nicht unbegründet war, zeigte sich in den weiteren Seegefechten und den Verlust der fast gesamten russischen Flotte bis 1905.

Russland schied damit praktisch als Seemacht aus.
 
Dass die meisten japanischen Kriegsschiffe von britischen Werften stammten, ist mir klar. ... Wer überführte die in England gebauten japanischen Schiffe nach Fernost, Briten oder Japaner?

Die japanische Marine verfügte über reichlich geschultes Personal, wobei britische Quellen anmerkten, dass extrem schnell gelernt, kopiert und verbessert werden würde.

Die "trials" großer Schiffe fanden mit Übernahme idR unter eigener Regie und Beteiligung der Werft statt. Hier geht es aber um Torpepoboote.

Die früher eingekauften TBs wurden von der Werft gebaut, in Stücke zerlegt, nach Japan verfrachtet und dort wieder zusammengebaut. Sie wurden also sogleich von japanischem Personal besetzt.

Unten ein sehr gutes Beispiel von 1900, eines von 6 abgelieferten 31-Knoten-Booten, gebaut von Yarrow & Co.
Japan verfügte über reichlich TBs, 1900-1904 allein über 30 eigenbauten, zuzüglich ganz grob ein Mehrfaches an Einkäufen (allein 1900/1902 16 Boote von Yarrow, 6 von Thornycroft & Co.) - NA 1900, S. 1-12 sowie NA 1911, S. 50ff.

Ich möchte nur auf das Ereignis abstellen, nicht auf seine Bewertung.
 

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Im Jahre 1904 wäre es unmöglich gewesen, japanische Besatzungen nach Großbritannien unbemerkt zu überführen oder gar zu schulen. Im Gegensatz zu heute wären Gruppen von Asiaten auch in Zivil im Land aufgefallen "wie ein bunter Hund". Das hätten auch die Russen wissen sollen.

@BeBe, abgesehen davon, daß der vermutete Torpedoangriff in der Nordsee stattfand, war diese Art des Angriffes damals sehr gefährlich für Linienschiffe.
Das weiß ich, @Köbi. Die Ostseeflotte stand zu diesem Zeitpunkt, wie du selbst betonst, aber eben in der Nordsee und nicht vor Wladiwostok.
 
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Im Jahre 1904 wäre es unmöglich gewesen, japanische Besatzungen nach Großbritannien unbemerkt zu überführen oder gar zu schulen. Im Gegensatz zu heute wären Gruppen von Asiaten auch in Zivil im Land aufgefallen "wie ein bunter Hund". Das hätten auch die Russen wissen sollen.

Klar hätten sie es wissen sollen. Immerhin wurde dadurch ein ernster Zwischenfall in einer gespannten Beziehung produziert.

Ob die aufgefallen wären, vermag ich nicht zu beurteilen. Zur Anwesenheit von japanischen Seeleuten (Handel, laufende Schiffsübernahmen in 1904 etc.) ist mir nichts bekannt.

Die Meldungen gingen aber noch ein Stück weiter, wie oben angedeutet. Der Flotte wurde auch der Funkspruch eines russischen Frachters weitergereicht, dass japanische "Agenten" mit Booten aus norwegischen Fjorden ausliefen. :eek:
 
Tja, zu so was kommt es halt, wenn vermeintliche oder echte Geheimdienstleute in Ermangelung von Nachrichten selber welche erfinden.
Scheinbar kann in einem Konflikt keine "Geheim"-Nachricht dumm genug sein, als das sie nicht jemand an entscheidender Stelle glaubt.


Nicht nur Geheimdienst - Gerüchte.....

Roshdestwenski lag am 20.vor Skagen und wartete auf die " Orel " , die einen Ruderversager hatte.
Der aus dem Eismeer aufkommende russ. Frachter " Bakau " meldete ihm
er sei 4 unindentifizierbaren Torpedobooten begegnet -
nach Aufnahme der " Orel " fiel das begleitende Werkstattschiff
" Kamtschatka " zurück und meldete am 21. abends , sie würde von
mehreren Torpedobooten unbekannter Nationalität verfolgt...

Ein Hilfsschiff der Kriegsflotte machte eine solche Meldung !
Da wär wohl jeder ziemlich angespannt und das " Gespenstersehen "
nicht mehr weit entfernt....
.
 
Der aus dem Eismeer aufkommende russ. Frachter " Bakau " meldete ihm er sei 4 unindentifizierbaren Torpedobooten begegnet
Ja und? Deswegen war es trotzdem Schwachsinn, in diesen Gewässern gefechtsbereite japanische Kriegsschiffe zu erwarten. Die Krönung des Vorfalls war zudem, dass man sich auch noch gegenseitig beharkt hat. Nicht nur das, sondern auch dass vergleichsweise wenig getroffen wurde, sagt alles über den miesen Ausbildungsstand der russischen Besatzungen. Der Untergang der Flotte vor Tsushima war da logischerweise nur folgerichtig.

Man stelle sich mal folgendes Szenario vor: Britische Kriegsschiffe ballern 1939 im Pazifik vor San Francisco auf ahnungslose US-Fischer, die man für deutsche Zerstörer hält. Richtig - genauso widersinnig.
 
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Nicht nur Geheimdienst - Gerüchte.....

Roshdestwenski lag am 20.vor Skagen und wartete auf die " Orel " , die einen Ruderversager hatte.
Der aus dem Eismeer aufkommende russ. Frachter " Bakau " meldete ihm
er sei 4 unindentifizierbaren Torpedobooten begegnet -
nach Aufnahme der " Orel " fiel das begleitende Werkstattschiff
" Kamtschatka " zurück und meldete am 21. abends , sie würde von
mehreren Torpedobooten unbekannter Nationalität verfolgt...

Ein Hilfsschiff der Kriegsflotte machte eine solche Meldung !
Da wär wohl jeder ziemlich angespannt und das " Gespenstersehen "
nicht mehr weit entfernt....
.

Du hast schon recht, die Geheimdienstmeldungen waren nicht die alleinige Ursache. Die verschärften nur die Anspannung bzw. waren einer deren Auslöser. Zudem waren die Mannschaften und Offiziere nicht oder kaum kampferprobt. Das Torpedoboote eine ernstzunehmende Gefahr sind, wußte man ja bereits. Was wuste man sonst noch über gegnerische Schiffe?
Wer nicht viel und vor allem nichts genaues weiß, dichtet sich was zusammen.
Es ist in damit auch nicht mehr wichtig wer etwas wirklich glaubt/sieht, sondern wer was glauben/sehen will. Wenn dann noch entsprechende Meldungen von den Begleitschiffen kommen ....

Was mich wundert, sind dann eher solche Meldungen wie "wir werden angegriffen", "8 Boote", "Enfernung eine Kabellänge".
Hat sich da keiner gewundert, das es keine feindlichen Treffer gab?
Ich glaube das war dann schon eine "kollektive Panik".
 
Im Jahre 1904 wäre es unmöglich gewesen, japanische Besatzungen nach Großbritannien unbemerkt zu überführen oder gar zu schulen.
Es ist die Frage, ob wegen der bekannten japanisch-britischen Zusammenarbeit nicht schon längst japanische Marineangehörige in England präsent waren.

Im Gegensatz zu heute wären Gruppen von Asiaten auch in Zivil im Land aufgefallen "wie ein bunter Hund".
Nicht in London. Das war damals die größte und bunteste Metropole der Welt, da sind tausende Asiaten (und Menschen aus allen übrigen Kontinenten) rumgelaufen. Eine Hundertschaft Japaner wäre da überhaupt nicht aufgefallen.
 
Es ist die Frage, ob wegen der bekannten japanisch-britischen Zusammenarbeit nicht schon längst japanische Marineangehörige in England präsent waren.

Das waren sie seit 10 Jahren.

Es gab reichlich Absolventen im Royal Naval College Greenwich, ebenso wie zB der École d' Application du Génie Maritime.

Daneben wurden Werftarbeiter (auch zwecks Ausbildung nach der japanischen Schulung) in die ausländischen Werften geschickt. Ich würde eine hohe Wahrscheinlichkeit unterstellen, dass die beim Bau japanisch beauftragter Schiffe dabei waren.

Zu den "trials" nach Fertigstellung habe ich nichts gefunden. Ein anderer großer Abnehmer, Italien, ließ diese allerdings in eigener Regie mit gemischten Besatzungen wahrnehmen. Das erscheint mir auch logisch, um die Tests unter Kontrolle zu haben. Torpedoboote dürften recht ordinäre Fälle gewesen sein, weil Japan bereits selber baute (vermutlich wurden die größeren Exemplare im Ausland wegen der noch begrenzten eigenen Werftkapazitäten bestellt, die die Stückzahlen noch nicht liefern konnte; Stand 1910 ca. 21000 Beschäftigte in den Kaiserlichen Werften in Japan). Die "Verfrachtung" im zerschnittenen Zustand zeigt mE, dass Japan die Schiffe selbst in Dienst nahm. Ein anderer Fall, Argentinien, lag anders, wohl weil die nicht zu so etwas selbst in der Lage waren.

Kondo: Progress of Naval Construction in Japan (Betrachtung 1864-1910).

Somit: von Ingenieuren über Werftarbeiter bis Besatzungen dürften Japaner in England (zT auch in Frankreich zu reinen Schulungszwecken) präsent gewesen sein.
 
Zum Bau japanischer Torpedoboote ist folgendes zu sagen:

Japan ging schon sehr früh zum Bau von Torpedoträgern über. So wurden die ersten Torpedoboote schon 1879 vergeben. Erste Aufträge waren die Boote Nr.1 - Nr. 4, die auf der Werft in Poplar fertigggebaut wurden und zum Transport wieder auseinandergenommen, wo sie 1880 auf der Marinewerft Yokosuka unter Aufsicht britischer Ingenieure zusammengebaut wurden.

Japan verfolgte früh die Jeune Ecole und hatte nicht zuletzt auch darum einen großen Stamm an Torpedoträgern, wie auch Kreuzern, die nach dem damaligen Stand der Technik optimal waren.

Doch bediente sich Japan nicht nur Englischer Werften und Muster für den Bau von Torpedobooten, sondern auch französische Werften sowie Modelle.

Hinzukommt, daß es wohl keine andere Marine gab, wie die japanischhttp://www.geschichtsforum.de/f60/der-doggerbank-zwischenfall-1904-a-35190/#post529769e, die erbeutetes Material an Schiffen nahtlos in die Flotte einreihte, dass beginnt mit Torpedobooten und Endet mit Linienschiffen.

Somit war die japanische Flotte vor allem im Bereich der Lehren der Jeune Ecole für die russischen Kriegsschiffe gefährlich, war es doch die strategische Ausrichtung der japanischen Flotte.
Somit war auf jeden Fall Vorsicht geboten, im Bezug auf Zufuhrkrieg...man könnte so die übereilte Handlungsweise der Russen verstehen.

Nicht zu vergessen, die Einsatzfreude einer eigendlich schwächeren japanischen Flotte im Seegefecht am Yalu 1894. Mit einer Betrachtung der Ereignisse, konnte durchaus die japanische Flotte für alle möglichen Angriffe gewertet werden, egal wo.
 
Zuletzt bearbeitet:
Somit war die japanische Flotte vor allem im Bereich der Lehren der Jeune Ecole für die russischen Kriegsschiffe gefährlich, war es doch die strategische Ausrichtung der japanischen Flotte.
Somit war auf jeden Fall Vorsicht geboten, im Bezug auf Zufuhrkrieg...man könnte so die übereilte Handlungsweise der Russen verstehen.

Da sprichst Du einen unübersichtlichen Faktor gelassen und richtigerweise an: die Perzeption der Japanischen Flotte durch die Russische Admiralität.

Eine Untersuchung dazu für dne fraglichen Zeitraum kenne ich nicht - wohl aber eine deutsche Kriegsplanung, die sich um 1898/1900 mit einer militärischen Konfrontation der deutschen Kaiserlichen Marine mit ihrem potentiellen Gegner beschäftigt.

Während KaWeZwo das relativ gelassen sah und die japanische Flotte von der Platte geputzt sehen wollte, waren die Mariner schon etwas vorsichtiger und wiesen auf die Zeitschiene und die gewaltigen Entfernungen hin. Ist aber hier OT.
 
Aber man muss bei diesem Zwischenfall auch die russische Sicht der Dinge berücksichtigen. Russland hatte einen Großteil seiner Pazifikflotte verloren und jetzt war es dann doch eher vernünftig, übervorsichtig auf potenzielle Gefahren zu reagieren.
 
Aber nicht indem man aufs Geratewohl losballert und Bürger neutraler Staaten trifft und sich damit neue Feinde schafft.
Allerdings zeigte zugegebenermaßen auch die Kommission zur Untersuchung des Vorfalls Verständnis.
 
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