Diskussion über Götz Alys Buch: "Hitlers Volksstaat"

ursi

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Das Buch von Götz Aly über Hitlers Volksstaat wird hier im Forum immer wieder zitiert.

Aus der Amazon.de-Redaktion schrieb:
Im sechzigsten Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist an neuer (Forschungs-)Literatur über das Dritte Reich gewiss kein Mangel. Hitlers Volksstaat jedoch gehört zweifelsfrei zu den beachtenswertesten historischen Arbeiten dieses Jahres!
Den Deutschen, so Aly, ging es in diesem Krieg -- vom Ende freilich abgesehen -- besser denn je. "Deutschland wird dann am größten sein, wenn seine ärmsten seine treuesten Bürger sind", wusste der Führer. Und deshalb wurde das Volk mit Wohltaten gezielt korrumpiert -- auf Kosten des enteigneten Judentums und der geplünderten Völker in den besetzten Gebieten. Schmuck, Gold und Waren aller Art wurden von dort im großen Stil zur Hebung der Moral an die Heimatfront verbracht. Auch die Soldaten durften sich in der Fremde billig eindecken und an ihren Einsatzorten billig "einkaufen": "Selbst noch während der extrem unwirtlichen Monate Januar, Februar und März 1943 schafften es die Soldaten nach der Statistik des zuständigen Feldpostamtes, von der Leningradfront mehr als drei Millionen Feldpostpäckchen in die Heimat zu schicken -- gefüllt mit Beutestücken, Schnäppchen und überschüssigen Lebensmittelzuteilungen." Und allein im besetzten Frankreich summierten sich die aufgrund des wie überall zum Vorteil der Reichsmark festgesetzten Wechselkurses ausgesprochen günstigen Privateinkäufe der deutschen Besatzer auf 125 Millionen Reichsmark, was laut Aly den Wertverlust des Franc eingerechnet mehr als einer halben Milliarde Euro entspricht.

Von all dem, aber auch von mancher anderen Wohltat für die Nutznießer des NS-Sozialstaats, für die die Völker des geplünderten Europas im wahrsten und im übertragenen Sinne bluten mussten, berichtet Götz Aly kenntnisreich und gut belegt. Eine äußerst erhellende Lektüre! -- Andreas Vierecke

Hier einige kritische Stimmen zum Buch:

http://hsozkult.geschichte.hu-berli...echer&sort=datum&order=down&search=g%F6tz+aly

Auszug aus der oben erwähnten Rezension:
Alys Thesen sind in der Tat unbequem. Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen: Insbesondere aus den Erfahrungen der "Heimatfront" im Ersten Weltkrieg war sich das NS-Regime der Bedeutung des materiellen Lebensstandards für die Herrschaftssicherung bewusst. Es betrieb daher eine zunächst nationale, dann internationale Umverteilungspolitik zugunsten der breiten Masse der Bevölkerung, wodurch sich das Regime die Zustimmung des Volkes erkaufte. Zu seiner materiellen Befriedung trugen – in aufsteigender Reihenfolge des individuellen Opferbeitrags – bei: die Oberschichten in Deutschland, das nichtjüdische Ausland im deutschen Machtbereich, die Juden im deutschen Machtbereich. Der Antisemitismus kommt also insoweit ins Spiel, als er Konsens – und nicht nur in Deutschland – über das letzte Glied der Ausbeutungskette herstellt. Gleichwohl reichte die Beute aus Kriegszügen und Völkermord nicht aus, die sozialpolitischen Versprechen dauerhaft einzulösen. Das nationalsozialistische Deutschland stand daher auch schon auf dem Höhepunkt seiner Macht vor der Alternative, den finanzpolitischen Offenbarungseid zu leisten oder den Krieg immer weiter zu treiben.

Weitere Rezension:
http://hsozkult.geschichte.hu-berli...echer&sort=datum&order=down&search=g%F6tz+aly

Und die Seite vom Fritz Bauer Institut mit Fragen und Antworten von Götz Aly:
http://www.fritz-bauer-institut.de/gastprofessur/5_aly.htm#buchpräsentation

Wer das Buch kaufen möchte, kann es hier günstig beziehen:

http://www.bpb.de/publikationen/Y514RW,,0,Hitlers_Volksstaat.html
 
Zuletzt bearbeitet:
Fragen

Wie seht ihr das? Stimmt es was Aly in seinem Buch schreibt oder klammert er gewiese Bereich aus? Haben seine Kritiker recht?
 
Nachdem Ursi bereits so treffende und ausführliche Kritiken zitiert hat, wollte ich meinen Eindruck von Aly´s Buch darlegen.

Als ich das Buch las war ich doch etwas enttäuscht. Nicht wegen seiner Erkenntnisse, zu denen er aufgrund der Analyse des reichlichen Quellenmaterials gelangt. Er zeigt ja damit wirklich überaus deutlich, dass ein Großteil der deutschen Bevölkerung von der Expansion des dritten Reiches profitierte. Am treffendsten war dabei meines Erachtens das Beispiel des jungen Soldaten Heinrich Böll, der wie fast alle anderen aktiv (wenn auch wahrscheinlich nicht bewußt) am "Ausverkauf" in den besetzten Gebieten teilnahm.

Enttäuscht war ich jedoch, da Aly meines Erachtens mit dem Buch seinem Anspruch nicht gerecht wird. "Wer von den Vorteilen für die Millionen einfacher Deutscher nicht reden will, der sollte vom Nationalsozialismus und vom Holocaust schweigen." Unter diesem Slogan von Aly wurde seine Darstellung in der Presse gepriesen. Zugegebenermaßen habe ich diesen Köder geschluckt und mir das Buch deshalb gekauft. Er geht aber nie wirklich dieser angepriesenen Fragestellung nach. Die lang und breit dargelegten Daten, er arbeitet wirklich mit sehr viel Zahlenmaterial, empfinde ich nicht als Erklärung für den Holocaust oder gar des Nationalsozialismus. Millionen Menschen haben vor 1933 die Nationalsozialisten gewählt, was logischerweise nicht auf die wohlfahrtsstaatlichen Elemente des NS-Systems zu zurückzuführen ist. Und dass Antisemitismus keine "Erfindung" der Nazis ist, sondern von diesen lediglich aufgegriffen und in noch radikalerer Form propagiert wurde, war wohl schon Zeitgenossen bewusst. (Zu sehr will ich hier jetzt nicht ins Detail gehen)

Insgesamt betrachtet hat Aly´s Darstellung sicherlich viele neue Erkenntnisse zum Vorschein gebracht. Wie weit die Beteiligung der einfachen Bevölkerung bei Hitlers Raubzug ging, zeigt er z.B. sehr deutlich. Sicherlich erhöhte dies die Bereitschaft der Bevölkerung "mitzumachen". Dies als die Erklärung darzustellen halte ich aber einfach nur für vermessen! Denn auf andere Erklärungsmuster für die Bereitschaft der Bevölkerung "mitzumachen" bzw. "dem Führer entgegenzuarbeiten", wie sie z.B. Goldhagen(der natürlich auch sehr umstritten argumentierte) oder Kershaw lieferten, geht er hingegen gar nicht erst ein. Daher fällt es mir sehr schwer seinen Anspruch, ein neues Erklärungsmuster für den NS und den Holocaust zu liefern, nachzuvollziehen. Dies formuliert Mark Spoerer (bei H-Soz-u-Kult) in seiner Rezension wohl am treffendsten : "Die Provokation, die in der Überspitzung seiner Thesen zum "Volksstaat" liegt, basiert auf gravierenden handwerklichen Fehlern, die sich – bei wohlmeinender Interpretation – nur aus einem gewissen Autismus gegenüber der Forschung erklären lassen. Spätestens im Oberseminar lernen angehende Historiker, dass fleißiges Quellensammeln nicht alles ist, mag der Entdeckerstolz auch noch groß sein. Die Einbettung der eigenen Ergebnisse in den Forschungsstand ist eben kein langweiliges akademisches Ritual, sondern dient der Selbstreflexion und -bescheidung."
Letztendlich hatte ich den Eindruck, dass er seinen Anspruch ein "großartiges neues Erklärungsmuster" zu liefern, lediglich deshalb so stark aufgebauscht hat, um die Verkaufszahlen in die Höhe zu treiben.
 
Fragender schrieb:
Nachdem Ursi bereits so treffende und ausführliche Kritiken zitiert hat, wollte ich meinen Eindruck von Aly´s Buch darlegen.

Als ich das Buch las war ich doch etwas enttäuscht. Nicht wegen seiner Erkenntnisse, zu denen er aufgrund der Analyse des reichlichen Quellenmaterials gelangt. Er zeigt ja damit wirklich überaus deutlich, dass ein Großteil der deutschen Bevölkerung von der Expansion des dritten Reiches profitierte. Am treffendsten war dabei meines Erachtens das Beispiel des jungen Soldaten Heinrich Böll, der wie fast alle anderen aktiv (wenn auch wahrscheinlich nicht bewußt) am "Ausverkauf" in den besetzten Gebieten teilnahm.

Enttäuscht war ich jedoch, da Aly meines Erachtens mit dem Buch seinem Anspruch nicht gerecht wird. "Wer von den Vorteilen für die Millionen einfacher Deutscher nicht reden will, der sollte vom Nationalsozialismus und vom Holocaust schweigen." Unter diesem Slogan von Aly wurde seine Darstellung in der Presse gepriesen. Zugegebenermaßen habe ich diesen Köder geschluckt und mir das Buch deshalb gekauft. Er geht aber nie wirklich dieser angepriesenen Fragestellung nach. Die lang und breit dargelegten Daten, er arbeitet wirklich mit sehr viel Zahlenmaterial, empfinde ich nicht als Erklärung für den Holocaust oder gar des Nationalsozialismus. Millionen Menschen haben vor 1933 die Nationalsozialisten gewählt, was logischerweise nicht auf die wohlfahrtsstaatlichen Elemente des NS-Systems zu zurückzuführen ist. Und dass Antisemitismus keine "Erfindung" der Nazis ist, sondern von diesen lediglich aufgegriffen und in noch radikalerer Form propagiert wurde, war wohl schon Zeitgenossen bewusst. (Zu sehr will ich hier jetzt nicht ins Detail gehen)

Insgesamt betrachtet hat Aly´s Darstellung sicherlich viele neue Erkenntnisse zum Vorschein gebracht. Wie weit die Beteiligung der einfachen Bevölkerung bei Hitlers Raubzug ging, zeigt er z.B. sehr deutlich. Sicherlich erhöhte dies die Bereitschaft der Bevölkerung "mitzumachen". Dies als die Erklärung darzustellen halte ich aber einfach nur für vermessen! Denn auf andere Erklärungsmuster für die Bereitschaft der Bevölkerung "mitzumachen" bzw. "dem Führer entgegenzuarbeiten", wie sie z.B. Goldhagen(der natürlich auch sehr umstritten argumentierte) oder Kershaw lieferten, geht er hingegen gar nicht erst ein. Daher fällt es mir sehr schwer seinen Anspruch, ein neues Erklärungsmuster für den NS und den Holocaust zu liefern, nachzuvollziehen. Dies formuliert Mark Spoerer (bei H-Soz-u-Kult) in seiner Rezension wohl am treffendsten : "Die Provokation, die in der Überspitzung seiner Thesen zum "Volksstaat" liegt, basiert auf gravierenden handwerklichen Fehlern, die sich – bei wohlmeinender Interpretation – nur aus einem gewissen Autismus gegenüber der Forschung erklären lassen. Spätestens im Oberseminar lernen angehende Historiker, dass fleißiges Quellensammeln nicht alles ist, mag der Entdeckerstolz auch noch groß sein. Die Einbettung der eigenen Ergebnisse in den Forschungsstand ist eben kein langweiliges akademisches Ritual, sondern dient der Selbstreflexion und -bescheidung."
Letztendlich hatte ich den Eindruck, dass er seinen Anspruch ein "großartiges neues Erklärungsmuster" zu liefern, lediglich deshalb so stark aufgebauscht hat, um die Verkaufszahlen in die Höhe zu treiben.


Ich bin anderer Meinung wie Du, und ich versuche dies hier mal kurz zu skizzieren.

Nie habe ich den Holocaust in der Form verstanden, wie er abgelaufen ist. Wobei der Rassenhass Hitlers natürlich unbestritten ist. Und die ganzen Vorgänge einschließlich dem Jahr 1940 kann man halbwegs nachvollziehen.

ABER: Dann war Nazideutschland in einen Krieg auf Leben und Tod verstrickt. In dieser Situation baut man doch keine riesen Logistik auf, um alle greifbaren Juden einzusammeln, zu ermorden und zu entsorgen. (Man verzeihe die Wortwahl, aber den tatsächlichen Vorgängen kommt dies nahe)
Vernichtung durch Arbeit, (wie Stalin) oder etwas in der Art, nachvollziehbar. Aber so etwas............ In den Zügen hätte man ja schließlich auch Munition statt Juden transportieren können.
Die Mitarbeiter bei Finanzämtern, Versicherungen, Ortsverwaltungen usw. usf. haben die Sache doch auch mitgekriegt. Warum haben die "mitgemacht"?
Warum haben die meisten besetzten und "befreundeten" Länder die Juden recht freiwillig hergegeben, warum gab es zum Teil Unterschiede. ob die Juden "alteingessesen" oder "neu zugezogen" waren.

Dann kamen die diversen Publikationen Alys und Gerlachs, und jetzt ist mir der Seifensieder aufgegangen. Wenn die Juden "Instrument zur Kriegsfinanzierung" waren, sieht die Sache anders aus, und plötzlich ist eine fürchterliche Logik erkennbar.
Vorgänge die mir bisher unerklärlich waren, sind nun erklärlich, fürchterlich erklärlich.

Eins noch zu Ursis Frage, ich kam von zu Hause die letzten Tage nicht ins Forum, deshalb nochmals ohne Seitenzahlen usw.
Zitiert aus dem Gedächtnis:
"Backes teilt im Frühjahr 1942 der Verwaltung des Generalgovernement die vorgesehenen Mengen an Nahrungsmitteln mit. Der dort hierfür zuständige Naumann erklärt die Mengen für total unzureichend. Backes teilt dazu mit, dass im GG derzeit ca. 1,5 millionen Juden seien, ca. 300000 seien für das DR handwerklich tätig, die übrigen 1,2 Millionen seien entbehrlich und würden nicht mehr versorgt. Bis zum Jahresende 1942 wurden dann tatsächlich über eine Million Juden aus dem GG umgebracht worden." Aly hält den direkten zusammenhang zwischen Holocaust und Versorgung der Bevölkerung damit für bewiesen.

Grüße Repo
 
Repo schrieb:
Nie habe ich den Holocaust in der Form verstanden, wie er abgelaufen ist.

Ich weiß wie Du das meinst, aber den Holocaust kann man meines Erachtens überhaupt nicht "nachvollziehen"!

Repo schrieb:
Dann kamen die diversen Publikationen Alys und Gerlachs, und jetzt ist mir der Seifensieder aufgegangen. Wenn die Juden "Instrument zur Kriegsfinanzierung" waren, sieht die Sache anders aus, und plötzlich ist eine fürchterliche Logik erkennbar. Vorgänge die mir bisher unerklärlich waren, sind nun erklärlich, fürchterlich erklärlich.

Aber reicht dieses Erklärungsmuster aus? Erklärt dies, weshalb die NSDAP seit ihrer Gründung derart antisemitisch propagierte und trotzdem oder vielleicht gerade deshalb gewählt wurde? Natürlich stieg die Zahl der Wähler erst in den Krisenjahren an, aber für unwählbar hielt man Hitler ja offensichtlich nicht, sodass ich unterstellen würde, das sein radikaler Antisemitismus vor 1933 von weiten Teilen der Bevölkerung geteilt oder zumindest hingenommen wurde.

Und Aly´s Gundproblem liegt meiner Meinung nach nun mal darin, dass er zunächst diese Akzeptanz des "NS-Programms", die nicht durch "Hitlers Wohlfahrtsstaat" zu erklären ist, völlig ausblendet. Sicher gewinnt er viele interessante Erkenntnisse. Aber diese halte ich als alleinige Erklärung von NS und Holocaust für unzureichend.
 
Fragender schrieb:
Ich weiß wie Du das meinst, aber den Holocaust kann man meines Erachtens überhaupt nicht "nachvollziehen"!

Aber reicht dieses Erklärungsmuster aus? Erklärt dies, weshalb die NSDAP seit ihrer Gründung derart antisemitisch propagierte und trotzdem oder vielleicht gerade deshalb gewählt wurde? Natürlich stieg die Zahl der Wähler erst in den Krisenjahren an, aber für unwählbar hielt man Hitler ja offensichtlich nicht, sodass ich unterstellen würde, das sein radikaler Antisemitismus vor 1933 von weiten Teilen der Bevölkerung geteilt oder zumindest hingenommen wurde.

Und Aly´s Gundproblem liegt meiner Meinung nach nun mal darin, dass er zunächst diese Akzeptanz des "NS-Programms", die nicht durch "Hitlers Wohlfahrtsstaat" zu erklären ist, völlig ausblendet. Sicher gewinnt er viele interessante Erkenntnisse. Aber diese halte ich als alleinige Erklärung von NS und Holocaust für unzureichend.

Tja, reicht dieses Erklärungsmuster aus?

Systeme wie der Nationalsozialismus brauchen Feinde, die an "allem schuld" sind. Die funktionieren sonst nicht.
Bei Adolf warens die Juden, beim Duce die Freimaurer usw. usf.

Aber das summarische Ermorden, das war für mich unerklärlich. Das zumindest "hinnehmen" eines ganz erheblichen Teils der Bevölkerung.

Noch was, meine Mutter (Jahrgang 1903) hat Zeit ihres Lebens erzählt, wie es den ganzen Krieg eigentlich allen gut gegangen sei, erst als "die Franzosen" kamen, sei der Hunger gekommen.
Und sie kannte es von 14-18 ganz anders! Mein Großvater war Beamter, hatte nix zu tauschen, auch meist eingezogen, die sind im 1. WK fast verhungert.

Es scheint mir, dass Hitler vor "Hungerrevolten" wie 1918 eine Heidenangst hatte.

Grüße Repo
 
Repo schrieb:
Systeme wie der Nationalsozialismus brauchen Feinde, die an "allem schuld" sind. Die funktionieren sonst nicht.
Bei Adolf warens die Juden, beim Duce die Freimaurer usw. usf.

Man vergebe mir mit zu diskutieren, ohne das Buch tatsächlich gelesen zu haben....

Aber:

1) Das die Juden einen (mehr oder weniger) beliebigen Sündenbock abgaben, ist erwiesenermaßen falsch. Der Antisemitismus war kein Instrument um Politik zu machen.

2) Das auf die Lebensmittelversorgung der Juden oder der Bevölkerung besetzter Gebiete zugunsten der deutschen Bevölkerung keine Rücksicht genommen wurde, dürfte auch deutlich aus x Belegen bewiesen sein. Warum das getan wurde, ist glaube ich leicht nachvollziehbar. Beispiele gibt es viele, so wie Himmlers Äusserung zu den Tausenden russischer Weiber, die beim Ausheben von Panzergräben umkommen - sie interessierten ihn nicht, nur, daß der Graben fertig wird. (Posen, 1943)

3) Das die Juden nur aus dem Grund verfolgt wurden, um den Krieg zu finanzieren ist m.E. ein falscher Schluß. Sicher wurden die Vermögen, die sich da "anboten" verwendet - ist doch logisch, man konnte das Geld gut gebrauchen. Aber man darf nicht Huhn und Ei verwechseln. Das Geld wurde verwendet, weil man die Juden ermordete - man ermordete sie nicht, um das Geld für den Krieg zu verwenden.
 
Arne schrieb:
3) Das die Juden nur aus dem Grund verfolgt wurden, um den Krieg zu finanzieren ist m.E. ein falscher Schluß. Sicher wurden die Vermögen, die sich da "anboten" verwendet - ist doch logisch, man konnte das Geld gut gebrauchen. Aber man darf nicht Huhn und Ei verwechseln. Das Geld wurde verwendet, weil man die Juden ermordete - man ermordete sie nicht, um das Geld für den Krieg zu verwenden.

Arne, lies das Buch.
Den besetzten Ländern wurden sehr hohe Besatzungskosten auferlegt. Zur Finanzierung wurde ihnen das Vermögen der jeweiligen Juden genannt. Die Juden waren dann ja "überflüssig", gegen eine Pauschale von 500 RM übernahm man die "Entsorgung". von Aly in seinem Buch über die "Endlösung" in Ungarn detailliert aufgezeigt.

Man entschuldige die Wortwahl.

Grüße Repo
 
Arne schrieb:
1) Das die Juden einen (mehr oder weniger) beliebigen Sündenbock abgaben, ist erwiesenermaßen falsch. Der Antisemitismus war kein Instrument um Politik zu machen.

.


OT
Erinnert mich an eine Szene bei Remarque:
Ein radfahrender Steinmetz erklärt einem jüdischen Steinvertreter die politische Weltlage. Im Moment vergegenwärtigt er sich nicht, dass der Steinvertreter Jude ist. Er schließt seinen politisches Statement mit den Worten: "Und daran sind nur die Juden Schuld."
Der Steinvertreter kontert trocken: "Nein, die Radfahrer".


Grüße Repo
 
Repo schrieb:
Arne, lies das Buch.
Den besetzten Ländern wurden sehr hohe Besatzungskosten auferlegt. Zur Finanzierung wurde ihnen das Vermögen der jeweiligen Juden genannt. Die Juden waren dann ja "überflüssig", gegen eine Pauschale von 500 RM übernahm man die "Entsorgung". von Aly in seinem Buch über die "Endlösung" in Ungarn detailliert aufgezeigt.

Das mag ja alles sein, Repo. Natürlich finden sich Belege dafür, daß man das Eigentum der Juden zu Geld machte um den Krieg zu finanzieren. Keine Zweifel.

Aber ich sehe darin keinen Beweis dafür, daß man die Juden nur wegen ihrem Geld umbrachte. Gegenbeweis: Die vielen armen "Ostjuden" hatten nun wirklich keine Reichtümer angehäuft, warum ging man dann gegen die vor? Nur um Konsequent zu sein - das traue ich nichtmal den Nazis zu.
 
Die Vernichtung der Ungarischen Juden nimmt innerhalb der Holocaust-Forschung einen besondern Teil ein.
„Der hunderttausendfache Mord an den ungarischen Juden wird in der Forschung gemeinhin als das tragischste Kapitel in der Geschichte der Shoa sowie als “Holocaust nach dem Holocaust” 1 bezeichnet. Die Tragik gründet sich dabei nicht nur auf die enorme Anzahl der Getöteten. Auch der Zeitpunkt der Deportationen (Frühjahr-Herbst 1944), die Geschwindigkeit bei der Vernichtung der Menschen, die Untätigkeit der Alliierten, des Vatikans und des Internationalen Roten Kreuzes, die Untätigkeit der Betroffenen selbst (Verantwortung des Judenrats) sowie nicht zuletzt die Kollaboration des ungarischen Staates hat erhebliche Kontroversen ausgelöst". 2
Ich finde aber man kann dieses letzte Kapitel nicht auf das ganze schliessen, sondern man muss die Geschichte des Holocausts von Anfang an betrachten und vor Augen führen wann es denn mit dem Massenmord begann. Und sich dann schon fragen wurden die Juden vernichtet um an ihr Vermögen zu kommen oder wurden sie vernichtet weil sie dem Rassenwahn zum Opfer vielen. Meiner Ansicht nach wurden die Juden wurden verfolgt weil sie Juden waren. Antisemitismus gab es schon lange vor Hitler, er und seine Helfer haben daraus einen rassistischen Antisemitismus. Um das zu verstehen muss man das Weltbild der Nazis kennen (verstehen kann man es nicht)

Das nationalsozialistische Weltbild ist geprägt durch Vorstellung des angeblich ständigen Kampfes zwischen der "hochwertigen" Rasse, den Ariern, und der "minderwertigen" Rasse, den Juden weg. Durch Vermischung mit den Juden werde die germanische Rasse verdorben und sei auf lange Sicht zum Untergang verurteilt. "Die Juden sind unser Unglück" lautete eine von den Nazis verbreitete Parole. Ziel der nationalsozialistischen Politik war es deshalb, die "Reinheit des deutschen Blutes" zu bewahren bzw. wiederherzustellen. Bei der deutschen Bevölkerung, in der viele Menschen antisemitisch und nationalistisch dachten und fühlten, fanden die Nazis damit breite Zustimmung. Die Feindschaft gegen das Judentum gehörte von Anfang an zum Parteiprogramm der Nationalsozialisten.

Sie waren ja schliesslich Schuld das man den ersten Weltkrieg verloren hatte (Dolchstosslegende) Darauf wurde aufgebaut und die Propaganda tat sein bestes dafür.


Aly hat in vielen Aspekten sicher recht, nur sollte man sich nicht nur auf ihn stützen, wenn es um die Holocaustforschung geht. Ich finde auch das es ein notwendiges Buch ist um die Kontroverse wieder anzukurbeln. Es ist ein weiterer Mosaikstein in der Geschichte des Dritten Reiches es ist aber nicht die Lösung der Frage warum haben die Nazis die Juden vernichtet.

Ein sehr gutes Buch das die Geschichte der Endlösung aufzeigt ist Christopher Brownings Buch "Entfesselung der Endlösung" Nationalsozialistische Judenpolitik 1939 - 1942. Oder man sollte mal das Buch von Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem, Ein Bericht von der Banalität des Bösen, lesen.



1 Gerlach, C.; Aly, G.: Das letzte Kapitel. Realpolitik, Ideologie und der Mord an den ungarischen Juden 1944/1945, Stuttgart München 2002, S. 11.

2 Shoa.de
 
Repo schrieb:
Eins noch zu Ursis Frage, ich kam von zu Hause die letzten Tage nicht ins Forum, deshalb nochmals ohne Seitenzahlen usw.
Zitiert aus dem Gedächtnis:
"Backes teilt im Frühjahr 1942 der Verwaltung des Generalgovernement die vorgesehenen Mengen an Nahrungsmitteln mit. Der dort hierfür zuständige Naumann erklärt die Mengen für total unzureichend. Backes teilt dazu mit, dass im GG derzeit ca. 1,5 millionen Juden seien, ca. 300000 seien für das DR handwerklich tätig, die übrigen 1,2 Millionen seien entbehrlich und würden nicht mehr versorgt. Bis zum Jahresende 1942 wurden dann tatsächlich über eine Million Juden aus dem GG umgebracht worden." Aly hält den direkten zusammenhang zwischen Holocaust und Versorgung der Bevölkerung damit für bewiesen.

Grüße Repo

Ich hab es aber in der Zwischenzeit gefunden: S. 200 ff
 
Zuletzt bearbeitet:
ursi schrieb:
Ich hab es aber in der Zwischenzeit gefunden: S. 200 ff

Und? Wars halbwegs korrekt zitiert, kann sich der graue Panther (Haarfarbe) noch auf sein Gedächtnis verlassen?


Ich denke die Nazis sind bei der "Sühnemilliarde" im Zusammenhang mit der Reichskristallnacht auf den Geschmack gekommen. Die ja auch schon den Staatsbankrott gerade noch verhinderte.
Und, notabene, die Fachleute im Finanzministerium haben ja schon da deutlich mehr Geld eingetrieben.

Natürlich ist dies nie und nimmer die ausschließliche Erklärung für die Shoa, aber ein sehr wichtiger Punkt ganz sicher.

Grüße Repo
 
Bei der deutschen Bevölkerung, in der viele Menschen antisemitisch und nationalistisch dachten und fühlten, fanden die Nazis damit breite Zustimmung.

Ich war eigentlich der Meinung, dass das "antisemitische Denken vieler Menschen" in Deutschland längst widerlegt ist. Mindestens nicht mehr als in anderen europäischen Ländern.

Was natürlich noch mehr zur "Unbegreiflichkeit" beiträgt. wie die ganze Kumpanei der Fachleute.
Mir kann doch keiner erzählen, dass z. B. ein Sachbearbeiter einer x-beliebigen Versicherung der den ganzen Tag LV-Policen von Juden an den Fiskus auszahlte, nicht Bescheid wusste was mit diesen Menschen weiter geschah.

Grüße Repo
 
Repo schrieb:
Ich war eigentlich der Meinung, dass das "antisemitische Denken vieler Menschen" in Deutschland längst widerlegt ist. Mindestens nicht mehr als in anderen europäischen Ländern.

Was natürlich noch mehr zur "Unbegreiflichkeit" beiträgt. wie die ganze Kumpanei der Fachleute.
Mir kann doch keiner erzählen, dass z. B. ein Sachbearbeiter einer x-beliebigen Versicherung der den ganzen Tag LV-Policen von Juden an den Fiskus auszahlte, nicht Bescheid wusste was mit diesen Menschen weiter geschah.

Grüße Repo

Laut shoa.de war es nicht so. Wobei man auch sehen muss, dass dieses denken nicht nur die Deutschen hatten. Das war weitverbreitet in Europa. Hab das nicht so genau geschrieben, mein Fehler.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hatten wir die 'Holocaust für Millionen'-Theorie nicht schon woanders?

Ich würde sagen, dass es - wie Repo sagt - ein wichtiger Aspekt war, aber angesichts des unbezahlbaren gesellschaftspolitischen 'Nutzens' der Judenverfolgung nachrangig.

Zumal der Vernichtungsdrang einfach auch ein Stück weit von einer Psychose Hitlers ausging. In seiner Gänze (meines Erachtens) daher wohl kaum mit normalen, rationalen Beweggründen 100% nachvollziehbar. Trotz aller 'Vorteile'.
 
Pope schrieb:
Hatten wir die 'Holocaust für Millionen'-Theorie nicht schon woanders?

Ich würde sagen, dass es - wie Repo sagt - ein wichtiger Aspekt war, aber angesichts des unbezahlbaren gesellschaftspolitischen 'Nutzens' der Judenverfolgung nachrangig.

Zumal der Vernichtungsdrang einfach auch ein Stück weit von einer Psychose Hitlers ausging. In seiner Gänze (meines Erachtens) daher wohl kaum mit normalen, rationalen Beweggründen 100% nachvollziehbar. Trotz aller 'Vorteile'.

Ja hatten wir auch schon. Hier geht es aber um das Buch von Aly und seine Thesen. Die doch sehr umstritten sind und zu einer Kontroverse führten.
 
Arne schrieb:
Aber ich sehe darin keinen Beweis dafür, daß man die Juden nur wegen ihrem Geld umbrachte. Gegenbeweis: Die vielen armen "Ostjuden" hatten nun wirklich keine Reichtümer angehäuft, warum ging man dann gegen die vor? Nur um Konsequent zu sein - das traue ich nichtmal den Nazis zu.

Nein, man brachte die Juden nicht wegen ihrem Geld um ... das wäre in meinen Augen auch eine Fehlinterpretation Alys. Der Massenmord geschah in erster Linie aus Hitlers Ideologie heraus. Hitler hat meiner Ansicht nach maximal an zweiter Stelle auf den finanziellen Nutzen seiner Maßnahmen geschaut. Seine Aussagen in "Mein Kampf" bzgl. der Juden sind zeitlich lange vor den tatsächlichen Maßnahmen und ein finanzieller Aspekt ist dort nicht erkennbar.
Aber dass "die Deutschen" sich nicht stärker gegen den Massenmord wehrten bzw. sich z.T. recht engagiert beteiligten mag mit den Vorteilen zu tun haben, die einer breiten Masse unter dem Regime Hitlers zukamen - und das ist meiner Meinung nach eine These Alys.
 
Papa_Leo schrieb:
Aber dass "die Deutschen" sich nicht stärker gegen den Massenmord wehrten bzw. sich z.T. recht engagiert beteiligten mag mit den Vorteilen zu tun haben, die einer breiten Masse unter dem Regime Hitlers zukamen - und das ist meiner Meinung nach eine These Alys.

1. Ist das eine revolutionäre Erkenntnis? Dass es 'den Deutschen' im 3.Reich ziemlich gut ging? Dass Hitler das Volk bei Laune hielt, während 20 km weiter die Henker ihr tausendfaches Unwesen trieben?

2. Hätte Hitler auf die Ausbeutung und endgültige Vernichtung der Juden verzichtet, wäre es 'den Deutschen' wirklich spürbar schlechter gegangen?
 
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