Die Entstehung der Franken

beorna

Aktives Mitglied
Ich hätte mal Lust über die Ethnogenese, also die Entstehung und Volkwerdung der Franken zu diskutieren. Wer bildete den Kern dieser gens, wo entstanden sie, wie breiteten sie sich aus und wer gehörte im Lauf der Geschichte dazu? Vielleicht gibt es ja Interesse.
 
Ein sehr interessantes Thema, zumal vieles archäologisch und auch hinsichtlich der Quellenlage gut erschlossen ist.

Die Franken sind in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten im Gebiet zwischen Weser und Mittel- und Niedrrhein aus einem gegen die Römer gerichteten Zusammenschluss mehrerer verwandter germanischer Einzelstämme zusammengewachsen. Der Mitte des 3. Jh. erstmals genannte Name ist in seiner Deutung schwierig und knüpft vermutlich an die Begriffe "kühn, mutig, ungestüm" an, während die Synonymsetzung "Franke = Freier" wohl erst sekundär nach der Etablierung der fränkischen Herrschaft in Nordgallien erfolgte.

Wichtige Grundlage der fränkischen Geschichte war in der römischen Kaiserzeit die Existenz einer Reihe germanischer Völkerschaften im Bereich des niedergermanischen Limes (s.o.). Diese konnten ihre Unabhängigkeit bewahren und bildeten ein politisches Gemeinsamkeitsbewusstsein aus, gefestigt durch eheliche Verbindungen der Herzogs- bzw. Königsfamilien.

Konkret wurden so in römischen Quellen seit dem 3. Jh. Kleinstämme der Istwäonengruppe (Chamaven, Brukterer, Chattuarier) und die ursprünglich ingwäonischen Amsivarier unter der Bezeichnung "Franken" zusammengefasst.

Gleichzeitig mit den Alemannen griffen diese Kleinstämme von ihren Wohngebieten an Weser, Mittel- und Niederrhein gegen Ende des 3. Jh. auf die rechtsrheinischen Gebiete der Tubanten, Usipier, Chasuarier und evtl. auch der Tenkterer über. In der Forschung ist kontrovers, ob auch diese in Klientelverhältnissen zum Römischen Reich stehenden Gruppen den Franken zuzurechnen sind, doch apricht wohl einiges dafür.

Das Fortbestehen der Namen der Einzelstämme neben der gemeinsamen Bezeichnung "Franken", das Fehlen einer einheitlichen monarchischen Verfasstheit bis zum Ende des 5. Jh. und die auch schon für die Frühzeit erschließbare Unterschiedlichkeit der Stammesrechte zeigen den langsamen Vorgang der Konzentration und Vereinigung an. Daher nimmt die Forschung für die Frühzeit nicht einen einheitlich organisierten Stammesverband an, sondern verwendet Termini wie "Stammesschwarm" oder allenfalls "Stammesbund".

Seit der Mitte des 3. Jh. gingen die Franken offensiv gegen das Römische Reich vor, nach Ausweis der Münzdepotfunde insbesondere gegen den belgisch-moselländischen Raum (275: Maasgebiet, Einnahme von Trier). Fränkische Piraten bedrohten weite Teile der nordgallischen Küstengebiete. Ende des 3. Jh. drangen fränkische Verbände in das Bataverland an der unteren Maas, andere an der Rheinlinie auf Reichsgebiet vor. Auf diese Vorstöße reagierten römische Kaiser und Usurpatoren mit Aufnahme in das Heer und Einsatz gegen innere Gegner. Die römische Politik gegenüber den Franken wurde seit dem 3. Jh. aktiver, so z.B. ein Vertragsschluss von Kaiser Maximinian mit dem fränkischen König Gennobaudes, Ansiedlung fränkischer Gruppen um Trier und Ansiedlung gefangener Franken als Laeten in Nordgallien.

Unter Kaiser Konstantin scheint den Römern noch einmal die Stabilisierung der Rheingrenze gelungen zu sein, denn im wesentlichen verlautet nichts mehr über fränkische Vorstöße bis Mitte des 4. Jh. in den Quellen.

Eine Führungsstellung nahm der Teilstamm der Salier südlich der Ijssel ein, deren zum Synonym für die Franken gewordener Name nach dem 5. Jh. nur noch in Rechtsquellen vorkommt. Nach der Unterwerfung der Bataver Anfang des 4. Jh. im Rheindelta gewannen die Salier 357 als römische Föderaten Toxandrien (Nordbrabant), drangen seit 406 zum Kohlenwald zwischen Lüttich und Tournai vor und eroberten bis Ende des 5. Jh. Gallien. Der weitere historische Verlauf gehört nicht mehr zu dieser Themenstellung.

Andere Teile der Franken, die später Ripuarier genannt wurden, gewannen um 459 das Kölner Gebiet und drangen von hier aus ins Moselgebiet vor. Vielleicht im 6. Jh. schlossen sich die Hessen im Rhein-Main-Gebiet weitgehend den Franken an.

Die archäologischen Quellen zur Geschichte der Franken bestehen für die Zeit vom 4.-8.Jh. überwiegend aus Grabfunden bzw. Grabbeigaben. Siedlungsfunde oder Reste des Siedlungsinventars sind demgegenüber selten und gewinnen erst für die karolingische Zeit des 8.-9. Jh. größere Bedeutung. Charakteristisch für den Beisetzungsbrauch der Franken im frühen MA sind die über Generationen hinweg belegten Reihengräberfriedhöfe. Die Toten wurden unverbrannt und nach Osten ausgerichtet beerdigt und zwar durchweg in ihrer im Leben getragenen Tracht und mit weiteren Beigaben versehen. In der jüngeren Merowingerzeit gibt es abweichende Besonderheiten im Grabbrauch wie z.B. Pferde- und andere Tierbestattungen, Brandbestattungen, Grabhügel, Kreisgräber usw. In diesem Zusammenhang wurde vor mehreren Jahren ein besonders prächtiges (merowingisches?) Königsgrab gefunden, doch sind mir Zeit und Ort leider nicht mehr erinnerlich.
 
Eine Anmerkung...

Dieter schrieb:
Konkret wurden so in römischen Quellen seit dem 3. Jh. Kleinstämme der Istwäonengruppe (Chamaven, Brukterer, Chattuarier) und die ursprünglich ingwäonischen Amsivarier unter der Bezeichnung "Franken" zusammengefasst.

694 wurden die "frankenabhängigen" Brukterer (zwischen Lippe und Ems) in einem raschen Feldzug von den Sachsen unterworfen und assimiliert. Das berichtet Suibert, ein Gehilfe des Missionars Willibrod.
Wie die Franken, so haben sich auch die Sachsen aus mehreren germanischen Stämmen zusammengeschlossen. Ursprünglich bildeten einzelne germanische Stämme bestimmte Verbände (das wird z.B. bei den Marsern vermutet), die sich durch gemeinsame Interessen zusammensetzten. Ab dem 3.Jh. schlossen sich die Germanen zu immer größeren Verbänden zusammen (Franken, Sachsen) um dadurch immer mehr Stärke zu erlangen. So konnten diese neuen Stammesverbände auch gen Gallien ziehen. Die Sachsen setzten sich aus den nördlichen germanischen Stämmen zusammen (Chauken, Reste der Cherusker, Angrivarier,...). Während die Franken Zulauf von den Chatten bekamen.

Merkwürdig sind hier nur die Langobarden, die sich als Einzelstamm und mit guten Verbindungen zu den Sachsen behaupten konnten (allerdings zogen sie auch gen Süden). Der Rest der daheimgebliebenen Langobarden ging in die Sachsen auf.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
In der Tat zählen auch die Sachsen zu solchen "Großstämmen" wie die Franken, d.h. um einen Stammeskern gliedern sich immer weitere Kleinstämme an. Hier wären auch die Alemannen zu nennen, bei denen bereits der Name auf eine derartige Stammeskonzentration hinweist.

Im Grunde genommen haben sich die meisten großen germanischen Stämme auf diese Weise herausgebildet d.h. der Name eines dominierenden Einzelstammes ist auf einen Stammesverband - entstanden durch gewaltsame Okkupation oder freiwillige Angliederung - übergegangen.

Aufgrund mythischer Überlieferung bleiben bei den Franken noch lange Zeit die Teilstämme der Salier und Ripuarier erkennbar, wie z.B. auch bei den Wandalen die Silingen und Asdingen. Hier verschmelzen wahrscheinlich alte Stammesteile mit den Namen bestimmter Königsdynastien.
 
Die Erwähnung der Sachsen und Alamannen ist schön. Ihr erwähnt sie als Großstamm oder Stammesverband. Bei den Alamannen gab es bis zur Eroberung durch die Franken eine Reihe von Königen. Es scheint so als wären die Alamannen zu einem "Stamm" erst unter den Franken geworden. Bei den Sachsen ist die Ethnogenese ebenfalls sehr undeutlich. in der Frühzeit treten Jüten, Warnen, ambrone, Kobanden, Angeln u.a. als Sachsen auf. Zudem scheinen der Alamannenname, wie auch der Frankenname den Germanennamen in der späten Kaiserzeit in den Hintergrund gedrängt zu haben. Bezeichnen diese Namen also anfangs nur eine kleine Gruppe und wird dann für viele gents gebräuchlich?Und nun mal kurz zu dem Märchen die Cherusker wären von den Sachsen unterworfen worden oder seien in ihnen aufgegangen. Die Sachsen gelangen erst im 6. Jahrhundert nach Südniedersachsen. Bereits um 310 (an dieser Cherusker-Nennung wird sehr gezweifelt) weiß niemand mehr wo sie sitzen oder ob sie überhaupt noch existieren. Zu dieser Zeit leben schon seit z.T. 2. Jhd. (teilweise länger) elbgermanische Gruppen im alten Cheruskerland.
 
beorna schrieb:
Und nun mal kurz zu dem Märchen die Cherusker wären von den Sachsen unterworfen worden oder seien in ihnen aufgegangen. Die Sachsen gelangen erst im 6. Jahrhundert nach Südniedersachsen. Bereits um 310 (an dieser Cherusker-Nennung wird sehr gezweifelt) weiß niemand mehr wo sie sitzen oder ob sie überhaupt noch existieren. Zu dieser Zeit leben schon seit z.T. 2. Jhd. (teilweise länger) elbgermanische Gruppen im alten Cheruskerland.

Die Sachsen sind nach Albert Genrich in der Zeit um 100n.Chr. aus den Stämmen der Reudinger, Avionen und Angeln entstanden. Diese norelbischen Stämme bildeten wahrscheinlich bereits ab der Mitte des 2Jh. n. Chr. den Stammesverband der Sachsen. Nach dem 3Jh. n.Chr. weitete sich der Stamm in das linkselbische Gebiet der Chauken aus.
Die Chauken gingen somit in den Stammesbund der Sachsen ein.
Im Jahre 368 drangen die Sachsen im Verbund mit den Franken und Burgunder in einer Art Zangenbewegung (Land und Wasser) in Gallien ein.
So um das Jahr 526 treffen die Sachsen u. Franken auf das Reich der Thüringer (zu der Zeit vom Main bis zur unteren Elbe, mit dem Mittelpunkt Harz). Es kommt zu Auseinandersetzungen im Gau Maerstem in der Nähe des Ortes Runniberg (vielleicht das heutige Ronnenberg). Da diese Schlacht schließlich siegreich für die Sachsen und Franken endet, geht das Gebiet in Sachsen auf.

Woher hast Du die Annahme, daß im Cheruskergebiet schon viel früher die Elbgermanen wohnten?
Vielmehr gibt es die These, daß es später das Gebiet der Ostfalen (wie ich im anderen Thread Germanen "Ptolemäus Karte" beschrieben habe) war.
 
Nach meinen Informationen wurde mit dem Tod des Arminius 19 n. Chr. die Einheit der Cherusker durch innere Fehden zerstört. Im 1. Jh. n. Chr. wurden sie von den Chatten unterworfen und verlieren danach jede Bedeutung. Im Jahre 310 werden die Cherusker letztmals als Besiegte von Kaiser Konstantin erwähnt.

In welchen nachfolgenden Stämmen die Cherusker später endgültig aufgingen, ist Spekulation. Man kann aber annehmen, dass Teile von ihnen in den Sachsen aufgingen, die in ihr einstiges Gebiet etwa um 500/600 vorrückten. Vielleicht gingen andere Teile auch in den Chatten oder sogar den Franken auf - so genau wird man das heute wohl nicht mehr feststellen können.
 
Cherusker schrieb:
694 wurden die "frankenabhängigen" Brukterer (zwischen Lippe und Ems) in einem raschen Feldzug von den Sachsen unterworfen und assimiliert. Das berichtet Suibert, ein Gehilfe des Missionars Willibrod.
Wie die Franken, so haben sich auch die Sachsen aus mehreren germanischen Stämmen zusammengeschlossen. Ursprünglich bildeten einzelne germanische Stämme bestimmte Verbände (das wird z.B. bei den Marsern vermutet), die sich durch gemeinsame Interessen zusammensetzten. Ab dem 3.Jh. schlossen sich die Germanen zu immer größeren Verbänden zusammen (Franken, Sachsen) um dadurch immer mehr Stärke zu erlangen. So konnten diese neuen Stammesverbände auch gen Gallien ziehen. Die Sachsen setzten sich aus den nördlichen germanischen Stämmen zusammen (Chauken, Reste der Cherusker, Angrivarier,...). Während die Franken Zulauf von den Chatten bekamen.

Merkwürdig sind hier nur die Langobarden, die sich als Einzelstamm und mit guten Verbindungen zu den Sachsen behaupten konnten (allerdings zogen sie auch gen Süden). Der Rest der daheimgebliebenen Langobarden ging in die Sachsen auf.
Die sächsische Ethnogenese fand aber letztendlich erst unter fränkischer Herrschaft statt.
Die Langobarden bestanden, wie alle anderen Stämme, aus vielen kleinen Gruppen, die je nach politischer Lage mal dem einen Bündnis, mal dem anderen Bündnis angehörten. Spätestens seit der Herausbildung der beiden Gegenpole im nördlichen Mitteleuropa wurden kamen sie in die Einflußsphären der Franken und Thüringer, deren Königreiche alles aufsogen, was an den Rändern der expandierenden Reiche lebte. Ebenfalls ist dies bei den Warnen und Angeln zu beoachten, die zu einem großen Teil einen festen Bestandteil des Thüringer Reiches bildeten.
Die Sachsen bilden hier eine Sonderstellung. Unklar ist, ob sie sich wirklich alle Sachsen nannten, oder eher von den Franken als Sammelbezeichnung aller im "niederdeutschen" Gebiet lebenden Stämme zusammengefasst wurden. Ebenfalls unklar ist, ob die Stämme in den "sächsischen" Gebieten nicht schon um 500 in eine gewisse fränkische Abhängigkeit geraten sind, wie es in einem zeitgenössischen Dokument angedeutet wird. Es ist immer noch offen, ob es sich bei den 3 erwähnten Landschaften Engern, Westfalen und (frei aus dem lateinischen übersetzt) Ostsachsen, nicht um von den Franken geschaffene Verwaltungseinheiten handelte, die natürlich mehr oder weniger effizient beherrschbar waren, wie es die Religionskriege Karl des Großen zeigen.
Die eigentliche Ethnogenese erfolgte dann doch erst von 800-1000 als Abgrenzung zum Westfrankenreich.

Da Südniedersachen bis 531 fester Bestandteil des Thüringer Reiches war, ist anzunehmen, daß dieses Gebiet dann an die Franken viel. Ähnlich wie in den eroberten zentralthüringischen Gebieten kam es hier sicher auch zu planmäßiger Siedlungspolitik der Franken, die ja bekanntlich die unterschiedlichsten Stämme umsiedelten. So ist auch evtl. die "sächsische" Landnahme in Südniedersachsen im ausgehenden 6. Jh. zu verstehen. An der Werra um Eisenach wurden Slawen angesiedelt, im östlichen Harzvorland Friesen, Slawen, Hessen, Schwaben usw.

Die Schlacht im Gau Maerstem und folgende Schlachten hatte die fränkische Oberhoheit für Thüringen. Die "Sachsen" waren sicher als Hilfstruppen in fränkischen Diensten, wobei offen ist, ob es sich nicht um fränkische Truppen bestehend aus "sächsischen" Siedlern handelte. Die Besiedlung der Sachsen im gesamten Ostharzgebiet bis zur Unstrut ist völlig haltlos. Sie ist weder sprachlich noch archäologisch und schon gar nicht schriftlich nachweisbar. Die bekannte Behauptung der sächsischen Besiedlung bis zur Unstrut entstand in der Liudolfingischen Zeit von Chronisten, die weit nach der besagten Zeit lebten. Dort vermischt sich mündliche Überlieferung, wahrscheinliche Fehlinterpretation älterer Schriften und natürlich auch die bewusste Hervorhebung des Liudolfingischen Herzogs- und dann auch Königshauses. Die Unstrut ist weder Sprachgrenze noch archäologisch eine Grenze. Allein der aus dem 8. Jh. herrührende Streit über die Kirchenzehnten der Reichsklöster Fulda und Hersfeld mit dem neu entstandenen Bistum Halberstadt, welches seine Grenze an der Unstrut hat, ist wahrscheinlich die Ursache für diese angebliche Sachsen-Besiedlung an der Unstrut.
Ausführlich haben sich ganze Heerscharen von Historikern mit dieser Theorie befasst. Dabei haben sich zwei Gruppen herausgebildet. Die einen um von Rancke mit der These der Kirchenzehnten, die andere um Leo mit der Sachsen-These.
 
Strupanice schrieb:
Die sächsische Ethnogenese fand aber letztendlich erst unter fränkischer Herrschaft statt.

...Die Sachsen bilden hier eine Sonderstellung. Unklar ist, ob sie sich wirklich alle Sachsen nannten, oder eher von den Franken als Sammelbezeichnung aller im "niederdeutschen" Gebiet lebenden Stämme zusammengefasst wurden. Ebenfalls unklar ist, ob die Stämme in den "sächsischen" Gebieten nicht schon um 500 in eine gewisse fränkische Abhängigkeit geraten sind, wie es in einem zeitgenössischen Dokument angedeutet wird. Es ist immer noch offen, ob es sich bei den 3 erwähnten Landschaften Engern, Westfalen und (frei aus dem lateinischen übersetzt) Ostsachsen, nicht um von den Franken geschaffene Verwaltungseinheiten handelte, die natürlich mehr oder weniger effizient beherrschbar waren, wie es die Religionskriege Karl des Großen zeigen.
Die eigentliche Ethnogenese erfolgte dann doch erst von 800-1000 als Abgrenzung zum Westfrankenreich. ...

Was bedeutet eigentlich das Wort "Ethnogenese"?
Ich kenne nur das Wort "Ethnologie" (=Völkerkunde). Hat Ethnogenese die gleiche Bedeutung?

Die frühe Abhängigkeit der Sachsen von den Franken sehe ich nicht so....Zum Ende des 7.Jh. ist der südliche Raum der Ems, Pader, Lippe und Leine sächsisches Stammgebiet.
Da die zu den Franken gehörenden Brukterer 694 von den Sachsen vereinnahmt wurden, kann es daher eigentlich keine Abhängigkeit der Sachsen als Untergruppe der Franken gegeben haben. Ansonsten hätte es das nicht gegeben.
Und zwischen den Sachsen und Franken gab es auch viele Unterschiede (z.B.Religion; Gräber, die Sachsen kannten keine Prunkgräber wie bei den Franken, Alemannen und Thüringer). So können Archäologen bei den Sachsen fränkische Einflüsse feststellen, aber es gibt deutliche Differenzierungen.

Auch fallen die Sachsen 715 in die "terram Chattuariorium" (Gebiet an der unteren Ruhr, das den tributpflichtigen Chattuarier gehört) ein. Daraufhin greift Karl Martell die sächsischen Gebiete an. Daraufhin griffen im nächsten Jahr die Sachsen wieder an usw. .....
Daher gehe ich davon aus, daß die Sachsen früher Bündnisse mit den Franken eingegangen sind, aber genauso in Feindschaft aufeinander losgegangen sind.
 
Dass Südniedersachsen vor Karl dem Großen zum Frankenreich zählte, möchte ich stark bezweifeln. Vor mir liegen einige Geschichtsatlanten, die durch die Bank das Frankenreich zur fraglichen Zeit erst südlich vom Zusammenfluss von Werra und Fulda beginnen lassen, d.h. ab einer Linie auf der Höhe von Fritzlar und Büraburg.

Um 700 reicht das Gebiet der Sachsen von Ostsee, Eider und Schlei bis zu Ijssel, Rhein, Sieg, Diemel, Werra, Unstrut und Saale (vgl. Großer Atlas zur Weltgeschichte, Lexikon der deutschen Geschichte usw.)

Die Stammesbildung der Sachsen ist in der Forschung bis heute umstritten, doch wird vielfach angenommen, dass Chauken, Angrivarier, Langobarden, Cherusker, Thüringer und andere zu ihr beitrugen. Ich sage ausdrückllich "beitrugen", da z.B. von den 490 n. Chr. von der Elbe abgewanderten Langobarden nur noch wenige zurückgebliebene Stammesangehörige vorhanden waren, die mit den Sachsen verschmelzen konnten, und die Cherusker kaum mehr als unbedeutende Reste aufwiesen (vgl. meine Ausführungen oben).

Man muss sich immer wieder klar machen, dass die Vorstellung ethnisch einheitlicher Völker, wie sie durch das 19. und die erste Hälfte des 20. Jh. geprägt wurde, ein unhaltbares Konstrukt ist. Entscheidend war oft nicht die Abstammung im biologischen Sinn, sondern der Glaube an eine gemeinsame Herkunft. Deshalb war es möglich, als Gote geboren zu werden, als Hunne aufzuwachsen und später als Wandale zu kämpfen. Zu Recht sprechen deshalb manche von der "Polyethnie" der Völker in dieser Zeit.

Von einer Beherrschung durch Franken kann wohl keine Rede sein, höchstens - wie Cherusker oben bemerkt - von Bündnissen oder aber auch Keilereien zwischen Sachsen und Franken.
 
Zuletzt bearbeitet:
Cherusker schrieb:
Woher hast Du die Annahme, daß im Cheruskergebiet schon viel früher die Elbgermanen wohnten?
Vielmehr gibt es die These, daß es später das Gebiet der Ostfalen (wie ich im anderen Thread Germanen "Ptolemäus Karte" beschrieben habe) war.
Es gibt eine Reihe von archäologischen Funden aus dem südlichen Niedersachsen, die eindeutig elbgermanisch sind. An cheruskische Falen glaube ich nicht im Geringsten (siehe Ptolemaios-Thread). Zudem scheinen die Sachsen auch erst in größerem Maße nach 531 nach Südniedersachsen vorzudringen. Erste eindeutig sächsische Funde stammen allerdings aus der ersten Hälfte 5. Jhd. (sächsische Buckelurne aus der Nähe von Pyrmont)
 
Dieter schrieb:
Dass Südniedersachsen vor Karl dem Großen zum Frankenreich zählte, möchte ich stark bezweifeln. Vor mir liegen einige Geschichtsatlanten, die durch die Bank das Frankenreich zur fraglichen Zeit erst südlich vom Zusammenfluss von Werra und Fulda beginnen lassen, d.h. ab einer Linie auf der Höhe von Fritzlar und Büraburg..

Da wären wir wieder bei der Richtigkeit von Karten. Was die Sachsen angeht gibt es keine mir bekannte Karte, die richtig wäre. Sie sind alle grob generalisiert.


Dieter schrieb:
Von einer Beherrschung durch Franken kann wohl keine Rede sein, höchstens - wie Cherusker oben bemerkt - von Bündnissen oder aber auch Keilereien zwischen Sachsen und Franken.

An eine Unterstellung von Sachsen unter die Franken glaube ich auch nicht. Anders sehe ich das für die Sachsen in den von den Franken überlassenen Gebieten des Thüringerreiches. Das bedeutet nicht, daß auch gleich nach 531 die Sachsen das Gebiet überschwemmten. Sie wurden vielmehr Herren über ehemalige Thüringer bzw. über unter thüringischer Herrschaft stehende unbenannte Germanen.
 
beorna schrieb:
Es gibt eine Reihe von archäologischen Funden aus dem südlichen Niedersachsen, die eindeutig elbgermanisch sind

Das bezweifel ich....Die bisher gefundenen langobardischen Gräber im Elbegebiet weisen deutliche Merkmale auf, die denen im Süden und Westen Niedersachsens fehlen. Es fehlen, im Gegensatz zu den Langobardengräbern, Statussymbole als Grabausstattung, wie z.B. Edelmetallschmuck, Reitpferde, römisches Trinkgeschirr und Trinkhörner.
Auch in der jüngeren römischen Kaiserzeit gibt es bei den Elbgermanen große Friedhöfe auf denen einzelne Gräber mit kostbarem Edelmetallschmuck ausgestattet waren. Dort fand man auch römische Bronzegefäße als Urnen. Das ist nicht in Südniedersachsen gefunden worden.

Im letzten Herbst habe ich einen Vortag von einem Archäologen gehört, der nachwies, daß die Germanen ihre Urnen, Schalen und Becher (aus freigeformter Keramik) selbst bis nach Skandinavien exportierten. Das untersuchte Gräberfeld (bis 450n.Chr.) ließ erkennen, daß selbst die von den Römern weit entfernt wohnenden Germanen die römischen Gefäße kopierten. Es ließ sich erkennen, daß im elbgermanischen Raum, an der Küste des heutigen Schleswig-Holstein und an der Küste vom heutigen Mecklenburg-Vorpommern eine einheitliche Produktion nachweisen ließ. Vereinzelt fand man die Produkte bis in den mitteldeutschen Raum. Allerdings war Südniedersachsen davon nicht betroffen (darauf hatte ich geachtet, weil mich das Gebiet interessiert).

Und wenn man ein paar Jahrhunderte weitergeht, dann wandern die Langobarden im Jahre 489 ins "Rugiland" (=Niederösterreich) ab. Man findet immer weniger Grabfelder und Besiedlungen. Die frühere Annahme, das weite Gebiete Nordwestdeutschlands fast menschenleer waren, ist nicht mehr zu halten. Im Bereich der mittleren Weser nahm die Bevölkerungszahl sogar bis zum 9.Jh. kontinuierlich zu ! Das gilt auch für den Braunschweiger Raum und Südniedersachsen (hier sind Kontakte zu den Alemannen gefunden worden).
Erst ab 700 werden auch die vorher dünnbesiedelten Gebiete verstärkt aufgesucht. Ab dem 4.Jh. findet man mehr Körpergräber und ab dem 6./7.Jh. ändert sich die Mode (so hatten auch schon damals die Frauen die Hosen an... =) ).

Aber Elbgermanen anstatt von Cheruskern bzw. ihren Nachfahren...das kann ich nicht finden.

Welche Ausgrabungen meinst Du denn? Und in welchem Zeitraum?
 
beorna schrieb:
Zudem scheinen die Sachsen auch erst in größerem Maße nach 531 nach Südniedersachsen vorzudringen. Erste eindeutig sächsische Funde stammen allerdings aus der ersten Hälfte 5. Jhd. (sächsische Buckelurne aus der Nähe von Pyrmont)

Da beschreibst Du es ja selbst....die Sachsen kamen erst ab 530 in Südniedersachsen an. Da sich die Sachsen vom Norden in den Süden und Westen ausbreiteten, ist es recht unwahrscheinlich, daß schon davor Elbgermanen (die aus dem Norden) in dem Gebiet waren.
 
Das südliche Niedersachsen und der Oberweserraum sind z.T. erst seit kurzem archäologisch besser erschlossen. Dabei kamen im Oberwesergebiet aus der älteren RKZ elbgermanische Funde zu Tage, meist allerdings Oberflächenfunde von Keramik, die möglicherweise aus Thüringen stammt. Die genaue Herkunft ist aber nicht sicher. In vielen Publikationen hingegen bildet der Oberweserraum einen weißen Fleck.Der Hergang der Ansiedlung von Elbgermanen ist hingegen ungewiß. Es erscheint aber nicht unwahrscheinlich, daß der Niedergang der Cherusker kleinere Gruppen ins Wesergebiet zog. Zudem scheint der Raum sich auch ausgedünnt zu haben. In diesen ausgedünnten Raum stießen die Thüringer vor. Dabei muß nicht unbedingt an eine Besiedlung gedacht werden. Möglich ist eher eine Oberhoheit über die "südniedersächsische Brandgräbergruppe". Im Zusammenhang mit den Elbgermanen im niedersächsischen Binnenland verweise ich immer auf die zugegeben unsichere und umstrittene Nennung von binnenländischen Angeln (aber auch von rheinischen Langobarden). Dies zeigt uns, wie wenig wir aus der RKZ und dem Inneren Germaniens wissen.
Daher können elbgermanische Gruppen sehr wohl vor den Sachsen in Südniedersachsen gesessen haben und zwar nicht nur aus dem Norden, sondern auch aus dem Osten.
 
beorna schrieb:
...Daher können elbgermanische Gruppen sehr wohl vor den Sachsen in Südniedersachsen gesessen haben und zwar nicht nur aus dem Norden, sondern auch aus dem Osten.

Ja, aber nur sehr kurzfristig. :winke:
Eine Ausweitung der Sachsen in den thüringischen Raum ist im 5. und 6.Jh. z.Zt. nicht archäologisch beweisbar (erst ab dem 7.Jh.), es finden sich im 6.Jh. nur Ausdehnung der Sachsen in das Münsteland. Vielmehr konnte man eine thüringische Ausweitung bis weit ins sächsische Gebiet von ca.450 bis 500 nachweisen. Allerdings ist durch die Schlacht von 531 das Thüringer Reich von den Franken/Sachsen zerschlagen worden.
Einen Zeitraum von ca. 50 Jahre Besiedlung sehe ich nicht als Nachfolgerschaft an, da das Gebiet ferner auch im äüßersten südlichen Niedersachsen lag (Übergang zu den Chatten). ;)
 
Die Entstehung der Franken !!!

In diesem Thread sollte es eigentlich um die Entstehung der Franken und nicht der Sachsen gehen. Wir sollten also wieder auf das Ursprungsthema einschwenken, zu dem ich weiter oben bereits eine Diskussionsgrundlage vorgestellt habe
 
Dieter schrieb:
Die Entstehung der Franken !!!

In diesem Thread sollte es eigentlich um die Entstehung der Franken und nicht der Sachsen gehen. Wir sollten also wieder auf das Ursprungsthema einschwenken, zu dem ich weiter oben bereits eine Diskussionsgrundlage vorgestellt habe

Und dafür danken wir dir!

Im 3. Jhd. kommt der Germanenname im Vergleich zu den der Franken und Alamannen immer mehr aus dem Gebrauch. Ich frage mich, ob sich der Frankenname ähnlich verbreitet hat wie der Germanenname, erst bezeichnete sich eine bestimmte Gruppe mit diesem Namen, der, als er bei den Römern einen gewissen Klang hatte, dann auf die gesamten nordwestgermanischen gentes übertragen wurde und im Verlauf von einigen Jahrzehnten dann von diesen dann zur Selbstbezeichnung wurde. Auffallend ist auch, daß von einem Stammesheiligtum wie bei älteren Bünden nie die Rede ist. Zudem haben wir zu Beginn sehr unterschiedliche Gruppen, die sich grob in Salfranken, Ripuarier und Moselfranken einteilen lassen. Zudem haben wir noch die Chatten. Zudem haben wir nordseegermanische Gruppen, wie auch überwiegend Rhein-Weser-Germanen. Erst Mitte des 5. Jhds verschwinden die nahmen der Teilstämme. Dies ist die Zeit des Aufstiegs der Merowinger und der Ausdehnung der Ripuarier. Haben wir es also erst jetzt mit echten Franken zu tun?
 
beorna schrieb:
Im 3. Jhd. kommt der Germanenname im Vergleich zu den der Franken und Alamannen immer mehr aus dem Gebrauch.

Was meinst Du damit? Dass die Stammesnamen durch die Namen der "Großstämme" verdrängt wurden?

Also die Alemannen sind aus vielen Stämmen entstanden, die sich auf dem Zuge nach Südwesten vermischten und neue Stämme bildeten, die teilweise alte nicht mehr real existierende Stammesnamen übernahmen (bzw. sich ähnlich benannten). So nahmen z.B. die Schwaben einen ähnlichen Namen an, wie die Sueben, obwohl es eigentlich höheren Bevölkerungs-Anteil an Semnonen statt der Sueben hatten...
Der Stammesname "Alamannen" verschwand einmal (weiß das Datum nicht genau, lag aber so zwischen 600-1000), und man bezeichnete in dieser Zeit alle Alamannen als Schwaben...

Ähnlich verhält es sich mit den Franken. Viele Stämme schlossen sich zusammen, gaben sich den Gesamtnamen "Franken" und die Franken teilten sich dann wieder... So sind nun z.B. die Franken in Franken (i.Bayern) und Rheinland-Pfalz noch recht ähnlich zueinander, während z.B. die ehemaligen Franken in Flandern mit diesen heute nur wenig gemein haben.

Nicht zu vergessen ist auch, dass die Franken zur und nach Gründung des Frankenreiches erheblichen Zuwachs durch andere Stämme erhielten, die sich fortan auch "Franken" nannten.
 
Zurück
Oben