Die Soziale Frage & ihre Lösungsansätze

ElComandante

Neues Mitglied
Suavelos ihr alle,

ich bin neu hier und das ist mein erster Beitrag, also sollte er im falschen Bereich sein, tut mir das sehr Leid.

Wir müssen als Übung einige Fragen zur Industrialisierung in Deutschland beantworten. Die Frage, die mir aktuell am meisten Kopfzerbrechen bereitet ist:

Stellen sie zwei Ansätze dar, mit denen versucht wurde, die "Soziale Frage" zu lösen.

Ich hätte gesagt, dass Karl Marx Theorien ein Ansatz darstellen, aber was für Versuche gab es noch, um die "Soziale Frage" zu lösen?

Und noch eine weitere Frage: Was wird unter der Rentiers-Mentalität verstanden, die im Alten Reich vor der Industrialisierung allgemein verbreitet war?

Slán und danke für Antworten
ElComandante
 
Es gab noch die kirchlichen Ansätze, etwa die Katholische Soziallehre, Kolpingwerk, Diakonie-Verband und paternalistische Ansätze der Unternehmer á la Krupp, nach dem Motto "Alles für den Arbeiter, nichts durch den Arbeiter". Und natürlich vor Marx noch die Frühsozialisten, utopischen Sozialisten etc.
 
Stellen sie zwei Ansätze dar, mit denen versucht wurde, die "Soziale Frage" zu lösen.

Es gab im wesentlichen zwei Lösungsansätze. Den durch die Arbeiterbewegung, also die SPD in Kombination mit den Gewerkschaften. Und es gab den Weg der staatlichen Fürsorg aus der Versorgung von Armen und Invaliden heraus, wie ihn beispielsweise Bismarck hat gehen wollen. Ergänzt durch die sozialpolitischen Vorstellungen der Kirchen, wie bei "ElQ" bereits auch angeklungen.

Wie hier bereits auch in einem anderen Kontext beschrieben:

Die Initialzündung und die Entwicklung des Wohlfahtsstaat ist eng verbunden mit der zunehmenden Bedeutung der Thematisierung der „sozialen Frage“, die ein Ergebnis ist, zwischen dem Widerspruch der ungebremsten Dynamik der industriellen Revolution in den kapitalistischen Ländern und der Formulierung eines ideologisch begründeten Wertesystems, in der Folge der Französichen Revolution und der Propagierung von sozialer Gerechtigkeit (vgl. G. Eley: Forging Democracy) .

Die konkrete Einbettung der Ausbildung des Wohlfahrtsstaats in Deutschland reflektiert zum einen diesen universellen Konflikt, ist dennoch durch eine Reihe von speziellen Aspekten gekennzeichnet, die den frühen Zeitpunkt der Initiierung wohlfahrtsstaatlicher Maßnahmen durch Bismarck erklärt (vgl. europäische Übersicht in Ambosius & Hubbard: Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Euopas im 20. Jahrhundert, S. 113). In besonderem Maße war die Ausgangssituation nach der Reichsgründung 1871 durch einen harten Gegensatz des autokratischen Regierungssystems und dem politisch nicht einbezogenen „Proletariat“ gekennzeichnet. Aus diesem Aspekt speiste sich die eine Quelle der Infragestellung des politischen Systems des Kaiserreichs nach 1871. Zum anderen war es die generelle Frage des „Nationbuilding“, dass einerseits die Integration des katholischen Milieus betraf und andererseist die staatsferne, in ihrer Bedeutung stetig anwachsende Klasse der Arbeiter (vgl. Wehler: Bismarck und der Imperialismus).

Am 9 Mai 1978 brach die Börse in Wien zusammen und löste den „großen Krach“ europaweit aus, der sich ebenfalls im DR massiv auswirkte. Der im Reich ausgelöste Gründerboom erschien zunehmend als „Gründerschwindel“ und bewirkte ein Platzen der Spekulationsblase(vgl. Winkler: Der lange Weg nach Westen, Bd. 1, S. 226). In Anlehnung an Rosenberg charakterisiert Winkler diese Phase zwischen 1873 und 1896, dem Ende der langen Depression, als eine Periode des allgemeinen Pessimismus und der sozialen Unzufriedenheit , die einherging mit einer „zunehmenden ideologischen Dynamik und Aggressivität. Die unmittelbare Folge war der Niedergang des „laisser faire, laisser aller“ und wirkte sich aus bis in den politischen Niedergang der Nationalliberalen und dem damit teilweise zusammenhängenden Aufkommen eines wirtschaftlich motivierten Antisemitismus. Ein Aspekt, den Bismarck für seine politischen Ziele zu nutzen wusste.

Die politisch relevante Phase für den Einstieg in den Wohlfahrtsstaat bildet die Phase der „Großen Depression“. Die Entwicklung beispielsweise bei Wehler beschrieben (Wehler, Bismarck und der Imperialismus, S. 67ff. und ebd: Deutsche Gesellschafts-Geschichte 1848 – 1914, S. 547ff). Diese Periode ist durch eine weitgehende Stagnation der Nominallöhne der Arbeiter gekennzeichnet mit einem leichten Aufwärtstrend nach 1880. Die Reallöhne folgten dieser Entwicklung nicht, aufgrund deutlich gestiegener Lebenshaltungsosten im Bereich der Grundnahrungsmittel (auch durch Agrarzölle) und der Mieten und führte zu einem Absinken des Lebensstandards(Wehler: DGG, Bd. 3, S. 908). Diese Entwicklung verschärfte die sozialen Bedingungen in Teilen der Arbeiterklasse und führte vor allem zu einer Zunahme der Doppelbelastung für Arbeiterfrauen. Gleichzeitig kam es zu einer systematischen Verschlechterung der Wohnbedingungen durch die Zunahme von Untervermietungen in den ohnehin begrenzten Wohnverhältnissen (Grebing: Arbeiterbewegung, S. 68/69).

Unter anderem in der Folge der Französischen Revolution, der gescheiterten Revolution von 1848 und der niedergeschlagenen Pariser Commune von 1871 organisierte sich die deutsche Arbeiterschaft. Mit dem Gothaer Programm von 1875 formulierte die SAD in der Tradition einer marxistischen Gesellschaftsanalyse ihre dennoch ausgesprochen revisionistischen Ziele: Ziele, die zudem unter den Vorbehalt gestellt wurden, „mit allen gesetzlichen Mitteln“ erlangt zu werden (vgl. dazu das Programm in Kuhn: Die deutsche Arbeiterbewegung, S. 296.). In der Folge erhält die Sozialdemokratie einen deutlichen Zulauf, wobei ihre Hochburgen bei der Mitglieder- und auch der Stimmenentwicklung in Gemeinden über 10.000 Einwohner und vor allem in den Großstädten, wie in Berlin (RTW 1912: 75%) oder Hamburg (RTW 1912: 62%) liegen (vgl. Grebing , S. 199).

Vor diesem Hintergrund erkannte Bismarck einen massiven Handlungsbedarf, der sich aus der real verschlechterten sozialen Situation der Arbeiter ergab und ihrer Formulierung einer „Gegenutopie“, die die herrschende Ordnung des Kaiserreichs in Frage stellte (Wehler: DGG, Bd. 3, S. 902ff). Seine Lösung basierte auf zwei Pfeiler. Zum einen auf der Repression der Sozialdemokratie, im Rahmen der „Sozialistengesetze“, und zum anderen auf der vom Staat initiierten und vor allem auch vom Staat finanzierten Wohlfahrtspflege.

Vor diesem Hintergrund initiierte er sein innenpolitisches Programm. Bismarck politisches Credo war „Man kann nicht ein Land von unten regieren“ , da diese Vorstellung gegen die „natürliche Ordnung“ verstoßen würde. Und befürchtet für den Konflikt, dass „die Hungrigen ….uns auffressen“ (ebd. S. 903). Bismarck führte dabei seinerseits einen durchaus als polemisch zu bezeichnenden Kampf gegen die „rote Gefahr“, indem er die Wirtschaftskrise von 1873 bis 1896 dem Wirken der Sozialdemokratie anlastete.

Den Anlass bildeten zwei Attentate auf den Kaiser, die der Sozialdemokratie, ohne handfeste Belege, zur Last gelegt wurden. Im Zuge seiner Kampagne marginalisierte er zunehmend die Nationalliberalen (vgl. oben Gründerkrach), die im bürgerlichen Lager ein Garant für die Vereidigung bürgerlicher Rechte gegen staatliche Interventionen waren. In diesem Umfeld wurde das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ im Oktober 1878 verabschiedet (vgl. Wehler ebd, S. 905, vgl. Grebing, Abdruck des „Sozialistengesetz“ S. 149. „Wie beim Kulturkampf erreichte die Regierung Bismarck ….das genau Gegenteil dessen, was sie intendiert hatte (ebd. S. 906). Und Wehler stellt resümierend fest: „Im Grenzfall hielt der Kanzler die Staatsmacht und das Militär dieser aufsässigen Opposition allemal gewachsen.“ (ebd. S. 907).

Neben die Repression der Sozialdemokratie wollte Bismarck einen „Staatssozialismus“ stellen, der auf die positive Integration der Arbeiterschaft, die „innere Reichsgründung“, in das DR abzielte. Er ging dabei von der Prämisse aus, dass die sozialistischen Theorien bereits so tief in der Arbeiterschaft verwurzelt waren, als dass sie nicht mehr ignoriert werden konnten. Bismarck orientierte sich dabei in seinem Modell an dem Vorbild von Napoleon III. Dieser hatte durch ein System von Zahlungen die Franzosen zu direkten Empfängern von Staatszahlungen gemacht und sich über diesen Weg die Zustimmung zu seiner Regierung „erkauft“. Bismarck wollte ein Modell im DR einführen, dass ebenfalls möglicgst direkte Zahlungen durch den Staat an die Empfänger“ vorsah und sie somit durch eine „kollektive Massenbestechung“ (H. Rosenberg) in das politische System zu integrieren.

Von Nipperdey wird die Mehrdimensionalität der Bismarckschen Politik in den Vordergrund gestellt. So sieht er folgende Aspekte: 1. Der Kampf gegen die Revolution und die Erhaltung des monarchisch-obrigkeitsstaatlichen Staates, 2. Der Marginalisierung des Liberalismus, und 3. Der Verfolgung einer klassischen Fürsorgepflicht des Monarchen gegenüber seinen Untertanen, die bereits in der preußischen Revolution von Oben angelegt ist (v. Stein, Hardenberg etc.) (Nipperdey, Deutsche Geschichte. Arbeitswelt und Bürgergeist, Bd. 1, S. 337ff).

Und Nipperdey kommt zu einem positiven Befund der Wirksamkeit der wohlfahtsstaatlichen Maßnahmen und hält fest, dass sich die Lage der Arebiter zwischen 1866 und 1913 „gewaltig verbessert“ hat (ebd. S. 372).

Und bei Wehler heißt es, obwohl er Bismarck kritisiert: „Trotzdem: Die Bismarcksche Sozialversicherung hat den Grundstein für eine ausbaufähige, immens differenzierbare und weltweit nachgeahmte Daseinsvorsorge gelegt…..Man wird sogar anerkennen müssen, dass Bismarcks politisches Kalkül ….aufgegangen ist. …die systemkritische Distanz der organisierten Arbeiterschaft aufzuweichen und ihre Staatsloyalität zu gewinnen.“ ( Wehler: DGG, Bd. 3, S. 915).

In diesem Sinne war der machiavellistische Bismarck in seiner „operativen Politik“ durchaus erfolgreich und auch in der „Nachhaltigkeit“ der Auswirkungen seiner Sozialpolitik.
 
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