Kürzlich haben wir das Thema im Smalltalk angerissen. Ich habe es jetzt bewusst hier bei "Drittes Reich" eingestellt, damit nicht irgendein Neudepp ohne Schreibrechte den Thread mit brauner Soße vollspammt.
Ich finde, der jüdische Witz (NICHT Judenwitz) zeichnet sich durch viel Selbstironie und Situationskomik aus - das macht m.E. auch die Einmaligkeit aus. Manche dieser Witze finden sich in abgewandelter Form heute noch im Alltag. Aber warum hat ausgerechnet das jüdische Volk diese besondere Art von Humor hervorgebracht?
Dazu fällt mir ein älteres Büchlein ein, das Neddy sen. gehört (aber kann sein, dass ich zufällig vergessen habe, es ihm zurück zu geben):
Landmann, Salcia: Der jüdische Witz
Mir ging es beim Schmökern jedesmal so ähnlich wie von Dir beschrieben. Es gab jedoch wohl auch (mindestens einen) Kritiker.
Salcia Landmann ? Wikipedia
Ganz schneller Beantwortungsversuch aus der hohlen Hand, ehe ich mal einen Blick in den Bücherschrank tue: "Die Juden" sind ja weit herumgekommen auf und in der Welt. Zum einen wurden sie regelmäßig zur Auswanderung gezwungen. Zum anderen waren viele Angehörige der jüdischen Oberschicht in der Handels- und Finanzwelt tätig, wo sie auch mit verhältnismäßig mehr gebildeten Menschen verkehrten - im Gegensatz zum christlichen Gutsbesitzer, der stets nur mit den selben Leuten verkehrte, von denen viele wiederum bildungsfernen Schichten angehörten. Gleichzeitig waren die Juden über lange Perioden ihrer Geschichte durch äußeren Druck gezwungen worden, unter sich zu bleiben.
Das würde heißen, dass Juden zunächst relativ viel Zugang zu Wissen und Informationen hatten, aus denen man ein Bonmot zurechtdrechseln konnte und verhältnismäßig viele von Ihnen zu so etwas auch in der Lage waren verglichen mit dem Sägewerks- oder Landarbeiter, der wenig intellektuellen Stimulus hat und vor lauter ackern auch gar keine Lust mehr dazu gehabt hätte. Im Katalysator der speziellen Lebensumwelt des Ghetto (oder Schtetl) könnte das einmal entstandene Bonmot erstmal solange zirkuliert sein, bis es als ganz typisch jüdischer Witz nach "draußen" gelangt war. Zudem dürfte dieses Milieu ein ausgezeichnetes Gefäß für die Sammlung und den Erhalt solcher spezifischer Geschichten gewesen sein.
Allerdings ist bei diesem Thema zu großer Vorsicht zu raten: Es kann durchaus ein Zeichen für einen positiven Rassismus sein, jüdische Witze besonders hervorzuheben oder einen gelungenen Witz selektiv nur in der Version darzustellen, der in einem jüdischen Milieu spielt, ohne spezifisch jüdisch zu sein (dazu dürften z. B. viele der Bonmots über Adolf und die anderen Nazifetten zählen.)
Viele der Witze in Landmanns Sammlung spielen mit eben den Wesenszügen, die von Antisemiten gern instrumentalisiert wurden (Unehrlichkeit, Geldgier, Geiz etc.) - solche Witze können erst mal nur Juden über sich selbst erzählen - aus jedes anderen Mund würden sie von selbst von jüdischen zu Judenwitzen. Ein womöglich zum Teil zielgerichtetes Spiel mit dem Feuer. Zusätzlich dürfte ein gewisser Selektionsdruck in Klima der Nachkriegszeit sicherlich die schlechten jüdischen Witze gründlich aus dem kollektiven Gedächtnis entfernt haben.
Die Kernfrage dürfte sein, ab wann dieser spezifisch jüdische Witz überhaupt nachzuweisen ist. Bevor ich nach dem Landmann Buch schaue, möchte ich die These aufstellen, dass dieser Topos wahrscheinlich erst ab dem Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommen ist: in den zunehmend vom Salonantisemitismus vernebelten protomodernen Gesellschaften Europas (wozu nicht nur die reaktionären Gesellschaften Deutschlands und Rußlands, sondern auch "aufgeklärte" Staaten wir Frankreich (Dreyfus-Affäre) oder das liebliche Norwegen gehörten) durch den den Juden plötzlich wieder drastisch vor Augen geführt wurde, dass sie als Gruppe einer besonderen Wahrnehmung unterworfen waren - zunächst von außen (Abgrenzung) und zunehmend auch von innen (Identitätsfindung). In diesem Klima und einer Zeit, in der es recht viele jüdische Intellektuelle gab, könnte das Konzept des "jüdischen Witzes" durchaus politisch geprägt und getrieben gewesen sein. Nächste Frage wäre dann die nach Parallelen zum Zionismus.
(Spannendes Thema @BB!!)