Ein Leitartikel von 1890 über Bismarcks sozialsdemokratischen Reichsfeind

wandervogel

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Die Soziale Gefahr: Ein neuer Mann, doch der Kurs bleibt der Alte!

Der Leiter und Lenker des 1870 in Versailles gegründeten Zweiten Deutschen Kaiserreichs gab gestern offiziell seinen Rücktritt vom Posten des Reichskanzlers bekannt. Dieser Schritt kam nicht unerwartet. Schon seit langem sind die Konflikte zwischen dem neuen Kaiser Wilhelm II. und seinem Kanzler schwellend gewesen. Während Bismarck durch seinen Namensvetter eine hohe politische Selbstbestimmung erhielt, ist diese Macht des eisernen Kanzlers dem neuen Deutschen Kaiser ein Dorn im Auge. Die umstrittenen Sozialistengesetze boten dabei einen willkommen Anlass die Trennung des Reiches von seinem Initiator zu begründen.

Das Reich hat reichlich soziale Probleme
Aufgrund der schnelleren und kraftvollen Industrialisierung bildete sich im Herzen Europas eine noch reinere Form des Kapitalismuses als im Britischen Empire aus. Doch trotz des großen Wirtschaftwachstums sind die neu entstanden Fabriken noch nicht in der Lage, der wachsenden Bevölkerung genügend Arbeit zu geben. Das Überangebot an ungelernten Arbeitskräften, sowie die Politik der völligen Selbstbestimmung der Wirtschaft, führen zu Hungerlöhnen, zu schlechtesten Arbeitsbedingungen und nicht zu letzt zu Massenarbeitslosigkeit. Dieser gefährliche Hexenkessel aus Armut und Hoffnungslosigkeit speiste in ganz Europa den Nährboden für die Arbeiterbewegungen, aus denen auch die sozialdemokratischen Parteien hervorgingen.

„Sozialistengesetze die Erste“
Die führende Schicht des Reiches erkannte bereits früh die Gefahr einer Umwälzung der Gesellschaft, welche von der sozialdemokratischen Bewegung ausging. Doch anstatt ihnen durch Bekämpfung der Ursachen die Nahrung für ihre Popularität zu entziehen, bediente sich das Deutsche Reich unter Leitung Bismarcks zunächst dem wahnwitzigen Prinzip: „Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt“. Das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ sah schreckliches vor. Die eingeführten Sozialistengesetze verboten jegliche Parteiarbeit der Sozialdemokraten und ihre Führer wurden von ihren Wirkungsstätten verbannt. Die Partei selber konnte aufgrund eines Verfassungsgrundsatzes noch nicht für rechtswidrig erklärt werden, jedoch beschränkte sich ihre Arbeit von nun an hauptsächlich auf den Untergrund. Diese Maßnahme konnte ihrer Popularität mit Wahlergebnissen von 7-9 Prozent nicht entgegen wirken. Erst spät erkannte man, dass der falsche Weg eingeschlagen wurde und wendete die Politik. Als erster Staat der Welt führte Deutschland staatliche Sozialversicherungen ein. Damit wollte Bismarck zeigen, dass zwar die „sozialen Wunderheiler“ der Bevölkerung viel versprechen können, jedoch er es ist, der wirklich etwas für sie tut. Doch die Sozialversicherungen verfehlten ihre Wirkung, die der Bevölkerung versprochen wurden. Die Leistungen dieser waren einfach viel zu schwach: Rente ab 70, Ausbrüche von Epidemien können nicht verhindert werden und Arbeitsunfälle sind vor Gericht kaum geltend zu machen. Macht. Die Auszahlungen der Versicherungen waren bis jetzt nur ein Tropfen auf einen heißen Stein und verpufften bereits im Moment ihrer Gabe.

Sozialistengesetze werden auf Sozialgesetze transformiert
Die Entwicklung der Armut zeigt sich eher gegensätzlich. Die Situation des Proletariates verschlechterte sich zunehmend. Der deutsche Raubtierkapitalismus fordert seine Opfer. Die Sozialversicherungen haben einen hohen symbolischen Wert, welcher zeigt, dass die Politik die Probleme der Armen erkannt hat und gegensteuern will. Doch realpolitisch wurden kaum Maßnahmen ergriffen, den Arbeits- und Lohnbedingungen der Bevölkerung wenigstens ein bisschen entgegen zu wirken. Bismarcks Plan, die Macht des Proletariats, schlier aus deren großen Masse, durch geschickte Vermarkten seiner sozialen Wohltaten zu bändigen und damit Aufstände in den Fabriken und auf den Straßen präventiv entgegen zu wirken, scheint allerdings von den Arbeitern durchschaut worden zu sein. Die Umfragewerte der Partei der Armen kletterten innerhalb der letzten Wahlperiode um fast 100% auf nun 19,6. Offensichtlich ist Bismarcks Politik der sozialen Beschwichtigung mit Gabe von Zuckerbrot gescheiter.

Sozialistengesetze die Zweite
Dies realisiert, wollte sich der große Kanzler des Reiches wieder der Peitsche bedienen. Durch eine weitere Verschärfung mit dem Verbot der sozialdemokratischen Parteien sollte das Sozialistengesetz erneuert werden. Immerhin blieben durch die erste Einführung seiner Partei-Zerstörer-Gesetze die Wahlergebnisse der Sozialdemokraten konstant. Für diese Verfassungsänderung fand er jedoch keine Mehrheit im Parlament, da viele der dort vertretenen Parteien bei solch willkürlichen Demokratieeinschränkungen befürchteten, bald selbst die nächsten zu sein. Bismarck war nicht fähig, das Problem der roten Gefahr zu lösen, denn er war nicht fähig, wirklich auf die Bedürfnisse der Arbeiter einzugehen. Diesem Misserfolg bediente sich der Deutsche Kaiser, um Bismarck trotz seiner Verdienste als preußischer Ministerpräsident, als Reichseiniger und als Kanzler, zum Rücktritt zu zwingen.

Innen bleibt’s gleich, außen vielleicht
Wenn ein politischer Gigant stirbt, so hinterlässt er zumeist eine große Lücke, welche mit der Zeit durch neue Gedanken gefüllt wird. Bismarck betrieb außenpolitisch eine Politik des Mächteausgleichs und wird daher im Ausland als eine wesentliche Triebkraft der Friedenssicherung in Europa anerkannt. Der neue Lotse des Deutschen Kaiserreiches scheint hingegen einen Weg der Konfrontation innerhalb von Europa einzuschlagen. Ist die stärkste europäische Macht auf dem Weg einen Krieg in Europa zu suchen?

Diese Frage wird wohl noch eine Weile unbeantwortet bleiben. Sicher ist aber, dass die Politik zur Bekämpfung der Sozialdemokraten so lange in Deutschland weiter gehen wird, bis eine der Beiden Seiten vernichtet sein wird. Eine friedliche Koexistenz zwischen den Sozialdemokraten, welche das Reich radikal verändern wollen, und einem Kaiser der Sozialdemokraten als „keine Deutschen“ bezeichnet ist für mich unvorstellbar. Ein baldiger Klassenkampf kann nur durch ein neues in Fahrt kommen der Wirtschaft verschoben werden, doch auch nur verschoben.





Dies ist mein Entwurf für die Aufgabenstellung einen Leitartikel der Times von 1890 über Bismarcks Politk von Zuckerbrot und Peitsche im Jahr seines Abgangs zu schreibe. Ich glaube, dass tendiert ein weing viel nach Links. Sagt mal was dazu, würde mich freuen, wenn jemand mir eine Antwort darauf gibt, was noch zu verbessern wäre.

Liebe Grüße

Wandervogel.
 
Schade, dass sich dazu hier sonst niemand äußert.

Werde mal noch meinen Versuch hinzustellen. Wandervogel's Artikel ist auch gelungen, setzt aber inhatlich andere Schwerpunkte und ist als Gesamtwerk "runder". Bei meinem habe ich beim Durchlesen immer noch das Gefühl, dass er nicht ganz schlüssig ist, da er vielen "Edits" unterlag.

Vielleicht fühlt sich ja doch noch jemand in der Lage eine Bewertung/Bemerkung zu dem ein oder anderen Artikel abzugeben...?




„The German Way“: Wie Deutschland mit der sozialdemokratischen Bewegung umgeht

Der deutsche Reichskanzler hegte seit den Unruhen von 1848 eine tiefe Antipathie gegenüber dem sozialdemokratischen Lager. Der Linke Flügel stellte für ihn seit der Gründung des Deutschen Kaiserreiches einen Reichsfeind dar. Er erkannte schnell, dass die Arbeiterbewegung im Zuge der Industrialisierung immer mehr an Zugkraft gewinnen würde. Beunruhigend war für Bismarck auch, dass sich sozialdemokratische Parteien nicht nur in Deutschland bildeten, sondern auch international an Anerkennung gewannen und sich in der „Ersten Internationalen“ zusammenschlossen.

Bismarck wusste nicht, wie er mit dieser Bedrohung umgehen sollte und versuchte sie zunächst durch die Sozialistengesetze zu verbieten. Dieser Versuch scheiterte formal, denn die Wahlergebnisse der sozialdemokratischen Parteien stiegen weiter. Doch wie hätten sich die Zahlen ohne Sozialistengesetz entwickelt? Hat er den Aufwärtstrend der SAPD damit nicht doch zumindest verlangsamt? Es gab für ihn kein politisches und mit der Verfassung vereinbares Mittel um die Wahlerfolge wirklich zu beenden. Die steigenden Erfolge des linken Flügels setzten Bismarck immer mehr unter Druck. Er musste sich etwas einfallen lassen, denn trotz des Verbot fast sämtlicher Parteiaktivitäten und die Verbannung ihrer geistigen Führer, stiegen die Zahlen für seine „Reichsfeinde“. Ab 1883, 5 Jahre nach dem ersten Sozialistengesetz, erschien deshalb daserste Sozialgesetz (Krankenversicherung). Ihm folgten 2 weitere bis 1889. Trotzdem stiegen die Wahlergebnisse für die sozialdemokratische Partei. Ein Schlag in das Gesicht des sonst so souveränen deutschen Reichskanzler, der schließlich auch deswegen zurücktrat.

Und doch ist insbesondere die Sozialgesetzgebung ein wegweisender Schritt für viele Staaten. Die Rolle des Staates ändert sich dadurch enorm: Deutschland gehtals Vorreiter den Weg zum „Sozialstaat“. Es ist jedoch zweifelhaft inwieweit sich diese Entwicklung durchsetzen wird. Auch wenn Bismarck als Urheber der Sozialgesetzgebung gesehen wird, sollte man auch seine Zweifel nicht vergessen. Ist es wirklich die Aufgabe des Staates sich in die Wirtschaft einzumischen und seinen Unternehmen vorzuschreiben, wie und ob sie sich um ihre Arbeiter kümmern sollen? Damit riskiert man auch konjunkturelle Einbrüche und eventuell eine Rezension. Denn die neuen Versicherungen müssen erst einmal finanziert werden. Und das geschieht natürlich zu einem Großteil auf Kosten der Arbeitgeber und -nehmer. Die Folge könnte also sogar eine steigende Arbeitslosigkeit sein und damit weiter zu Verschlechterung der Arbeiter führen. Auf der anderen Seite gehen die Gesetze in den Augen vieler Sozialdemokraten wiederum nicht weit genug. Wie sonst kann man die steigende Wählerschaft von SAPD begründen? Fakt ist: Bismarck hatte wohl kaum das Wohl seines Volkes vordergründig im Sinn. Hinter den Gesetzen steckt vielmehr eiskaltes politisches Kalkül, denn er hoffte somit dem linken Flügel den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Bismarck scheiterte beim Versuch die sozialdemokratischen Tendenzen zu unterbinden und wurde gegen Ende selbst zu einem Sozialdemokraten, wie ihm seine Kritiker vorwerfen. Deutschland wird damit auch zum Versuchsobjekt für andere europäische Staaten. Steigt die Zufriedenheit der deutschen Bevölkerung in den kommenden Jahren, werden auch andere Regierungen unter Druck geraten, ihre Politik teilweise auf das Proletariat auszurichten.

[FONT=&quot]Doch Bismarcks eigentliches Ziel, die Schwächung der SAPD muss als nicht erreicht gewertet werden. Er musste scheitern. Eine zahlenmäßig so starke und wirtschaftlich so einflussreiche Schicht, wie das Proletariat kann auf Dauer nicht von politischer Macht abgekoppelt werden. Zuckerbrot und Peitsche waren Bismarcks Versuche die Sozialdemokratie zu verhindern, wobei das Zuckerbrot als Zugeständnis nicht nur Ausdruck von Schwäche, sondern auch Anerkennung der politischen Berechtigung des linken Flügels darstellt. „Dropping the pilot“, der Rücktritt oder Rausschmiss Bismarcks 1890 wird auch an der gescheiterten Innenpolitik festgemacht. Er hat jedoch alles versucht um die rote Bedrohung unter Kontrolle zu halten. Doch in den Sozialdemokraten hat der deutsche Don Quijot seine Windmühlen gefunden.[/FONT]
 
Hallo RockyShelly,
ich glaube, Dein Artikel ist eher ein Leitartikel als meiner. Denn der hat, ich nenn's mal mehr Charakter also mehr persönliche Stellungnahmen. Ich denke mal, dass dies auch in etwas die Meinung der Timesleser trifft. Den Vergleich mit den Windmühlen Don Quijots finde ich übrigens richtig gelungen.
Also Ciao und danke für deine Antwort^^, und noch nice holidays
wandervogel.
ps. Ich weis nicht ob man das Proletariat unbedingt als wirtschaftlich einflussreich nennen sollte, wenngleich es sicher ein Wirtschaftsfaktor ist jedoch sehr abhängig von den Industriellen, und mehr als die Industriellen zur damaligen Zeit zu den Arbeitern. Sie hatte macht, aber nur durch ihre Masse (Unruhen,...), nicht durch ihren wirtschaftlichen Einfluss.
 
RockSkarley, wenn ich bitten darf :)

Danke für das Lob - mal schauen, wie der gute Doktor das sieht!

Das Proletariat schätze ich schon als wirtschaftlich einflussreich ein. Es war gerade dabei seine eigene Macht zu entdecken (Streiks, Lohnforderungen, Gewerkschaften). Nicht vergessen sollte man auch, dass das Proletariat den Großteil der Kaufkraft ausmacht und ein glücklicher Mensch gibt nun mal mehr Geld aus, als einer, der jeden Tag um sein Überleben kämpfen muss.
Ich habe deine Anmerkung aber mit in meinen Text eingearbeitet und die entsprechende Stelle in
[FONT=&quot]Eine zahlenmäßig so starke und wirtschaftlich an Einfluss gewinnende Schicht, wie das Proletariat kann auf Dauer nicht von politischer Macht abgekoppelt werden.
[/FONT]
geändert.

Den fertigen Artikel habe ich Dank Tante Edith oben eingestellt.

Gut's Nächtl
 
Denkste... Tante Edith lässt mich nur an meinen letzten Beitrag ran, dann eben hier...

09.11.1890

The German Way“: Wie Deutschland mit der sozialdemokratischen Bewegung umgeht

Der deutsche Reichskanzler hegte seit den Unruhen von 1848 eine tiefe Antipathie gegenüber dem sozialdemokratischen Lager. Der Linke Flügel stellte für ihn seit der Gründung des Deutschen Kaiserreiches einen Reichsfeind dar. Er erkannte schnell, dass die Arbeiterbewegung im Zuge der Industrialisierung immer mehr an Zugkraft gewinnen würde. Beunruhigend war für Bismarck auch, dass sich sozialdemokratische Parteien nicht nur in Deutschland bildeten, sondern auch international an Anerkennung gewannen und sich in der „Ersten Internationalen“ zusammenschlossen.
Bismarck wusste nicht, wie er mit dieser Bedrohung umgehen sollte und versuchte sie zunächst durch die Sozialistengesetze zu verbieten. Dieser Versuch scheiterte formal, denn die Wahlergebnisse der sozialdemokratischen Parteien stiegen weiter. Druck erzeugt bekanntlich Gegendruck – die Wähler waren auch Protestwähler, die Bismarck zeigen wollten, dass er sie nicht unterdrücken konnte. So gesehen, hat er den Aufschwung der SAPD sogar noch beschleunigt. Es gab für ihn kein politisches und mit der Verfassung vereinbares Mittel um die Wahlerfolge wirklich zu beenden. Die steigenden Erfolge des linken Flügels setzten Bismarck immer mehr unter Zugzwang. Er musste sich etwas einfallen lassen, denn trotz des Verbots fast sämtlicher Parteiaktivitäten und der Verbannung ihrer geistigen Führer, stiegen die Zahlen für seine „Reichsfeinde“. 1883, 5 Jahre nach dem ersten Sozialistengesetz, erschien deshalb
daserste Sozialgesetz (Krankenversicherung). Ihm folgten 2 weitere bis 1889. Trotzdem stiegen die Wahlergebnisse für die sozialdemokratische Partei. Im linken Lager war man gewarnt: Wie konnte man einem Mann trauen, der sozialdemokratische Bemühungen radikal unterband?
Und doch ist insbesondere die Sozialgesetzgebung ein wegweisender Schritt für viele Staaten. Die Rolle des Staates ändert sich dadurch enorm: Deutschland gehtals Vorreiter den Weg zum „Sozialstaat“. Es ist jedoch zweifelhaft inwieweit sich diese Entwicklung durchsetzen wird. Auch wenn Bismarck als Urheber der Sozialgesetzgebung gesehen wird, sollte man auch seine Zweifel nicht vergessen. Ist es wirklich die Aufgabe des Staates sich in die Wirtschaft einzumischen und seinen Unternehmen vorzuschreiben, wie und ob sie sich um ihre Arbeiter kümmern sollen? Damit riskiert man auch konjunkturelle Einbrüche und eventuell eine Rezension. Denn die neuen Versicherungen müssen erst einmal finanziert werden. Und das geschieht auf Kosten der Arbeitgeber und -nehmer. Die Folge könnte also sogar eine steigende Arbeitslosigkeit sein und damit weiter zur Verschlechterung der Lage der Arbeiter führen. Auf der anderen Seite gehen die Gesetze in den Augen vieler Sozialdemokraten wiederum nicht weit genug. Hinzu kommt das schon oben beschriebene Misstrauen gegenüber Bismarck. Fakt ist: Bismarck hatte das Wohl seines Volkes kaum vordergründig im Sinn. Wenn überhaupt, wollte er eine zufriedene Arbeiterschaft, die ihn im Falle eines Krieges unterstützen würden. Hinter den Gesetzen steckt aber vielmehr eiskaltes politisches Kalkül, denn er hoffte somit dem linken Flügel den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Bismarck scheiterte beim Versuch die sozialdemokratischen Tendenzen zu unterbinden und wurde gegen Ende selbst zu einem Sozialdemokraten, wie ihm seine Kritiker vorwerfen. Deutschland wird außerdem zu einem „Versuchsobjekt“ für andere Industriestaaten. Steigt die Zufriedenheit der deutschen Bevölkerung in den kommenden Jahren, werden auch andere Regierungen unter Druck geraten, ihre Politik teilweise auf das Proletariat auszurichten.
Doch Bismarcks eigentliches Ziel, die Schwächung der SAPD muss als nicht erreicht gewertet werden. Er musste scheitern. Eine zahlenmäßig so starke und wirtschaftlich an Einfluss gewinnende Schicht, wie das Proletariat kann auf Dauer nicht von politischer Macht abgekoppelt werden. „Zuckerbrot und Peitsche“ waren Bismarcks Versuche, die Sozialdemokratie zu verhindern, wobei das „Zuckerbrot“ als Zugeständnis nicht nur Ausdruck von Schwäche, sondern auch Anerkennung der politischen Berechtigung des linken Flügels darstellt. „Dropping the pilot“, die Entlassung Bismarcks 1890 wird auch an der gescheiterten Innenpolitik festgemacht. Er hat jedoch alles versucht, um die rote Bedrohung unter Kontrolle zu halten. Doch in den Sozialdemokraten hat der deutsche Don Quijote seine Windmühlen gefunden.
 
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