'Der olle Hitler soll sterben'

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Es war eine beispiellose Rettungsaktion: der Kindertransport nach England, durch den 1938/39 rund zehntausend jüdische Kinder vor den Nazis gerettet wurden. Anja Salewsky hat viele der Betroffenen von damals besucht und ihre bewegenden Lebensgeschichten niedergeschrieben. Ergänzt durch bisher zum größten Teil unveröffentlichte Fotos und Briefe - oftmals die letzte Verbindung zwischen den auseinander gerissenen Eltern und Kindern -, ist so ein eindrucksvolles Buch über ein bislang wenig beachtetes Kapitel in der Geschichte des Dritten Reichs entstanden.

Anja Salewsky • 'Der olle Hitler soll sterben!' • Claassen Verlag • 2001 • 300 Seiten

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Buchempfehlung von Jacobum
 

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Meine 15-jährige Tochter hatte sich das Buch gekauft und mir empfohlen. Ich habe es dann in mehreren Etappen durchgelesen. Mehrere Etappen deshalb, weil es verschiedene Erlebnisberichte enthält, von denen jeder einzigartig ist und mit gesonderter Aufmerksamkeit gelesen werden sollte.

Es geht um ein Kapitel deutscher und britischer Geschichte, das wenig bekannt ist. Nämlich die Versendung von etwa 10.000 jüdischen Kindern aus Nazideutschland ins sichere England. Es war nur ein kleines Zeitfenster, von Dezember 1938 bis zum Kriegsaubruch 1. September 1939. Nicht mal ein Jahr. Und dennoch bedeutete es das sichere Überleben für viele junge Menschen.

Die meisten Staaten hatten in den 30er Jahren eine strikte Politik der Nicht-Aufnahme von Juden betrieben. Der Zionistenführer Chaim Weitzmann sagte damals: “Die Welt scheint nur zwei Arten von Ländern zu haben: die, in denen die Juden nicht leben können und die, in die sie nicht einreisen können.”

Erst nach der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 raffte sich ein Land - Großbritannien - auf, eine unbegrenzte Anzahl von jüdischen Kindern aus Deutschland aufzunehmen. Voraussetzungen waren, dass die Kinder unter 17 Jahre alt waren und pro Kind eine Garantiesumme von 50 Pfund hinterlegt wurde.

Am 1. Dezember 1938 ging der erste Transport ab, dem weitere folgten.

Was die Kinder und Jugendlichen, die von ihren Eltern getrennt wurden und von denen viele die einzigen Überlebenden ihrer Familien werden sollten, vor, während und nach dem Transport erlebten, wird in dem Buch “Der olle Hitler soll sterben!” beschrieben.

Jede Geschichte ist - ich sagte es bereits - einzigartig. Je nach Alter, Herkunft und Geschlecht der Zeitzeugen und je nachdem, wohin es sie verschlagen hat, sind die Erlebnisse recht unterschiedlich. Für manche Kinder war es ein großes Abenteuer, andere gingen an der abrupten Trennung von ihren Eltern fast zugrunde. Die einen wurden in hochherrschaftlichen Villen einquartiert, die anderen wurden als billige Arbeitskräfte oder Zimmermädchen ausgenützt oder sahen sich sexuellen Nachstellungen gegenüber.

Die Autorin, Jahrgang 1966, hatte mit einer Rundfunksendung namens “Once I was a Münchner Kindl” erstmals das Thema verarbeitet. Der Erfolg dieser Sendung hat sie bewogen, weiter zu recherchieren und die Ergebnisse schließlich in Buchform zu veröffentlichen.

Das Buch enthält neben den persönlichen Schilderungen viel Wissenswertes über die damalige Zeit, über den heimlichen, dann offenen Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft bis hin zur “Endlösung”. Es ist ein wichtiges Buch, sehr gut geeignet für Jugendliche, die wissen wollen, wie es damals war, aber natürlich auch für Erwachsene, die sich für dieses viel zu wenig bekannte Thema interessieren.


Jacobum
 
Zum 75. Jahrestag der ersten Kindertransporte wird in der nationalen wie internationalen Presse der Schicksale dieser Kinder gedacht.

z. B. Kindertransporte nach England - Politik - WDR.de

Das Wort "Kindertransport" ist als Lehnwort auch in die englische Sprache eingegangen. Unter https://www.google.de/search?q=kind...93&espv=210&q=kindertransport&start=0&tbm=nws sind zahlreiche Artikel auch in englischsprachigen Zeitungen enthalten.

Ich habe mehrere Artikel gelesen, und jedes einzelne Schicksal ist bewegend. Viele Kinder haben ihre Eltern nie wieder gesehen.
 


Der Bewertung von hatl schließe ich mich an. Diese Jahre haben viele Tragödien hervorgebracht - in allen Nationen, in allen Ländern. Und nicht nur diese Jahre haben Tragödien hervorgebracht.

Ich habe - wie oben geschrieben - mehrere Artikel zu den Kindertransporten gelesen: jedes Schicksal ist für sich einmalig, aber gewisse "Muster" wiederholen sich, wie die Trennung von Eltern und Geschwistern, die Integration in ein Land, dessen Sprache sie nicht sprechen, die gute oder auch nicht so gute Aufnahme bei Pflegeeltern oder Heimen, Restriktionen und sogar Internierung nach dem Kriegsausbruch als feindlicher Ausländer, in wenigen Fällen ein Treffen mit den Eltern und Geschwistern nach dem Krieg, in den meisten Fällen sind diese aber im Holocaust oder durch Krieg ums Leben gekommen.

Es fällt schwer, ein bestimmtes Einzelschicksal besonders herauszustellen, aber ich fand in einem Artikel eine Aussage von Judy Benton, die ich hier gerne zitieren möchte:

I have been invited back to Meissen three times by the mayor to tell my story. On my last visit, he asked if I hated them for what they put me and my family through. "No," I said. "Hatred is an illness, it is not worth holding on to. All I ask is that it never happens again."

Ich bin dreimal nach Meißen auf Einladung des Bürgermeisters zurückgekehrt, um meine Geschichte zu erzählen. Bei meinem letzten Besuch fragte er mich, ob ich sie dafür hassen würde, was sie mir und meiner Familie angetan haben. "Nein", sagte ich. "Haß ist eine Krankheit, sie ist nicht wert, an ihr festzuhalten. Alles, worum ich bitte, ist, dass es nicht wieder passiert." (eig. Übers.)

Judy Benton aus Meißen verließ 1938 Deutschland und mußte ihre Eltern und ihre Schwester zurücklassen. Ihre Eltern starben in Auschwitz. Zum Schicksal ihrer Schwester macht der Artikel keine Angaben.

aus: I escaped Hitler's Germany and built a new life | Judy Benton | Comment is free | theguardian.com
 
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