Gandolf
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Unaufrichtiges Vorgehen von Wilson?
Wilsons Friedensprogramm vom 8.1.1918 war das Friedensprogramm der USA und nicht das Friedensprogramm der Alliierten. Frankreich und GB verfolgten weit härtere Friedensbedingungen. In Frankreich war sogar die Aufteilung Deutschlands im Gespräch. So betrachtet musste von deutscher Seite damit gerechnet werden, dass ein Friede auf der Basis alliierter Vorstellungen zu härteren Bedingungen zustande kommen wird, als diese bereits im Wilson-Programm vorgezeichnet waren.
Um Frieden auf der Grundlage von Wilsons Friedensprogramm ersuchte das Deutsche Reich erst neun Monate (3.10.1918) nach dessen Bekanntgabe. In diesen neun Monaten hatten sich die Aussichten Deutschlands, den Krieg noch gewinnen oder doch wenigstens weiter offen halten zu können, dramatisch verschlechtert: die letzte große deutsche Offensive („Michael-Offensive") war gescheitert. Die deutschen Armee verlor in zwei Wochen ca. 230.000 Mann, die Alliierten ca. 212.000. Die Alliierten konnten ihre Verluste durch die in Nordfrankreich eintreffenden frischen amerikanischen Streitkräfte ausgleichen. Trotz des unbeschränkten U-Bootkrieges setzten Woche für Woche zehntausende amerikanische Soldaten über den Atlantik. Für die Alliierten war der Sieg greifbar nahe. Warum sollten diese bei solchen Verhältnissen überhaupt noch mit Deutschland um Frieden verhandeln? Warum sollten sie nicht einfach der bedingungslosen Kapitulation entgegensehen?
Mit dem Friedensersuchen (3.10.1918) erlangte Wilson in der Frage Krieg oder Frieden eine Schlüsselrolle. Für Wilson war dies eine Chance, seine europäischen Verbündeten auf sein Friedensprogramm festzulegen. Aber auch er musste mit Recht befürchten, dass es sich bei diesem Ersuchen nur um eine deutsche Finte handelte, mit der die OHL versuchte, den drohenden Zusammenbruch zu vereiteln, die Front durch Reorganisationsmaßnahmen zu stabilisieren und anschließend wieder den Krieg aufzunehmen. Noch mehr befürchteten die europäischen Alliierten, nach 4 Jahren des bis dahin schlimmsten Krieges nun um die Früchte ihres Sieges betrogen zu werden: entweder durch eine deutsche Finte oder durch die Annahme von Wilsons Programm.
Du sprichst davon, dass Wilson nur zum Schein verhandelt habe. Tatsache ist aber, dass wochenlange Verhandlungen zwischen Edward M. House, Georges Clemenceau, Davild Llyod George und Georgio Sidney Sonnino erforderlich waren, bis diese in der Frage der Annahme des deutschen Friedensersuchens eine Einigung erzielen konnten, die freilich die "Annahme" an Bedingungen knüpften: die deutsche Waffenstreckung musste einer bedingungslosen Kapitulation so nahe wie möglich kommen (Besetzung des Rheinlandes), die Definition des Begriff der „Freiheit der Meere" wurde offengelassen und der Begriff der Reparationen wurde in Richtung Schadenersatz gedehnt. In der sogenannten Lansing-Note vom 5.11.1918 wurde dieser Beschluss der Alliierten an die (noch) kaiserliche Regierung Deutschlands weitergeleitet. Dieses Angebot der Alliierten wurde von der deutschen Regierung angenommen. So kam dann der harte Waffenstillstandsvertrag zustande.
Auf deutscher Seite verbanden sich mit Wilsons 14-Punkte-Programm von Anfang an Unkenntnis, Fehleinschätzungen und Irrtümer. Raum für Vermutungen öffnet zum Beispiel der Umstand, dass die OHL erst am 4.10.1918 vom Auswärtigen Amt eine Abschrift der 14-Punkte erbat. Diese kannte das Programm wohl nur vom Hörensagen, nicht aber dessen Details. Einen Tag zuvor hatte die OHL Prinz Max von Baden noch unter großem Druck dazu gezwungen, auf der Grundlage dieses Programms bei Wilson um Frieden zu ersuchen.
Von der deutschen Regierung wurde zudem übersehen, dass sich die 14-Punkte für Deutschland sowohl günstig als auch nachteilhaft auslegen ließen. Die deutsche Regierung klammerte sich naturgemäß an eine günstige Lesart der 14-Punkte. In dieser sah sich Berlin bestätigt, als eine Interpretation der linksliberalen Journalisten Frank Cobb und Walter Lippmann abfing, die sie irrtümlicherweise für eine amtlich-verbindliche amerikanische Deutung der Vierzehn Punkte hielt. Völkerrechtsprofessoren begannen Theorien zu entwickeln, wonach die Alliierten aufgrund des Notenaustauschs einen Frieden „schulden" würden, der im äußersten Falle der günstigsten Lesart des Wilson-Friedensprogramms entsprechen durfte. Reichstagsabgeordnete phantasierten über einen polnischen Staat, der zu Lasten Litauens einen Seehafen bekommen sollte. Entsprechend groß war dann der Schock über das Friedensangebot der Alliierten.
Dass Wilsons Friedensbedingungen auf dem Müllhaufen der Geschichte landeten, ist so nicht wahr. Er selbst unterschied in seinem Programm zwischen Punkten, die verwirklicht werden MÜSSEN und solchen, die verwirklicht werden SOLLTEN. Sein Programm stellte bei den alliierteninternen Verhandlungen im Regelfall den Ausgangspunkt dar. Manche Punkte wurden nicht eingehalten; viele andere hingegen wurden – im Rahmen einer freilich für Deutschland ungünstigen Auslegung – sehr wohl eingehalten
Mein Literaturtip:
Die Einleitung von Klaus Schwab in dem von ihm herausgegeben Buch „Quellen zum Friedensschluss von Versailles", Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1997.
Wilsons Friedensprogramm vom 8.1.1918 war das Friedensprogramm der USA und nicht das Friedensprogramm der Alliierten. Frankreich und GB verfolgten weit härtere Friedensbedingungen. In Frankreich war sogar die Aufteilung Deutschlands im Gespräch. So betrachtet musste von deutscher Seite damit gerechnet werden, dass ein Friede auf der Basis alliierter Vorstellungen zu härteren Bedingungen zustande kommen wird, als diese bereits im Wilson-Programm vorgezeichnet waren.
Um Frieden auf der Grundlage von Wilsons Friedensprogramm ersuchte das Deutsche Reich erst neun Monate (3.10.1918) nach dessen Bekanntgabe. In diesen neun Monaten hatten sich die Aussichten Deutschlands, den Krieg noch gewinnen oder doch wenigstens weiter offen halten zu können, dramatisch verschlechtert: die letzte große deutsche Offensive („Michael-Offensive") war gescheitert. Die deutschen Armee verlor in zwei Wochen ca. 230.000 Mann, die Alliierten ca. 212.000. Die Alliierten konnten ihre Verluste durch die in Nordfrankreich eintreffenden frischen amerikanischen Streitkräfte ausgleichen. Trotz des unbeschränkten U-Bootkrieges setzten Woche für Woche zehntausende amerikanische Soldaten über den Atlantik. Für die Alliierten war der Sieg greifbar nahe. Warum sollten diese bei solchen Verhältnissen überhaupt noch mit Deutschland um Frieden verhandeln? Warum sollten sie nicht einfach der bedingungslosen Kapitulation entgegensehen?
Mit dem Friedensersuchen (3.10.1918) erlangte Wilson in der Frage Krieg oder Frieden eine Schlüsselrolle. Für Wilson war dies eine Chance, seine europäischen Verbündeten auf sein Friedensprogramm festzulegen. Aber auch er musste mit Recht befürchten, dass es sich bei diesem Ersuchen nur um eine deutsche Finte handelte, mit der die OHL versuchte, den drohenden Zusammenbruch zu vereiteln, die Front durch Reorganisationsmaßnahmen zu stabilisieren und anschließend wieder den Krieg aufzunehmen. Noch mehr befürchteten die europäischen Alliierten, nach 4 Jahren des bis dahin schlimmsten Krieges nun um die Früchte ihres Sieges betrogen zu werden: entweder durch eine deutsche Finte oder durch die Annahme von Wilsons Programm.
Du sprichst davon, dass Wilson nur zum Schein verhandelt habe. Tatsache ist aber, dass wochenlange Verhandlungen zwischen Edward M. House, Georges Clemenceau, Davild Llyod George und Georgio Sidney Sonnino erforderlich waren, bis diese in der Frage der Annahme des deutschen Friedensersuchens eine Einigung erzielen konnten, die freilich die "Annahme" an Bedingungen knüpften: die deutsche Waffenstreckung musste einer bedingungslosen Kapitulation so nahe wie möglich kommen (Besetzung des Rheinlandes), die Definition des Begriff der „Freiheit der Meere" wurde offengelassen und der Begriff der Reparationen wurde in Richtung Schadenersatz gedehnt. In der sogenannten Lansing-Note vom 5.11.1918 wurde dieser Beschluss der Alliierten an die (noch) kaiserliche Regierung Deutschlands weitergeleitet. Dieses Angebot der Alliierten wurde von der deutschen Regierung angenommen. So kam dann der harte Waffenstillstandsvertrag zustande.
Auf deutscher Seite verbanden sich mit Wilsons 14-Punkte-Programm von Anfang an Unkenntnis, Fehleinschätzungen und Irrtümer. Raum für Vermutungen öffnet zum Beispiel der Umstand, dass die OHL erst am 4.10.1918 vom Auswärtigen Amt eine Abschrift der 14-Punkte erbat. Diese kannte das Programm wohl nur vom Hörensagen, nicht aber dessen Details. Einen Tag zuvor hatte die OHL Prinz Max von Baden noch unter großem Druck dazu gezwungen, auf der Grundlage dieses Programms bei Wilson um Frieden zu ersuchen.
Von der deutschen Regierung wurde zudem übersehen, dass sich die 14-Punkte für Deutschland sowohl günstig als auch nachteilhaft auslegen ließen. Die deutsche Regierung klammerte sich naturgemäß an eine günstige Lesart der 14-Punkte. In dieser sah sich Berlin bestätigt, als eine Interpretation der linksliberalen Journalisten Frank Cobb und Walter Lippmann abfing, die sie irrtümlicherweise für eine amtlich-verbindliche amerikanische Deutung der Vierzehn Punkte hielt. Völkerrechtsprofessoren begannen Theorien zu entwickeln, wonach die Alliierten aufgrund des Notenaustauschs einen Frieden „schulden" würden, der im äußersten Falle der günstigsten Lesart des Wilson-Friedensprogramms entsprechen durfte. Reichstagsabgeordnete phantasierten über einen polnischen Staat, der zu Lasten Litauens einen Seehafen bekommen sollte. Entsprechend groß war dann der Schock über das Friedensangebot der Alliierten.
Dass Wilsons Friedensbedingungen auf dem Müllhaufen der Geschichte landeten, ist so nicht wahr. Er selbst unterschied in seinem Programm zwischen Punkten, die verwirklicht werden MÜSSEN und solchen, die verwirklicht werden SOLLTEN. Sein Programm stellte bei den alliierteninternen Verhandlungen im Regelfall den Ausgangspunkt dar. Manche Punkte wurden nicht eingehalten; viele andere hingegen wurden – im Rahmen einer freilich für Deutschland ungünstigen Auslegung – sehr wohl eingehalten
Mein Literaturtip:
Die Einleitung von Klaus Schwab in dem von ihm herausgegeben Buch „Quellen zum Friedensschluss von Versailles", Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1997.