Die Völkerwanderung als große Migration

... aber die Dreifelderwirtschaft ist doch kein Phänomen der Völkerwanderungszeit/des Frühmittelalters? Meines Erachtens kam das viel später.... Auf jeden Fall kann mit einem bedeutenden Bevölkerungswachstum erst ab dem 8. Jahrhundert und dann ganz massiv im 11./12. Jahrhundert gerechnet werden.

Auf diesen Tatbestand habe ich bereits mehrfach hingewiesen und in diesem Zusammenhang auch einige Quellen aus der Fachliteratur zitiert.

Nach dem Zusammenbruch des Römischen Reichs und dem Abzug römischer Truppen, Administrationen und Gutsbesitzer kam es in den römischen Provinzen zunächst zu einem zivilisatorischen und kulturellen Niedergang. Er war vielfach mit dem Verlust der Schriftlichkeit verbunden, das Münzwesen brach nahezu vollständig zusammen und man kehrte in weiten Teilen zur Naturalwirtschaft zurück. Der Umlauf von Geld hörte beinahe auf. Seitdem verfielen in den fast entvölkerten Städten die verlassenen Viertel und dienten den wenigen Einwohnern, die sich auf einen Winkel des früheren Stadtinnern beschränkten und dort hausten, als Steinbrüche. In Gallien erlosch das städtische Leben so völlig, dass die merowingischen Herrscher nicht mehr in den Städten residierten, denn der vollkommenen Mangel eines Handelsverkehehrs ermöglichte es ihnen nicht mehr, dort genügend Lebensmittel für den Unterhalt des Hofes zu finden. Sie verbrachten das Jahr auf den Domänen und zogen von einer zur anderen.

Der Aufschwung setzte in karolingischer Zeit ein, d.h. seit dem 8.Jh., war verbunden mit Neuerungen in der Landwirtschaft (Dreifelderwirtschaft, Kummet, neue Züchtungen von Rindern, Schweinen und Schafen, neue oder verbesserte Ernte- und Ackergeräte) und bewirkte einen demografischen Schub.
 
Repo hat gegoogelt.
Nach Dreifelderwirtschaft.
Und wurde fündig:

aus dem LinK:
Das Alter der Dreifelderwirtschaft ist umstritten. Früheste urkundliche Belege stellen ihre Existenz in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts sicher. Es gibt aber auch die Annahme, dass sie schon im 6.-7. Jahrhundert im alemannischen Raum entstanden sei. Dabei wird vermutet, dass es hier zu einer Verschmelzung des allemannischen Zelgen- und Zaunwesens mit der fränkischen Dreifelderfruchtfolge auf auf der Basis der spezifisch nördlichen Getreide, Roggen, sommergerste und Hafer gekommen wäre.
Zitatende
 
Repo hat gegoogelt.
Nach Dreifelderwirtschaft.
. Früheste urkundliche Belege stellen ihre Existenz in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts sicher.

Repo, es geht hier wirklich nicht um wettbewebrsfähige Erstnennungen! In großem Stil.

Durchgesetzt hat sich die Dreifelderwirtschaft seit karolingischer Zeit, d.h. seit dem 8. Jh. Aber das ist doch nur ein Teilaspekt. Wirklich wichtig ist die Tatsache, dass es zwischen dem 5. und 8. Jh. zu einem Niedergang der Kultur und Zivilisation in den ehemals römischen Provinzen kam. Von da ab regenerierte sich die Region nördlich der Alpen und es entstand eine neue abendländische Welt, die auf den alten Fundamenten der Antike ruhte.Insofern kam es zu einer Transformation, die Altes und Neues miteinander vereinte und eine andere Welt hervorbrachte.
 
Weiß jemand, wie sich der südliche Teil Deutschlands (also südlich des Limes) nach der Völkerwanderung entwickelt hat? Eigentlich müsste es dort auch größere Siedlungen gegeben haben, in denen sich Reste der römischen Kultur länger gehalten haben.

MfG
 
Weiß jemand, wie sich der südliche Teil Deutschlands (also südlich des Limes) nach der Völkerwanderung entwickelt hat? Eigentlich müsste es dort auch größere Siedlungen gegeben haben, in denen sich Reste der römischen Kultur länger gehalten haben.

Nur auf die Schnelle aus dem Handgelenk für den südlichen Teil des heutigen Freistaates Bayern...

A dem 4. Jh. hält der Donaulimes nicht mehr stand, und es siedeln nunmehr bereits ansässige wie zugewanderte romanisierte Kelten (Boier) und von Norden/Nordosten/Osten eingewanderte Germanen (Hermunduren/Thüringer und Langobarden ???) nebeneinander; aus diesen Stämmen bildet sich im 5./6. Jh. der Stamm der Baiern/Bajuwaren. Später wandern zudem noch Alemannen ein.
Die Römerstädte/-siedlungen/-stützpunkte (Augsburg, Regensburg, Kempten, Passau, Straubing) bestehen fort; es bleiben mW sogar Strukturen erhalten, weil sich die Kirche in diesen Orten als lokale Macht konsolidieren konnte.
555 gliedern die Merowinger dann das gerade erst entstandene Stammesherzogtum der Bajuwaren ins fränkische Reich ein.

Da dies nur eine quasi aus dem Ärmel geschüttelte Kurzfassung war, sind ggf. Korrekturen ausdrücklich erwünscht...
 
Weiß jemand, wie sich der südliche Teil Deutschlands (also südlich des Limes) nach der Völkerwanderung entwickelt hat? Eigentlich müsste es dort auch größere Siedlungen gegeben haben, in denen sich Reste der römischen Kultur länger gehalten haben.

Regensburg - das römische Castra Regina - wurde nach 400 militärisch aufgegeben, die römische Administration brach zusammen. Nach einer dunklen Periode von 100 Jahren wurde die Stadt jedoch Residenz der bajuwarischen Herzogsdynastie der Agilolfinger und war im 9. Jh. bereits wieder eine der wichtigsten Städte im ostfränkischen Reich der Karolinger.

Auch Passau (Castra Batava/Boiotro), Kempten (Cambodunum), Augsburg (Augusta Vindelicum), Konstanz (Constantia), Günzburg (Guntia), Rottenburg (Sumolocenna), Ladenburg (Lopodunum), Rottweil (Arae Flaviae), Baden-Baden (Aquae), Straubing (Sorviodurum) und eine ganze Reihe weiterer Orte in Süddeutschland gehen auf römische Siedlungen zurück, auch wenn der frühmittelalterliche Siedlungskern nicht immer deckungsgleich mit dem römischen ist.

Nach der Römerzeit gehörte Süddeutschland seit dem 6. Jh. zum fränkischen Reichsteil Austrien, wobei im Südwesten zunächst das Herzogtum Alemannien enstand, dem im 8. Jh. das Herzogtum Schwaben folgte. In Bayern regierten seit dem 6. Jh. die Herzöge der Agilolfinger unter fränkischer Oberherrschaft. Mit Tassilo III. wurde im Jahr 788 der letzte Agilolfinger von Karl dem Großen abgesetzt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Auch Passau (Castra Batava/Boiotro), Kempten (Cambodunum), Augsburg (Augusta Vindelicum), Konstanz (Constantia), Günzburg (Guntia), Rottenburg (Sumolocenna), Ladenburg (Lopodunum), Rottweil (AraeFlaviae), Baden-Baden (Aquae), Straubing (Sorviodurum) und eine ganze Reihe weiterer Orte in Süddeutschland gehen auf römische Siedlungen zurück, auch wenn der frühmittelalterliche Siedlungskern nicht immer deckungsgleich mit dem römischen ist.

Nach der Römerzeit gehörte Süddeutschland seit dem 6. Jh. zum fränkischen Reichsteil Austrien, In Bayern regierten seit dem 6. Jh. die Herzöge der Agilolfinger unter fränkischer Oberherrschaft. Mit Tassilo III. wurde im Jahr 788 der letzte Agilolfinger von Karl dem Großen abgesetzt.


Bei den Landschaften zwischen Rhein, Bodensee und Iller muss man von völlig anderen Gegebenheiten ausgehen. Die Gegend wurde zwischen 70 und 100 römisch, und ab ca. 250 alemannisch.
zB: Bei Rottenburg nimmt man an, dass der Ortsteil "Sülchen" den Namen übernommen hat, also eine gewisse Siedlungskontinuität zumindest sein könnte. Bei Rottweil war der römische Name total verschwunden, erst in den 50ern konnte man das aus Schriftquellen bekannte Area Flaviae sicher Rottweil zuordnen. Es könnte natürlich sein, dass bei der keltischen Bevölkerung der Ort ganz anders hieß.

wobei im Südwesten zunächst das Herzogtum Alemannien enstand, dem im 8. Jh. das Herzogtum Schwaben folgte.
Das Herzogtum Schwaben entstand erst im 10. Jahrhundert, zuvor gab es 2mal? ein Königreich Schwaben entstanden aus karolingischen Erbteilungen
 
Repo, es geht hier wirklich nicht um wettbewebrsfähige Erstnennungen! In großem Stil.

Durchgesetzt hat sich die Dreifelderwirtschaft seit karolingischer Zeit, d.h. seit dem 8. Jh. Aber das ist doch nur ein Teilaspekt. Wirklich wichtig ist die Tatsache, dass es zwischen dem 5. und 8. Jh. zu einem Niedergang der Kultur und Zivilisation in den ehemals römischen Provinzen kam. Von da ab regenerierte sich die Region nördlich der Alpen und es entstand eine neue abendländische Welt, die auf den alten Fundamenten der Antike ruhte.Insofern kam es zu einer Transformation, die Altes und Neues miteinander vereinte und eine andere Welt hervorbrachte.

Nein, darum geht es natürlich nicht.
Es geht darum, dass Hägermann in den "dunklen Jahrhunderte" einen gehörigen Entwicklungsschub in der Landwirtschaft sieht, ausgelöst vom spätantik christlichen Wertewandel. "Ökonomisch-technische Impulse aus der Neubewertung der Arbeit" nennt er dies.

Und ihr werdet nicht müde Beweise zu suchen, dass der Pflug, dass die Dreifelderwirtschaft später eingeführt worden wären.

Ist aber unerheblich, in manchen Gegenden Mitteleuropas hat man noch im 18. Jahrhundert mit dem Haken gepflügt, weil der für die jeweiligen Böden ausreichte. Mit der Dreifelderwirtschaft wird dies nicht anders sein.
Was nichts dran ändert, dass dieser landwirtschaftliche Technologie-Schub in den "dunklen Jahrhunderten" war. Und durch ihn das anschließende Bevölkerungswachstum erst möglich wurde.
 
Es geht darum, dass Hägermann in den "dunklen Jahrhunderte" einen gehörigen Entwicklungsschub in der Landwirtschaft sieht, ausgelöst vom spätantik christlichen Wertewandel. "Ökonomisch-technische Impulse aus der Neubewertung der Arbeit" nennt er dies.

Damit hat er recht. Dieser Schub setzte im 8. Jh. ein, was vermutlich auch Herr Hägermann so sehen wird. Jedenfalls sind sich alle Historiker - von denen ich einige zitiert habe - bei dieser Chronologie einig. Vermutlich auch Herr Hägermann, dessen Meinung im übrigen keineswegs sakrosankt ist, sondern nur eine unter sehr vielen.
 
Damit hat er recht. Dieser Schub setzte im 8. Jh. ein, was vermutlich auch Herr Hägermann so sehen wird. Jedenfalls sind sich alle Historiker - von denen ich einige zitiert habe - bei dieser Chronologie einig. Vermutlich auch Herr Hägermann, dessen Meinung im übrigen keineswegs sakrosankt ist, sondern nur eine unter sehr vielen.


Tja, was ist schon sakrosankt. Aber wer es als Autor in die Prophyläen Technik Geschichte schafft, hat schon was drauf.

Der Entwicklungsschub in der Landwirtschaft, falls Du den meinst, setzt aber schon im 5. Jahrhundert ein. Eine Verbindung mit dem Paradigmenwandel durch das Christentum wäre sonst kaum darzustellen.

Dobsch, (Alfons, Großvater des Heinz) sieht die "dunklen Jahrhunderte" als Forschungslücke.
 
Der Entwicklungsschub in der Landwirtschaft, falls Du den meinst, setzt aber schon im 5. Jahrhundert ein.

Da bin ich - zusammen mit den anderen hier von mir zitierten Historikern - ganz anderer Meinung. So ist das halt mit Hypothesen und Spekulationen, wobei der zivilisatorische und kulturelle Niedergang der römischen Provinzen nach dem Zusammenbruch Westroms sowohl archäologisch als auch quellenmäßig gut gesichert ist.

Ebenso blieben die Mittelmeerländer bei den antiken Formen der Bebauung und Fruchtfolge stehen, wobei es sich um eine Zweifelderwirtschaft im Turnus von Anbau und Brache handelte. Im Norden dagegen setzte sich durchweg - abgesehen von Küsten- und Gebirgsgegenden, wo man sich mit Feldgraswirtschaft oder bloßer Weidewirtschaft begnügen musste - seit karolingischer Zeit die rationellere Dreifelderwirtschaft mit dem Rhythmus Wintersaat - Sommersaat - Brache durch.

(Prof. Dr. Theodor Schieffer, Die wirtschaftlich-soziale Grundstruktur des frühen Europa, in: Handbuch der europäischen Geschichte, Band 1, Stuttgart 1996, S. 132)
und:

Doch auch im 5. Jh., als - in den gefährdeten Grenzgebieten einsetzend und von dorther immer weiter ins Reichsinnere vordringend - der Niedergang der Städte und die Verödung des Landes bedrohliche Ausmaße annahmen, war die in Auflösung befindliche römische Staatlichkeit den vorstaatlichen Zuständen ringsum offensichtlich noch überlegen ...

Auf das verhältnismäßig stabile 4. Jh. ... folgten das 5. und 6. Jh., die Periode des Niedergangs und Zerfalls ... Der römische Staat hat trotzdem noch lange recht und schlecht weiterexistiert, jedenfalls auf der Verwaltungsebene der Provinzen ... Zunächst verschwanden also die überregionalen Instanzen des Reichsregiments; es folgte ein allmählicher Prozess des Städtesterbens und des Rückgangs der Zivilisation.

(Manfred Fuhrmann, Rom in der Spätantike, Düsseldorf/Zürich 1998, S. 33 f.)
und:

Obwohl die Kirche so tief gesunken war, blieb sie die einzige kulturelle Macht ihrer Zeit. Durch sie allein setzte sich die römische Tradition fort und dies verhinderte Europas Rückfall in völlige Barbarei. Die weltliche Macht wäre unfähig gewesen, die kostbare Erbschaft der Antike aus sich selbst heraus zu bewahren. Trotz des guten Willens der Könige war ihre rohe Verwaltung den Aufgaben nicht gewachsen ... Die Kirche blieb also inmitten der Anarchie ihrer Umgebung, und trotz der zersetzenden Wirkung, welche diese Anarchie auch auf sie selbst ausübte, unzerstört" ...

Vom sozialen Gesichtspunkt aus ist das bedeutendste Phänomen, das in die Zeit zwischen den muslimischen Eroberungen und der Herrschaft der Karolinger fiel, die schnelle Verminderung und nachher das fast völlige Verschwinden der städtischen Bevölkerung ... Die soziale und verwaltungsmäßige Struktur verlor nun ihren dem städtischen Charakter des römischen Staates entsprechenden Charakter: ein Phänomen, das in Westeuropa ganz neu und sehr erstaunlich war. Das Ende des städtischen Typus im frühen Mittelalter ergab sich zumindest für die Verwaltung daraus, dass die Eroberer des Römischen Reiches außerstande waren, dessen Institutionen in der alten Form weiterfunktionieren zu lassen; denn nur die Institutionen des römischen Staates hatten in den durch Barbaren eroberten Provinzen - in Gallien, Spanien, Italien, Afrika und Britannien - einst die Existenz der Städte gesichert. Nur noch einige Städte an den Küsten des Mittelmeers trieben auch noch nach den Völkerwanderungen einen mehr oder weniger bedeutenden Seehandel ...

Daraus aber musste sich ein fast vollkommener Stillstand des Handels ergeben; auch das Gewerbe verschwand fast ganz, wenn man von einigen lokalen Erscheinungen wie der in Flandern noch aufrechterhaltenen Tuchweberei absieht. Der Umlauf von Geld hörte beinahe auf. Seitdem verfielen in den fast entvölkerten Städten die verlassenen Viertel und dienten den wenigen Einwohnern, die sich auf einen Winkel des früheren Stadtinnern beschränkten und dort hausten, als Steinbrüche ... In Gallien erlosch das städtische Leben so völlig, dass die Herrscher nicht mehr in den Städten residierten, denn der vollkommenen Mangel eines Handelsverkehehrs ermöglichte es ihnen nicht mehr, dort genügend Lebensmittel für den Unterhalt des Hofes zu finden. Sie verbrachten das Jahr auf den Domänen und zogen von einer zur anderen.

(Henri Pirenne, Geschichte Europas, Frankfurt 1961, S. 47, 81, 83)

und vielleicht noch diese Quelle:

Zuvor sei daran erinnert, in welchem kulturellen und politischen Zustand sich Europa befand, ehe die Karolinger im Bunde mit dem irisch-angelsächsischem Klerus ihr Werk begannen. In Italien hatte der Langobardensturm die Zivilisation vernichtet und jedwede kulturelle Betätigung zum Erliegen gebracht; nur in Rom erhob noch Papst Gregor seine asketische, aller weltlichen Bildung wenig geneigte Stimme ... In Gallien endlich verfiel das kulturelle Leben nach dem Tode Gregors von Tours und Fortunats, und was aus der darauf folgenden Zeit erhalten ist, lässt einen geradezu erschreckenden Niedergang sowohl des sprachlichen Ausdrucksvermögens als auch der Geistesverfassung erkennen.

(Manfred Fuhrmann, Rom in der Spätantike, Düsseldorf/Zürich 1998, S. 367 f.)
 
Zuletzt bearbeitet:
Wie korrespondiert, ich zitiere

timotheus
Dann an der Stelle auch eine inhaltliche Anmerkung meinerseits...



Ihr habt beide Recht; es gab - vereinfacht (modelliert) ausgedrückt - sowohl zwischen 500 und 900 eine Verdopplung als auch zwischen 1000 und 1300.
Siehe dazu Slide 7 Europa um 1300: Modell der Bevölkerungsentwicklung in Europa 500-1500 in http://www.erato.fh-erfurt.de/so/hom...tikesitz04.ppt (Referenz: Prof. Ellen Widder, Universität Tübingen, Mittelalterliche Geschichte)

damit

In Gallien erlosch das städtische Leben so völlig, dass die Herrscher nicht mehr in den Städten residierten, denn der vollkommenen Mangel eines Handelsverkehehrs ermöglichte es ihnen nicht mehr, dort genügend Lebensmittel für den Unterhalt des Hofes zu finden. Sie verbrachten das Jahr auf den Domänen und zogen von einer zur anderen.

(Henri Pirenne, Geschichte Europas, Frankfurt 1961, S. 47, 81, 83)

wie ist eine wesentliche Vermehrung der Bevölkerung möglich, wenn der Hof nicht genug Lebensmittel hat? Die "wandernde Hofhaltung" hat der Herrschaftssicherung gedient, ist doch nicht aus der Not entstanden.

An anderer Stelle las ich, dass die Franken in der Masse das Leben auf dem flachen Land vorzogen, dass aber die fränkischen Könige schon vor den Merowingern sehr wohl in den Städten residierten, oft in den römischen Statthalterpalästen.
 
wie ist eine wesentliche Vermehrung der Bevölkerung möglich, wenn der Hof nicht genug Lebensmittel hat? Die "wandernde Hofhaltung" hat der Herrschaftssicherung gedient, ist doch nicht aus der Not entstanden.

Die Bevölkerung hat sich eben nicht "wesentlich vermehrt", sondern es gab ganz im Gegenteil eine Stagnation und mancherorts - besonders in den Städten - einen gravierenden demografischen Einbruch".

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Aussage des Mediävisten Patrick J. Geary, der in einem oft zitierten Werk zwischen beiden Hypothesen vermittelnd schreibt:

Die Debatte über die verhältnismäßige Vitalität der westeuropäischen Wirtschaft im 6., 7. und 8. Jh. hat schon viel Tinte gekostet. Einerseits belegen Münzfunde, die bis ins 7. Jh. anhaltende Bedeutung gemünzten Geldes; Urkunden und erzählende Quellen erwähnen Kaufleute, Importgüter und ein funktionierendes System der Einnahme von Zöllen und Gebühren bis weit ins 8. Jh.

Andererseits wird deutlich, dass Edelmetall stärker zur Selbstdarstellung denn als Tauschmittel verwendet wurde und dass Güter und Prestigeobjekte nicht primär durch den Handel, sondern durch militärische Unternehmungen , Plünderungen oder auch den Austausch von Geschenken in Umlauf gebracht wurden.

So scheint einerseits die Handelswelt der Antike intakt gewesen und teilweise sogar nach Norden ausgedehnt worden zu sein ... Andererseits erblickt man eine archaische Gesellschaft, in der Kriegsführung und der Austausch von Geschenken die Modalitäten des Güterverkehrs bestimmten und in der Gold mehr für Schmuckgegenstände ... verwendet wurde, denn als Tauschmittel. Diese überraschende Gleichzeitigkeit erwuchs aus der komplexen Natur der merowingischen Gesellschaft, in der die Mechanismen des Warenumlaufs enf mit den sozialen Bindungen verknüpft waren.

(Patrick J. Geary, Die Merowinger. Europa vor Karl dem Großen, München 1996, S. 105 f.)
 
Es ist in diesem Zusammenhang interesssant, dass man im Ostseeraum fast nur arabische Silbermünzen nachweisen kann, erst ab dem 8.Jh. auch fränkische Prägungen.
 
Wie korrespondiert, ich zitiere...
...
damit...
...
wie ist eine wesentliche Vermehrung der Bevölkerung möglich...
Die Bevölkerung hat sich eben nicht "wesentlich vermehrt", sondern es gab ganz im Gegenteil eine Stagnation und mancherorts - besonders in den Städten - einen gravierenden demografischen Einbruch".

Im Diagramm auf Slide 7 des von mir im entsprechenden Beitrag verlinkten Dokuments ist doch folgende Entwicklung sehr gut - und deutlich - zu erkennen:
1. Die Bevölkerungszahl um 900 ist ca. doppelt so hoch wie jene um 500.
2. Nach 500 gibt es jedoch zunächst nicht nur eine Stagnation, sondern sogar einen Rückgang; erst gegen 700 steigt die Zahl wieder allmählich an und hat gegen 800 etwa wieder den Wert wie um 500 erreicht.
3. Die Steigerung auf die etwa doppelte Bevölkerungszahl erfolgt v.a. zwischen 800 und 900.

Von daher steht meine vorige Aussage auch nicht in Widerspruch zu denen, welche Dieter hier vorgelegt hat.
 
Die Bevölkerung hat sich eben nicht "wesentlich vermehrt", sondern es gab ganz im Gegenteil eine Stagnation und mancherorts - besonders in den Städten - einen gravierenden demografischen Einbruch".

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Aussage des Mediävisten Patrick J. Geary, der in einem oft zitierten Werk zwischen beiden Hypothesen vermittelnd schreibt:

Hägermann spricht von einer "gewissen Gleichförmigkeit" des Lebens in der Pax Romana bis zum Ausgang des 5. Jahrhunderts. Einer Literatur mit reichhaltigem Schrifttum der Technik und Agrarautoren.
"Das Frühmittelalter kannte eine derartige Literatur nicht, die heute in gleicher Weise über die materielle Kultur Auskunft geben könnte" aaO Seite 320
weiter schreibt er:
"Die germanischen Nachfolgestaaten auf ehemals römischem Boden tradierten aus ihrem Erbe eigene Befindlichkeiten und übernahmen aus dem Alltag der von ihnen eroberten Regionen Zweckdienliches. Sie schufen damit Strukturen, die sehr vielfältig waren und sich einem einheitlichen Interpretationsschema entziehen."
Ein sehr wichtiger Punkt, nehmen wir wahr, dass es bis ins 5. Jahrhundert "ein" römisches Reich gab, mit "einer" Entwicklungslinie und anschließend "viele" Nachfolgestaaten mit ebenso vielen unterschiedlichen Entwicklungslinien, kommen wir uns vermutlich schon näher.
 
Habe mich aus dem Gedächtnis geirrt. Fränkische Münzen im Baltikum gab es erst ab ca. 750 n. Chr., was vorher als Silbergeld an der Ostsee gehandelt wurde, stammte aus Persien und Mittelasien, noch vor den Arabern. Das kann Generationen im Umlauf gewesen sein.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hägermann spricht ...

Du solltest dich nicht nur auf Herrn Hägermann stützen, sondern - wie es guter wissenschaftlicher Brauch ist - noch einige andere Autoren nennen. Ich habe inzwischen aus den Publikationen von fünf bekannten Mediävisten zitiert, was die finale Aussage beser stützt als ein einzelner Rufer in weiter Wüste! :winke:
 
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