Mit dem Hinweis von Silesia auf die Biographie von Mark Fraschka (ist sehr lesenswert!) zu Franz Pfeffer von Salomon (Osaf = Oberster-SA-Führer) und der informativen Darstellung von steffen04 zu Werner Best sind zwei weitere interessante und grundverschiede, ja teilweise konträre Muster der Radikalisierung im Bereich der extremen Rechten angesprochen.
Sie stehen idealtypisch für zwei Generationen von NS-Funktionären, die zum einen die „Kampfzeit“ geprägt haben und die zum anderen als „NS-Manager“ die ideologische und organisationelle Entwicklung des NS-Systems auch in Richtung auf den Genozid vorangetrieben haben.
An diesen zwei Personen wird auch deutlich, wie stark sich die Anforderungen an Teilgruppen in der NS-Bewegung von den zwanziger Jahren, über die dreißiger hin zu den vierziger Jahren verschoben haben und der „extreme und militante NS-Kämpfer-Typ“ durch den „extremen und militanten NS-Verwalter, NS-Technokraten oder NS-Genozidspezialisten“ abgelöst wurde.
Dabei steht Pfeffer für den Kämpfer und Best steht für den distanzierten Schreibtischtäter des Genozids. Das verbindende Glied ist ihre extreme nationalistische, sehr elitäre Haltung, der ausgeprägte völkisch aufgeladene anti-Semitismus. Der Unterschied lag in der Fähigkeit, konstruktiv sich in eine politische Struktur zu integrieren und diese zu entwickeln.
Aufgrund seiner Sozialisation, so Fraschka, ist Pfeffer nie über die nach 1918 durch seine politische Sozialisation verstärkte anti-Haltung gegenüber politischen Strukturen, hinausgewachsen. Und diese individuelle Stagnation ist dann die Erklärung für sein Scheitern in der NS-Bewegung, obwohl er um 1930 zu den drei wichtigsten NS-Funktionären zählte.
Bei Wildt wird explizit auch auf das Generationslagerungs-Konzept von Mannheim verwiesen als – ein !- strukturierendes Merkmal der politischen Sozialisation, auf das ich bereits ja auch ausführlich hingewiesen hatte (vgl. Wildt, Einleitung, explizit FN 37 und 38) Insofern ist es weiterhin der zentrale Bezugsrahmen, in dem die politische Sozialisation von Pfeffer und Best beschrieben wird.
Den Lebenslauf von Pfeffer beschreibt Fraschka als „idealtypischen“ aristokratischen Werdegang. Auffallend war „sein ausgeprägter Hang zur militärischen Symbolik, [und ] finden ohne Zweifel hier, schon in frühester Jugend ihren Ursprung.“ fnden (Fraschka, Pos. 520). Als Student trat er der Verbindung „Corps Vandalia“ in Heidelberg bei, in der bereits eine deutliche Gegnerschaft zur Sozialdemokratie zum guten Stil gehörten. (ebd. Pos. 536). Allerding spielte der Antisemitismus in dieser Verbindung keine explizite Rolle und das Corps weigerte sich noch 1934 den „Arierparagraphen“ einzuführen, was zur zwangsweisen Auflösung führte!
Seine politische Sozialisation wurde im Anschluß dann wesentlich durch die Ausbildung zum kaiserlichen Offizier geprägt, die seine familiär geprägten aristokratischen Werte noch zusätzlich verstärkte. Wichtig ist in diesem Kontext - aus der Sicht von Fratscher - für das Weltbild, dass das preußische Offizierskorps sich durch eine demonstrative „Bildungsfeindlichkeit“ auszeichnete und die unmittelbare militärische Handlung, auch einen gewissen sinnfreien militärischen Aktionismus, präferierte. (ebd. Pos. 679). Elemente, die sich später in seinem Verhalten als Freikorpsführer widerspiegeln sollten.
Die Radikalisierung des Weltbildes in der Zeit bis 1918 bezog sich primär auf drei Objekte:
- Zum einen auf das bereits vorhandene Feindbild der Sozialdemokratie und „Die SPD war Feindbild und in ihrer Ganzheit der innere Feind des Vaterlandes.“ (ebd. Pos. 757) Das zweite Feindbild resultierte aus dem zunehmenden Antisemitismus im kaiserlichen Heer.
- Anders als in der gesamten wilhelminischen Gesellschaft, in der der radikale Antisemitismus keine dominante Rolle gespielt hatte bis 1918, war er im deutschen Heer relativ ausgeprägt und führte aufgrund der deutlichen Vorbehalte gegen Deutsche mit einem jüdischen Glauben zu einer massiven Ausgrenzung aus dem Bereich der Offizierslaufbahn.
Und Fratscher resümiert für Pfeffer: „Sicher ist..., im latent antisemitischen Umfeld des Heeres wurde die Basis für den später bei Pfeffer virulent werdenden Antisemitismus.“ gelegt (ebd. Pos. 804)
- Die Aufnahme in das Offizierskorps verstärkte das elitäre Weltbild von Pfeffer. Besonders das IR 13, in das Pfeffer eintrat, verhielt sich gegenüber einer „Verbürgerlichung“ besonders kritisch. „Das elitäre Bewußtsein im Heer wurde so zu einer maßgeblichen Konstante Pfeffers Selbstverständnisses.“ (ebd. Pos. 836).
Das Erlebnis des WW1 ist dann auch für Pfeffer als Schlüsselereignis der Radikalisierung zu betrachten. Und neben den obigen Aspekten spitzten sich eine Reihe weiterer Punkte zu, die für die Ausrichtung seiner Radikalisierung relevant waren.
- Zum einen das „egalitäre Verhalten“ im Schützengraben, das ein autoritäres und gleichzeitig paternalistisches Verhältnis zwischen den Offizieren und den Mannschaften begründete und auch ein Resultat waren, einer zunehmenden Legitimitätskrise des Offizierskorps nach 1916. (ebd. Pos. 936) „Hier entstand der Typus des sozialen Offiziers, der …seine Männer oft über das Kriegsende hinaus fast patriachalisch an sich band.“ (ebd., Pos. 986) Dieses Element war zentral für die Fähigkeit im Rahmen der Freikorps Soldaten zu mobilisieren, die dann teilweise in den Gruppierungen der extremen Rechten übernommen wurden, wie beispielsweise in der SA. (vgl. dazu beispielswese Sprenger)
- Die Regimentschronik berichtete früh in 1914/1915 über die positiven Führungseigenschaften von Pfeffer, aber auch von seiner „entzügelten Gewaltbereitschaft“. Ein Verhalten, bei dem er mit Waffengewalt seine Ziele um jeden Preis durchsetzen wollte.
- Die zunehmende Kriegsmüdigkeit und die nach 1917 abnehmende Wahrscheinlichkeit eines Siegfriedens verstärkte die Suche nach Schuldigen, die dann schnell im Umfeld der Sozialdemokratie und der jüdischen Bevölkerung gefunden wurden. (ebd. Pos. 954)
- In der Phase der Rückführung des Feldheeres hatte die Regierung in Berlin nicht das uneingeschränkte Gewaltmonopol. Durch die Umstände bestärkt, nutzen Ende 1918 Offiziere die auf ihren Gewehren beruhende Legitimation, um Entscheidungen auch in der Heimat durchzusetzen. In dieser Phase zeigte sich auch bei Pfeffer „der Unwille zur Subordination sowie die impulsive, radikale, eigenwillige Vorgehensweise, die später seine Freikorpstätigkeit prägen sollten. „ (ebd. Pos. 1048)
Die persönlichen Schicksalsschläge, die die Familie dann im Jahr 1918 trafen, verstärkten die Verbitterung gegenüber dem neuen Staat und führten - wie bei anderen Offizieren auch - zu einer kollektiven „geistig-moralischen Entwurzelung vieler Offiziere. Kampf, Krieg und Gewalt wurden zur Normalität.“ (ebd. Pos. 986)
Insgesamt führte der verlorene Krieg, die „Dolchstoßlegende“, das Ende der Monarchie und die Entstehung einer demokratischen Republik dazu, dass viele der ehemaligen preußischen Offiziere, limitierende Autoritäten kaum noch anerkannten.“ (ebd. Pos. 1048)
Vor diesem Hintergrund ist sein Wirken als Führer eines Freikorps im Baltikum, in Schlesien und an der Ruhr zu bewerten. Und so resümiert Fraschka zu Pfeffer bis 1913: „Bis zu diesem Zeitpunkt kann der Befund, Pfeffer als nahezu idealtypischen Freikorpskämpfer einzuordnen, kaum ein Zweifel bestehen.“ (ebd. Pos. 7684).
Und in diesem Kontext war sein Ziel die Zerstörung der Republik durch eine aktive Konterrevolution. Kompromisse oder Grenzen kannte er im Rahmen der Kämpfe der Freikorps nicht und lehnte diese wie nahezu alle Freikorpsführer auch ab. Unabhängig von einer taktisch inspirierten Kooperation mit Stellen der Reichswehr, die sich aber auch durchaus konfliktreich gestaltete.
Und während der Phase seiner Freikorpstätigkeit verstärkte sich weiterhin sein antisozilistisches und antisemitisches Weltbild. „Hinzu kam die Negation jedes realpolitischen Ansatzes“, das so kennzeichnend war für die Sichtweise des entwurzelten Offizierkorps. (ebd. Pos. 7698)
In diesem Kontext der nahezu abgeschlossenen nationalistischen und völkischen Radikalisierung lernte er Hitler kennen und schloss sich der NS-Bewegung an.
Das Verhältnis von Pfeffer und seinem Wirken als radikaler Freikorps-Kämpfer zu Hitler kann man an einer bemerkenswerten und erstaunlichen Äußerung von Hitler aus dem Jahr 1944 verdeutlichen. "Der Pfeffer hat ohne Zweifel ein Freikorps zusammengebracht und hat es zur Erpressung gegen die eigene Regierung verwendet. Das hätte ich dem Pfeffer schon ausgetrieben. Ich hätte ihn dann hinterher aufgehängt." (Sprenger, S. 57, zitiert nach Heiber, Quellen, S.900)
Die Bedeutung der Freikorps für die Radikalisierung der extremen Rechten und auch für den Aufsteig der NS-Bewegung ist noch zu präzisieren, da auch in diesem Kontext sehr unterschiedliche Biographien zu erkennen sind, die Fratscher zu vier idealtypischen Muster verdichtet.
Vor dem Hintergrund der Radikalisierung von Pfeffer sollte die völlig andere From der politischen Radikalisierung von Werner Best noch vertieft werden, die steffen04 bereits in seinen grundlegenden Punkten skizziert hatte
Best, Jahrgang 1903, gehörte zu der im Dritten Reich, vor allem im RSHA, einflussreichen Kriegsjugendgeneration, die sich, vielleicht auch aus einer gefühlten Bringschuld heraus, zwischen den Kriegen radikalisierte. Die Kriegsjugendgeneration war zu jung für den Weltkrieg und kannte auch die lange Friedenszeit vorher nicht. Ihr Weltbild war geprägt von den Wirrungen der Weimarer Republik und einem glorifiziertem Außenseiterblick auf den Krieg. ....
Und in der Tat grenzt sich die Generation von Best, ähnlich wie Himmler oder Heydrich, deutlich von der Generationslagerung eines Pfeffers oder eines Röhms ab, was Wildt folgendermaßen ebenfalls thematisiert.
„Die Kriegsjugendgeneration, der in eigener Perspektive die Bewährung an der Front versagt geblieben war, bildetet das Reservoir, aus der das Führungskorps des RSHA zu mehr als drei Viertel stammte.“ (Wildt, Pos. 375)
Da Best eine „interessante“ Biographie aufwies und Herbert eine wirklich lesenswertes Buch zu ihm geschrieben hat, soll die Person „Werner Best“ in ihrer radikalen völkischen Sichtweise näher beleuchtet werden. Nicht zuletzt deswegen, weil sie in ihrer spezifischen SS- Radikalität noch weiter geht als Hitlers Sicht und die Gründe des Scheiterns des 3. Reichs in der mangelnden Radikalität der völkischen Ideologie und ihrer praktischen Anwendung sieht. (Herbert, S. 410ff)
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die nächste Generation innerhalb der NS-Bewegung und besonders in der SS die völkische Ideologie noch konsequenter angewendet wissen wollte und dass es nach dem Ableben von Hitler durchaus noch zu einer Radikalisierung der völkischen NS-Ideologie in Richtung auf einen noch radikaleren Völkermord hinaus gelaufen wäre.
Fraschka, Mark A. (2016): Franz Pfeffer von Salomon. Hitlers vergessener Oberster SA-Führer. Göttingen: Wallstein Verlag.
Herbert, Ulrich (2016): Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903-1989. Neuauflage. München: C.H. Beck.
Sprenger, Matthias (2008): Landsknechte auf dem Weg ins Dritte Reich? Zu Genese und Wandel des Freikorpsmythos. Paderborn, München, Wien, Zürich: Schöningh.
Wildt, Michael (2003): Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichsicherheitshauptamtes. Hamburg: Hamburger Ed.