Deutscher Heimatfilm und deutsche Geschichte

jschmidt

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Da die Diskussion in http://www.geschichtsforum.de/f6/wo-ist-der-thread-26530/#post405846 zum Teil von einem tiefen Unernst geprägt ist - angesichts der Thread-Geschichte vielleicht verständlich -;), erlaube ich mir, das Thema hier separat anzubieten, und zwar beschränkt auf den Zeitraum, den auch Willi Höfig (Der deutsche Heimatfilm 1947-1960) in seinem Standardwerk von 1973, das mir leider nicht vorliegt, behandelt hat.

Die beiden von Saint-Simone genannten Quellen Shattered Past: Reconstructing ... - Google Buchsuche bzw. Aufsatz Gender and Germanness: cultural ... - Google Buchsuche [1] - man könnte hier auch noch No Place Like Home: Locations of ... - Google Buchsuche nennen - gehen ja sozusagen hinter die Film-Kulissen und arbeiten heraus, dass neben der anzutreffenden "heilen Welt" (Brissotin) durchweg noch eine weitere, tiefere Dimension besteht, die sich bei näherem Hinsehen oft als das "Eigentliche" im Rankeschen Sinne entpuppt.

Das Genre des Heimatfilmes wurde ja praktisch direkt nach dem Krieg sehr populär, obgleich man in den einzelnen Filmen keine Spuren desselbigen sieht, sondern stattdessen eine heile Welt, wo sich teilweise sehr seichte Handlungen an vermeintlich realen Orten abspielen, und die Handlungsträger gerne Trachten tragen. 'Vermeintlich' real, weil zwar niemand die Existenz des Schwarzwaldes, Bodensees, Lüneburger Heide etc, anzweifeln mag, aber was dargestellt wurde, war eine idealisierte Version eines real existierenden Ortes, den der Zuschauer erkennen konnte, und in den er/sie eintauchen konnte.
Das hat freilich verschiedene Filmtheoretiker nicht abgehalten es trotzdem zu tun, die theoretisieren, daß es sich bei Heimatfilmen um die Darstellung einer idealisierten Welt handelt, wo traditionalle Werte und Ordnung hochgehalten wurden, und alles gut war. Heimatfilme bauten auf der Sehnsucht nach einer besseren Welt auf, die die Welt nicht so zeigte wie sie war, sondern wie sie sein sollte, wo eine verloren geglaubte Ordnung vorherrschte. Das gesamte Genre sagt also mehr über die Wünsche der Macher und Zuschauer aus, als über die Realität.

Eines der besten deutschsprachigen Bücher dazu ist "So grün war die Heide" von Gerhard Bliersbach (Weinheim/Basel 1985). Der erste Film, den er untersucht, ist "Grün ist die Heide" von 1951 (http://de.wikipedia.org/wiki/Gr%C3%BCn_ist_die_Heide_(1951)) [2]. Charakteristisch für die Art und Weise seiner Analysemethode ist das Aufweisen dessen, was der Film nicht zeigt, was aber im (geistigen) Hintergrund stets präsent ist.

1. Am Beispiel der Eingangssequenz: Drei Musikanten singen ein Hermann-Löns-Lied ("Auf der Lüüneburgerher Heiiide"), womit der Zuschauer
"eingestimmt wird auf einen friedlichen Flecken Bundesrepublik: ein westdeutsches Refugium, von den Folgen des zerschlagenen Dritten Reiches nicht gezeichnet. Sechs Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kontrastiert die Lüneburger Heide mit dem Städte-Schutt, das Braun-Grün dieser Landschaft mit dem Grau der Trümmer; und der blaue Himmel ist frei von den dröhnenden Maschinen, vor deren Bombenladungen sich die Deutschen in den Bunkern verkrochen."
2. Bei dem Wilderer, nach dem der wackere Förster den ganzen Film über sucht, handelt es sich um einen einstigen schlesischen Gutsbesitzer, der seine Heimat - und seine Frau - verloren hat. Lüder Lüdersen ist "ein großbürgerlicher Vertriebener, ein Herr - keiner dieser ärmlichen Flüchtlinge, deren Kinder in den Schulklassen unter ihrer Herkunft zu leiden hatten, die wir in Köln in schadenfroher Verachtung 'Pimmocks' schimpften. L.L. grämt sich, in Westdeutschland zu sein: er fühlt sich als Gast - als ein Entwurzelter, der sich weigert, heimisch zu werden" und sozusagen infolge dieser Verweigerung zum Wilderer wird.

3. Bei L.L. handelt es sich, so Bliersbach, um eine prototypische Figur: "Bedürftige, gebrochene, entwertete, hilflose Väter, die Verlierer des zweiten Weltkrieges, die Beteiligten an der Nazi-Katastrophe: sie sind das wiederkehrende Thema westdeutscher Nachkriegsfilme. Deutsche Väter waren nie sonderlich präsentable Väter: von kleinbürgerlicher Ängstlichkeit und Verletzlichkeit, waren sie politisch mutlos und unterwerfungsbereit. [...] Diskreditiert, kehrten sie [1945] in ihre Familien zurück, in denen sie nur wenig zu melden (wie das deutsche Macht-Verbum lautet) hatten. Deutsche Väter hatten sich schuldig gemacht. Die Scham darüber saß tief."

Ich kann hier nicht die ganze Interpretation wiedergeben, sondern will nur zeigen, was es im Heimatfilm an Unheimatlichem/Unheimlichem zu finden gibt, wenn man mit einem entsprechenden analytischen Instrumentarium danach sucht. Vielleicht haben Saint-Simone und andere ja noch weitere Beispiele zu bieten.

[1] Das ist ein Aufsatz; ein Buch mit diesem Titel habe ich nicht auf Anhieb gefunden.
[2] "Wenn die Heide blüht" von 1960 ist sozusagen das Remake, kam aber nicht an den glanzvollen ökonomischen Erfolg des "Ziepra"-Films heran.
 
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sher gut ein heimatfilm thread, 500 gibt es ungefähr von denen in Ö, BRD, CH nur 30 % zu sehen waren, die anderen verschwanden leider. jetzt ist auch mal die Frage, wie sehr ist die Realität anders als die der heimatfilme.
 
[1] Das ist ein Aufsatz; ein Buch mit diesem Titel habe ich nicht auf Anhieb gefunden.

:autsch: Mein Fehler, du hast natürlich Recht und vielen Dank! Ich hab' das fälschlicherweise einfach so aus einer selbstgeschriebenen Quellenliste übernommen, und damit den eigenen Fehler weiterleben lassen. :rotwerd:
 
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@ jschmidt

Vielleicht könnte man zur Literatur noch 'The Dark Mirror: German Cinema between Hitler and Hollywood' hinzufügen. The dark mirror: German cinema ... - Google Book Search

Darin schreibt Koepnick (2002:197), daß es sich beim Heimatfilm um ein Genre handelt, welches direkt der Realitätsflucht dient, und die vermeintlich traditionellen Lebenswelten glorifiziert, als Reaktion auf die Zerstörungen des 2. Weltkrieges. Er vetritt die These, daß der Heimatfilm ebenso eine Reaktion auf die 'Entmannung' durch die Niederlage im Krieg sei, und deswegen eine stark patriarchalische Lebenswelt darstellt, also eine Rückkehr zur Tradition und Werten, die die kürzeste Vergangenheit schlichtweg ignoriert.

Natur, Trachten und die Verwendung von Dialekten knüpfen an zeitlose Werte an, die es zulassen die Vergangenheit zu ignorieren, und liefern eine 'Bauplan' für eine ungewisse Zukunft. Also laut Koepnick (2002) handelt es sich beim Genre des Heimatfilmes in erster Linie um Realitätsflucht.

Aber bei genauerer Betrachtung, kann man auch im Heimatfilm, wie du angemerkt und durch dein Beispiel gezeigt hast, andere Aspekte als die reine Realitätsflucht finden. Spontan fällt mir leider kein anderer Film ein, der etwas tiefer geht, aber ich grabe mal.
 
Ich hätte da noch dieses Buch gefunden:

Schwarzwaldmädels: Klischee, Ideal und Realität der Frauenrolle im Heimatfilm und in der Gesellschaft der fünfziger Jahre: Vera Binz: Amazon.de: Bücher

Aus der Produktbeschreibung zitiert:

Der Heimatfilm war das erfolgreichste Genre des deutschen Films der fünfziger Jahre. Eine Zeit, die geprägt war von den Folgen des Zweiten Weltkriegs, vor allem aber von der ständigen Spannung zwischen Modernisierung und Restauration. Exemplarisch dafür steht die rückschrittliche Entwicklung der Frauenrolle. An den Ergebnissen lässt sich erkennen, wie klischiert die Welt des Heimatfilms, vor allem aber sein Frauenbild, ist. Sie offenbart jedoch auch die gesellschaftliche Bewertung bestimmter Verhaltensweisen. Zunächst gibt ein historischer Teil einen Überblick über die Rahmenbedingungen der fünfziger Jahre. Darauf folgen ein theoretischer Teil und die nähere Betrachtung der Merkmale und des Forschungsstandes des Heimatfilms. Anhand einer Inhaltsanalyse
wird schließlich untersucht, inwieweit sich die konservativ-patriarchalische Rollenaufteilung im Heimatfilm zeigt.

Leider hab' ich darauf keinen direkten Zugriff, aber da stellt sich mir gerade die Frage ob die Betrachtung des Heimatfilmes eigentlich immer- frei nach Loriot- die Frau mit Natur und Traditionsgedanken vereinbart. Ich glaub' das Originalzitat war: 'Die Vereinbarung von Frau und Umwelt im Karnevalsgedanken.' Wie dem auch sei, behandelt die meiste von mir gefundene Literatur sich direkt oder indirekt mit den dargestellten Geschlechterrollen. :grübel:
 
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Darin schreibt Koepnick (2002:197), daß es sich beim Heimatfilm um ein Genre handelt, welches direkt der Realitätsflucht dient, und die vermeintlich traditionellen Lebenswelten glorifiziert, als Reaktion auf die Zerstörungen des 2. Weltkrieges. Er vetritt die These, daß der Heimatfilm ebenso eine Reaktion auf die 'Entmannung' durch die Niederlage im Krieg sei, und deswegen eine stark patriarchalische Lebenswelt darstellt, also eine Rückkehr zur Tradition und Werten, die die kürzeste Vergangenheit schlichtweg ignoriert.
Natur, Trachten und die Verwendung von Dialekten knüpfen an zeitlose Werte an, die es zulassen die Vergangenheit zu ignorieren, und liefern eine 'Bauplan' für eine ungewisse Zukunft. Also laut Koepnick (2002) handelt es sich beim Genre des Heimatfilmes in erster Linie um Realitätsflucht.

Vielen Dank für die weitere Quelle! Ich kann mit Koepnicks Thesen gut leben, zumal sie ja - sehr kurz - noch weitere Heimatfilm-Ingredienzen nennen wie etwa den apolitischen Rückzug ins Private und die öffentliche Amnesie bezüglich der Verbrechen, die soeben in Deutschland geschehen waren.

Es ist eine vieldiskutierte Frage, wo der nachkriegsdeutsche Heimatfilm eigentlich ansetzt: Steht er, wofür einiges Handwerkliche spricht, in der Kontiniutät der NS-"Blut- und-Boden"-Filme? Versucht er einen Neuanfang unter Anlehnung an die 20er Jahre oder auch an Vorbilder des westlichen Auslands? [1]

Ich habe auch nochmals im Regal gekramt und bin auf den Beitrag von Wolfgang Kaschuba: Der Deutsche Heimatfilm - Bildwelten als Weltbilder (in: Heimat. Analysen, Themen, Perspektiven. Bd. 1, S. 829-851) gestoßen. [2] Er zitiert einige der gängigen Negativurteile über das Genre, stellt aber zugleich dessen "Leistung" heraus: Mit dem Heimatfilm kann man nach 1945 zur Tagesordnung übergehen und sich an Vergangenes in einer Form erinnern, die "mehr spielerische, beliebige, weniger bedrängende Vergewisserungen erlaubt" (S. 831). Heimatfilme bieten "Sinnstiftung danach"; in der darin gezeigten "Welt der Tradition" findet politische Geschichte nicht (bzw. nur im Geheimen) statt. "Da gibt es keine [politischen] Ursachen und Wirkungen, keine Täter und Opfer, nur 'Schicksale'" (S. 840); Existenz- und Integrationsprobleme der Vertriebenen aus dem Osten - siehe den Heide-Film - "bleiben strukturell eher verdeckt, sie lösen sich 'menschlich' in Liebe und gemeinsamem Vergessen" (ebd.).


[1] Heimatfilme seien etwas genuin und exklusiv Deutsches, heißt es manchmal. Aber es gibt z. B. auch schöne Parallelen zum amerikanischen Western, dem Heimatfilm der Neuen Welt sozusagen.
[2] Siehe auch Band 2 dieser von der Bundeszentrale für politische Bildung 1990 besorgten Publikation, worin Steiner & Brecht unter dem Titel "Der deutsche Heimatfilm - Eine kommentierte Auswahl" eine umfangreiche Filmographie vorlegen (S. 363-506).
 
... aber da stellt sich mir gerade die Frage ob die Betrachtung des Heimatfilmes eigentlich immer - frei nach Loriot - die Frau mit Natur und Traditionsgedanken vereinbart
Der deutsche Heimatfilm hatte die in der zweiten Strophe des Deutschlandliedes genannten "Naturgewalten" stets im Blick: "Deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher Sang..." ;)

Das ging nach 1945 auch häufig nicht anders - es fehlten ja einige Millionen Männer! Mehr als früher mussten deshalb die Frauen die Tradierungs-Aufgabe übernehmen, und sie hatten auch noch den Vorzug, keine Leichen im Keller zu haben (nicht lustig oder zynisch gemeint!), welche die Idylle unweigerlich zerstört hätten. Der "Opferstatus" der Frauen stand ja zu keiner Zeit, anders als der der Männer, in Frage.

@ Ursi: Danke für den Hinweis. Ich kenne den Titel, habe aber den Film leider nie gesehen. Gibt es historisch relevante Bezüge darin? Eine ökonomische Problematik scheint ja wohl durch.
 
sher gut ein heimatfilm thread, 500 gibt es ungefähr von denen in Ö, BRD, CH nur 30 % zu sehen waren, die anderen verschwanden leider. jetzt ist auch mal die Frage, wie sehr ist die Realität anders als die der heimatfilme.

Meistens wird in diesen Filmen eine heile Welt vorgegaukelt, die es so nicht gab.
Meine Uroma jedenfalls hat mir was anderes erzählt, als Friede, Freude Eierkuchen.
Die wurde 1886 geboren und ist 99 Jahre alt geworden.
 
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@ Ursi: Danke für den Hinweis. Ich kenne den Titel, habe aber den Film leider nie gesehen. Gibt es historisch relevante Bezüge darin? Eine ökonomische Problematik scheint ja wohl durch.

Es gibt ja zwei Filme:

Uli der Knecht und Uli der Pächter.

Ich muss aber zu meiner Schande gestehen, dass ich die beiden Filme noch nie ganz geschaut habe. :red: Deshalb kann ich dir auch nicht sagen ob es historisch relevante Bezüge darin hat. Vielleicht kann da Pelzer mehr Auskunft geben.

Es ist auf jedenfall eine Jeremias Gotthelf Verfilmung. Hier gibt es eine Hinweis zum Buch:

Diogenes Verlag | Katalog: Gotthelf, Jeremias: Uli der Knecht
 
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@ jschmidt

Vielleicht könnte man zur Literatur noch 'The Dark Mirror: German Cinema between Hitler and Hollywood' hinzufügen. The dark mirror: German cinema ... - Google Book Search

Darin schreibt Koepnick (2002:197), daß es sich beim Heimatfilm um ein Genre handelt, welches direkt der Realitätsflucht dient, und die vermeintlich traditionellen Lebenswelten glorifiziert, als Reaktion auf die Zerstörungen des 2. Weltkrieges. Er vetritt die These, daß der Heimatfilm ebenso eine Reaktion auf die 'Entmannung' durch die Niederlage im Krieg sei, und deswegen eine stark patriarchalische Lebenswelt darstellt, also eine Rückkehr zur Tradition und Werten, die die kürzeste Vergangenheit schlichtweg ignoriert.

Natur, Trachten und die Verwendung von Dialekten knüpfen an zeitlose Werte an, die es zulassen die Vergangenheit zu ignorieren, und liefern eine 'Bauplan' für eine ungewisse Zukunft. Also laut Koepnick (2002) handelt es sich beim Genre des Heimatfilmes in erster Linie um Realitätsflucht.

Aber bei genauerer Betrachtung, kann man auch im Heimatfilm, wie du angemerkt und durch dein Beispiel gezeigt hast, andere Aspekte als die reine Realitätsflucht finden. Spontan fällt mir leider kein anderer Film ein, der etwas tiefer geht, aber ich grabe mal.


Mir fällt eine TV- Serie ein, die durchaus gewissen Tiefgang hatte und die Geschichte des fiktiven Hunsrückdorfes Schabbach zwischen 1919 und 1982 mit Inflation, Aufstieg der NSDAP und Wirtschaftswunderzeit zeigte.

Ehrlich gesagt habe ich an das deutsche Original nur rudimentäre Erinnerungen, denn die Serie lief mit großem Erfolg in den USA. Meine Gastgeberin war damals ganz hingerissen von "German Gemütlichkeit".
 
Mir fällt eine TV- Serie ein, die durchaus gewissen Tiefgang hatte und die Geschichte des fiktiven Hunsrückdorfes Schabbach zwischen 1919 und 1982 mit Inflation, Aufstieg der NSDAP und Wirtschaftswunderzeit zeigte.

Ehrlich gesagt habe ich an das deutsche Original nur rudimentäre Erinnerungen, denn die Serie lief mit großem Erfolg in den USA. Meine Gastgeberin war damals ganz hingerissen von "German Gemütlichkeit".

War's 'Heimat'? http://de.wikipedia.org/wiki/Heimat_(Reitz)

Es wäre ein interessanter Punkt, diese Serie mit den Heimatfilmen der 50er zu vergleichen, da sie sich ja wirklich tiefgehend mit dem ländlichen Leben befasst, und es kritisch betrachtet. Im obigen Wikipedia Artikel wird der Heimatfilm auch kurz im Vergleich angerissen, und darauf hingewiesen, daß in der Serie bewusst nicht verklärt worden sei. Leider ist es auch bei mir schon zu lange her, daß ich es gesehen habe. :(
 
Es ist eine vieldiskutierte Frage, wo der nachkriegsdeutsche Heimatfilm eigentlich ansetzt: Steht er, wofür einiges Handwerkliche spricht, in der Kontiniutät der NS-"Blut- und-Boden"-Filme? Versucht er einen Neuanfang unter Anlehnung an die 20er Jahre oder auch an Vorbilder des westlichen Auslands? [1]

Ich habe auch nochmals im Regal gekramt und bin auf den Beitrag von Wolfgang Kaschuba: Der Deutsche Heimatfilm - Bildwelten als Weltbilder (in: Heimat. Analysen, Themen, Perspektiven. Bd. 1, S. 829-851) gestoßen. [2] Er zitiert einige der gängigen Negativurteile über das Genre, stellt aber zugleich dessen "Leistung" heraus: Mit dem Heimatfilm kann man nach 1945 zur Tagesordnung übergehen und sich an Vergangenes in einer Form erinnern, die "mehr spielerische, beliebige, weniger bedrängende Vergewisserungen erlaubt" (S. 831). Heimatfilme bieten "Sinnstiftung danach"; in der darin gezeigten "Welt der Tradition" findet politische Geschichte nicht (bzw. nur im Geheimen) statt. "Da gibt es keine [politischen] Ursachen und Wirkungen, keine Täter und Opfer, nur 'Schicksale'" (S. 840); Existenz- und Integrationsprobleme der Vertriebenen aus dem Osten - siehe den Heide-Film - "bleiben strukturell eher verdeckt, sie lösen sich 'menschlich' in Liebe und gemeinsamem Vergessen" (ebd.).

Tolle und sehr interessante Quelle. Leider komme ich gerade nicht an die Quelle ran, deswegen mal nachgefragt:

Da werden ja von Kaschuba 'Schicksale' angesprochen, und ich frage mich gerade wie sich das in Verbindung mit der obengestellten Frage verhält. Die angesprochenen 'Blut und Boden' Filme der NS-Zeit, sind mir nicht gerade geläufig, aber ich lese das so, daß es sich bei diesen eher um die Art von Film handelt, bei denen die Massen als Einheit angesprochen werden. Kann man dann den Heimatfilm als Bruch damit sehen, da es sich hier vermutlich eher um Einzelschicksale handelt, die den Menschen persönlich ansprechen sollen, anstatt ein Gefühl der Massenverbundenheit zu erschaffen?

Die einzigen NS-Filme, die mir spontan einfallen sind Zarah Leander Filme à la 'Zu neuen Ufern' (1937), die dem eigentlich eher widersprechen, da es sich dabei ganz bestimmt um einen 'Schicksals'-Film handelt. Zu neuen Ufern ? Wikipedia
 
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Um mal zum Thema zurückzukommen.
Ich denke, gerade in den 50ger Jahren war es wichtig, den Leuten nach dem Krieg wieder zu zeigen, dass es auch anders geht.
Die Menschen hatten genug von Gewalt und wollten auch mal was für die Seele.
 
deswegen mal einfältig nachgefragt:
's gibt keine einfältigen Fragen, nur einfältige Antworten! :winke:

Die angesprochenen 'Blut und Boden' Filme der NS-Zeit, sind mir nicht gerade geläufig, aber ich lese das so, daß es sich bei diesen eher um die Art von Film handelt, bei denen die Massen als Einheit angesprochen werden. [...]
Die einzigen NS-Filme, die mir spontan einfallen sind Zarah Leander Filme à la 'Zu neuen Ufern' (1937), die dem eigentlich eher widersprechen, da es sich dabei ganz bestimmt um einen 'Schicksals'-Film handelt. Zu neuen Ufern ? Wikipedia
Zum Blut-und-Boden-Genre im engeren Sinne (vgl. Blut-und-Boden-Ideologie ? Wikipedia) rechnet Kaschuba Filme wie Ewiger Wald, Das verlorene Tal, Das Mädchen vom Moorhof, Der Schimmelreiter (alle aus den 30ern) usw. Aber natürlich habe sich die Produktion nicht darin erschöpft - diese Art Film sei sogar eher in der Minderheit geblieben.

Heimat (1938, mit Zarah Leander) sei sozusagen der andere Typ, in welchem die "völkischen" Akzente bewusst amalgamiert werden mit "Elementen(n) des Musikfilms mit volkslied- und operettenhaften Anklängen, Motive(n) des Liebes- wie des Abenteuerfilms, Einstellungen des Dokumentar- und Kulturfilms" (S. 837). Goebbels selbst habe gefordert, Filme müssten zuerst Unterhaltungs- und erst in zweiter Linie Bekenntnis-Qualität haben - je unauffälliger sich "braune Heimatbotschaften" in die Filme einstreuen ließen, desto besser!

Es ist von daher auch nicht notwendig, "Massen" zu zeigen, die gemeinsam agieren. Das gab es natürlich auch, aber es ist kein unentbehrliches Stilmittel. Auch in einer "kleinen Idylle", auch durch eine heroische Einzelpersönlichkeit lässt sich die Verbundenheit mit Blut und Boden zeigen.
 
@ jschmidt

Aha, danke für die Erklärung und den Link. Das macht alles etwas klarer. :)

Aber so ganz bin ich noch nicht auf der Höhe mit der Verbindung NS und Heimatfilme. Ich meinte auch nicht, daß 'Massen' unbedingt gezeigt werden müssen, sondern eher, was du zuletzt ansprichst mit der Einzelpersönlichkeit, anhand derer sich die Verbundenheit zeigen soll.

Dahingegen erscheint es mir beim Heimatfilm so, daß gerade der Rückzug aus dem Politischen, und die biedermeierliche Ordnung die dargestellt wird, ganz bewusst das Individuum anspricht, also einen Bruch mit den Filmen vergangener Tage ist, als das hier auf persönliches Glück im Privaten hingezielt wird. Also weg von der politisierten 'Volksgemeinschaft' und hin zur individuellen Seele?



@ Florian

Da stimme ich dir zu, daß es im Heimatfilm darum ging mal, O- Ton meine Oma, 'was Scheeenes' zu zeigen, und genau wie die von dir erwähnte Uroma, wusste auch meine Oma, daß es sich dabei nicht um eine Dokumentation handelte. Die Geschichten die die erzählt hat, ließen auch keinen Zweifel daran, daß in der 'guten alten Zeit' mehr los war als ein Heimatfilm je gezeigt hätte. :)
 
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Ich hab hier mal ein Zitat aus dem Spiegel vom 28.09.1960 zu der Verfilmung von 2 Büchern von Trygve Gulbranssen:

Auf der Suche nach ähnlichen Erfolgsbüchern boten sich die beiden Romane des Norwegers Gulbranssen ("Und ewig singen die Wälder", "Das Erbe von Björndal") geradezu an. "Für Hunderttausende in Deutschland", ließ die Deutsche Film Hansa in einem Reklame-Aufsatz wissen, "sind gerade diese Bücher mit ihrer schlichten, schönen Sprache, der spürbaren Verbundenheit mit der Natur und einer tiefen Schwermut in der Darstellung menschlicher Schicksale zu einem Stück jenes sagenhaften Thule geworden, das wir als Ziel unserer heimlichen Sehnsucht oft nur schemenhaft erahnen."

Ich hab mir mit diesen Büchern als zehnjähriger die altdeutsche Druckschrift
beigebracht, war aber von den Filmen enttäuscht.
In den westdeutschen Kinos liefen sie wohl sehr gut. Vieleicht gerade deshalb weil die Bücher einem breiten Publikum noch aus der Vorkriegszeit bekannt waren. Lt. dem Artikel hat man ja vorher auch Umfragen unter anderem in der Straßenbahn gemacht.
 
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Dahingegen erscheint es mir beim Heimatfilm so, daß gerade der Rückzug aus dem Politischen, und die biedermeierliche Ordnung die dargestellt wird, ganz bewusst das Individuum anspricht, also einen Bruch mit den Filmen vergangener Tage ist, als das hier auf persönliches Glück im Privaten hingezielt wird. Also weg von der politisierten 'Volksgemeinschaft' und hin zur individuellen Seele?

Auf die Gefahr, "ideologiekritisch" wie ein 68er zu argumentieren (was ich ja eigentlich auch bin :still:):

Man kann auch das "hin(lenken) zur individuellen Seele" und den "Rückzug aus dem Politischen" im politischen Sinne deuten: Leute, die sich aufs persönliche Glück im Privaten konzentrieren (Dein Stichwort: Biedermeier) und auf politische Partizipation verzichten, lassen sich relativ einfach regieren. [1]

Bliersbach (S. 116) zitiert die letzten Worte Hans Pfeiffers aus dem "Heimatschulfilm" Die Feuerzangenbowle: "Träume, die wir spinnen, Sehnsüchte, die uns treiben, damit wollen wir uns bescheiden" - gedreht 1944, just als Deutschland in Trümmer fiel. Fünf Jahre später geht es um die Frage, wie die Westdeutschen denn ihre neue politische Identität finden könnten. Hierzu schweigt der Heimatfilm eisern: "In einer (zum zweiten Mal) aufgezwungenen demokratischen Staatsform? Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul."

Folgerichtig endet die Rekonstruktionsphase der Bundesrepublik, als Leute damit beginnen, ins Maul und unter die Zahnplomben zu schauen, und ebenso folgerichtig geht parallel dazu der typische Heimatfilm innerhalb weniger Jahre unter; am Ende der 60er Jahre werden die ersten Anti-Heimatfilme gedreht (z. B. Jagdszenen aus Niederbayern), die einem "neuen Realismus" verpflichtet sind.


@Sascha: Ja, die beiden Filme sind auch schöne Beispiele! Die Natur spielt da eine noch weitaus größere Rolle - ähnlich wie in den Filmen Luis Trenkers - als hier bei uns.


[1] Achtung: Natürlich ist es Quatsch, jedem Heimatfilmmacher derartige politische Ranküne zu unterstellen! "Ablenkung" von den Problemen des Alltags kann ein ehrenwertes Motiv sein, die Darstellung einer Idylle kann auch motivieren und Kraft geben. (So verstehe ich auch Florians Hinweis.)
 
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