Leopold Bloom schrieb:
Ich hab heut meinen zynisch-sarkastischen Tag: Wer der damals Lebenden außer Bismarck hat denn das Bismarcksche Bündnisprinzip überhaupt verstanden?
Ich glaube, solange Bismarck am Ruder war und in Wilhelm I einen loyalen Kaiser hatte, genügte es seinen Zeitgenossen, daß er damit erfolgreich war.
Man muß auch bedenken, daß Bismarck mit seiner Bündnispolitik im Grunde die Suppe ausgelöffelt hat, die er sich und den Deutschen überhaupt erst eingebrockt hatte. Die Reichseinigung ging ja nicht nur auf Kosten der Kriegsgegner, v.a. Frankreichs, vonstatten, sondern auch auf Kosten des europäischen Mächtegleichgewichts. Deutschland drohte die politische Isolation durch schlimmstenfalls feindselige, bestenfalls mißtrauische Nachbarn, und Bismarck begegnete dieser Gefahr, indem er nun selbst in die Rolle des immer um Ausgleich bemühten Friedenskanzlers schlüpfte.
Dieses Nebeneinander von provokanter Angriffslust einerseits (z.B. "Blut- und Eisen"- Rede, Emser Depesche) und bedächtiger Ausgleichspolitik andererseits fand sich bei kaum einem Politiker so extrem wie bei Bismarck, und als überzeugter Monarchist konnte ja auch er nur bei weitgehendem Einverständnis des jeweiligen Monarchen so handeln, wie es ihm richtig schien. Ohne die Konstellation Wilhelm I- Otto v. Bismarck hätte dieses autoritäre Kaiserreich mit demokratischer Fassade überhaupt nicht entstehen können, und wie sich zeigte, konnte es ohne sie auch nicht wirklich funktionieren.
Dagegen wurden ja die staatlichen Institutionen weitgehend in die Weimarer Republik übernommen, nur daß der Reichstag, von jener vom Volk gewählt, jetzt das einzige gesetzgebende Organ war, und daß der Kaiser durch den ebenfalls vom Volk gewählten Reichspräsidenten ersetzt wurde, der "nur" in Krisenzeiten der starke Mann an der Spitze war. Immerhin: Die damalige Verfassung vorausgesetzt, hätte Horst Köhler heute im Ausnahmezustand beispielsweise den Oberbefehl über die Bundeswehr, könnte den Bundestag auflösen, Minderheitsregierungen einsetzen, usw. Also, sooo krass war der Übergang gar nicht.
Und aus dem selben Grund entstand auch das sog. "Dritte Reich" nicht von heute auf morgen, sondern zunächst einmal trat Hindenburg als Reichspräsident immer stärker in den Vordergrund, gestützt auf monarchietreue Kräfte, die nach und nach das politische Geschehen zu bestimmen versuchten, jetzt aber der Situation nicht mehr Herr werden konnten, da inzwischen eine völlig neue politische Kraft in Erscheinung getreten war, die ironischerweise auch noch von der relativen Bevölkerungsmehrheit unterstützt wurde, sprich 1932 im Reichstag stärkste Fraktion wurde.
Daß Hitler nach langem Hin und Her Reichskanzler wurde, war an und für sich auch nur eine weitere Episode in der allmählichen Entwicklung zur Diktatur, denn noch hätte Hindenburg ihn genauso absetzen können wie vorher Brüning und Schleicher. Hitlers Alleinherrschaft beginnt formal-juristisch also erst mit dem Tod Hindenburgs, de facto vielleicht schon mit seinem Wahlsieg im Jahre 1932.
Das nur noch zur Frage, inwieweit die eine mit der anderen Staats-Ära zusammenhängt.