Der jüdische Witz und seine Besonderheiten

balticbirdy

Ehemaliges Mitglied
Kürzlich haben wir das Thema im Smalltalk angerissen. Ich habe es jetzt bewusst hier bei "Drittes Reich" eingestellt, damit nicht irgendein Neudepp ohne Schreibrechte den Thread mit brauner Soße vollspammt.

Ich finde, der jüdische Witz (NICHT Judenwitz) zeichnet sich durch viel Selbstironie und Situationskomik aus - das macht m.E. auch die Einmaligkeit aus. Manche dieser Witze finden sich in abgewandelter Form heute noch im Alltag. Aber warum hat ausgerechnet das jüdische Volk diese besondere Art von Humor hervorgebracht?

Bankier Rothschild empfängt einen Besucher. Er ist noch am Schreibtisch beschäftigt und sagt ohne aufzublicken:
"Nehmen Sie sich einen Stuhl."
"Aber mein Herr, ich bin der Fürst von Thurn und Taxis."
"Nehmen Sie sich zwei Stühle." :rofl:
 
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Kürzlich haben wir das Thema im Smalltalk angerissen. Ich habe es jetzt bewusst hier bei "Drittes Reich" eingestellt, damit nicht irgendein Neudepp ohne Schreibrechte den Thread mit brauner Soße vollspammt.

Ich finde, der jüdische Witz (NICHT Judenwitz) zeichnet sich durch viel Selbstironie und Situationskomik aus - das macht m.E. auch die Einmaligkeit aus. Manche dieser Witze finden sich in abgewandelter Form heute noch im Alltag. Aber warum hat ausgerechnet das jüdische Volk diese besondere Art von Humor hervorgebracht?

Dazu fällt mir ein älteres Büchlein ein, das Neddy sen. gehört (aber kann sein, dass ich zufällig vergessen habe, es ihm zurück zu geben):

Landmann, Salcia: Der jüdische Witz

Mir ging es beim Schmökern jedesmal so ähnlich wie von Dir beschrieben. Es gab jedoch wohl auch (mindestens einen) Kritiker.
Salcia Landmann ? Wikipedia

Ganz schneller Beantwortungsversuch aus der hohlen Hand, ehe ich mal einen Blick in den Bücherschrank tue: "Die Juden" sind ja weit herumgekommen auf und in der Welt. Zum einen wurden sie regelmäßig zur Auswanderung gezwungen. Zum anderen waren viele Angehörige der jüdischen Oberschicht in der Handels- und Finanzwelt tätig, wo sie auch mit verhältnismäßig mehr gebildeten Menschen verkehrten - im Gegensatz zum christlichen Gutsbesitzer, der stets nur mit den selben Leuten verkehrte, von denen viele wiederum bildungsfernen Schichten angehörten. Gleichzeitig waren die Juden über lange Perioden ihrer Geschichte durch äußeren Druck gezwungen worden, unter sich zu bleiben.

Das würde heißen, dass Juden zunächst relativ viel Zugang zu Wissen und Informationen hatten, aus denen man ein Bonmot zurechtdrechseln konnte und verhältnismäßig viele von Ihnen zu so etwas auch in der Lage waren verglichen mit dem Sägewerks- oder Landarbeiter, der wenig intellektuellen Stimulus hat und vor lauter ackern auch gar keine Lust mehr dazu gehabt hätte. Im Katalysator der speziellen Lebensumwelt des Ghetto (oder Schtetl) könnte das einmal entstandene Bonmot erstmal solange zirkuliert sein, bis es als ganz typisch jüdischer Witz nach "draußen" gelangt war. Zudem dürfte dieses Milieu ein ausgezeichnetes Gefäß für die Sammlung und den Erhalt solcher spezifischer Geschichten gewesen sein.

Allerdings ist bei diesem Thema zu großer Vorsicht zu raten: Es kann durchaus ein Zeichen für einen positiven Rassismus sein, jüdische Witze besonders hervorzuheben oder einen gelungenen Witz selektiv nur in der Version darzustellen, der in einem jüdischen Milieu spielt, ohne spezifisch jüdisch zu sein (dazu dürften z. B. viele der Bonmots über Adolf und die anderen Nazifetten zählen.)
Viele der Witze in Landmanns Sammlung spielen mit eben den Wesenszügen, die von Antisemiten gern instrumentalisiert wurden (Unehrlichkeit, Geldgier, Geiz etc.) - solche Witze können erst mal nur Juden über sich selbst erzählen - aus jedes anderen Mund würden sie von selbst von jüdischen zu Judenwitzen. Ein womöglich zum Teil zielgerichtetes Spiel mit dem Feuer. Zusätzlich dürfte ein gewisser Selektionsdruck in Klima der Nachkriegszeit sicherlich die schlechten jüdischen Witze gründlich aus dem kollektiven Gedächtnis entfernt haben.

Die Kernfrage dürfte sein, ab wann dieser spezifisch jüdische Witz überhaupt nachzuweisen ist. Bevor ich nach dem Landmann Buch schaue, möchte ich die These aufstellen, dass dieser Topos wahrscheinlich erst ab dem Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommen ist: in den zunehmend vom Salonantisemitismus vernebelten protomodernen Gesellschaften Europas (wozu nicht nur die reaktionären Gesellschaften Deutschlands und Rußlands, sondern auch "aufgeklärte" Staaten wir Frankreich (Dreyfus-Affäre) oder das liebliche Norwegen gehörten) durch den den Juden plötzlich wieder drastisch vor Augen geführt wurde, dass sie als Gruppe einer besonderen Wahrnehmung unterworfen waren - zunächst von außen (Abgrenzung) und zunehmend auch von innen (Identitätsfindung). In diesem Klima und einer Zeit, in der es recht viele jüdische Intellektuelle gab, könnte das Konzept des "jüdischen Witzes" durchaus politisch geprägt und getrieben gewesen sein. Nächste Frage wäre dann die nach Parallelen zum Zionismus.

(Spannendes Thema @BB!!)
 
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balticbirdy schrieb:
Aber warum hat ausgerechnet das jüdische Volk diese besondere Art von Humor hervorgebracht

Dies sollte deine Frage beantworten:

Die Einzigartigkeit
Der jüdische Witz nimmt in der Weltliteratur eine Sonderstellung ein. Er ist tiefer, bitterer, schärfer, vollendeter, dichter, und man kann sagen, dichterischer als der Witz anderer Völker. Ein jüdischer Witz ist niemals Witz um des Witzes willen, immer enthält er eine religiöse, politische, soziale oder philosophische Kritik. Er ist faszinierend, denn er ist Volks- und Bildungswitz zugleich, jedem verständlich und doch voll tiefer Weisheit.

Durch Jahrhunderte war der Witz die einzige und unentbehrliche Waffe des sonst waffen- und wehrlosen Volkes. Es gab - besonders in der Neuzeit - Situationen, die von den Juden seelisch und geistig überhaupt nur mit Hilfe ihres Witzes bewältigt werden konnten. So lässt sich behaupten: Der Witz der Juden ist identisch mit ihrem Mut, trotz allem weiterzuleben.

Zitiert aus: Was ist Jüdischer Witz?

Hier findest du einen Beitrag über den jüdischen Witz:

Jüdische Geschichte und Kultur: Der jüdische Witz
 
Unterdrückte Völker gab es viele, das allein kann nicht die Erklärung sein.

Ich halte einen weiteren Aspekt für wichtig: Jeder Jude war geschult in der Thora, im Talmud und seiner Interpretation. Analphabeten gab es unter ihnen de facto nicht. Besonders das Studium des Talmud erfordert selbstständiges analytisches Denken und eine dialektische Betrachtung und Herangehensweise. Genau das zeigt sich im jüdischen Witz vielfach.
Der reiche Onkel aus der Provinz kommt nach Warschau. Er erscheint in völlig abgetragener, schäbiger Kleidung.
"Onkel Mosche, wie kannst du nur hier so herumlaufen"
"Ach was, hier kennt mich doch keiner."

Gegenbesuch beim Onkel im Schtetl. Er ist genauso wie in Warschau gekleidet.
"???"
"Ach was, hier kennt mich doch jeder."
 
Unterdrückte Völker gab es viele, das allein kann nicht die Erklärung sein.

Ich halte einen weiteren Aspekt für wichtig: Jeder Jude war geschult in der Thora, im Talmud und seiner Interpretation. Analphabeten gab es unter ihnen de facto nicht. Besonders das Studium des Talmud erfordert selbstständiges analytisches Denken und eine dialektische Betrachtung und Herangehensweise. Genau das zeigt sich im jüdischen Witz vielfach.

Gut ausgedrückt!

Der jüdische Humor bietet zumeist etwas Stoff zum Nachdenken und auch Lebensweisheit:

In einem Schtetl in Osteuropa treffen sich in einem Rechtsstreit zwei Kontrahenten beim Richter. Der erste trägt seine Sicht zum Fall vor, und der Richter sagt: "Ja, hast Recht." Danach trägt der zweite seine Sicht zum Fall vor, und der Richter sagt: "Ja, hast auch Recht." Einer der Beisitzer sagt dann zum Richter: "Abert es können doch nicht beide Recht haben." Darauf der Richter: "Ja, hast auch Recht."

Im Jahre 1938 sitzen einander in der New Yorker U-Bahn zwei gerade eingewanderte deutsche Juden gegenüber. Der eine liest Der Stürmer, das schreckliche Hetzblatt Julius Streichers. Der andere liest die jüdische Zeitung, den Forvertz, und wird allmählich aufgeregt. Endlich fragt er seinen Landsmann, „Wieso lesen Sie dieses furchtbare Blatt? Es ist nur reiner Antisemitismus, Judenhatz.“ Der erste Jude guckt vor sich hin. Er sagt: „Schauen Sie. Was steht in Ihrer Zeitung? Überall sind die Juden Flüchtlinge. Man verfolgt uns. Man wirft Steine und Bomben in die Synagogen. Ich lese die Nazi-Zeitung, denn sie ist zuversichtlicher. Wir besitzen die Banken! Wir besitzen die großen Firmen! Wir beherrschen die Welt!“

Salomon sitzt in der Synagoge und betet. Der Rabbi fragt ihn, wofür er beten würde. Darauf Salomon: "Ich dankte Gott, daß wir Juden sein auserwähltes Volk seien. Aber ich bat ihn darum, doch zur Abwechselung auch mal ein anderes Volk auszuwählen."

Im Zusammenhang mit der Rolle der Judenräte und ihrer Kooperation mit den deutschen Behörden während des Holocaust habe ich irgendwo (Guido Knopp - Holocaust?) den folgenden Witz gelesen:

Polen während des Zweiten Weltkriegs:
Der deutsche Kommandant läßt die Vertreter des Judenrates des örtlichen Ghettos einbestellen und erklärt: "Morgen früh müssen 5000 Juden bereit stehen, diese werden dann deportiert und vergast." Die Rückfrage seitens des Judenrates lautet: "Haben Sie das Gas oder sollen wir es noch lierfern?"

(Letzterer ist schon Galgenhumor im eigentlichen Sinne)
 
Es wurde schon erwähnt, dass es NICHT gleichgültig ist, WER den betreffenden Joke WEM erzählt.

Ein bekannter jiddischer (sic!) Witz (2 Juden vor der Kirche, einer geht rein und lässt sich taufen und antwortet beim Wiederkommen auf die Nachfrage seines zurückgebliebenen Freundes mit "Kusch, Saujud.") kursiert bei Rechtsextremen heute leicht abgewandelt (2 Türken vorm deutschen Passamt...). Die Shoah hat manches am jüdischen Witz zum heutzutage unangebrachten Anachronismus gemacht.
 
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Kürzlich haben wir das Thema im Smalltalk angerissen. Ich habe es jetzt bewusst hier bei "Drittes Reich" eingestellt, damit nicht irgendein Neudepp ohne Schreibrechte den Thread mit brauner Soße vollspammt.

Ich finde, der jüdische Witz (NICHT Judenwitz) zeichnet sich durch viel Selbstironie und Situationskomik aus - das macht m.E. auch die Einmaligkeit aus. Manche dieser Witze finden sich in abgewandelter Form heute noch im Alltag. Aber warum hat ausgerechnet das jüdische Volk diese besondere Art von Humor hervorgebracht?


Gudula Rothschild,geborene Schnapper, die Frau des alten Mayer Amschel Rothschild überlebte ihren Mann um viele Jahre und wurde mit der Zeit zu einem stadtbekannten Frankfurter Original, wobei sie übrigens ihr Leben lang im Judenviertel wohnen blieb.

Von ihr ist ein Ausspruch überliefert:

Krieg? Unsinn, es wird schon keinen Krieg geben, meine Söhne Nathan und James würden das niemals zulassen.
 
In einem Schtetl in Osteuropa treffen sich in einem Rechtsstreit zwei Kontrahenten beim Richter. Der erste trägt seine Sicht zum Fall vor, und der Richter sagt: "Ja, hast Recht." Danach trägt der zweite seine Sicht zum Fall vor, und der Richter sagt: "Ja, hast auch Recht." Einer der Beisitzer sagt dann zum Richter: "Abert es können doch nicht beide Recht haben." Darauf der Richter: "Ja, hast auch Recht."

Schon etwas länger her, trotzdem.

Diese Anekdote stammt allerdings von Nasreddin Hodscha, einem türkischen Eulenspiegel aus dem 13. Jh. Da kommt kein Schtetl vor, sondern ein türkisches Dorf, in dem Nasreddin Richter gewesen sein soll. Und es geht, wenn ich mich recht entsinne, um Ehebruch, ansonsten ist alles identisch.

Nasreddin – Wikipedia

Nasreddin wird des Öfteren ausgebeutet, z.B. in dem berühmten Buch "Anleitungen zum Unglücklichsein" von P. Watzlawick. Dort gibt es die Episode vom "verlorenen Schlüssel", die sich schon bei Nasreddin findet. Nur wird hier nicht unter einer Laterne gesucht, sondern draußen auf der Straße, da es dort heller sei als drinnen im Haus.
 
Schon etwas spät geworden, aber Täve Schur gabs heute im MDR und das wollte ich nicht verpassen.
1960 habe ich als Zuschauer auf den Sachsenring Hohenstein-Ernstthal die spannende Weltmeisterschaft auf Höhe der Zielgeraden miterlebt.

Als damals Täve den Bernhard Eckstein vorbei lies, und Willy Vanden-Berghen (Belgien) dadurch 3. wurde, war dort alles aus dem Häuschen.

Täve wurde dann endgültig zur Legende.

Aber zum Thema...
1983 habe ich mir das Buch „Ostjüdische Legenden“ mit 52 Bilder von Anatoli L. Kaplan gekauft.

Werde morgen etwas dazu schreiben. Das Buch enthält 31 Legenden.
 
Ostjüdische Legenden...
Mir gefallen diese Geschichten.
Es wird da das Leben der jüdischen Bevölkerung im ausgehenden 18. Jahrhundert widergespiegelt. Eine Zeit als sich dort eine religiöse Bewegung des Chassidismus (übersetzt -> Frömmigkeit) ausbreitete. Das war eine Zeit der Abkehr von den strengen Regeln des Talmundismus zur schlichten lebensnahen Frömmigkeit.

Rabbi Israel ben Elieser, um 1698 – 1760, genannt Baal – Shem – Tow (Meister des guten Namens) und seinen Schülern, den populären Zaddikim, schrieb man diese Geschichten zu.

Rabbi Israel ben Elieser wurde in Okopy geboren. Okopy, eine Gemeinde südöstlich von Ternopil (Ukraine); gestorben in Medschybisch – südlicher Bug, ebenfalls Ukraine -.

Alexander Eliasberg (1877 – 1924) hat diese schönen, volkstümlichen Legenden gesammelt und hat sie ins Deutsche übersetzt.

Ich kann nicht sagen welche Erzählung mir gefällt, weil, sie gefallen mir alle 31 und man lernt viele jüdische Namen, deren Leben und deren Probleme kennen.
 
Ich muss dabei als erstes an eine Anekdote aus Torbergs "Tante Jolesch" denken. Im Tagesspiegel werden 2 Episoden nacherzählt:

Jahrelang versucht man der Tante Jolesch unter allen möglichen Listen und Tücken das Rezept ihrer unvergleichlichen Schöpfung herauszulocken. Umsonst. Sie gab’s nicht her. Und da sie mit der Zeit sogar recht ungehalten wurde, wenn man auf sie eindrang, ließ man es bleiben.
Und dann also nahte für die Tante Jolesch das Ende heran, ihre Uhr war abgelaufen, die Familie hatte sich um das Sterbelager versammelt, in die gedrückte Stille klangen murmelnde Gebete und verhaltenes Schluchzen, sonst nichts. Die Tante Jolesch lag reglos in den Kissen. Noch atmete sie.
Da fasste sich ihre Lieblingsnichte Louise ein Herz und trat vor. Aus verschnürter Kehle, aber darum nicht minder dringlich kamen ihre Worte:
„Tante – ins Grab kannst du das Rezept ja doch nicht mitnehmen. Willst du es uns nicht hinterlassen? Willst du uns nicht endlich sagen, wieso deine Krautfleckerln immer so gut waren?“
Die Tante Jolesch richtete sich mit letzter Kraft ein wenig auf: „Weil ich nie genug gemacht hab…“


und...

„Aber du musst doch schon draufgekommen sein, was dir am besten schmeckt“, beharrte der Frager.
Nein, um solche Sachen kümmere sie sich nicht, replizierte ebenso beharrlich die Tante Jolesch (wobei sie in Wahrheit nicht „Sachen“" sagte, sondern „Narreteien“ und genau genommen „Narrischkaten“).
Der Wissbegierige ließ nicht locker und spitzte nach einigem Hin und Her seine Frage vermeintlich unentrinnbar zu:
„Also stell dir einmal vor, Tante – Gott behüte, daß es passiert – aber nehmen wir an: du sitzt im Gasthaus und weißt, dass du nur noch eine halbe Stunde zu leben hast. Was bestellst du dir?“
„Etwas Fertiges“, sagte die Tante Jolesch.

https://www.tagesspiegel.de/themen/...n-tante-jolesch-das-vermaechtnis/1323706.html
 
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