Die Völkerwanderung als große Migration

Am Anfang dieses Threads habe ich geschrieben, dass mir der Ansatz weiterer "Disziplinen der Wissenschaft" zur Auflösung etlicher Rätsel dieser Zeit folgerichtig und ergebnisorientiert erscheint.

In der Prophyläen Technik Geschichte Band 1 findet sich die Beschreibung eines revolutionären Vorgangs, der sich genau in dieser Zeit abgespielt hat.

Ökonomisch technische Impulse aus der Neubewertung der Arbeit in der christlichen Spätantike und dem frühen Mittelalter
Dieter Hägermann in Prophyläen Tech. Geschichte Band 1

Seite 324
".... Dieses Arbeitsethos bildete den wichtigsten Bestandteil eines religiös fundierten Wertekantons, dessen praktische Umsetzung - dies war völlig neu - zur Sache der geistig-kulturell führenden Schicht wurde, während in der vorausgegangenen Epoche Philosophen und Politiker lediglich ihre Mißachtung jedweder körperlichen Tätigkeit als mit der angestrebten -edlen- Muße nicht vereinbar, der Nachwelt als Klassenurteil schriftlich hinterlassen hatten. ...."

Das denke ich mal ist ein überaus wichtiger Punkt.
Es ist müssig sich Gedanken darüber zu machen, ob jetzt die römische Elite an Bleivergiftung zu Grunde gegangen ist, weil sie ihren Wein aus verbleiten Zinnbechern tranken, die Elite ist nicht untergegangen, die hatten was zu tun!
Nix mit Philosophien ausdenken aus lauter Langeweile und zu Pergament bringen, die Wasserkraft musste genutzt und verbreitet werden, der Räderpflug musste erfunden und verbreitet werden. Um nur zwei bahnbrechende Erfindungen zu nennen die genau in die Zeit fallen.

Sie haben die Werke der antiken Autoren abgeschrieben, um sie der Nachwelt zu erhalten, waren sich der Bedeutung durchaus bewusst, aber um theoretische Planetenmodelle und Staatstheorien aufzustellen, hatten sie schlicht keinen Anlass.
Folgten anderen Wertvorstellungen.
 
Nochmal im Nachklapp zu der "ethnischen Zusammensetzung"

Ethnogenese [Bearbeiten]

Die germanischen „Stämme“ (gentes, nationes) der Völkerwanderungszeit stellten nach heute dominierender Forschungsmeinung keine konstanten Einheiten oder Abstammungsgemeinschaften dar, auch wenn die Quellen dies teils suggerieren. Vielmehr konnten sich beispielsweise gotischen Verbänden auch Rugier oder Heruler anschließen; einzelne Individuen und ganze Gruppen konnten ihre „Ethnizität“ wiederholt wechseln. Die moderne Forschung hat nachgewiesen, dass Gleichartigkeiten der Sprache, der Kleidung oder der Waffen allein für eine ethnische Zuordnung kaum aussagekräftig sind.[7] Wichtig in der neueren Forschung ist in diesem Zusammenhang die Kategorie der Ethnogenese, die einen äußerst diffizilen Prozess darstellt. So wird die Entstehung von ethnischen Identitäten in der Spätantike heute nicht mehr als biologische Kategorie, sondern als historischer Prozess verstanden. Verschiedene Gruppen konnten sich demnach zu neuen zusammenschließen, wobei es in der Regel ausreichte, dem Verband loyal zu dienen.[8]
Die alte Vorstellung, eine ethnisch einheitliche Gruppe sei aus ihrer „Urheimat“ aufgebrochen, auf der Wanderung ein homogener Verband geblieben und habe sich am Ende ihrer Wanderung woanders neu angesiedelt, ist zumindest problematisch. Die moderne Forschung hat vielmehr aufgezeigt, dass die Identität einer gens in der Regel am Ende dieses Prozesses eine andere war als am Anfang,[9] zumal oft auch nur Teile einer gens an den Wanderungen teilnahmen. Ein Stamm war eher eine Rechtsgemeinschaft, die in Größe und ethnischer Zusammensetzung stark variierte. Ein verbindendes Element konnte ein Traditionskern (Reinhard Wenskus) sein, der etwa durch die Führungsgruppe eines Verbandes repräsentiert wurde. Einen Zusammenhalt stifteten ansonsten wohl beispielsweise die Stammeslegenden (siehe Origo gentis), die die Herkunft der jeweiligen gens oft topisch auf mythische Gründer und eine angebliche skandinavische Heimat zurückführten. Allerdings werden diese Überlieferungen von der modernen Forschung – anders als früher – meistens mit großer Skepsis betrachtet.[10]

aus wiki

Betonung auf den einzelnen Individuen!
 
Nochmal im Nachklapp zu der "ethnischen Zusammensetzung"

Aber du rennst damit offene Türen ein! Das sind genau die Aspekte, die ich - und auch ElQ - mehrfach ausführlich beschrieben und erläutert haben:

Nein, die germanischen Stämme der Völkerwanderung waren nicht homogen, sondern ganz im Gegenteil äußerst heterogen. Was einmal als Stamm aus seinen Ursitzen um 300 oder früher aufbrach, war nicht mehr vergleichbar mit dem, was sich nach einer Konsolidierungsphase als germanische Erobererschicht in einem Reich der Völkerwanderung zeigte. Dennoch hatten diese Völker, die aus einer weiteren Ethnogenese hervorgegangen waren, natürlich eine Identität und repräsentierten eine wenn auch neue Ethnie - allerdings unter altem Namen.

Wenn also die Westgoten als namengebende und beherrschende Gruppe im Verlauf ihrer Wanderung auch Taifalen, Sarmaten, dako-kap. Provinzialen, kleinasiatische Gruppen und Iranier aufgenommen hatten, so muss man sie als umfassende "terwingisch-vesischen Völkergemeinschaft" bezeichnen, die nach ihrer Ansiedlung in Spanien zu einem neuen Volk unter altem Namen zusammenwuchs. Das gilt so auch für die Langobarden und die Vandalen, wohl nicht in diesem Umfang für die Franken im Norden Galliens. Jedenfalls nicht in den ersten Jahrhunderten ab Chlodwigs Eroberung.
 
Aber du rennst damit offene Türen ein! Das sind genau die Aspekte, die ich - und auch ElQ - mehrfach ausführlich beschrieben und erläutert haben:
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Bei Dir ja.

[QUOTE]Nein. Individualismus, d.h. auch individuelle Entscheidungen sind neuzeitliche Entwicklungen. Das gab es damals einfach nicht. Es gab kein "Heute will ich ein Westgote sein" oder "Heute will ich kein Westgote mehr sein", solche Entscheidungen waren nur wenigen vergönnt. Der Rest hatte sich dem Personenverbandssystem in dem er sich befand zu fügen.[/QUOTE]

Da wird das noch bestritten
 
Bei Dir ja.

Nein. Individualismus, d.h. auch individuelle Entscheidungen sind neuzeitliche Entwicklungen. Das gab es damals einfach nicht. Es gab kein "Heute will ich ein Westgote sein" oder "Heute will ich kein Westgote mehr sein", solche Entscheidungen waren nur wenigen vergönnt. Der Rest hatte sich dem Personenverbandssystem in dem er sich befand zu fügen.

Da wird das noch bestritten

Ich bestreite auch weiterhin die Möglichkeit von individuellen Entscheidungen Personenverbandsgebundener. Da kannst Du mich mit einem Wiki-Zitat nicht sehr beeindrucken. Solche Entscheidungen waren denen vorbehalten, die an der Spitze dieser Personenverbände standen (und ein Personenverband ist mehr als nur eine Familie) und hatten natürlich Konsequenzen für alle anderen Mitglieder des Personenverbandes: Familienangehörige, Klienten und ihre Familienangehörige, Sklaven.
 
Ich bestreite auch weiterhin die Möglichkeit von individuellen Entscheidungen Personenverbandsgebundener. Da kannst Du mich mit einem Wiki-Zitat nicht sehr beeindrucken. Solche Entscheidungen waren denen vorbehalten, die an der Spitze dieser Personenverbände standen (und ein Personenverband ist mehr als nur eine Familie) und hatten natürlich Konsequenzen für alle anderen Mitglieder des Personenverbandes: Familienangehörige, Klienten und ihre Familienangehörige, Sklaven.

Seis drum.
Es geht mir auch nicht darum, Dich zu beeindrucken.
Es geht um den Austausch von Argumenten, Quellen und Meinungen. Und da stehst Du mit Deiner Meinung allein.
Wie beim Connubium-Verbot, wie bei den entvölkerten Gegenden Westdeutschlands.
Aber, Deine Meinung, sie sei Dir gelassen.
 
Ich würde die Diskussion, nachdem wir uns über die Entstehung der Ethnien ausgetauscht haben, gerne weiterführen:

".... Dieses Arbeitsethos bildete den wichtigsten Bestandteil eines religiös fundierten Wertekantons, dessen praktische Umsetzung - dies war völlig neu - zur Sache der geistig-kulturell führenden Schicht wurde, während in der vorausgegangenen Epoche Philosophen und Politiker lediglich ihre Mißachtung jedweder körperlichen Tätigkeit als mit der angestrebten -edlen- Muße nicht vereinbar, der Nachwelt als Klassenurteil schriftlich hinterlassen hatten. ...."

Dieser Punkt scheint mir sehr wichtig,
Hat da einer der Diskutanten eine Meinung oder mehr zu bieten?
 
Ökonomisch technische Impulse aus der Neubewertung der Arbeit in der christlichen Spätantike und dem frühen Mittelalter
Dieter Hägermann in Prophyläen Technik Geschichte Band 1

Seite 324
".... Dieses Arbeitsethos bildete den wichtigsten Bestandteil eines religiös fundierten Wertekantons, dessen praktische Umsetzung - dies war völlig neu - zur Sache der geistig-kulturell führenden Schicht wurde, während in der vorausgegangenen Epoche Philosophen und Politiker lediglich ihre Mißachtung jedweder körperlichen Tätigkeit als mit der angestrebten -edlen- Muße nicht vereinbar, der Nachwelt als Klassenurteil schriftlich hinterlassen hatten. ...."

Das denke ich mal ist ein überaus wichtiger Punkt.
Es ist müssig sich Gedanken darüber zu machen, ob jetzt die römische Elite an Bleivergiftung zu Grunde gegangen ist, weil sie ihren Wein aus verbleiten Zinnbechern tranken, die Elite ist nicht untergegangen, die hatten was zu tun!
Nix mit Philosophien ausdenken aus lauter Langeweile und zu Pergament bringen, die Wasserkraft musste genutzt und verbreitet werden, der Räderpflug musste erfunden und verbreitet werden. Um nur zwei bahnbrechende Erfindungen zu nennen die genau in die Zeit fallen.

Sie haben die Werke der antiken Autoren abgeschrieben, um sie der Nachwelt zu erhalten, waren sich der Bedeutung durchaus bewusst, aber um theoretische Planetenmodelle und Staatstheorien aufzustellen, hatten sie schlicht keinen Anlass.
Folgten anderen Wertvorstellungen.

Das Ende der Antike wird gemeinhin mit der "Invasion der Barbaren" im deutschen Sprachraum "Völkerwanderung" in Beziehung gesetzt. Vom Zusammenbruch der Kultur ist die Rede, von anschließenden "dunklen Jahrhunderten" und Herr Jlling lässt diese Jahrhunderte dann gleich gar nicht stattfinden.

Fakt ist aber, dass ab etwa 500 ein ganz erheblicher Bevölkerungsanstieg zu verzeichnen ist.
Ausgelöst insbesondere durch Verbesserungen in der Landtechnik, Mühlen, Wendepflug, Dreifelderwirtschaft.
Hägermann sieht diese Innovationen als Folge der "Neubewertung der Arbeit" resultierend aus dem Christentum.
Mithin kann man den "Untergang der Antike" nicht der Völkerwanderung und den Barbaren anlasten, sondern als Entwicklung die im Römischen Reich selbst angelegt war. Indem es den Typus des "reichen Müssiggänger" und Privatgelehrten nicht mehr gab, mindestens nicht mehr als "Lebens-Ideal".
 
Dem möchte ich widersprechen, ein erheblicher Bevölkerungsanstieg war erst im Hochmittelalter zu verzeichnen. Gut man müsste definieren was erheblich bedeutet.


erheblich = verdoppelt.

Zwischen dem 5. und dem 9. Jahrhundert hat sich die Bevölkerungszahl Europas etwa verdoppelt.
Nur möglich: Dreifelderwirtschaft, Wendepflug, Weizenanbau.
Quelle: Hägermann aaO
 
erheblich = verdoppelt.

Zwischen dem 5. und dem 9. Jahrhundert hat sich die Bevölkerungszahl Europas etwa verdoppelt.
Nur möglich: Dreifelderwirtschaft, Wendepflug, Weizenanbau.
Quelle: Hägermann aaO

Ich möchte nicht als Querulant in die Forengeschichte eingehen, aber war diese Verdoppelung der Bevölkerung nicht später?

Verdoppelung von 1000 bis 1300, Stagnation von 1300 bis 1800.

Quelle; Manfred Vasold: "Pest, Not und schwere Plagen. Seuchen und Epidemien vom Mittelalter bis heute", Beck-Verlag 1991.
 
Dann an der Stelle auch eine inhaltliche Anmerkung meinerseits...

Zwischen dem 5. und dem 9. Jahrhundert hat sich die Bevölkerungszahl Europas etwa verdoppelt.
Nur möglich: Dreifelderwirtschaft, Wendepflug, Weizenanbau.
Quelle: Hägermann aaO
Ich möchte nicht als Querulant in die Forengeschichte eingehen, aber war diese Verdoppelung der Bevölkerung nicht später?

Verdoppelung von 1000 bis 1300, Stagnation von 1300 bis 1800.

Quelle; Manfred Vasold: "Pest, Not und schwere Plagen. Seuchen und Epidemien vom Mittelalter bis heute", Beck-Verlag 1991.

Ihr habt beide Recht; es gab - vereinfacht (modelliert) ausgedrückt - sowohl zwischen 500 und 900 eine Verdopplung als auch zwischen 1000 und 1300.
Siehe dazu Slide 7 Europa um 1300: Modell der Bevölkerungsentwicklung in Europa 500-1500 in http://www.erato.fh-erfurt.de/so/ho...hre/Demografie/Demografieseitantikesitz04.ppt (Referenz: Prof. Ellen Widder, Universität Tübingen, Mittelalterliche Geschichte)
 
Dann an der Stelle auch eine inhaltliche Anmerkung meinerseits...



Ihr habt beide Recht; es gab - vereinfacht (modelliert) ausgedrückt - sowohl zwischen 500 und 900 eine Verdopplung als auch zwischen 1000 und 1300.
Siehe dazu Slide 7 Europa um 1300: Modell der Bevölkerungsentwicklung in Europa 500-1500 in http://www.erato.fh-erfurt.de/so/ho...hre/Demografie/Demografieseitantikesitz04.ppt (Referenz: Prof. Ellen Widder, Universität Tübingen, Mittelalterliche Geschichte)

Vielen Dank.
Immer gut, wenn es 2 übereinstimmende Quellen gibt.

Auf alle Fälle kann man auf gar keinen Fall von Stagnation oder gar Rückschritten reden.
Das Problem für die Wissenschaft ist die mangelnde Schriftlichkeit in diesen Jahrhunderten.
Resultierend aus einem neuen Wertekanon, der aber im Römischen Reich entstand, und den Germanen weitergegeben wurde.
"Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" schrieb Paulus an die Thessaloniker.
 
Resultierend aus einem neuen Wertekanon, der aber im Römischen Reich entstand, und den Germanen weitergegeben wurde.
"Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" schrieb Paulus an die Thessaloniker.
Da kann ich dir nicht ganz folgen, du meinst, es gab um die Zeitenwende eine "Art Paradigmenwechsel" zu einer höheren Wertschätzung von Arbeit und Fleiß?

Eine andere Frage stellt sich mir noch zur Völkerwanderung.
Als eine der Ursachen werden Klimaverschlechterungen und Mißernten im Norden genannt. Inwieweit wird das Zivilisationsgefälle von Süd nach Nord als Ursache gesehen?
Man findet z.B. in den nördlichen Mooren, Gräbern hin und wieder römische Luxuswaren, also gab es Handelsverbindungen und andere Kontakte. Die römische und früher die keltische Kultur war im nördlichen Europa also teilweise vom Hörensagen bekannt und weckte Begehrlichkeiten.
 
Ich bestreite auch weiterhin die Möglichkeit von individuellen Entscheidungen Personenverbandsgebundener. Da kannst Du mich mit einem Wiki-Zitat nicht sehr beeindrucken.


Noch zum Beeindrucken:
AiD Sonderheft 2005 Völkerwanderung
Aus dem Vorwort von Matthias Knaut und Dieter Quast
"...Nicht die Geburt bestimmte über die Stammeszugehörigkeit, sondern die Identifikation des Einzelnen, und diese konnte je nach Zukunftsaussicht wechseln. ...."

ach so, beeindrucken:
Prof Dr. M. Knaut Dekan des Fachbereichs Gestaltung der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin
Dr. D. Quast M.A. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Römisch-Germanischen Zentralmuseum Mainz
 
Zuletzt bearbeitet:
Da kann ich dir nicht ganz folgen, du meinst, es gab um die Zeitenwende eine "Art Paradigmenwechsel" zu einer höheren Wertschätzung von Arbeit und Fleiß?

Das ist offenkundig. Während in der Antike das Lebensideal der Elite ein vornehmer "Müssiggang" war, evt. noch ein Leben als "Privatgelehrter" änderte sich dies in der Spätantike unter dem Einfluss des Christentums total.
Das lange gehegte Bild, von den Germanen die die antike Hochkultur zerstörten, ist also ebenfalls hinfällig.


Eine andere Frage stellt sich mir noch zur Völkerwanderung.
Als eine der Ursachen werden Klimaverschlechterungen und Mißernten im Norden genannt. Inwieweit wird das Zivilisationsgefälle von Süd nach Nord als Ursache gesehen?
Man findet z.B. in den nördlichen Mooren, Gräbern hin und wieder römische Luxuswaren, also gab es Handelsverbindungen und andere Kontakte. Die römische und früher die keltische Kultur war im nördlichen Europa also teilweise vom Hörensagen bekannt und weckte Begehrlichkeiten.
Es wird wohl beides eine wichtige Rolle spielen. Die "push-" als auch die "Pull-Faktoren"
Auslöser war aber nach übereinstimmender Experten-Meinung der Einbruch der Hunnen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Man findet z.B. in den nördlichen Mooren, Gräbern hin und wieder römische Luxuswaren, also gab es Handelsverbindungen und andere Kontakte. Die römische und früher die keltische Kultur war im nördlichen Europa also teilweise vom Hörensagen bekannt und weckte Begehrlichkeiten.


Hatte ich vorher übersehen, sorry

Die hatten sehr konkrete und zutreffende Vorstellungen wohin sie kamen. Die Art und Weise wie sie sich ins Römische Reich integrierten, oder dies jedenfalls versuchten, verlangt intime Kenntnisse der römischen Verwaltungsstrukturen. Da trafen keineswegs "Unbekannte" aufeinander.
 
Das ist offenkundig. Während in der Antike das Lebensideal der Elite ein vornehmer "Müssiggang" war, evt. noch ein Leben als "Privatgelehrter" änderte sich dies in der Spätantike unter dem Einfluss des Christentums total.
Das lange gehegte Bild, von den Germanen die die antike Hochkultur zerstörten, ist also ebenfalls hinfällig.

Ich weiß nicht, wo ich konkrete Beispiele für diese andere Wertschätzung sehen kann und vor allem, ob sie etwas mit der Völkerwanderung zu tun hat.
Es gab griechische Philosophen, römische Denker, Senatoren und Villenbesitzer, aber Eliten, die sich nicht mehr selbst "die Hände schmutzig machen" und stattdessen einer geistigen Arbeit nachgehen, gibt es in jeder stark gegliederten Gesellschaft, also wahrscheinlich schon in Ägypten, Babylon und im alten China.
Das kann man natürlich als "intellektuellen Müßiggang" basierend auf ererbten Besitzständen bezeichnen und diese hatten die "Barbaren" des Nordens so noch nicht angehäuft. Stattdessen folgten sie Anführern, die sich durch Kriegsglück, Kampfgeschick oder Charisma auszeichneten.
Sie folgten doch nicht den fleißigsten Bauern oder den tüchtigsten Schmieden?
 
Ich weiß nicht, wo ich konkrete Beispiele für diese andere Wertschätzung sehen kann und vor allem, ob sie etwas mit der Völkerwanderung zu tun hat.
Es gab griechische Philosophen, römische Denker, Senatoren und Villenbesitzer, aber Eliten, die sich nicht mehr selbst "die Hände schmutzig machen" und stattdessen einer geistigen Arbeit nachgehen, gibt es in jeder stark gegliederten Gesellschaft, also wahrscheinlich schon in Ägypten, Babylon und im alten China.
Das kann man natürlich als "intellektuellen Müßiggang" basierend auf ererbten Besitzständen bezeichnen und diese hatten die "Barbaren" des Nordens so noch nicht angehäuft. Stattdessen folgten sie Anführern, die sich durch Kriegsglück, Kampfgeschick oder Charisma auszeichneten.
Sie folgten doch nicht den fleißigsten Bauern oder den tüchtigsten Schmieden?

Oh, da haben wir uns missverstanden.
Ich wollte darauf abheben, dass die Vorstellung, die Germanen hätten durch und mit der Völkerwanderung "Invasion der Barbaren" die antike Hochkultur zerstört, falsch ist.
Das Denken der Anführer, Häuptlinge, Herzöge der "wandernden Kriegsvölker" war vermutlich gar nicht weit weg (wenn überhaupt) von der Leitvorstellung des Müßiggangs, von der Verachtung der Arbeit und der Arbeitenden. Ein Merkmal der griechisch-römischen Antike, was aber natürlich nur für eine sehr kleine Oberschicht galt, die jedoch allein bestimmend und prägend war.

Dies änderte sich unter dem Einfluss des Christentums radikal. Wobei die Schriften des Ambrosius, des Hironymus und Augustinus (lebten alle am Ende des 4. Jahrhundert, dem Beginn der Völkerwanderung) entscheidend waren.
Vorstellungen die sich die geistige Elite, auch der "Barbaren"! zu eigen machten.
 
...noch nicht alles ausgelesen, aber ein Zwischenstand, wenn auch mit hastiger Feder geschrieben...

@Beitrag 79
Repo schrieb:
Zitat:
Erst, als ihre Reiche aufhörten zu existieren gaben sie ihre ethnische Identität auf, um sich mit der sie umgebenen Bevölkerung zu verschmelzen
Und genau dies ist die Fehldenke die Dich immer wieder ins 19. Jahrhundert zurück wirft. Die erobernden Goten oder Franken hatten kein ethnische Identität die sie hätten aufgeben können.
Nix mit kraftstrotzenden jungen Völkern. Die Heere zogen ihre Identität aus anderen Quellen, nicht aus der "ethnischen Abstammung"

Deine Aussage würde aber voraussetzen, dass es keine Ethnogesen gäbe, mithin also keine „neuen Völker“ entstehen könnten. Genau das aber ist passiert und passiert weiter. Egal aus welch unterschiedlichen Quellen sich ein Volk wie die Westgoten zu Zeiten der Völkerwanderung speisten: nach ihrer Sesshaftwerdung begann ein Prozess, in welchem sich ihre Mitglieder in Anlehnung an den Traditionskern und gemeinsame „Idetifikationskriterien“ (die sich freilich von „Mal zu Mal anders ausgedrückt haben mögen) zu einem Volk verschmolzen. Gerade die Westgoten haben sich über 40 Jahre hin innerhalb des Römischen Reiches bewegt und sich damit zu einer Schicksalsgemeinschaft verbunden, ehe sie in Südfrankreich angesiedelt wurden. Das erinnert nicht von ungefähr an die biblische Wanderung des Volkes Israel (über nur 30 Jahre!), eine der Identifikationsüberlieferung des antiken jüdischen Volkes. Dabei gibt es Stimmen moderner Historiker die davon sprechen, dass nur Teile des antik-israelischen Volkes an dieser Wanderung beteiligt waren und in Kanaan ansässige Volksgruppen später assimiliert haben. El Quijote hat in Beitrag #81 dazu auch schon hervorragende Punkte gebracht.

Das Problem bei solchen Begriffen wie Volk und Ethnie ist ihre damit verbundene, scheinbar so fest fixierte Zuordnung. Was sie beschreiben wollen ist in Wirklichkeit durchaus dehnbar und wandelbar!
Ein weiterer wichtiger Punkt im Kontext mit Begriffen wie „Kriegervolk“ gegen „Bauernvölker“ ist ebenfalls ihre suggerierende Unveränderlichkeit. Die Basis der Könige der Völkerwanderungszeit ist mit Sicherheit einst ihre „Sippe/Abstammungsgemeinschaft“ gewesen – zumindest jene der anfänglichen Kleinkönige. Durch Prestige, Erfolg und Wanderung (e.t.c.) gehörte dazu die Gefolgschaft, die sich selbst nicht „ethnisch“ ableiten lässt aber für die weitere Geschichte immer wichtiger wird. Aus verständliche Gründen traten die „Blutsbande“ (altertümlich formuliert) während der militärisch entscheidenden Wanderbewegung hinter disziplinarisch/kriegerischen Anforderungen deutlich zurück, während sie erst nach einer neuen Ansiedlung generell wieder an Kraft zu gewinnen scheinen. Alarich etwa hatte sich Anfänglich gegen eine „Adelsopposition“ wohl durchsetzen müssen, als aber sein Marsch nach Westen erst einmal begonnen hatte, scheint er allgemein anerkannter Führer gewesen zu sein. Gerade in der westgotischen Geschichte zeigt sich die Opposition anderer, eigentlich untergeordneter Anführer relativ häufig, aber meist erst offensichtlich in Phasen nach einer Sesshaftwerdung. Konflikte lösten häufiger Königsmorde aus, als das sich Volksteile abgespalten hätten. Weder nach dem Ende der anfänglich als alleiniger Traditions- und Identifikationskern anzusehenden Dynastie der Balthen zerbricht das westgotische „Volk“, noch zeigt es fehlendes Selbstbewusstsein nachdem es lange Jahre vom ostgotischen Amalerkönig Theoderich als gemeinsam regierender König für West- & Ostgoten. Nur kurz ist dann die Herrschaft des Amalersprosses Amalrich, ehe das Volk neue Könige findet. Selbst Nachfolgekriege vermögen es nicht das „westgotische Volkstum“ zu untergraben, was aber der Fall sein müsste, falls sich die Völker der Völkerwanderung allein über die königlichen Geschlechter, als deren Gefolgschaften definieren ließen! Ich nehme die Westgoten hier nur als ein Beispiel und nicht als das ideale Beispiel. Immerhin kannten die „Vesier/Terwingen“ der Dakischen Zeit, aus denen sich die späteren Westgoten nach ihrer Flucht vor den Hunnen und Übertritt auf römisches Gebiet anfänglich bildeten, in ihrer nord-danubischen Heimat als Herren nur die Reiks/“Kleinkönige“, welche bei Bedarf nur „Richter“ wie Athanarich auf Zeit zum gemeinsamen Oberhaupt für die Lösung einer Bedrohungslage über sich bestellten! Die Personenverbände wie jener der Reiks sind gemeint, wenn von Entscheidungen für- oder gegen die Zugehörigkeit zu einer Ethnie die Rede ist.

Wie wenig Königsfamilien ALLEIN den Zusammenhalt von Völkern der Völkerwanderungszeit ausmachen konnten beweist das Schicksal der italischen Langobarden, die sich dort quasi nie komplett einem zentralen König unterwarfen und dennoch ihren Zusammenhalt (nicht so sehr politisch, aber) als Ethnie bewahrten.
Auf diese Differenz zwischen „Ethnie“ und den heterogenen Gruppen aus denen sie entstanden hat Dieter in Beitrag #83 zu Recht hingewiesen.
 
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