Die Pest: Ein geschichtlicher Bruch?

Jacobus

Mitglied
Hey ihr lieben...
In Geschichte haben wir gerade das Thema Pest...und ich lerne gerade für die Klausur, dabei haben sich einige Fragen aufgeworfen...
1. Kann man bei der Pest von einem geschichtlichen Bruch sprechen?
2. War Deutschland um 1300 überbevölkert?
3. Wie heisst das Buch, das Giovanni Boccacio über die Pest in Florenz geschrieben hat? Unser Lehrer hat uns da keine Quelle angegeben und mich würde das mal interessieren, weil sich dieser Ausschnitt ganz interesant anhört...:)
So dann danke schonmal..:)
 
Jacobus schrieb:
3. Wie heisst das Buch, das Giovanni Boccacio über die Pest in Florenz geschrieben hat? Unser Lehrer hat uns da keine Quelle angegeben und mich würde das mal interessieren, weil sich dieser Ausschnitt ganz interesant anhört...:)

Selbst mir als "Literatur-Idiot" fällt es mit Google leicht das im ersten Ergebnis zu finden...:rolleyes:

"1348 wurde Florenz von der Pest heimgesucht. Diese Katastrophe bildet den Hintergrund von Boccaccios berühmtesten Werk, dem 1353 erschienen "Decamerone", in dessen Rahmenhandlung sich junge Leute auf der Flucht vor der Pest Geschichten erzählen."
http://www.weltchronik.de/bio/cethegus/b/boccacio.html
 
Dies hatten wir in ähnlicher Form schon beim wirtschaftlichen Aspekt des Niedergangs des Rittertums (s. Mittelalter - Das Rittertum - Wann begann das Ende des Rittertums?), wo unser Mitglied Marbod dies sehr gut behandelt hatte.

Jacobus schrieb:
1. Kann man bei der Pest von einem geschichtlichen Bruch sprechen?

Ja, denn sie führte zur Entvölkerung gerade und vor allem im ländlichen Raum - unabhängig davon, daß die Städte ebenso betroffen waren; nur gab es bereits zuvor bereits eine deutliche Migration vom Land zur Stadt, so daß die ländlichen Gebiete nun noch zusätzlich in ihrer Bevölkerungszahl beeinträchtigt wurden.
Als Folge davon ist der ökonomische Niedergang des Landadels - und damit des Rittertums - daraus direkt abzuleiten, womit wirtschaftlich gesehen das Ende des Hochmittelalters als Blütezeit des Mittealters gekommen ist und endgültig die ausgehende Ära des Spätmittelalters beginnt.

Jacobus schrieb:
2. War Deutschland um 1300 überbevölkert?

Nein, in dem Sinne natürlich nicht. Allerdings war nach den Pestwellen - logischerweise - ein signifikanter Rückgang der Bevölkerungszahl(en) zu verzeichnen... :fs:

Anm.: Dank gebührt an der Stelle nochmals Marbod, der dies im entsprechenden Thema dargelegt hatte.
 
Ja aber die wirtschaftlichen und technischen Bedingungen waren zu dieser Zeit doch noch gar nicht ausgereift, würdest du trotzdem von einer Überbevölkerung sprechen?
Ach und da fällt mir gleich noch ne Frage ein...warum haben die Geißler sich denn überhaupt gegeißelt? Muss ja irgendeinen Sinn gehabt haben!?
 
Zuletzt bearbeitet:
timotheus schrieb:
Ja, denn [die Pest] führte zur Entvölkerung gerade und vor allem im ländlichen Raum - unabhängig davon, daß die Städte ebenso betroffen waren; nur gab es bereits zuvor bereits eine deutliche Migration vom Land zur Stadt, so daß die ländlichen Gebiete nun noch zusätzlich in ihrer Bevölkerungszahl beeinträchtigt wurden.
Als Folge davon ist der ökonomische Niedergang des Landadels - und damit des Rittertums - daraus direkt abzuleiten, womit wirtschaftlich gesehen das Ende des Hochmittelalters als Blütezeit des Mittealters gekommen ist und endgültig die ausgehende Ära des Spätmittelalters beginnt.
Auf der anderen Seite ging das städtische Bürgertum gerade in Zeiten der Pest auf Reisen - die häufig einen halb-religiösen, halb-ökonomischen Charakter hatten - auch, um der Pest zu entgehen.

jacobus schrieb:
warum haben die Geißler sich denn überhaupt gegeißelt? Muss ja irgendeinen Sinn gehabt haben!?
Möglicherweise, um der strafenden Hand Gottes zuvorzukommen? Wenn man die Pest als Strafe Gottes ansieht, sind ein paar schmerzenden Selbstgeißelungen das weitaus geringere Übel.
 
Was die Geißeln, oder Flagellanten angeht, gibt es hier schon einen Thread:
http://www.geschichtsforum.de/showthread.php?t=319&highlight=Flagellanten
Ansonsten kann man das Thema noch durch Wikipedia etwas bereichern.
Zitat:

Flagellanten

Flagellanten (Holzschnitt aus dem 15. Jahrhundert)Die Flagellanten- oder Geißler-Bewegung (auch Bengler) war eine christliche Laienbewegung im 13. und 14. Jahrhundert.

Ihr Name geht auf das lateinische Wort flagellum (Geißel, Peitsche) zurück. Zu den religiösen Praktiken ihrer Anhänger gehörte die öffentliche Selbstgeißelung zur Buße. Die Geißelung war damals als religiöse Praktik keineswegs unüblich, auch viele vorchristliche Religionen, z.B. der ägyptische Isis-Kult und der griechische Dionysos-Kult pflegten ähnliche Riten. Auch während der römischen Lupercalia wurden Frauen gegeißelt, um die Fruchtbarkeit anzuregen. Die Juden praktizierten die Selbstgeißelung bei großen Tempelzeremonien.

Ob bei diesen Geißelungsriten neben religiösen Motiven auch sexuelle (Masochismus, Flagellantismus) eine Rolle spielten, muss der Spekulation überlassen bleiben.

Der Ursprung der Flagellantenbewegung geht auf Mittelitalien im 12. oder 13. Jahrhundert zurück. Als im Jahre 1347 die Pest über Europa einbrach, hatten die Flagellanten großen Zulauf, denn die Menschen verstanden ihr Schicksal als Gottesstrafe für ihr sündhaftes Leben.

Im Oktober 1349 verbot Papst Clemens VI. in einer Bulle die Geißlerbewegung. Das Konstanzer Konzil verbot 1417 die Bewegung erneut. Im 16. Jahrhundert entstanden in Frankreich jedoch neue Büßer- und Flagellantenbewegungen. Bis etwa 1820 fanden noch vereinzelte Flagellantenprozessionen statt.


Bericht über die Geißler aus Speyer aus dem Jahr 1349
Christoph Lehmann, Stadtchronist von Speyer, berichtet über die Geißler in seiner Stadt:

„Von der Geißler Sect, welche Anno 1349 angelangt. In berührtem Jahr ist eine neue Sect der Geißler entstanden, deren Anfänge man nicht erfahren. Die haben fürgeben und auch zum Augenschein fürgelegt einen Brieff, den ein Engel vom Himmel zu Jerusalem in St. Peters Kirchen geliefert haben soll, des Inhalts, daß Gott über der Welt Sünde und Bosheit hefftig erzürnt darum er die Welt habe wollen lassen untergehen. Auf der Jungfrau Marien und der heiligen Engel Fürbitt der-selben verschont, doch den Menschen diese Straf und Buß verkündigen lassen, daß ein jeder 34 Tag in der Frembde umbreysen, seinen Leib geißeln und hiemit Gott versöhnen soll. Hierauff haben sich etliche hundert Personen, Mann, Weib und Kinder, zusammen rottiert und seynd im Land umbgezogen... derselben Sect 200 Personen aus Schwaben zu Speyr im Brachmonat Anno 1349 ankommen, auffm Platz vorm Münster einen großen Ring gemacht, in ihrer Prozession alle mit bedecktem Haupt unter sich und traurig ausgesehen, Geißeln von dreyen Seylen, und vornen mit eysen Creutzlin in Handen getragen. In dem Kreyss haben sie ihre Kleyder abgelegt, den Leib mit einem Schurz gegürt und mit sonderm Gesang und Ceremonien sich über Rücken mit den Geißeln blutrünstig geschlagen. Seynd darnach uffs Angesicht plötzlich niedergefallen, haben mit weinenden Augen ihr Gebet verricht, männiglich zur Buße vermahnt, und da sie wieder auffgestanden, obberührten Brieff öffentlich verlesen und jedermann eingebildet, derselbe sey vom Himmel kommen. Zu Speyr haben sich auss der Stadt auff 200 Personen in den Orden begeben und seynd mit im Land umbgestrichen".
Der Anführer der Geißler traf allerdings eine strenge Auswahl: Nur wer mit Einverständnis seiner Frau kam und in die allgemeine Kasse für jeden Tag einzahlte, damit er nicht betteln musste, durfte mit ihnen ziehen.

Quelle: Fritz Klotz: "Speyer. Kleine Stadtgeschichte. Beiträge zur Speyrer Stadtgeschichte". Heft 2. Speyer: Historischer Verein der Pfalz, 1971

Die sogenannte "Datenschlag-Chronik des Sadomasochismus" beschreibt:
circa 1210
Entstehung der Flagellanten-Bewegung in Mittelitalien. Die Angehörigen dieser schwärmerisch-religiösen Laienbewegung peitschen oder geißeln sich zur Buße selbst bis aufs Blut. Der religiöse Flagellantismus breitet sich in ganz Mittel- und Westeuropa aus und erreicht während der Pestjahre 1348 und 1349 seinen Höhepunkt. Papst Clement VI. (1332-1352) erlässt eine Bulle gegen die Flagellanten. Das Konstanzer Konzil verbietet die Bewegung 1417. Im 16. Jahrhundert entstehen in Frankreich zahlreiche Büßer- und Flagellantengesellschaften. 1601 erlässt das Parlament von Paris einen Befehl gegen die Brüderschaft der Flagellanten in Bourges und geht bald darauf gegen alle Flagellanten-Verbindungen vor, unter anderem mit der Begründung, sie seien unzüchtig. Vereinzelte Flagellanten-Prozessionen finden noch bis etwa 1820 statt.
Ob die Flagellanten-Bewegung eine sexuelle Dimension hatte, ist umstritten. "Der Fanatismus und der Aberglauben", heißt es bei Giovanni Frusta, "bildeten die erste Unterlage; die Sinnlichkeit kam später hinzu und vollendete das Werk."
(dtv Lexikon München 1999)
(Meyers Großes Taschenlexikon, Bd. 7, Mannheim 1995, S. 109 ff.)
(Coo99, S. 40 ff.)

Goya hat die Fagellanten auch gemalt; hierzu findet sich unter http://www.payer.de/religionskritik/karikaturen16.htm
folgender Text:
"Flagellanten (Geißler, Geißelbrüder, Flegler oder Bengler), eine Brüderschaft des 13. Jahrhunderts, die die von der Kirche gebotenen Gnadenmittel zurückweisend, sich durch die Geißelung des Körpers Vergebung der Sünden zu erlangen suchte. Zwar kannte das Altertum auch schon flagellantische Kulte, wie etwa die Luperkalien (s. d.), doch war dabei das gerade Gegenteil die Absicht, denn während das Altertum in der Flagellation den Schlag mit der Lebensrute (s. d.), einen Fruchtbarkeitskult, also die Auferstehung des Fleisches betrieb, suchten die Flagellanten des Mittelalters durch die Geißelung das Fleisch zu ertöten, obschon sich auch hier oft die ältere erprobte Wirkung einstellte. Die Geißelung als Bußdisziplin (s. d.) verdankte ihre Ausbildung dem Benediktinerpater Pier Damiani im 11. Jahrhunderte und ist eine Reaktion gegen die geschlechtliche Unzucht, die durch das Beispiel einzelner Fanatiker schließlich als epidemisches Übel um sich griff und breite Massen mit unwiderstehlicher Gewalt als wahre Algolagnie erfasste. Man zog bald in Prozessionen paarweise bis auf den Gürtel entblößt, mit verhülltem Haupte von Ort zu Ort und geißelte sich unter fürchterlichem Geschrei oder unter Bußgesängen den Rücken blutig. Die ersten großen Prozessionen der Flagellanten sollen von Perugia aus um 1260 ihren Anfang genommen haben, als ganz Italien mit vielen Lastern befleckt war. Durch die Pest, als vermeintliches göttliches Strafgericht, fand die Geißelwut im 14. Jahrhundert auch in Deutschland ihren Eingang und gab Veranlassung zu neuen großen Flagellantenzügen, die sich von Ungarn durch ganz Deutschland bis nach England erstreckten und off nur schwere Unsittlichkeitsexzesse hervorriefen, da durch die Entblößungen und die sadistischen Wirkungen der Misshandlung das Blut oft mehr in Wallung geriet, als sich abkühlte. Die Kirche schritt daher zu energischen Verboten, da die Flagellanten schließlich als schwärmerischer Unfug und eine Störung der bürgerlichen Ordnung empfunden wurden. Hatten sich doch schon einzelne Sekten der Flagellanten gebildet, die den Klerus für den Antichrist erklärten und die Bluttaufe der Geißel an die Stelle aller kirchlichen Sakramente setzten. Als die Inquisition gegen die Flagellanten mit Scheiterhaufen einsetzte, zogen es diese vor, sich im 14. und 15. Jahrhundert in heimliche Geißlersekten, wie die »Fraticellen«, »Begharden«, »Begutten« usw., umzugestalten, bei denen die Geißelung allmählich die Form raffiniert sinnlicher Ausschweifungen und auch Beziehungen zum Satanismus angenommen haben soll. Mit dem Ende des 15. Jahrhunderts waren die Flagellanten wohl erloschen und die Ausübung ihrer Maximen vollzog sich wieder nur im Inneren der Klöster, um hin und wieder in einem Flagellationsskandal für die Öffentlichkeit aufzuflammen."
[Quelle: Bilderlexikon der Erotik : Universallexikon der Sittengeschichte und Sexualwissenschaft / Institut für Sexualforschung. --
Wien, 1928-1932. -- CD- ROM-Ausgabe: Berlin : Directmedia, 1999. --

Also, gesamt scheint es, die Geißler haben die Pest mehr oder weniger ausgenutzt, um ihre nun in der Zeit nicht mehr wirklich nachvollziehbaren Absichten durchzusetzen. Einiges spricht anscheinend dafür, dass es sexuelle Ziele waren, für welche sie durch die Pest-Bedrohung solange Zulauf erhielten, bis die Inquistion/die jeweils staatliche Gewalt sich das nicht mehr ansehen wollte.
- Ohne Gewähr, man mag andere Schlüsse ziehen -
 
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Muss doch noch was fragen jetzt. Was bezeichnet man als "Geschichtlichen Bruch"? Eine jähe/plötzliche Veränderung der Lebensumstände durch ein Ereignis? Dann war die Pest das sicherlich, sie hat ja dramatisch in die Lebensumstände der einzelnen Menschen eingegriffen. Plötzlich waren die Menschen gewzungen, ihre lieben Angehörigen zu Hauf sterben zu sehen; Karren sammelten die aus den Häusern entfernten Leichen auf. Das wird nicht weniger ein Umbruch im täglichen Leben gewesen sein, als es das heute wäre.
 
Insolvenzi schrieb:
Muss doch noch was fragen jetzt. Was bezeichnet man als "Geschichtlichen Bruch"? Eine jähe/plötzliche Veränderung der Lebensumstände durch ein Ereignis?

Das muss ich jetzt auch mal fragen.
Was ist ein geschichtlicher Bruch?

Nach meinem Verständniss ist Geschichte passiert.
Bedeutet es, das eine Katastrophe, die die Welt völlig veränderte, nie hätte passieren dürfen?
Dann könnte ich allerdings eine ganze Menge Brüche aufzählen.
Nein könnte ich nicht. Wenn alles nicht so passiert wäre, wie es war, könnte ich jetzt wahrscheinlich hier nicht sitzen.
 
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Was wäre wenn ....

Die Frage nach einem "geschichtlichen Bruch" halte ich für überaus interessant. Zu diesem Thema solltet ihr mal das Buch "Was wäre gewesen Wenn?" - Wendepunkte der Weltgeschichte - lesen. Ist von Robert Cowley und bei Knaur erschienen.
Dort wird sehr gut geschildert, wie "knapp" wir in der Geschichte an dem einen oder anderen Wendepunkt vorbei geschlittert sind. Z.B. - mit Bezug auf das Mittelalter -welcher Wandel sich in der europäischen Relegion vollzogen hätte, wären die Schlachten von Adrianopol (378 n.ch.) und bei Poitiers (ich glaube um 733 n.Ch.) anders verlaufen als wie sie es sind.
 
Lieber Gast, ich habe das Buch auch gelesen. Aber die dort thematisierten fiktiven "Wendepunkte" haben nichts mit dem hier thematisierten Thema der Pest zu tun!

In dem Buch werden Fiktionen aufgezeigt, die sich vielleicht zum Teil für „geschichtliche Brüche“ eignen. Obwohl die Vielzahl der Autoren auf bestimmte Sachen hinweisen:
a) Das wenn man, im afaktischen Raum diskutiert vom minimalsten Standpunkt ausgehen sollte (was geschichtliche Brüche verhindert) und
b) das einige Ereignisse doch zur "normalen" Geschichte geführt hätten, doch zu unterschiedlichen Zeitpunkten.

Nun möchte ich auch noch kurz meinen Standpunkt zum Thema: „geschichtliche Brüche“ kundtun. :)

In der Geschichtswissenschaft ist, so weit mir bekannt nur noch selten davon die Rede. Eigentlich hat sich doch der Grundkonsens eingebürgert das Geschichte kontinuierlich ist, da immer "Altlasten“ von der vorhergehenden Zeit mittransportiert werden. Diesen Makrohistorischen Fokus teile ich größtenteils.
Begibt man sich nun auf eine kleinere Ebene, so könnte man die jetzigen anerkannten Epochengrenzen als „geschichtliche Brüche“ fassen. Sicherlich sind dort die historischen Ereignisse so umwälzend, dass man dort "Grenzen" ziehen kann. Ob man von „Bruch“ sprechen kann, sei jedem selbst überlassen.
Die Bedingungen dafür scheinen aber klar zu sein, wenn man exemplarisch die Geschehnisse im 15./16. Jh. nimmt die den Wandel vom Mittelalter zur Neuzeit einleiteten. Nun muss man sich noch einmal fragen ob die FIKTIVEN Ereignisse in dem oben erwähnten Buch ausreichen würden um "geschichtliche Brüche" (in der hier erwähnten Anschauung) auszulösen. Ich persönlich bezweifle dieses.
Um nun auf das eigentliche Thema zurückzukommen. Ich bezweifle auch, dass die Pest einen Bruch ausgelöst hat, außer man fast diese Begriffsgruppe so eng, dass man fast jedes größere Ereignis in der Geschichte als "Bruch" bezeichnen kann. Vor diesem relativ inflationären Verwendungsalgorithmus würde ich aber warnen.
 
Hallo Gast

Zu deiner dritten Frage: Bocaccio hat kurz nach der Pest in Florenz ein Buch namens "Decamerone" geschrieben. Die Rahmengeschichte besteht darin, dass sich einige Frauen aus Florenz aus Furcht vor der Pest aufs Land zurückziehen. Dort erzählen sie sich jeden Tag Geschichten. Diese sind dann in diesem Buch aufgeführt.
Wenn ich mich nicht täusche, sind es 100. Geschichten. (10 Frauen erzählen sich während 10. Tagen täglich je eine Geschichte)
Gruss
Mike
 
Hm, wenn man googlet, dann kommt dem, was man bei Geschichtlicher Bruch findet, eigentlich zuallererst diese Seite und diese dann auch der Frage am nächsten, was dieser eigentlich ist. :)
Ich würde den Geschichtlichen Bruch eher so interpretieren, als dass es eine Lücke in der Aufzeichnung gibt, so dass aus heutiger Sicht in einer Epoche durch irgendwelche Umstände keine Informationen mehr vorhanden sind. Allerdings würde hier das Wort "Überlieferungsbruch" besser passen. Das hiesse dann, bei Beibehaltung dieser Interpretation, auf die Eingangs gestellte Frage bezogen, ob es sich bei der Pest um Ereignis handelte, welches einen Überlieferungsbruch ausgelöst hat. Hier würde ich dann eher verneinen, da ja durchaus sehr viele Überlieferungen auch aus dieser eher düsteren Zeit erhalten geblieben sind.

Ach so, zur Bevölkerungsstatistik habe ich hier noch einen Link gefunden:

http://www.univie.ac.at/igl.geschichte/vocelka/SS2002/vo_ss2002_1504.htm
 
Zuletzt bearbeitet:
Also für mich ist ein Bruch immer etwas unverhofft/plötzlich auftretendes, wovor man sich ggf. nicht schützen kann. Und die Pest stellt für mich so etwas dar (zumindest in der Anfangsphase). Die Geschichte verlief ab diesem Zeitpunkt nicht mehr "normal" sondern wurde, als Ergebnis der Pest, in neue Bahnen "gezwungen". Damit meine ich die Konsequenzen die sich daraus ergeben haben (Verlust der kirchlichen Vormachtstellung, Stärkung des entstehenden Bürgertums/Gilden, etc. bla-bla). Natürlich "hätte" und "könnte" .... aber sie ist halt ab diesem Zeitpunkt nicht mehr ...
Die Konsequenzen die sich für Europa aus der Pest ergeben haben sind auch oder gerade aus der Sicht des kleinsten gemeinsamen Nenners gewaltig gewesen. Ich glaube schon das man in diesem Fall von einem "Bruch" sprechen kann.
 
Gast schrieb:
Die Geschichte verlief ab diesem Zeitpunkt nicht mehr "normal" sondern wurde, als Ergebnis der Pest, in neue Bahnen "gezwungen".

Das ist immer noch keine Beantwortung meiner Frage von weiter oben.
Wie soll denn Geschichte normal verlaufen?
Das, was gerade passiert, oder passiert ist, war doch noch keine Geschichte.
Mein Leben wurde nach dem Tot meiner Mutter auch in neue Bahnen gezwungen.
Wahrscheinlich bin ich zu dumm, um das zu begreifen, was du meinst.
 
Insolvenzi schrieb:
Muss doch noch was fragen jetzt. Was bezeichnet man als "Geschichtlichen Bruch"?

Spontandefinition: ein bestimmtes ereignis (ansammlung von ereignissen), ohne welche alles nachfolgende nicht mehr zu verstehen oder zu erklären ist.

(Beispiel: wäre China nicht -221 vereinigt wurden, wären die folgenden 2000 Jahre der chinesischen Geschichte völlig anders verlaufen)

Ob das auf die Pestwelle 1348 ff. zutrifft, oder ob dadurch der Aufsteig Europas nicht lediglich nur etwas verlangsamt wurde (bzw. im Falle von Byzanz der Abstieg beschleunigt) ... da bin mir nicht sicher.

Das Auftreten von etwas Neuem ist in der Geschichte wohl mit am schwierigsten zu erklären ...
 
Saint-Just schrieb:
Spontandefinition: ein bestimmtes ereignis (ansammlung von ereignissen), ohne welche alles nachfolgende nicht mehr zu verstehen oder zu erklären ist.

Ich glaube der Herr mit dem "Was wäre wenn?"-Buch hat euch auf eine falsche Fährte gebracht...

Ein Bruch ist ein Riss. Etwas ("Geschichte") muss abgerissen sein.
Was ihr erklärt, das sind eher Wendepunkte und Schlüsselereignisse ...

Der Unterschied?

1. Jeder Bruch ist ein Schlüsselereigniss, aber nicht jedes Schlüsselereignis ist ein Bruch. Die Geburt bzw. der Tod Jesu ist ein Schlüsselereignis der Weltgeschichte, aber der tatsächliche sozial-historische "Bruch" kam erst viel, viel später.

2. "Schlüsselereignisse" unterliegen einer rückwärtigen Interpretationen. Man kann sie erst im Nachhinein bewerten, Brüche sind sofort wirksam. Das Leben ist anders, als zuvor.
 
Kurz zur Info: Der "Herr" mit dem "Was wäre wenn" ist Marc Aurel. Ich weiß nicht warum (vieleicht weil ich zur Zeit an einem anderen Rechner sitze) ich plötzlich nur noch als "Gast" auftauche??!!! Sollte keine Kritik sein, nur eine kurze Vorstellung.
Ich will mich nicht auf das Buch festnageln (lassen). Dieses war nur ein Beispiel was man (vieleicht) unter einen "Bruch" in der Geschichte verstehen könne. Wahrscheinlich war das der falsche Ansatzpunkt.
Ich betrachte die Sache aus dem Blickwinkel von Ursache und Wirkung. Und eine Ursache muß nicht unbedingt SOFORT eine Wirkung haben. Aber bleiben wir doch mal bei der Geburt Jesus oder bei der Pest. Wenn beide Schlüsselereignisse nicht stattgefunden hätten, wie wäre die Geschichte dann verlaufen? Sicher wäre ohne die Pest die "Neuzeit" auch angebrochen aber wann? So hat die Pest die Ereignisse nicht nur beschleunigt, sondern aus der "Kurve", die die Geschichte genommen hätte, um zum jetzigen Ergebnis zu gelangen, einen "Bruch" gemacht. Daher glaube ich das die Aussage (1.) und (2.) von POPE so nicht ganz zutreffend ist. Vielmehr gehören beide Punkte zusammen. Ob das Schlüsselereignis früher oder später eine Änderung erzielt ist unwichtig, die Welt ist dann auf jeden Fall eine andere als vorher und ohne das Ereignis.
Insofern kann man sagen, dass jedes Ereignis in der Geschichte einen "Bruch" darstellt??!!
Schwierige Frage!
Auf jeden Fall war der "Bruch" den die Pest hervorgerufen hat deutlich sichtbar. Danach lebten die Menschen anders, hatten andere Vorstellungen (z.B. von der eigenen Geborgenheit in der Familie und dem alltäglichen Leben) und nicht zuletzt ihr Glaubensbild zur Medizin und zur Kirche hatte sich verändert.
 
Auch der tot eines Menschen ist ein Bruch in der Geschichte. nur nicht der ganzen, sondern der persönlichen, kleinen. Wäre mein Vater nicht so früh gestorben hätte ich zum Beispiel einen ganz anderen Beruf gewählt. Wäre vieleicht Wissenschaftler geworden, hätte was Großes entdeckt (vieleicht den Warpantrieb) und hätte so die Geschichte der Menschheit verändert. Da meine persönliche Lebensgeschichte aber an diesem Punkt einen plötzlichen und häftigen Bruch erlitt, muß die Menschheit auf diese Entdeckung noch eine Ewigkeit warten und die Geschichte verläuft bis dahin in ihren gewohnten und vor allem absehbaren Bahnen. Bis der nächste Bruch erfolgt.
Ich glaube nichts ist so sehr mit dem Makel des "Was wäre wenn ..." und "Hätte ..." behaftet, wie die Geschichte.
Hätten die Griechen nicht Toja vermöbelt - wären deren Nachfahren nicht im alten Italien an Land gegangen und hätten ihrerseits die Etrusker verkloppt und "eingegliedert" - wäre nicht das Römische Reich entstanden, welches sich dann wieder bei den Griechen(für Troja) revangiert konnte.
Troja wäre ohne 10 Jahre Krieg vieleicht irgendwann mal zusammengefallen und keinen hätte es imnteressiert. So aber nahm die europäische Geschichte durch die Griechen, Trojaner und Römer eine ganz andere Entwicklung. und alles wegen einer Frau.
Na wenn das kein "Einschnitt" oder "Bruch" ist?
 
Gast schrieb:
Auch der tot eines Menschen ist ein Bruch in der Geschichte. nur nicht der ganzen, sondern der persönlichen, kleinen.

Okay, dann sind wir jetzt bei der Dimension angekommen ... für die persönliche Geschichte ist der Tod eines Verwandten natürlich ein Bruch und zugleich ein Schlüsselereignis. Aber wir zielen bei dieser Diskussion ja eher auf gesellschaftliche, also soziologische Effekte. Hat die Pest in Deutschland die gesellschaftlichen Verhältnisse derart gestört, dass man von einem Bruch sprechen kann? Sicherlich.

Die krassesten Brüche oder Umbrüche definieren wir als Epochengrenzen. Sie beinhalten soziologische, politische, religiöse, wirtschaftliche, usw. Aspekte. Dazu nehmen wir einzelne Schlüsselereignisse, und setzen sie als Grenzsteine. Man kann die Neuzeit mit dem Buchdruck beginnen lassen, oder mit dem Fall Konstantinopels, oder mit der erfolgten Reconquista, oder mit Martin Luther, oder mit Kopernikus, oder mit wasweisichwas. Es ändert nichts an der Tatsache, dass zwischen 1450 und 1550 die europäische Gesellschaft einen einschneidenden Wandel erfuhr. Man könnte einen dieser Grenzsteine herausnehmen oder verstzen, es würde an der Tatsache der epochalen Grenzziehung nur wenig ändern ...
 
off topic pestum

Da siehste wieder mal, was die Philosophie so braucht: Hausverstand + Altlasten. ;)

Kann jemand mein Allgemeinwissen anreichern und mir verraten, wer sich denn erdreistet hat (nachträglich) und die Epochenwende Mittelater-Neuzeit endgültig festgelegt hat?
 
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