Die Neolithische Revolution in Europa - Wie und warum?

In dem Artikel steht allerdings auch:
...Paläogenetikers Oliver Smith [...] Er bestimmte nicht nur das Alter des Weizens sondern zeigte zudem, dass das Einkorn vom Bouldnor Cliff genetisch betrachtet wohl aus der Region des Fruchtbaren Halbmonds im Nahen Osten stammt. Es zeigt jedenfalls keinerlei Übereinstimmung mit dem Genprofil von Getreide aus Nordeuropa oder Großbritannien.
Ja, und das bedeutet, dass man bereits vor 8000 Jahren den Weizen direkt aus dem Nahen Osten importierte. Ob das nur Saatgut war oder einfach zum Verbrauch bestimmt, steht offen. Jedenfalls waren das ca. 5000 km, die im Neolithikum überquert wurden, was gegenüber den Bernsteinstraßen ein neuer Rekord wäre. Und das für ein vergleichsweise wenig wertvolles Gut.
 
Und das für ein vergleichsweise wenig wertvolles Gut.
Das liegt wohl im Auge des Betrachters. In unserer heutigen Zeit, wo wir in Mitteleuropa jahreszeiten- und regionsunabhängig so gut wie alle Nahrungsmittel der Welt kaufen können, auch solche, die in unserer Region nie wachsen würden, fällt es uns vielleicht leichter Weizen als "vergleichsweise wenig wertvoll" zu klassifizieren.
 
Ja, und das bedeutet, dass man bereits vor 8000 Jahren den Weizen direkt aus dem Nahen Osten importierte. Ob das nur Saatgut war oder einfach zum Verbrauch bestimmt, steht offen. Jedenfalls waren das ca. 5000 km, die im Neolithikum überquert wurden, was gegenüber den Bernsteinstraßen ein neuer Rekord wäre. Und das für ein vergleichsweise wenig wertvolles Gut.

Bedeutet das wirklich, dass der Weizen direkt aus dem Nahen Osten importiert wurde?

Laut dem Video aus dem verlinkten Artikel war der Tei Englands vor 8.000 Jahren noch mit einer Landbrücke mit Frankreich verbunden. Gibt es aus Frankreich sicher datierbare Befunde von Ackerbau aus dieser Zeitperiode?
 
Mir fällt es auch schwer, an einen Fernhandel zu glauben.

Weizen war sicher wertvoll. Aber welche Güter hatte Britannien denn anzubieten? Auerochsenwurst? Wolfspelze? Sklaven?
Der Metallabbau war doch noch kein Thema?

Falls der Weizen mit Gengut aus dem mittleren Osten tatsächlich auch dort geerntet wurde, muss da ja was gewesen sein.

Oder kann der Weizen auch in Frankreich angebaut worden sein, eben mit Saatgut und Genen aus MO?
 
Mir fällt es auch schwer, an einen Fernhandel zu glauben.

Einen nennenswerten Handel hat es in neolithischer Zeit vor allem in Südosteuropa gegeben, also in der Region, die manche Wissenschaftler auch als "Donauzivilisation" bezeichnen (Sesklo-, Starcevo-, Karanovo-, Vinca-Kultur) und der z.B. der Sprachwissenschaftler Harald Haarmann hinsichtlich ungeklärter Symbole auf keramischen Überresten sogar den Gebrauch der Schrift zuschreibt - was allerdings sehr umstritten ist.

Seefahrt, Handel und Tauschgeschäfte förderten in diesem Raum die Kontakte zwischen den Menschen und waren offenbar wichtige Katalysatoren für das Aufblühen der neolithischen Wirtschaft. Vom 8. Jahrtausend an, noch vor der eigentlichen Jungstenzeit, gibt es Zeuignisse für den Handel mit Feuersteinen und Obsidian. Die ständige Zunahme der Kommunikation mit dem Beginn einer Nahrung produzierenden Wirtschaft wird durch den Import von Obsidian, Marmor, farbigen Steinen und Spondylusmuscheln deutlich.

Obsidian - also vulkanisches Glas aus siliziumreicher Lava - eignete sich besonders für Sichelklingen und andere Schneidewerkzeuge. Er war deshalb sehr begehrt und wurde noch hunderte von Kilometern von den Orten seiner Entstehung entfernt gefunden. Der Obsidian, der in der Ägäis und ganz Griechenland verwendet wurde, stammte hauptsächlich von der Insel Melos in der Südägäis. Der im zentralen Mittelmeerraum, an den Adriaküsten und auf der westlichen Balkanhalbinsel verarbeitete Obsidian kam von Sardinien (Monte Arci) und den Liparischen Inseln nördlich von Sizilien. Für das Karpatenbecken und das Donautiefland wurde Obsidian aus den Karpaten in NO-Ungarn und NW-Rumänien herbeigeschafft.

Marmor, den man zur Herstellung von Trinkschalen, Schüsseln, Schmuck und Statuetten benutzte, stand an vielen Orten zur Verfügung, aber die Inseln Paros und Skyros in der Ägäis dürften die Hauptlieferanten gewesen sein, denn dort gibt es neolithische Fundstätten.

Den Bedarf an den Schalen ägäischer Spondylusmuscheln für die Herstellung von Perlen, Anhängern und Armbändern war groß. Sie wurden in beträchtlichen Mengen von der Ägäis nordwärts nach Bulgarien und Rumänien und entlang der Donau bis Mitteleuropa (!) gehandelt. Muscheln aus der Adria gingen auch nach Dalmatien und SO-Italien.

Im Neolithikum wurden ihre Schalen zu Schmuckstücken verarbeitet und über große Entfernungen verhandelt. Teilweise wurde die These vertreten, es seien vor allem fossile Spondylen verarbeitet worden. Die Analyse der Strontium-Isotope deutet jedoch auf Verwendung rezenter Muscheln. Um ihre Herkunft zu bestimmen, wurden schon sehr früh Sauerstoff-Isotope untersucht, die auf das Schwarze Meer hindeuten, was auch der Häufigkeitsverteilung der archäologischen Funde entspricht. Die Funde werden auch als Hinweise auf die Überflutung des Schwarzen Meeres angesehen.
Spondylus gaederopus ? Wikipedia

Was den Handel zur Bronzezeit betrifft, so war der Bedarf an Kupfer und bald darauf Zinn war mit Sicherheit ein wichtiger Faktor im Wirtschaftsleben der sich entwickelnden Gemeinschaften der Kupfer- und Bronzezeit, und es war unvermeidbar, dass ein Wettbewerb um die Entdeckung und Ausbeutung neuer Erzvorkommen entstand: Die Prospektoren suchten im Westen und Nordwesten nicht nur nach Metallen, die verarbeitet werden konnten, sondern beispielsweise in den Bergen Transsylaviens auch nach Gold und in Spanien wahrscheinlich nach Silber.

Schmuckstücke wie spiralförmige Armreifen, Knöpfe aus spiralig gedrehtem Draht, gehämmerte Kupferscheiben und flache Axtklingen aus Kupfer wurden nach Nordwesten bis Polen und sogar Dänemark gehandelt; dort wurden sie von Angehörigen der lokalen, noch steinverarbeitenden Gemeinschaften, die eben erst zur Landwirtschaft übregegangen waren, erworben. In den letzten Jahrhunderten des 3. Jahrtausends v. Chr. finden wir bestimmte Schmuckstücke aus Kupfer, wie z.B. Gewandnadeln mit doppeltem Spiralknopf, nicht nur häufig an der unteren Donau und in Anatolien, sondern vereinzelt auch weiter entfernt im Kaukasus, in Persien und sogar im Tal des Indus.

Das alles ist ein Beweis dafür, wie Handel und Lebensstil weite Gebiete Eurasiens nördlich der großen Zentren der Hochkulturen von Mesopotamien verbunden haben.
 
[FONT=&quot]Die Landwirtschaft hat sich über Jahrtausende nur langsam ausgebreitet: Vom Fruchtbaren Halbmond über den Bosporus, die Donau hinauf – oder über das Mittelmeer - bis nach Mitteleuropa. Dabei fanden im Weizen Genveränderungen statt, die uns heute ermöglichen, dessen Ausbreitung nachzuvollziehen. [/FONT]

[FONT=&quot]Wenn also vor der Küste Englands Weizen gefunden wird, der genetisch identisch mit dem im Nahen Osten ist, dann muss dieser notgedrungen direkt von dort importiert worden sein.[/FONT]

[FONT=&quot]Jetzt abgesehen vom Wert des Weizens: Wie könnte das vor sich gegangen sein? Weizen als Handelsgut wäre sicher zweckmäßiger, schneller und daher billiger aus Mitteleuropa zu importieren. [/FONT]

[FONT=&quot]Dass ein einzelner sich die Mühe macht, den Weizen direkt im Nahen Osten „einzukaufen“ und dann die paar Kilo 5000 km weit nach England zu tragen, erscheint mir wenig wahrscheinlich. Auch dass die paar Kilo von einem „Händler“ zum nächsten wanderten und so nach England gelangten, erscheint nicht logisch, schließlich sieht man Weizenkörnern nicht an, woher sie stammen: Das kann man nur heute per Gentechnik herausfinden. [/FONT]

[FONT=&quot]Am wahrscheinlichsten erscheint mir der Weg über das Meer. Es hat zu allen Zeiten unternehmungslustige Zeitgenossen gegeben, die gern ins Unbekannte vorstießen. Ich denke da an Gruppen, die an den Küsten entlang bis ins westliche Mittelmeer und darüber hinaus vordrangen. Sie könnten den Weizen als eiserne Reserve oder Saatgut mitgenommen haben. Vielleicht haben sie sich irgendwo niedergelassen, und erst die nächste Generation ist dann weiter gezogen. So konnten sie in wenigen Genrationen große Distanzen überwunden haben, während der Zeit sich der Weizen genetisch nicht veränderte und so an die Küste Englands gelangte.[/FONT]
 
Ich erhielt aus Spanien einen Hinweis auf einen El-Pais-Artikel, in dem auf neue Erkenntnisse in der Indoeuropäerforschung Bezug genommen wird, die im Nature-Wissenschaftsjournal publiziert werden. Danach gehen bis zu 75 Prozent des europäischen Erbgutes auf die Steppeneinwanderer zurück, was eine sehr hohe Migrationsquote nahelegt (laut "Nature" eine "massive migration").

Ich verlinke hier die Artikel. Für die genauere Lektüre des Nature-Artikels benötigt man ein Login.

Las lenguas indoeuropeas se propagaron sobre ruedas | Ciencia | EL PAS

Los genomas de 69 europeos de 8.000 a 3.000 años atrás confirman así la “hipótesis de la estepa” (o “de los kurganes”), avanzada en los años 50 del siglo pasado por la arqueóloga lituano-estadounidense Marija Gimbutas (1921-1994), que reunió evidencias de que la patria de los proto-indoeuropeos era la llamada estepa póntica, formada por las inmensas praderas al norte de los mares Negro y Caspio. Hace 4.500 años, los ganaderos Yamnaya que vivían allí se extendieron por Europa gracias a sus flamantes carros de ruedas.

http://www.nature.com/nature/journal/vaop/ncurrent/full/nature14317.html

Western and Eastern Europe came into contact ~4,500 years ago, as the Late Neolithic Corded Ware people from Germany traced ~75% of their ancestry to the Yamnaya, documenting a massive migration into the heartland of Europe from its eastern periphery. This steppe ancestry persisted in all sampled central Europeans until at least ~3,000 years ago, and is ubiquitous in present-day Europeans. These results provide support for a steppe origin9 of at least some of the Indo-European languages of Europe.

Sowie:

Massive migration from the steppe was a source for Indo-European languages in Europe | ReadCube Articles
 
Es gibt auch Hinweise, dass das heutige Brotgetreide gar nicht vorrangig für diese Funktion gedacht war.
Schon frühzeitig wurde entdeckt, dass man aus angegorenem Getreide alkoholische Getränke herstellen konnte. Erst die Rückstände daraus wurden dann zufällig als Nahrungsquelle erschlossen.
Auch heute noch werden Brauereirückstände im Brot verbacken
 
Die zweite neolithische Revolution

Ich beginne gerade, im Begleitkatalog zur Ausstellung "Revolution Jungsteinzeit. Archäologische Landesausstellung Nordrhein-Westfalen" zu lesen. Dort berichtet Harald Meller in einem Aufsatz von der zweiten neolithischen Revolution im Verlauf des 4. Jahrtausends v. Chr., die zu zahlreichen Innovationen, wie der Verwendung von Arsenkupfer, dem Wollschaf, dem Hauspferd bis hin zu Städten und Schrift, führte. Durch die Erfindung des "neolithischen Traktors" (zwei Ochsen unter ein Joch) im Gebiet des heutigen Norddeutschlands konnte die Produktivität der Landwirtschaft gesteigert werden. Der Einsatz des Pfluges ermöglichte die Bewirtschaftung größerer Felder im Vergleich zum Hackbau. Wie bereits durch genetische Untersuchungen festgestellt, kam es von Norddeutschland aus zur Rückkehr der Mesolithiker-Gene nach Mitteleuropa.
 
Harald Meller schreibt dazu:

Offenbar versetzte die neue Produktivität die Neolithiker des Nordens, bei denen dieser Prozess [die Neolithisierung, Anm. Heine] erst ca. 1500 Jahre nach den Bandkeramikern durch langsame Adaption einsetzt, in die Lage nach Süden zu ziehen, um die hervorragenden Schwarzerdeböden Mitteldeutschlands, auf denen die "ehemaligen Bandkeramiker" siedelten, zu besetzen (Walternienburger und Bernburger Kultur). Dies ist insofern paradox, als auch Nachfahren der aus Mitteldeutschland vertriebenen Mesolithiker, die im Norden langsam durch Adaption zu Neolithikern wurden, nun zurückkehrten, wie genetische Untersuchungen belegen.
Mit Norden ist das Gebiet des heutigen Norddeutschlands gemeint.
 
Neues zu den Expansionsrichtungen und Wellen:

Olalde et. al.: A Common Genetic Origin for Early Farmers from Mediterranean Cardial and Central European LBK Cultures
A Common Genetic Origin for Early Farmers from Mediterranean Cardial and Central European LBK Cultures. - PubMed - NCBI

"The spread of farming out of the Balkans and into the rest of Europe followed two distinct routes: An initial expansion represented by the Impressa and Cardial traditions, which followed the Northern Mediterranean coastline; and another expansion represented by the LBK (Linearbandkeramik) tradition, which followed the Danube River into Central Europe. Although genomic data now exist from samples representing the second migration, such data have yet to be successfully generated from the initial Mediterranean migration. To address this, we generated the complete genome of a 7,400-year- old Cardial individual (CB13) from Cova Bonica in Vallirana (Barcelona), as well as partial nuclear data from five others excavated from different sites in Spain and Portugal. CB13 clusters with all previously sequenced early European farmers and modern-day Sardinians. Furthermore, our analyses suggest that both Cardial and LBK peoples derived from a common ancient population located in or around the Balkan Peninsula. The Iberian Cardial genome also carries a discernible hunter–gatherer genetic signature that likely was not acquired by admixture with local Iberian foragers. Our results indicate that retrieving ancient genomes from similarly warm Mediterranean environments such as the Near East is technically feasible."
 
Die Bestätigung der Wellentheorie "out of Anatolia"?

"From an archaeological perspective, it's quite amazing," said co-senior author Ron Pinhasi, associate professor of archaeology at University College Dublin. "The Neolithic revolution is perhaps the most important transition in human prehistory. We now have proof that people did actually go from Anatolia into Europe and brought farming with them. For more than 40 years, people thought it was impossible to answer that question."

http://www.sciencedaily.com/releases/2015/11/151123202631.htm
Genome-wide patterns of selection in 230 ancient Eurasians. - PubMed - NCBI
 
"We now have proof that people did actually go from Anatolia into Europe and brought farming with them."

Die Ansicht, die neolithische Kultur sei von Anatolien aus nach Europa gelangt, vertritt Dr. Bott schon seit Jahren, wobei das Ursprungsgebiet dieser Kultur auch den nördlichen Bereich des Fruchtbaren Halbmondes (Zagros-Gebirge) einschließt. Ich zitiere aus Botts von mir ins Englische übersetzten Essay "The Origin of Patriarchy and Warfare in the Neolithic" (Titelgebung von mir) :

(...)

The Paleolithic ends, according to scientific definitions, with the first appearance of a Neolithic, that is to say, productive economic system, and that was firstly invented by humans in the Anatolian-Syrian region and in the "Fertile Crescent" around 10,500 BCE as has been shown by archeological findings. After these pioneers had started with the described early agriculture (or horticulture) communities which, after this economic revolution, that is, after 10,000 BCE, totally continued the ancient appropriating system, are termed as Epi-Paleolithic.

(...)

The knowledge of seed-breeding increases. An essential innovation is the domestication of sheep and goats as “domestic animals” in the literal meaning. This stock rearing began partly by self-domestication of the mentioned small hoof-animals and partly by the female labor-collective who, contrary to the continuously hunting men, remain by the houses and farming areas and are jointly able to control these small animals. This domestication begins in Anatolia and in the Zagros mountains.
 
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