Der Erste Weltkrieg und seine Bedeutung in der heutigen Zeit.

Dieses Thema im Forum "Der Erste Weltkrieg" wurde erstellt von Arnaud28, 24. Januar 2023.

  1. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    Gerne.
     
  2. muck

    muck Aktives Mitglied

    Weltenbrand, Weltkrieg – eigentlich eine bemerkenswerte Begriffsgeschichte, nicht wahr? Selbst wenn man bedenkt, dass die europäischen Großmächte 1914 alle zu den mächtigsten Staaten der Welt gehörten, drängt sich die Bezeichnung "Weltkrieg" doch nicht geradezu auf, wenn es um einen möglichen Krieg zwischen ihnen geht. Sollte man hier vor allem an eurozentristische Impulse denken, oder lässt der Begriff doch schon die Einsicht erkennen, dass durch die Kolonien und durch außereuropäische Verbündete (wie Japan und die USA) tatsächlich mit einiger Sicherheit ein globaler Konflikt drohte?
     
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  3. dekumatland

    dekumatland Aktives Mitglied

    Da spielen wohl die vielfältigen möglichen Konsequenzen etlicher Bündnissysteme mit hinein (wenn A auf B eindrischt, hat A zusätzlich C und D an der Backe, wobei F und G A zur Seite stehen, falls H und I neutral bleiben und und und.......)

    Was die möglichen Kriegshandlungen betrifft, hat man Jahrzehnte an Erfahrungen mit Massenheeren und "dank" Port Arthur Kenntnisse des modernen Stellungskriegs, der modernen Artillerie (Brisanzmunition, weitreichende Geschütze etc) und kennt die Vorteile massiver Defensivsysteme (Schumannsche Panzerfronten etc) - dass es mindestens so mörderisch wie bei Port Artur wird, wusste man. Und man kannte die Mobilitätsmöglichkeiten (Bahn) weshalb man seitens des deutschen Militärs das Risiko des schnellen Bewegungskriegs für geboten hielt.

    Dennoch glaube ich nicht, dass bei der Verwendung der Begriffe Weltkrieg/Weltenbrand schon Szenarien wie Verdun, Somme etc vorausgedacht wurden.
     
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  4. Shinigami

    Shinigami Aktives Mitglied

    Jedenfalls im Bezug auf Asien war damit zu rechnen das ein europäischer Flächenbrand in diesen Konstellationen hier seine Fortsetzung finden würde:

    1. China musste sich, wenn sich die Kolonialmächte, die Teile des Landes kontrollierten, gegenseitig bekämpften, in der Situation sehen durch geschicktes Taktieren und eine Beteiligung zum richtigen Zeitpunkt auf der richtigen Seite die Hoheit über eigene Territorien zurück zu gewinnen und wenigstens eine Kolonialmacht los zu werden.
    Insofern durfte man bei China erwarten, dass es abwartet, bis sich ein Sieger abzeichnete um sich anzuschließen.

    2. Im Hinblick auf Japan ließ sich ähnliches erwarten, Japan baute sein Kolonialreich aus und ein solcher Krieg bot, nachdem Japan auf Formosa und in Korea bereits Fuß gefasst hatte, die Möglichkeit sich durch Übernahme der Konzessionen einer oder mehrerer der europäischen Kolonialmächte auch endgültig in Festland-China festzusetzen.
    Somit durfte man darauf rechnen, dass von japanischer Seite ähnlich wie von chinesischer Seite dahingehend spekuliert würde.
    Hinzu kommt, dass man sicherlich unterstellen durfte, dass Tokyo ein strategisches Interesse an den deutschen Südseekolonien haben würde, bedenkt man die Sensibilität der Sicherheit der eigenen Küsten, die japanische Geschichte (Perrys erzwungene Öffnung Japans) und den Umstand, dass sich auch Japan im Hinblick auf die Flotten der Europäischen Mächte sicherlich nicht wohlfühlen konnte und sicherlich ein Interesse hatte, die fremden Seemächte aus der Nähe der eigenen Küsten zu verdrängen.

    Ich weiß nicht, in wie weit Bethmann Kenntnisse von den Verhältnissen im Fernen Osten hatte, aber hierauf zu rechnen, zumal sollte der Krieg doch länger dauern als gedacht, wäre naheliegend gewesen.

    3. Das Osmanische Reich, konnte diesen Konflikt natürlich auch nicht gleichgültig betrachten, weil Konstantinopel klar sein musste, dass wenn die Zentralmächte einen solchen Krieg verlieren und Russland sich durchsetzen könnte, während Frankreich möglicherweise angeschlagen aus dem Konflikt hervor ginge, für Russland der Weg zu den Meerengen frei wäre.
    Insofern war sicherlich auch mit einer zügigen Anlehnung Konstantinopels an die Zentralmächte zu rechnen.


    Was die USA angeht, die wird 1914 und unmittelbar davor niemand als potentielle Interventionsmacht auf dem Schirm gehabt haben.
    Allerdings besaßen ja auch die Briten mit Kanada und Belize Teile des nordamerikanischen Festlands.

    Im Hinblick auf die USA, ist da glaube ich auch einiges an Rhetrospektive dabei:

    Das Land hatte damals, wenn ich das richtig im Kopf habe zwischen 130 und 140 Millionen Einwohner, hielt sich kein größeres stehendes Heer und war Wirtschaftlich in weiten Teilen noch relativ stark auf den eigenen Binnenmarkt ausgerichtet, der mit seiner Dynamik einen Großteil der inländischen Produktion aufsog.

    Rückwirkend mag man die Einschätzung der deutschen Militärs im Hinblick auf die Geringschätzung der USA für etwas blauäugig halten, aber ich denke unter diesen Umständen wird man die USA in Europa generell nicht für einen derart bestimmenden Faktor gehalten haben, zumal wenn man auf einen relativ kurzen Krieg rechnete, in dem die industriellen Potentiale der USA wenig relevant hätten werden können und den USA ohnehin die Zeit für die Aufstellung eines Landheeres gefehlt hätte, mit dem sie zu einem tatsächlichen Faktor hätten werdenn können.
     
  5. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    Nachfolgend einmal der ganze Text des Telegramms von Bethmann an Tschirschky:

    "Graf Pourtales telegrahiert:

    Sasnow mittteilte mir....Krieg bedeute. Diese Mitteilung steht nicht im Einklang mit der Darstellung die Ew.pp von dem Verlauf der Unterredung des Grafen Berchtold mit Herrn Schebeko gegeben hatte. Anscheinend liegt Missverständnis vor, das ich aufzuklären bitte. Wir können Österreich-Ungarn nicht zumuten, mit dem Serbien zu verhandeln, mit dem es in Kriegszustand begriffen ist. Die Verweigerung jeden Meinungsaustaustausches mit Petersburg würde schwerer Fehler sein, da er kriegerisches Eingreifen Russlands geradezu provoziert, das zu vermeiden Österreich-Ungarn in erster Linie interessiert ist.

    Wir sind zwar bereit unsere Bundespflicht zu erfüllen, müsse es aber ablehnen, uns von Wien leichtfertig und ohne Beachtung unserer Ratschläge in einen Weltbrand hineinziehen zu lassen. Auch in italienischer Angelegenheit scheint Wien unsere Ratschläge zu missacten.

    Bitte sich gegen Graf Berchtold sofort und mit allem Nachdruck und grosem Ernst auszusprechen.

    Geiss: Julikrise und Kriegsausbruch, Teil 2, S,290
     
  6. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    Auch in Bezug Afrika, wo Frankreich und England sich die deutschen Kolonien abgreifen würden. Das war klar, ebenso das dass Deutsche Reich diese nicht würde halten können.
     
  7. Shinigami

    Shinigami Aktives Mitglied

    Ich wollte hierauf noch antworten:

    Auch wenn Bülows Vorstellungen mitunter etwas unscharf waren, die damalige deutsche Außenpolitik zielte klar auf eigene Zugewinne, nicht immer unbedingt territorialer, manchmal auch wirtschaftlicher Art etc. aber das Streben danach sie etwas anzueignen war immer erkennbar vorhanden.
    Das ist in der Julikrise in der Form aber bei keinem der Großmachtsakteure, ausgenommen Frankreich, wo natürlich Elsass-Lothringen auf der Wunschliste stand, der Fall gewesen.
    Wien wollte nicht erwerben, Wien wollte in erster Linie verteidigen, was es hatte und damit die Verteidigung des Status Quo als imperiale Machtgier zu betrachten, tue ich mich etwas schwer.

    Sehe ich nicht so.

    Ich habe in diesem Forum ja schon einiges geschrieben, nachdem ich das österreichisch-ungarische Vorgehen unter diesen Umständen für gerechtfertigter halte, als das vielleicht andere Leute tun.
    Das ändert allerdings nichts an dem Umstand, dass ich es konzeptionell für eine ziemliche Schnapsidee halte.

    Das Problem ist, dass die sich in Wien eingebildet haben, dass man abstrakte politische Strömungen mit Kanonen bekämpfen könnte.
    Das Ziel war nicht Serbien zu bekämpfen, das Ziel war den serbischen Nationalismus und Pan-Südslawische Ideen zu bekämpfen. Und das musste schief gehen.
    Wann immer in der Geschichte versucht wurde, nicht einen konkreten staatlichen Akteur, sondern eine abstrakte Idee mit militärischen Mitteln aus den Köpfen der Menschen auszutreiben, ist das ganz fürchterlich nach hinten los gegangen.

    Was die in Wien sich damals ausgedacht hatten, lief im Grunde darauf hinaus das Konzept "war on Terror" vorweg zu nehmen, bzw. das Konzept militärischer Intervention gegen "gefährliche politische Ideen", wie es das schon im Vormärz gegeben hatte, neu aufzukochen.

    Was hätte Wien, wenn das so funktioniert hätt erreichen können?
    Vielleicht hätte man in Belgrad kurzfristig eine kompromissbereitere Regierung haben können, die bereit gewsen wäre den Krieg abzuwicklen und brav zu unterschreiben, dass sie niemals irgendwelche Ansprüche auf österreichisches Territorium erheben würde.
    Diese Regierung wäre dann sobald sich die Österreicher wieder nach Hause getrollt hätten gestürzt und durch eine revanchistische Regierung ersetzt worden, zumal wenn man in diesem Zusammenhang noch Territorien an Bulgarien verschoben hätte.
    Vielleicht hätte man ein paar Radikale aufgreifen und aus dem Verkehr ziehen können, mit weitflächigen Zerstörungen, erzwungenen Gebietsabtretungen und Auferlegung der Kriegskosten, die auf die wirtschaftliche Lage gedrückt hätten, hätte man aber gleich damit begonnen die nächste Generation von Nationalisten hervorzubringen.

    Wirtschaftlich war aus dem rückständigen Agrarland Serbien ohnehin nicht viel heraus zu holen, allein die Erstattung der Kriegskosten hätte Jahrzehnte gedauert, wenn man sie Serbien auferlegt hätte.

    Indem man durch solches Vorgehen die Erbitterung der Serben noch verstärkt hätte, hätte man auch keine Lösung der serbischen Bindung an Russland erreicht, sondern diese verfestigt, zumal wenn man versucht hätte sich noch mit dem serbischen Erzfeind Bulgarien gut zu stellen.

    Auch sonst hätte das auf dem Balkan nicht viel geändert.

    Mazedonien an Bulgarien zu verschieben hätte sicher geholfen die Beziehungen zu Sofia zu verbessern, aber nachdem Sofia seit dem 2. Balkankrieg ohnehin mit Belgrad und St.Petersburg im Clinch lag, war das eigentlich nicht notwendig, weil jedem der Feind des eigenen Feindes grundsätzlich mal nicht unsympathisch ist.

    Mit Rumänien wäre so oder so nicht zu einer stabilen Partnerschaft zu kommen gewesen, weil durch eine militärische Bezwingung Serbiens die Siebenbürgen-Frage nicht gelöst worden wäre.

    Gleichzeitig hätte man bei einer dauerhaften Partnerschaft mit Bulgarien Serbien, Griechenland und Rumänien unweigerlich gegen sich aufgebracht, wegen der territorialen Streitigkeiten, die Bulgarien mit allen drei Staaten hatte.

    Was genau hatte Österreich-Ungarn hier zu gewinnen?
    Es konnte allenfalls Serbien zur Abrüstung zwingen, aber angesichts der Tatsache dass Serbien allein für Österreich-Ungarn ohnehin keine ernstzunehmende Herausforderung war, hätte auch das keine wirklich entscheidende Verbesserung dargestellt.

    Die ganze Aktion war deswegen eine Schnapsidee, weil die in Wien sich einbildeten, dass man die Serben irgendwie mit militärischen Mitteln zwingen könne Wien gegenüber freundlich zu sein, was in sich eine etwas abgedrehte Idee ist.
    Das Problem ist, dass die in Petersburg die gleiche abgedrehte Idee gehabt zu haben scheinen.
    Denn wenn man dort ein wenig kühlen Kopf bewahrt und nachgedacht hätte, hätte man auch zu dem Ergebnis kommen können, dass man die Österreicher da ruhig hätte kriegführen lassen können, weil dass Wiens Probleme am Ende nicht beseitigt, sondern verstärkt und Serbiens Abhängigkeit von Russland gesteigert hätte.
     
    Zuletzt bearbeitet: 21. März 2023
  8. Shinigami

    Shinigami Aktives Mitglied

    Zumal Auch Afrika über Asien verkettet an Europa hing, da, wenn man davon ausging, dass das Osmanische Reich nicht neutral bleiben konnte, weil ein Russischer Sieg möglicherweise dessen Untergang bedeutet hätte, war auch mit Kampfhandlungen in Ägypten zu rechnen.
     
  9. Dion

    Dion Aktives Mitglied

    Schon am 8. Juli 1914 sagt der ungarische Ministerpräsident dem Kaiser Franz-Josef, dass Weltkrieg drohe, falls Österreich-Ungarn Serbien angreift, weil Russland Serbien beistehen würde – und in diesem Forum wird von manchen immer noch so getan, als wüssten die maßgeblichen Akteure nicht, was sie taten, und der Weltkrieg dementsprechend nur eine Aneinanderreihung von Zufällen, Versäumnissen und Missverständnissen gewesen sei.
     
  10. Shinigami

    Shinigami Aktives Mitglied

    Was daran liegt, dass 1. Vermutungen Tiszas erstmal Vermutungen Tiszas waren, eine Glaskugel hatte der Mann auch nicht auf dem Tisch stehen und vertraglich gebunden war Russland in dieser Hinsicht nicht.

    Vor allem aber, haben einige hier im Forum begriffen, dass für die Frage ob das ein Weltkrieg würde oder nicht, nicht die Haltung Russlands, sondern die Haltung Frankreichs entscheidend war, Russland konnte sich ruhig auf die Seite Serbiens stellen, wäre Frankreich nicht mitgezogen, hätte es gegenüber Deutschland und Österreich kleinlaut einen Rückzieher machen müssen, weil es diesen Krieg ohne französischen Beistand mit Ansage krachend verloren hätte.

    Frankreich wiederrum war für so einen Fall weder Serbien noch Russland gegenüber verpflichtet und da die französischen Militärs die Implikationen des Schlieffenplans im groben Rahmen kannten hatten sie auch eine Ahnung, dass im Falle eines allgemeinen Krieges der erste unter den Großmächten ausgeteilte Schlag mit voller Wucht Frankreich treffen würde.

    Der ganze Krieg gegen Serbien war am Ende eine Wette auf die französische Position und die Unterstellung, dass man sich in Frankreich sehr genau überlegen würde, ob man bereit ist, im Rahmen serbischer Großmachtsallüren am Ende möglicherweise weite Teile Frankreichs von den Deutschen verwüsten zu lassen, ist nicht so weit hergeholt gewesen.
    Du stellst das so da, als wäre die Kettenreaktion der Kriegseintritte und Schritte dahin ein vorwegnehmbarer Selbstläufer gewesen.
    War sie nicht.

    Weder war mit Sicherheit vorauszusagen, dass der Zar serbische Akteure decken würde, die möglicherweise in den Mord an einem zukünftigen Monarchen verwickelt waren (Nikolaus II. hatte als Kind selbst die Ermordung seines Großvaters Alexander II. durch eine anarchistische Gruppe erlebt und war entsrpechend vorgeprägt), noch war ausgemacht dass sich Frankreich wegen der serbischen Halsstarrigkeiten der Gefahr aussetzen würde, möglicherweise von deutscher Seite militärisch geschlagen und als Großmacht ausgeschaltet zu werden, noch war es eine ausgemachte Sache, dass sich Großbritannien beiligen würde, denn selbst wenn Belgien für London die rote Linie gewesen wäre, bestand noch immer die Möglichkeit dass Belgien zum Schutz der eigenen Territorien den Deutschen den Durchmarsch gestatten oder sich auf formalen Protest gegen die Verletzung des Gebietes ohne militärische Gegenwehr beschränken würde (so verhielt sich Luxemburg). In diesem Fall hätte Großbritanniens Haltung möglicherweise ganz anders ausgeshen.
     
    Zuletzt bearbeitet: 21. März 2023
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  11. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    Wer tut denn so? Wer behauptet denn so etwas?

    Sowohl in Wien als auch in Berlin sah man durchaus die Gefahr, das Russland militärisch eingreifen könnte. Auf deutscher Seite war man allerdings der Ansicht, das aufgrund der unfertigen russischen Rüstungen, die erst 1916/17 beendet sein würden, das Petersburg es vorher nicht auf eine militärische Auseinandersetzung ankommen lassen würde. In Berlin hatte man nicht die Hardliner auf dem Zettel! Und auch nicht, das Paris die Russen eben auch noch ermutigte auch ja "fest zu bleiben."
    Bezüglich England hoffte man, aufgrund der verbesserten Beziehungen zwischen London und Berlin, dieses ebenfalls heraushalten zu können. Auf diesen "Wunschträumen" basierte dann die Hoffnung, das es gelingen könnte den Krieg zu lokalisieren.
     
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  12. Nikias

    Nikias Aktives Mitglied

    Die USA hatten 1914 etwa 98 Millionen Einwohner. Zum Vergleich: Deutschland hatte 65, Russland 171 Millionen Einwohner.

    Erster Weltkrieg: Zahl der Einwohner | Statista

    Die USA waren damals eben noch nicht ganz der Riese, der sie heute sind. Sonst hätte Deutschland wahrscheinlich auch im Verlauf des Krieges nicht so leichtfertig mit dem unbegrenzten U-Boot-Krieg und dem Zimmermann-Telegramm den Kriegseintritt der USA provoziert.
     
    Zuletzt bearbeitet: 21. März 2023
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  13. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    Noch ein paar Worte zu den ungarischen Ministerpräsidenten Tisza in Bezug auf #688.

    Ich zitiere hier aus dem Protokoll des gemeinsamen Ministerrates vom 07.Juli 1914.

    "Der königlich ungarische Ministerpräsident stimmt überein, das die Lage sich in den letzten Tagen durch die in der Untersuchung festgestellten Tatsachen und durch die Haltung der serbischen Presse verändert habe und betont, das auch er die Möglichkeit einer kriegerischen Aktion gegen Serbien für näher gerückt halte, als er es gleich nach dem Attentat von Sarajewo geglaubt habe."

    Tisza ging es nunmehr um die Art und Weise wie man diesen Krieg lostreten soll. Er war strikt gegen einen Überfall, sondern bestand vielmehr das ein Ultimatum einer formellen Kriegserklärung vorausgehen muss.
     
    Zuletzt bearbeitet: 21. März 2023
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  14. Shinigami

    Shinigami Aktives Mitglied

    Du hast recht, ich hab gerade nochmal nachgeschlagen, die von mir genannten Zahlen entsprechen der Einwohnerzahl während des 2. Weltkriegs, nicht des 1.

    Aber die Tendenz der Aussage ist, denke ich verständlich.

    Die USA waren demographisch nicht so übermächtig und das Landheer war eher bescheiden.

    Darum ging es mir, weil da gerade in dem, was man im Fernsehen an Dokumentationen zu sehen ist, doch sehr stark die ex-post-Perspektive mitschwingt, die es so darstellt, als wären die Militärs einfach nen bisschen wahnsinnig gewesen, in dem sie sich mit einer Quasiweltmacht anlegten, deren militärische Potentiale offensichtlich gewesen seien.
    Die Provokation durch die Zimmermann-Depesche war in dieser Form ja nicht beabsichtigt und wäre wahrscheinlich auch nie öffentlich geworden, wenn die Briten nicht ähnlich provokant einfach mal das amerikanische Unterseekabel angezapft hätten.
    Gleichwohl war die Aktion natürlich vollkommen unsinnig, denn selbst wenn die Amerikaner das nicht spitz gekriegt hätten, konnte doch niemand ernsthaft glauben, dass sich die Mexikaner darauf einlassen würden.
     
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  15. dekumatland

    dekumatland Aktives Mitglied

    Julikrise
    (zitiert aus Wikipedia "Chronologie der Julikrise")
    28. Juli
    Bethmann-Hollweg:
    "Die nunmehr vorliegende Antwort der serbischen Regierung auf das österreichische Ultimatum lässt erkennen, dass Serbien den österreichischen Forderungen doch in so weitgehenden Maße entgegengekommen ist, dass bei einer völlig intransigenten Haltung der österreichisch-ungarischen Regierung mit einer allmählichen Abkehr der öffentlichen Meinung von ihr in ganz Europa gerechnet werden muss. Nach den Angaben des österreichischen Generalstabes wird ein aktives militärisches Vorgehen gegen Serbien erst am 12. August möglich sein. Die k. [deutsche] Regierung kommt infolgedessen in die ausserordentlich schwierige Lage, dass sie in der Zwischenzeit den Vermittlungs- und Konferenzvorschlägen der anderen Kabinette ausgesetzt bleibt, und wenn sie weiter an ihrer bisherigen Zurückhaltung solchen Vorschlägen gegenüber festhält, das Odium, einen Weltkrieg verschuldet zu haben, schliesslich auch in den Augen des deutschen Volkes auf sie zurückfällt. Auf einer solchen Basis lässt sich ein erfolgreicher Krieg nach drei Fronten nicht einleiten und führen. Es ist eine gebieterische Notwendigkeit, dass die Verantwortung für ein eventuelles Übergreifen des Konfliktes auf die nicht unmittelbar Beteiligten unter allen Umständen Russland trifft“.

    Und weiter:
    "Sie werden es dabei sorgfältig zu vermeiden haben, dass der Eindruck entsteht, als wünschten wir Österreich zurückzuhalten. Es handelt sich lediglich darum, einen Modus zu finden, der die Verwirklichung des von Österreich-Ungarn angestrebten Ziels, der grosserbischen Propaganda den Lebensnerv zu unterbinden, ermöglicht, ohne gleichzeitig einen Weltkrieg zu entfesseln, und wenn dieser nicht zu vermeiden ist, die Bedingungen, unter denen er zu führen ist, für uns nach Tunlichkeit zu verbessern."

    Ich kenne mich mit den komplizierten diplomatischen Winkelzügen und Tricksereien nicht aus, das vorab, falls ich Unsinn fabrizieren... zweimal verwendet Bethmann-Hollweg den Begriff Weltkrieg. Mir ist nicht so ganz klar, was sich hinter der Diplomatensprache verbirgt:
    - der Wunsch, einen serbisch-österreichischen Krieg lokal begrenzt zu halten
    - sticheln, bis irgendwer einen noch lokalen Krieg anfängt, um dann selber loslegen zu können
    - wenn es unvermeidlich zu einem sich ausweitenden Krieg kommen sollte, dann soll Russland als Verursacher "schuld" sein
    - sollen andere losschlagen, das lenkt ab und man kann den Schlieffenplan umsetzen (was die Militärs seit langem wollen)
    ...wie man sieht: ich werde daraus nicht schlau. War da allerorten Kriegswillen die treibende Kraft und die Diplomatie sollte günstige Bedingungen einleiten, was bedeuten würde, dass alle Vermittlungen zum vermeiden eines "Weltkriegs" sowie zum lokalen begrenzen eines angefachten Konflikts nur Schein, nur Vorgaukelei waren?
     
  16. Turgot

    Turgot Aktives Mitglied

    An wem sind die Zeilen Bethmann gerichtet?

    Natürlich war es wichtig, daß war kein spezielles deutsches Phänomen, als immer deutlicher wurde, daß es zum Kriege kommen würde, einem Gegner die Schuld an diesem zuzuweisen. Das war aus innenpolitischen Gründen, schließlich mussten die Kriegskredite bewilligt, insbesondere von der SPD, werden. Auch war klar, daß die eigene Bevölkerung einen "Verteidigungskrieg" unterstützt, einen Angriffskrieg wohl kritisch gegenüber stehen würde.
     
  17. dekumatland

    dekumatland Aktives Mitglied

    An Tschirschky, den deutschen Botschafter in Wien.
     
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  18. Shinigami

    Shinigami Aktives Mitglied

    Für Berlin war die causa Serbien vor allen Dingen die Nagelprobe für die Stabilität und Absichten der Entente.
    Man wusste dabei nicht so recht, woran man war und ob sich die Angelegenheit lokalisieren lassen würde oder nicht.
    Letztendlich wünschte man sich die Lokalisierung dieses Konflikts um ihn als Hebel zur Sprengung der Entente benutzen zu können, gleichzeitig hatte man aber auch das Szenario auf der Rechnung, dass es sich ggf. nicht lokalisieren lassen würde.
    Die Haltung Berlins zum Thema eines allgemeinen europäischen Krieges ging dahin, dass man einen solchen zwar grundsätzlich vermeiden wollte, angesichts der zunehmenden Einkreisungsängste, der periodisch immer schneller aufeinander folgenden Krisen und der Intensivierung der militärischen Zusammenarbeit der Entente (britisch-russische Marinekonvention), war man sich aber nicht sicher, ob man ihn dauerhaft vermeiden konnte.

    Insofern könnte man Berlins Haltung in etwa so zusammenfassen:

    "Wir wollen den Weltkrieg nicht, aber wir trauen der Entente zu, dass sie ihn vielleicht will und wenn er sich nicht vermeiden lässt, müssen wir ihn besser heute als morgen führen, bevor die russischen Heeresvermehrungen greifen und der Druck im Osten noch gewaltiger wird. Deswegen nutzen wir Serbien jetzt einfach mal als Testbalon und lassen die Österreicher da mal machen. Wenn die Entente nicht darauf einsteigt, will sie den Krieg nicht oder ist in sich nicht einig und kann idealer Weise über die serbische Frage gespalten werden. Will die Entente den großen Krieg gegen Deutschland ist es besser, wir zwingen sie jetzt danach zu handeln, als ihr noch zwei Jahre Zeit zu geben das vorzubereiten, bis die russischen Rüstungen und der Bau der strategischen Bahnen voll greifen"


    Das ist in etwa, was man sich in Berlin dachte.
    Man plante insofern zweigleisig, dass man zwar die Lokalisierung und die Sprengung der Entente wünschte, durchaus aber wusste, dass das in einen, mindestens europäischen Flächenbrand ausarten konnte.
    Das Risiko ging man durchaus bewusst ein.

    Da man den lokalen Krieg mit Serbien wollte und zwar vor allem um zu sehen, wie die Entente reagierte konnte man sich in diesem Sinne in keine Friedenskonferenz einlassen, bei der die offenen Fragen möglicherweise diplomatisch abgräumt worden wären.
    Das hätte zwar die augenblickliche Krise beilegen können, dadurch hätte man aber die Gelegenheit über die Krise die Haltung der Entente zu einem allgemeinen Krieg in Erfahrung zu bringen und sie über diese Aktion möglicherweise zu spalten, verpasst.

    Heißt im Klartext, man musste um diesen Versuchsballon starten zu können, jeden versuch einer allgemeinen Großmächtekonferenz zum Scheitern bringen, die Schuld dafür öffentlich den Entente-Mächten in die Schuhe schieben und gleichzeitig aber mit den einzelnen Akteuren der Entente unter der Hand versuchen bilaterale Einigungen zwecks Lokalisierung zu erreichen.

    Diese extrem riskannte Politik, die einen Weltkrieg zwar nicht anstrebte, ihn aber nötigenfalls inkauf zu nehmen bereit war, konnte man aber natürlich der eigenen Bevölkerung nicht verkaufen, die hätte für ein derartiges Zündeln wenig Verständnis aufgebracht.
    Heißt man musste um den kleinen Krieg haben zu können, den man wollte, gleichzeitig aber auf einen Flächenbrand, der daraus entstehen konnte nicht vollkommen unvorbereitet zu sein und mit der Unterstützung der Bevölkerung rechnen zu können, einen plausiblen Grund dafür finden, eine allgemeine Friedenskonferenz ablehnen zu können.
    Bedeutet im Klartext, man musste nichts weniger tun, als eine russische Mobilmachung zu provozieren um eine Drohkulisse zu haben, vor deren Hintergrund man der eigenen Bevölkerung erklären konnte, dass man unter diesen Umständen nicht im normalen Modus verhandeln konnte.

    Blieb die russische Mobilmachung aus, wäre das das klare Zeichen gewesen, dass man auf Seiten der Entente keinen allgemeinen europäischen Krieg wollte und man an friedlichem Miteinander weiter interessiert war, oder das die Entente intern gespalten war und man mit ihrem baldigen Zerfall rechnen durfte.

    Fand die russische Mobilisierung statt, konnte man auf Stur stellen und der eigenen Bevölkerung erklären, dass man wenn man von Russland aus mit dem aufmarschierten Heer bedroht werde, nicht busines as usual betreiben und konferieren könne, sondern erstmal Gegenmaßnahmen ergreifen müsste.

    Und in diesem Fall wäre dann die französische Haltung für die Deutsche Regierung der Prüfstein gewesen, ob die Entente den Krieg wollte oder nicht.
    Hätte an diesem Punkt, an dem Russland mobilisierte Frankreich eingelenkt und auf die Bremse getreten, wäre damit die Entente Geschichte gewesen.
    Dann wäre der allgemeine Frieden erhalten geblieben, Deutschland hätte sein Ziel die Entente zu sprengen erreicht, Österreich seine Position gegen Serbien durchgesetzt und Russland in die Röhre geschaut.
    Machte Frankreich keinen Rückzieher, sondern blieb stur und auf der russischen Linie, bedeutete das für Berlin, dass die Entente zum Krieg bereit war und dann galt für Berlin wegen der russischen Heeresvermehrungen und dem Bau der strategischen Bahnen die Devise "lieber heute als morgen".
    Unter diesen Umständen konnte man auch die Bevölkerung auf die Linie eines allgemeinen Krieges bringen, weil es, wenn russische Mobilmachung und Aufmarsch an der deutschen Grenze vorausgingen und gleichzeitig Paris sich weigerte auf Lokalisierungsvorschläge einzugehen, es sehr einfach würde der Bevölkerung klar zu machen, dass sie von Russland und Frankreich bedroht sei und jetzt keine Zeit sei über etwaige Österreichische Verfehlungen zu diskutieren, sondern erstmal das Vaterland verteidigt werden müsse.

    Einfacher ausgedrückt: Berlin war daran interessiert die Krise zuzuspitzen und den Gang der Ereignisse so sehr zu beschleunigen, dass Paris, wenn es den Frieden wollte, nicht mehr anders konnte, als die Notbremse zu ziehen und Russland fallen zu lassen, wie eine heiße Kartoffel, weil angesichts drohender Gefahr durch die Mechanik der Mobilisierungen für langwierige Verhandlungen keine Zeit mehr blieb.
     
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  19. Dion

    Dion Aktives Mitglied

    Du und Shinigami – Zitate (eure Äußerungen allein von gestern und heute):
    Hier wird der Schwarze Peter eindeutig Frankreich zugewiesen. Und das hat dir, @Turgot, gefallen.
    Hier wird der Schwarze Peter England zugewiesen.
    Hier wird der Schwarze Peter Russland und abermals Frankreich zugewiesen.
    Schwarzer Peter erneut bei Russland, obwohl das erklärte Ziel der deutschen Politik war – Zitat: „Unsere Politik sei darauf gerichtet, Russland in die Rolle des Provozierenden zu drängen.“
    Hier werden die Kriegsziele Österreich-Ungarn als legitim und moderat hingestellt.
    Hier wird schlicht negiert, dass die ersten Toten auf dem französischen Gebiet gefallen sind, weil eine deutsche Patrouille die deutsch-französische Grenze noch vor der Kriegserklärung überschritt. Warum? Damit Frankreich als Schuldige dasteht.
    Hier werden Forderungen Deutschlands gegenüber Frankreich als etwas Legitimes dargestellt, aber weil Frankreich darauf nicht einging, ist es selbst schuld, wenn es von Deutschland angegriffen wird. Selbstverständlich wird das auch von dir, @Turgot, goutiert.
    Hier wird argumentiert, Elsass-Lothringen hätten vor langer Zeit zu Deutschland gehört (obwohl Deutschland da noch gar nicht existierte), also war es quasi okay, wenn Deutschland sie nach dem 1870/71er Krieg wieder heim ins Reich holte.
    Hier wird versucht die Rolle Deutschlands kleinzureden. Wenn Deutschland wirklich friedfertig gewesen wäre, hätte es gegenüber Frankreich erklären können, es nicht anzugreifen. Aber zu dem Zeitpunkt waren die Pläne, Frankreich über das neutrale Belgien anzugreifen, schon so weit fortgeschritten, dass man Engländer direkt fragte, ob sie dies tolerieren würden.
    Hier wird versucht, Russland den Schwarzen Peter zuzuschieben, weil es, seine Interessen auf dem Balkan wahrend, nicht bereit war, Österreich-Ungarns Aggression gegenüber Serbien zu dulden.
    Tja, Schuld sind die Österreicher und Russland, Deutschland ist da fein raus. Dass Österreich-Ungarn diese „Schnapsidee“ ohne der bedingungslosen Unterstützung Deutschlands nie wagen würden, sie in die Tat umzusetzen, wird von euch beiden nirgendwo gesagt.
     
  20. dekumatland

    dekumatland Aktives Mitglied

    Kennst du irgendeine Macht, die im frühen 20. Jh. in irgendeinem Bündnis eingebunden war und die entweder im Bündnisfall oder entgegen diesem irgendeiner anderen Macht in vorauseilendem Gehorsam erklärt hatte "na klar, wir sind zwar mit X und Y verbündet, und wenn irgendwer X oder Y angreift, dann stehen wir bündnismäßig an deren Seite, ABER aufgepasst, trotzdem erklären wir, dass wir auf gar keinen Fall - egal was die Bündnisse enthalten - Z und P angreifen würden" ... ich fürchte, du forderst da zu viel aus deiner zornigen Rückschau vom bösen nationalistischen und militaristischen Kaiserreich ;)

    ...diese Interessen Russlands auf dem Balkan, die Russland deinen Worten zufolge wahren wollte: sind die sakrosankt? Waren das friedliebende Entwicklungshilfen?

    Ich weiß nicht so recht... mir kommt dein Tonfall @Dion irgendwie anklägerisch, inquisitorisch geradezu vor: du brichst da wie ein zornumwölktes Strafgericht über @Turgot und @Shinigami herein - ich finde das doch reichlich deplatziert. Wenn du einen glasklaren, alles in schlichten und griffigen Kurzformeln erklärenden Blick auf die diplomatischen Ränke von 1900 bis zum Ende der Julikrise hast: ja dann teile das doch mit, statt so streitlustig im Weltenrichterkostüm zu wettern ;):D
    Mir ist einiges in den vorliegenden Quellen zur Diplomatie nicht so klar und durchschaubar wie offenbar dir - ich wäre dankbar für Erläuterungen.
     

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