Die Krieg-in-Sicht-Krise und der Untergang des Reiches 70 Jahre später

El Quijote schrieb:
Diese Regierung macht aus dem Rechtsstaat - euphemistisch ausgedrückt - einen Maßnahmenstaat.
Lassen wir doch diese schmeichelnde Umhüllung fallen und nennen wir den NS-Staat ruhig Unrechtsstaat.
El Quijote schrieb:
Und mal ehrlich: ich würde jemandem den Vogel zeigen, der behauptete, ich Bundesbürger lebte im Deutschen Reich.
Den Vogel virtuell zu zeigen, scheint hier beliebt zu sein.:rolleyes:

Das Bundesverfasungsgericht hat in den 70er Jahren mal entschieden, dass das Deutsche Reich 1945 nicht untergegangen ist und sich heute "Bundesrepublik Deutschland" nennt. Diese Konstruktion haben dann wirklich nur noch die Juristen verstanden. Aber zu Zeiten der Weimarer Republik und des NS-Staates wurde der deutsche Staat mit großer Selbstverständlichkeit von jedermann "Deutsches Reich" genannt.
 
Gandolf schrieb:
Das Bundesverfasungsgericht hat in den 70er Jahren mal entschieden, dass das Deutsche Reich 1945 nicht untergegangen ist und sich heute "Bundesrepublik Deutschland" nennt. Diese Konstruktion haben dann wirklich nur noch die Juristen verstanden. Aber zu Zeiten der Weimarer Republik und des NS-Staates wurde der deutsche Staat mit großer Selbstverständlichkeit von jedermann "Deutsches Reich" genannt.

Und darum sollte man das dann ja auch bei den Juristen belassen, wenn man sich mal vergegenwärtigt wieviele selbsternannte "Sachwalter des Reichs" hierzulande so rumspringen.
 
Gandolf schrieb:
Und weiter? Dennoch heisst das Ding "Deutsches Reich".:autsch:

Lieber Gandolf,
ich bin Briefmarkensammler und habe auch Briefmarken aus dem Kaiserreich, der Weimarer Republik und der Nazizeit. Formal hast du recht, auf allen Briefmarken steht "Deutsches Reich". Aber sonst kann man die Marken nicht vergleichen. Beim Reich war kein Wilhelm drauf, sondern die "Germania", in Weimar ließen Ebert und Hindenburg grüßen, später nur noch Hindenburg. Bei den Nazis gab es zuerst noch Hindenburg, dann nur noch den Gröfaz. Zu den Nazimarken ist noch zu schreiben, dass sie sich auch um politische Themen kümmerten, wie die Heimkehr des Saarlandes nach der Volksabstimmung oder mit der Parole "Danzig ist deutsch". Bei den Nazis wurden die Marken bunter, um so besser ihrer Propaganda dienen zu können. :rolleyes:
 
heinz schrieb:
Bei den Nazis gab es zuerst noch Hindenburg, dann nur noch den Gröfaz. Zu den Nazimarken ist noch zu schreiben, dass sie sich auch um politische Themen kümmerten, wie die Heimkehr des Saarlandes nach der Volksabstimmung oder mit der Parole "Danzig ist deutsch". Bei den Nazis wurden die Marken bunter, um so besser ihrer Propaganda dienen zu können. :rolleyes:
Letzeres, lieber Heinz, hängt auch mit der fortschreitenden Drucktechnik zusammen.
Ausserdem wurde Mozart endlich wieder deutsch und Autorennen gab es auch
 
Zuletzt bearbeitet:
heinz schrieb:
Lieber Gandolf,
ich bin Briefmarkensammler und habe auch Briefmarken aus dem Kaiserreich, der Weimarer Republik und der Nazizeit. Formal hast du recht, auf allen Briefmarken steht "Deutsches Reich". Aber sonst kann man die Marken nicht vergleichen. Beim Reich war kein Wilhelm drauf, sondern die "Germania", in Weimar ließen Ebert und Hindenburg grüßen, später nur noch Hindenburg. Bei den Nazis gab es zuerst noch Hindenburg, dann nur noch den Gröfaz. Zu den Nazimarken ist noch zu schreiben, dass sie sich auch um politische Themen kümmerten, wie die Heimkehr des Saarlandes nach der Volksabstimmung oder mit der Parole "Danzig ist deutsch". Bei den Nazis wurden die Marken bunter, um so besser ihrer Propaganda dienen zu können.:rolleyes:
:confused:
Soso, unvergleichbar sollen sie sein. Doch in Deinem Beitrag beweist du gerade das Gegenteil: Du vergleichst dort die (angeblich unvergleichbaren) Marken miteinander.:rolleyes:

Ich verstehe überhaupt nicht, was daran problematisch sein soll, dass man die Weimarer Republik oder den NS-Staat bei ihrem offiziellen Namen "Deutsches Reich" nennt.:confused:

Zudem sind die historischen Fachbuchsammlungen voll mit Büchern, die das Bismarckreich, die Weimarer Republik und den NS-Staat vergleichend untersuchen. Immerhin gab es ja auch Kontinuitäten im Bereich der Eliten vom Kaisserreich über die Weimarer Republik bis ins Dritte Reich.

Für den Bereich der Richterschaft und Staatsanwälte wurde dies von Ingo Müller in seinem Buch "Furchtbare Juristen" überzeugend dargestellt: obrigkeitsstaatsfreundlich im Kaiserreich, republikfeindlich in der Weimarer Republik und unmenschlich in der NS-Zeit.

Im Bereich der Außenpolitik (Thema dieses Stranges!) gab es auch eine gewiße Konstanz dieser Eliten in ihren expansiven außenpolitischen Vorstellungen. Die Vorstellung, als Deutsche über zu wenig Lebensraum zu verfügen und im Osten neuen Lebensraum erwerben zu müssen, ist ja bei den Nazis nicht vom Himmel gefallen, sondern hat sich im Laufe der Zeit entwickelt:
- Preußens Mitwirkung an den polnischen Teilungen,
- Preußens Germanisierungspolitik in Polen während des Kaiserreiches,
- Ludendorffs Ostimperium 1917/8,
- Streben nach Revision der deutsch-polnischen Grenze,
- Hitlers rassistisch motivierte Lebensraumvorstellungen und
- Hitlers Überfall auf die Sowjetunion.
 
Zuletzt bearbeitet:
Lukrezia Borgia schrieb:
Wenn ich mir die ernüchternden Ergebnisse der kürzlich von ZDF und Welt durchgeführten Umfrage zur geschichtelichen Bildung so anschaue, gehe ich davon aus, dass ein beachtlicher Teil der Passanten Bismarck höchstwahrscheinlich nicht einmal zeitlich einordnen könnte...


... mal zum Lockern ; vielleicht sollte man Bismarck in Biseuro umtaufen, da werden sie den Teuersten aber kennenlernen :rotwerd:
 
Gandolf schrieb:
:confused:
Soso, unvergleichbar sollen sie sein. Doch in Deinem Beitrag beweist du gerade das Gegenteil: Du vergleichst dort die (angeblich unvergleichbaren) Marken miteinander.:rolleyes:

Ich verstehe überhaupt nicht, was daran problematisch sein soll, dass man die Weimarer Republik oder den NS-Staat bei ihrem offiziellen Namen "Deutsches Reich" nennt.:confused:

Lieber Gandolf,
es ist doch wohl ein Unterschied, ob man Briefmarken, die ja zeitlich hintereinander kamen oder politische Systeme, die nicht zu vergleichen sind, miteinander vergleicht. Diesen Vergleich haben noch nicht einmal die nazis gemacht, welche ihre Zeit als "Drittes Reich" bezeichneten.
Ein Vergleich der Nazidiktatur mit der Wimarer Republik, bei allen Fehlern die sie hatte, wäre ein Vergleich zwischen Äpfeln und Pferdeäpfeln.
 
heinz schrieb:
Lieber Gandolf,
es ist doch wohl ein Unterschied, ob man Briefmarken, die ja zeitlich hintereinander kamen oder politische Systeme, die nicht zu vergleichen sind, miteinander vergleicht.Diesen Vergleich haben noch nicht einmal die nazis gemacht, welche ihre Zeit als "Drittes Reich" bezeichneten.
Ein Vergleich der Nazidiktatur mit der Wimarer Republik, bei allen Fehlern die sie hatte, wäre ein Vergleich zwischen Äpfeln und Pferdeäpfeln.
Was verstehst Du eigentlich unter dem Begriff "vergleichen"?

Unter "vergleichen" versteht man laut Wahrig, Wörterbuch der deutschen Sprache, "betrachtend gegenüberstellen, prüfend nebeneinanderstellen, prüfend gegeneinander abwägen". Selbstverständlich kann man NS-Staat und Weimarer Republik "betrachtend gegenüberstellen, prüfend nebeneinanderstellen, prüfend gegeneinander abwägen". In diesem Fall untersucht man Weimarer Republik und NS-Staat auf Gemeinsamkeiten und auf Unterschiede. Solche Untersuchungen liegen schon deshalb nahe, weil das eine aus dem anderen hervorgegangen ist. Die historischen Fachbuchsammlungen sind voll mit solchen Vergleichen.

Recht gebe ich Dir allerdings dahingehend, dass man Weimarer Republik und NS-Staat nicht miteinander "auf eine Stufe stellen" kann. Wenn man also Weimarer Republik und NS-Staat vergleichend untersucht hat, wird man bei der Frage, wie man diese Zeitabschnitte bewerten soll, zu dem Schluß kommen, dass die Weimarer Republik eine Demokratie mit Mängeln war, der NS-Staat aber ein grausamer Unrechtsstaat. Doch zu dieser Bewertung kommt man gerade wegen den zuvor durch Vergleiche herausgearbeiteten Unterschiede.

Übrigens die Briefmarkenmetapher stammte nicht von mir.:D
 
Zuletzt bearbeitet:
heinz schrieb:
Lieber Gandolf,
es ist doch wohl ein Unterschied, ob man Briefmarken, die ja zeitlich hintereinander kamen oder politische Systeme, die nicht zu vergleichen sind, miteinander vergleicht. Diesen Vergleich haben noch nicht einmal die nazis gemacht, welche ihre Zeit als "Drittes Reich" bezeichneten.
Ein Vergleich der Nazidiktatur mit der Wimarer Republik, bei allen Fehlern die sie hatte, wäre ein Vergleich zwischen Äpfeln und Pferdeäpfeln.

Lieber Heinz

Man kann alle politischen Systeme vergleichen!

Lies mal dies: http://www.geschichtsforum.de/showpost.php?p=92844&postcount=4
 
Gandolf schrieb:
- Preußens Mitwirkung an den polnischen Teilungen,
.

Um mal sämtlicher Konfusion Vorschub zu leisten: An den polnischen Teilungen (ich nehme an, du meinst jetzt nicht den Hitler-Stalin-Vertrag) war das "moderne" Deutsche Reich (also das, was wir nun als "Nachfolger des HRRDN", um mal einigen Fehltritten vorzubeugen, bezeichnen) nicht beteiligt. Dennoch war drüber hinaus Preussen existent (bis 1945).




Vielleicht gelingt es mir einige Mißverständnisse auszuräumen: Ein Bürger des Jahres (sagen wir mal) 1926 hätte wohl gesagt, er sei "Reichsbürger", ebenso jeder heute sagen würde er sei Bundesbürger (ein paar unverbesserliche Vollidioten und Spinner ausgenommen). Auch ist nicht die Eigenbezeichnung eines Landes bei der Regierungsform, bzw. dem Vergleich derjenigen, maßgeblich. Ein Land kann sich ein und diesselbe Bezeichnung geben und dennoch 2 völlig konträre, ja diametrale, Regierungsformen "entwickeln"/ "geben". Mit der eigentlichen Bezeichnung an sich hat der Vergleich dieser Regierungsformen untereinander m.E. nichts zu tun....
 
Leopold Bloom schrieb:
Um mal sämtlicher Konfusion Vorschub zu leisten: An den polnischen Teilungen (ich nehme an, du meinst jetzt nicht den Hitler-Stalin-Vertrag) war das "moderne" Deutsche Reich (also das, was wir nun als "Nachfolger des HRRDN", um mal einigen Fehltritten vorzubeugen, bezeichnen) nicht beteiligt. Dennoch war drüber hinaus Preussen existent (bis 1945).
Selbstverständlich meine ich die polnischen Teilungen vor 1871. Wenn Du meinst, dass das zu Missverständnissen führen könnte, wäre es wohl besser, den Beitrag abzuändern und die Worte "vor 1871" einzufügen.

Bisher haben wir über die Frage diskutiert, ob neben dem Kaiserreich auch Weimarer Republik und NS-Staat zum Deutschen Reich gehören.

Eigentlich würde ich viel lieber über die Frage diskutieren, ob die deutschen Regierungen nach Bismarck aus dessen "Lehrstück für die Zukunft" die richtigen Schlüsse gezogen haben.
Insbesondere in der Julikrise des Jahres 1914 scheint mir dies nicht der Fall zu sein. So hatte Bethmann Hollweg die Hoffnung, England bliebe im Falle eines deutschen Angriffs auf Frankreich neutral. Doch Bismarcks "Lehrstück" hätte nahegelegt beim Angriff auf Frankreich mit dem britischen Kriegseintritt rechnen zu müssen und zwar völlig unabhängig von der Belgienfrage.
 
Gandolf schrieb:
Selbstverständlich meine ich die polnischen Teilungen vor 1871. Wenn Du meinst, dass das zu Missverständnissen führen könnte, wäre es wohl besser, den Beitrag abzuändern und die Worte "vor 1871" einzufügen.

Nein, passt schon....spätestens mit deinem letzten Beitrag dürfte es der allerbegriffstutzigste Gast (Begriffsstutzige Mitglieder haben wir hier nicht :) ;) ) begriffen haben. Mit der Anspielung darauf wollte ich lediglich den Anachronismus aufgreifen, dass zwar das eine Reich (nämlich das HRRDN) untergegangen ist und ein anderes erstanden ist (nämlich das "moderne" "2. Reich"), gleichzeitig aber Preussen weiter in "Glanz und Gloria" (und mit nahezu unverändert gleichem Einfluss) fortbestanden hat.



Gandolf schrieb:
Bisher haben wir über die Frage diskutiert, ob neben dem Kaiserreich auch Weimarer Republik und NS-Staat zum Deutschen Reich gehören.

Sehr polemisch und "etwas dumm hinterfragt": Schwierig wirds da z. B. schon wenns um 2. und 3. Reich geht. Gehört nun 3. zu 2. oder war der Bruch so groß, dass man nun schon von was anderem (einer "anderen Ordnung") sprechen muss?


Gandolf schrieb:
Eigentlich würde ich viel lieber über die Frage diskutieren, ob die deutschen Regierungen nach Bismarck aus dessen "Lehrstück für die Zukunft" die richtigen Schlüsse gezogen haben.
Insbesondere in der Julikrise des Jahres 1914 scheint mir dies nicht der Fall zu sein. So hatte Bethmann Hollweg die Hoffnung, England bliebe im Falle eines deutschen Angriffs auf Frankreich neutral. Doch Bismarcks "Lehrstück" hätte nahegelegt beim Angriff auf Frankreich mit dem britischen Kriegseintritt rechnen zu müssen und zwar völlig unabhängig von der Belgienfrage.

Ich will jetzt nicht Detailfragen zum 1. Weltkrieg an der falschen Stelle quälen, aber: Meiner Ansicht nach darf man das Vorgehen der deutschen Administration bzgl. des 1. WK durchaus als dilettantisch und naiv betrachten. Nicht unbedingt nur wegen der Kriegseintrittsfrage Englands. Es muss sehr wohl in Erwägung gezogen worden sein, dass daraus ein großer europäischer Krieg entstehen wird und muss. Daher ist das Vorgehen inkl. aller "Friedenbemühungen" eher unangemessen, will heißen: 3.-klassig.....
Daher mein persönlich-subjektives Fazit: Von Rückschlüssen kann kaum eine Rede sein....
 
Nun, du möchtest darüber diskutieren, ob man im Jahre 1914 besser auf die Erkenntnisse von Bismarcks Planspiel von 1875 hätte Rücksicht nehmen müssen. Im Nachhinein betrachtet ist das sicher eindeutig zu bejahen.
Ob und wieweit das aufgrund der Bündnisverpflichtungen möglich gewesen wäre, lasse ich mal aussen vor.
Du mußt allerdings beachten, daß dieses Planspiel 1914 schon 39 Jahre alt war. Die wenigsten Politiker vertrauen auf Erkenntnissen, die ihre Vorgänger vor so langer Zeit in Planspielen gemacht haben - auch wenn sich an der "Einkreisung" nichts groß geändert hat.:fs:

Um auf deinen Titel zurückzukommen: Das, was zum Ende "des Reiches" geführt hat, war der Angriffskrieg 1939 durch das Dritte Reich. Da war die aussenpolitische Lage zumindest in Bezug auf Rußland anders, das war nämlich zu diesem Zeitpunkt "verbündet". Und daß England und Frankreich sich zu Polen stellen, war zwar zeitweise wackelig, aber von Hitler "einkalkuliert", soweit ich weiß.

Zusätzlich hätte Hitler sich eh nicht um Bismarcks Planspiel von 1875 gekümmert (das war inzwischen 64 Jahre alt). Der hatte den ersten Weltkrieg hinter sich und erlebt, wie Bündnisse funktionieren. Abgesehen davon hat der Gröfaz eh immer alles besser gewußt.:S
Fazit: der hätte also auch besser von Bismarck lernen sollen...
 
Leopold Bloom schrieb:
Ich hab heut meinen zynisch-sarkastischen Tag: Wer der damals Lebenden außer Bismarck hat denn das Bismarcksche Bündnisprinzip überhaupt verstanden?


Ich glaube, solange Bismarck am Ruder war und in Wilhelm I einen loyalen Kaiser hatte, genügte es seinen Zeitgenossen, daß er damit erfolgreich war.
Man muß auch bedenken, daß Bismarck mit seiner Bündnispolitik im Grunde die Suppe ausgelöffelt hat, die er sich und den Deutschen überhaupt erst eingebrockt hatte. Die Reichseinigung ging ja nicht nur auf Kosten der Kriegsgegner, v.a. Frankreichs, vonstatten, sondern auch auf Kosten des europäischen Mächtegleichgewichts. Deutschland drohte die politische Isolation durch schlimmstenfalls feindselige, bestenfalls mißtrauische Nachbarn, und Bismarck begegnete dieser Gefahr, indem er nun selbst in die Rolle des immer um Ausgleich bemühten Friedenskanzlers schlüpfte.
Dieses Nebeneinander von provokanter Angriffslust einerseits (z.B. "Blut- und Eisen"- Rede, Emser Depesche) und bedächtiger Ausgleichspolitik andererseits fand sich bei kaum einem Politiker so extrem wie bei Bismarck, und als überzeugter Monarchist konnte ja auch er nur bei weitgehendem Einverständnis des jeweiligen Monarchen so handeln, wie es ihm richtig schien. Ohne die Konstellation Wilhelm I- Otto v. Bismarck hätte dieses autoritäre Kaiserreich mit demokratischer Fassade überhaupt nicht entstehen können, und wie sich zeigte, konnte es ohne sie auch nicht wirklich funktionieren.

Dagegen wurden ja die staatlichen Institutionen weitgehend in die Weimarer Republik übernommen, nur daß der Reichstag, von jener vom Volk gewählt, jetzt das einzige gesetzgebende Organ war, und daß der Kaiser durch den ebenfalls vom Volk gewählten Reichspräsidenten ersetzt wurde, der "nur" in Krisenzeiten der starke Mann an der Spitze war. Immerhin: Die damalige Verfassung vorausgesetzt, hätte Horst Köhler heute im Ausnahmezustand beispielsweise den Oberbefehl über die Bundeswehr, könnte den Bundestag auflösen, Minderheitsregierungen einsetzen, usw. Also, sooo krass war der Übergang gar nicht.
Und aus dem selben Grund entstand auch das sog. "Dritte Reich" nicht von heute auf morgen, sondern zunächst einmal trat Hindenburg als Reichspräsident immer stärker in den Vordergrund, gestützt auf monarchietreue Kräfte, die nach und nach das politische Geschehen zu bestimmen versuchten, jetzt aber der Situation nicht mehr Herr werden konnten, da inzwischen eine völlig neue politische Kraft in Erscheinung getreten war, die ironischerweise auch noch von der relativen Bevölkerungsmehrheit unterstützt wurde, sprich 1932 im Reichstag stärkste Fraktion wurde.
Daß Hitler nach langem Hin und Her Reichskanzler wurde, war an und für sich auch nur eine weitere Episode in der allmählichen Entwicklung zur Diktatur, denn noch hätte Hindenburg ihn genauso absetzen können wie vorher Brüning und Schleicher. Hitlers Alleinherrschaft beginnt formal-juristisch also erst mit dem Tod Hindenburgs, de facto vielleicht schon mit seinem Wahlsieg im Jahre 1932.
Das nur noch zur Frage, inwieweit die eine mit der anderen Staats-Ära zusammenhängt.
 
Leopold Bloom schrieb:
Ich will jetzt nicht Detailfragen zum 1. Weltkrieg an der falschen Stelle quälen, aber: Meiner Ansicht nach darf man das Vorgehen der deutschen Administration bzgl. des 1. WK durchaus als dilettantisch und naiv betrachten. Nicht unbedingt nur wegen der Kriegseintrittsfrage Englands. Es muss sehr wohl in Erwägung gezogen worden sein, dass daraus ein großer europäischer Krieg entstehen wird und muss. Daher ist das Vorgehen inkl. aller "Friedenbemühungen" eher unangemessen, will heißen: 3.-klassig.....
Daher mein persönlich-subjektives Fazit: Von Rückschlüssen kann kaum eine Rede sein....
Wenn man wider besseres Wissen darauf vertraut, dass ein wahrscheinliches Ereignis nicht eintritt, handelt man mit bedingten Vorsatz.
Arne schrieb:
Nun, du möchtest darüber diskutieren, ob man im Jahre 1914 besser auf die Erkenntnisse von Bismarcks Planspiel von 1875 hätte Rücksicht nehmen müssen. Im Nachhinein betrachtet ist das sicher eindeutig zu bejahen.
Ob und wieweit das aufgrund der Bündnisverpflichtungen möglich gewesen wäre, lasse ich mal aussen vor.
Du mußt allerdings beachten, daß dieses Planspiel 1914 schon 39 Jahre alt war. Die wenigsten Politiker vertrauen auf Erkenntnissen, die ihre Vorgänger vor so langer Zeit in Planspielen gemacht haben - auch wenn sich an der "Einkreisung" nichts groß geändert hat.:fs:
Oha! Deutschland hat sich doch erst nach 1875 isoliert. Wenn also bereits Bismarck im Falle eines weiteren Angriffs auf Frankreich nicht mit britischer Neutralität rechnen durfte, dann galt dies doch erst recht zur Zeit der Entente cordiale (der britisch-französischen Annäherung).
Arne schrieb:
Um auf deinen Titel zurückzukommen: Das, was zum Ende "des Reiches" geführt hat, war der Angriffskrieg 1939 durch das Dritte Reich. Da war die aussenpolitische Lage zumindest in Bezug auf Rußland anders, das war nämlich zu diesem Zeitpunkt "verbündet". Und daß England und Frankreich sich zu Polen stellen, war zwar zeitweise wackelig, aber von Hitler "einkalkuliert", soweit ich weiß.
In den außenpolitischen Vorstellungen der Nazis spielte das Motiv, England doch noch zu Neutralität oder einem Seperatfrieden bewegen zu können, bis in die letzten Monate des "Dritten Reiches" hinein eine Rolle. Bismarcks Lehrstück machte deutlich, dass sich die englische Aussenpolitik vor allem am Gleichgewicht der Kräfte orientierte. Vor diesem Hintergrund war es gar nicht möglich, mit England zu vereinbaren, dass man zum Hegemon Europas aufsteigt.
Leopold Bloom schrieb:
Ich hab heut meinen zynisch-sarkastischen Tag: Wer der damals Lebenden außer Bismarck hat denn das Bismarcksche Bündnisprinzip überhaupt verstanden?
Bismarck hat aus den Einsichten, die er aus der Krieg-in-Sicht-Krise gewann, sein Bündnissystem entwickelt. Das Bündnissystem würde ich deshalb zur "Höheren Kunst" der Außenpolitik zählen, die nicht jeder beherrschte. Aber das "Lehrstück" gehörte zum Grundlagenwissen, das eigentlich jeder "außenpolitische Akteur" verstehen konnte.
Rüdiger schrieb:
Hitlers Alleinherrschaft beginnt formal-juristisch also erst mit dem Tod Hindenburgs, de facto vielleicht schon mit seinem Wahlsieg im Jahre 1932.
Ihrer Einschätzung, dass Hitlers Alleinherrschaft schon mit seinem Wahlsieg de facto begonnen hat, kann ich nicht zustimmen. Bei der Wahl zum 6. Reichstag vom 31.7.1932 erreichte die NSDAP zwar einen Wahlsieg. Aber bei der Wahl zum 7. Reichstag vom 6.11.1932 erlitt Hitlers Partei eine kräftige Wahlschlappe. Hitlers Weg zur Macht schien zu diesem Moment gestoppt. Paradoxerweise wurde er 2 Monate später trotzdem zum Reichskanzler ernannt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Gandolf schrieb:
Ihrer Einschätzung, dass Hitlers Alleinherrschaft schon mit seinem Wahlsieg de facto begonnen hat, kann ich nicht zustimmen. Bei der Wahl zum 6. Reichstag vom 31.7.1932 erreichte die NSDAP zwar einen Wahlsieg. Aber bei der Wahl zum 7. Reichstag vom 6.11.1932 erlitt Hitlers Partei eine kräftige Wahlschlappe. Hitlers Weg zur Macht schien zu diesem Moment gestoppt. Paradoxerweise wurde er 2 Monate später trotzdem zum Reichskanzler ernannt.


Seine ALLEINherrschaft hat mit dem Wahlsieg natürlich nicht begonnen. Das war grob vereinfacht und verfälschend dargestellt, was ich zu entschuldigen bitte.
Ich wollte nur andeuten, daß es Hitler, im Gegensatz zu Papen, Schleicher, etc. geschafft hat, einen Großteil der Massen auf seine Seite zu bringen, und damit war es paradoxerweise nach radikal-demokratischem Verständnis an ihm, die Regierungsgeschäfte zu übernehmen, was ja das Kabinett der Barone von Hindenburgs Gnaden bis zuletzt zu verhindern versuchte.
Wie die politische Stimmung einige Monate später ausgesehen hätte, wenn man Hitler noch eine Weile außen vor gelassen hätte, ist dann wieder eine andere Frage. Unheimlich ist es dennoch, daß eine Partei wie die NSDAP nach einem Stimmenverlust von vier Prozent immer noch deutlich stärkste Partei war.
 
Gandolf schrieb:
So hatte Bethmann Hollweg die Hoffnung, England bliebe im Falle eines deutschen Angriffs auf Frankreich neutral. Doch Bismarcks "Lehrstück" hätte nahegelegt beim Angriff auf Frankreich mit dem britischen Kriegseintritt rechnen zu müssen und zwar völlig unabhängig von der Belgienfrage.
Der Reichskanzler Bethmann Hollweg hat sich den Kriegsverlauf wohl auch anders vorgestellt, ich denke in etwa so:

1) Österreich greift Serbien an (durch den Mord in Sarajevo provoziert).
2) Rußland kommt seinen Schützling Serbien zu Hilfe und greift Österreich an.
3) Deutschland kommt seinem Verbündeten Österreich zu Hilfe und greift Rußland an.
4) Frankreich kommt seinem Verbündeten Rußland zu Hilfe und greift Deutschland an.
5) Deutschland verhält sich als Angegriffener im Westen defensiv und muß nicht unbedingt mit einem Eingreifen Englands rechnen.

(das war auch die Vorstellung des "Blanko-Schecks" - man hatte den Österreichern überhaupt nie gesagt, daß Deutschland bei Kriegsbeginn in Frankreich einfallen wollte.)

Ein hauptsächlicher Ostkrieg, vielleicht mit einer Gewichtsverschiebung zugunsten Österreichs und zu-Ungunsten Rußlands wäre für England wohl annehmbar gewesen.
Warum sollte England in einer solchen Situation intervenieren ?

Der deutsche Generalstab machte Bethmanns Pläne allerdings zu nichte:
Der (der jüngere Moltke) hatte sich ausschließlich auf den Schliemann-Plan vorbereitet (!) und einen Ostaufmarsch-Plan 1913 auf Eis legen lassen. Bis zum 1. August 1914 wurden diese Problem-lagen von der Führung des deutschen Reiches nicht einmal diskutiert.
Auch der Kaiser wollte die Armee nach Osten schicken, doch Moltke erklärte ihm, daß sei jetzt nicht mehr organisierbar.

Der Generalstab hatte sich auf einen einzigen Kriegsverlauf eingestellt und alle anderen Möglichkeiten im Vorhinein verworfen.

Eine Entmachtung Frankreichs, und die Kontrolle der belgischen Küste, konnten die Engländer aus sicherheitsrelevanten Gründen dann nicht mehr zulassen.

Es war die Pflichtversäumnis und Inkompetenz des deutschen Generalstabs, der es nicht schaffte für verschiedene politische Konstellationen auch verschiedene militärische Möglichkeiten zu haben, die England mit in den Krieg zog. Von Bethmann und Wilhelm II., und wohl auch von der Österreichern war der Kreigsverlauf afaik anders gedacht.
 
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