Kann mir jemand erklären warum das so ist??
Die Schreibung von germ. /
þ/ wird, sofern sie den germanischen dentalen stimmlosen Frikativ /
þ/ (< idg. /
t/) voraussetzt, mit der
þ-Rune als entsprechendes Graphem umgesetzt. Die Schreibung des stimmhaften velaren germanischen Nasals /
ŋ/ (= „ng“) wird im älteren Fuþark sowie im anglo-sächsischen Fuþark durch die
ŋ-Rune in ihren jeweiligen Formen realisiert, die wikingerzeitliche Runentradition verwendet für diese Konsonantenverbindung die
k-Rune.
Vgl.
P. Ramat: Einführung in das Germanische, Tübingen 1981, S. 32; K. Fjellhammer Seim: Runenreihen, In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, 2. Aufl., Bd. 25, S. 570.
Die Schreibung des (zumeist) auslautenden (-)
R erklärt sich durch die germano-norröne Lautgeschichte. Die hiervon betroffenen Wortstämme im Altnordischen sind oftmals spezifisch nordische Weiterführungen der germanischen Nominalstämme (insb.
o-,
i- und
u-Stämme, vgl. insb. den Nominativ Singular starker maskuliner altisländischer Substantive und Adjektive; betroffen sind die urnordischen Endungen –
aR, -
iR, -
uR, -
ēR, -
ōR), die wiederum auf das morphologische Nominalsystem des Indogermanischen zurückgehen, vgl. z. B. lat.
aes, ‚Erz, Bronze’ und got.
aiz, aber an.
eir. Allerdings betrifft dies nicht ausschließlich die Wortenden. Die Veränderung des auslautenden Konsonanten vom stimmlosen alveolaren Frikativ / Sibilanten (/
s/) über den stimmhaften alveolaren Frikativ / Sibilanten (/
z/) zum stimmhaften alveolaren Vibranten (/
R/) ist der sog. Rhotazismus.
Dies bedeutet, dass das aus dem Urgermanischen ererbte stimmhafte /
z/ vermutlich im 6. Jh. n. Chr. die phonologische Qualität eines palatalen
r-Lautes annimmt, was es wiederum vom ererbten germanischen /
r/ unterscheidet, vgl. z. B. im Nom. Sg. germ. *
wulfaz (‚Wolf’), got.
wulfs, urnord. *
wulfaR, an.
úlfr. Diese konsonantische Alternanz wird in der Forschung als Reflex des „Vernerschen Gesetzes“ interpretiert. Daher wird dieser Laut in den runologischen Transliterationen eigens als <
R> wiedergegeben, zumal dieser Sachverhalt Einfluss auf die jeweilige graphematische Gestalt einer Inschrift hat.
Im älteren Fuþark wird bekanntlich in dieser Position noch mit der
z-Rune verfahren, jüngere Inschriften enthalten i. d. R. die
R-Rune anstatt der
r-Rune, die das „ursprüngliche“, ererbte alveolare /
r/ in der runischen Graphie repräsentiert. Im weiteren Verlauf der nordischen Sprachgeschichte wird diese Allophonie beseitigt, beide
r-Laute fallen zusammen.
Die phonologisch exakte Wiedergabe dieses Konsonantismus ist von entscheidender Bedeutung, da hiervon u. a. Fragen der lautlichen Datierung einer Inschrift abhängen. Weiterhin ist diese Exaktheit für etymologische Fragen des Altnordischen notwendig, da die vormalige Präsenz des urnordischen /
R/ spezifische altwestnordische Umlautphänomene (
R-Umlaut) erklärt, vgl. etwa an.
kýr (‚Kuh’) < urn.
kūR oder auch die Geminaten /
dd/ und /
nn/ in spezifischen Positionen des altnordischen Vokabulars, da sich ererbtes /
R/ (< /
z/) in unmittelbarer Verbindung mit /
ð/ zu /
dd/ bzw. mit /
n/ zu /
nn/ entwickelt; vgl. got.
razda ~ an.
rödd (‚Stimme'), got.
razn ~ an.
rann (‚Haus’).
Der eigentümliche Konsonantismus des
r-/
R-Lautes wird in der Eymologie des bekannten skandinavischen Anthroponyms „Erik“ deutlich, das im Altnordischen
Eiríkr lautete, was wiederum ein urnordisches *
AiwarīkijaR voraussetzt. Im Altnordischen wurden die Wortbildungsmorpheme bereits synkopiert, der alte
R-Laut ist phonologisch und graphematisch nicht mehr markiert und die ursprüngliche Bedeutung (vgl. urn.
*aiwa, 'ewig, lebenszeitlich' und *
rīkijaz, ‚der Mächte’, eigtl. [
ja-Ableitung?] ‚der zur Herrschaft Gehörige’; vgl. germ. *
herdijaz, ‚der zur Herde Gehörige’ [= 'Hirte']) ist, ähnlich wie in anderen ererbten Namen, verwischt.
vgl.
E. H. Antonsen: A Concise Grammar of the Older Runic Inscriptions: Tübingen 1975, S. 1f.; Ders.: Runes and Germanic Linguistics, Berlin / New York 2002, S. 73 – 91; A. Bammesberger: Die Morphologie des urgermanischen Nomens, Heidelberg 1990, S. 35ff.; K. Düwel: Runenkunde, 2. Aufl,. Stuttgart 1983, S. 15; W. Euler, K. Badenheuer: Sprache und Herkunft der Germanen. Abriss des Protogermanischen vor der Ersten Lautverschiebung, Hamburg / London 2009, S. 83ff.; O. Grønvik: Untersuchungen zur älteren nordischen und germanischen Sprachgeschichte, Frankfurt am Main u. a. 1998, S. 120; W. Krause: Runen, Berlin 1970, §§ 10, 47; Ders.: Die Sprache der urnordischen Runeninschriften, Heidelberg 1971, §§ 24, 72; È. A. Makaev: The Language of the Oldest Runic Inscriptions. A Linguistic and Historical-Philological Analysis, Stockholm 1996, § 6, S. 94; R. Nedoma: Kleine Grammatik des Altisländischen, 3. Aufl., Heidelberg 2010, § 11.1; H. F. Nielsen: The Early Runic Language of Scandinavia. Studies in Germanic Dialect Geography, Heidelberg 2000, S. 33f.; F. Ranke / D. Hofmann: Altnordische Elementarbuch, Berlin / New York 1988, §§ 17.7, 21; H. Reichert: Vor- und Frühgeschichte der germanischen Sprachen, Wien 2009, S. 124f.; D. Ringe: A Linguistic History of English, Vol. I, From Proto-Indo-European to Proto-Germanic, Oxford 2006, S. 41, 278f.; H. U. Schmidt: Einführung in die deutsche Sprachgeschichte, Stuttgart / Weimar 2009, S. 77f.; A. Zaluska-Strömberg: Grammatik des Altisländischen, Hamburg 1982, §§ 32, 52; G. T. Zoëga: A Concise Dictionary of Old Icelandic, Toronto 2004, S. 536ff.