Einfluß durch die Entdeckung Amerikas?

Kassia

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Korrigiert bzw. verlinkt mich, wenn das Thema schonmal dran war:
Hatte die Entdeckung Amerikas ähnlichen Einfluß auf soziale Prozesse (speziell in Deutschland) wie die Konfessionalisierung? Also, so wie das Weltbild sich im Kleinen verschob, man vereinfacht gesagt, nicht mehr wußte, was man glauben soll und damit viel Platz für viel Aberglauben geschaffen wurde, geschah das durch die "neue Welt" auch im Großen? Immerhin war die Welt insgesamt ja nicht mehr das, was sie vorher war, und wer weiß, wer oder was in dieser neuen Welt lebt (wir machen uns entsprechend Gedanken über Außerirdische).
Ich habe keine blasse Ahnung, wie schnell sich derartige Neuigkeiten rumsprachen und was daran dann Dichtung und was Wahrheit war.

Um eines von vornherein klarzustellen: Ich möchte keine weitere Filiale zum Thema Hexenverfolgung eröffnen. Mich interessieren nur Faktoren, die das frühneuzeitliche Weltbild beeinflußt haben..

Gruß
Kassia
 
Kassia schrieb:
Also, so wie das Weltbild sich im Kleinen verschob, ...damit viel Platz für viel Aberglauben geschaffen wurde

Der fatale Aberglaube, der durch die Entdeckung Amerikas entstanden ist und heute noch unser Handeln dominiert, ist : "Die Ressourcen der Erde sind unendlich".

Eigentlich bahnte sich im Europa des 18./19. Jahrhundert gerade eine rationale, nämlich die gegenteilige Erkenntnis an. Die stark wachsende Bevölkerung konnte nicht mehr ernährt werden. Eine Konsolidierung wäre überlebensnotwendig gewesen, blieb uns aber erspart (und der damit verbundene Lerneffekt ebenfalls).

In seinem Buch "Kollaps" beschreibt Jared Diamond Erfahrungen in Papua-Neuguinea : Dort muss es vor ca. 1000 Jahren zu einer Situation der Überbevölkerung gekommen sein und dadurch zu einem Schwund des Waldes, Bodenerosion und anderen logischen Folgen eines exponentiellen Wachstums in einem konstanten Umfeld. Die Menschen haben es damals geschafft, die Ernährungslage durch eine völlige Umorganisation der Land- und Forstwirtschaft sowie der sozialen Regeln (Geburtszahlen, Eigentumsverhältnisse) zu konsolidieren.

Nun tauchten amerikanische "Entwicklungshelfer" auf und brachten mit ihren "modernen" (d.h. auf dem Aberglauben des unbegrenztes Wachstums auaufgebauten) landwirtschaftlichen Methoden die destruktiven Mechanismen (Erosion, Versalzung) wieder in Gang und hinterließen eine Wüste.
 
florian17160 schrieb:
...bevor ich Quatsch schreibe.
Ich hoffe doch, "anstatt"...

Gefragt war nach der Veränderung des Weltbildes sowie der Bildung von Aberglauben durch die Entdeckung Amerikas.

Was ist ein Weltbild ? Es ist die Vorstellung, die ich von der Beschaffenheit der Dinge habe und die mich hundertfach am Tag in meiner Vorgehensweise leitet.

Was ist Aberglaube ? Es ist der Glaube an etwas, was nicht rational, also nach dem Stand der Wissenschaft nicht zutreffend ist. Er vermittelt mir ein Weltbild, das mich in die Irre leitet (man kann das natürlich differenzierter diskutieren).

Es ist leicht, heute den Glauben an Hexenkräfte ins Lächerliche zu ziehen, da dieser eh' gesellschaftlich out ist. Viel schwieriger ist es, heute gängige Glaubenssätze zu hinterfragen. Das löst Gegenreaktionen aus. :winke:

Der Mensch hat es, im Gegensatz zu anderen Lebewesen, immer wieder geschafft, seine Population zu steigern. Die Lebensgrundlage wurde dabei zunächst durch Wanderungen erweitert, bis der gesamte Globus besiedelt war, und gleichzeitig durch Innovationen, die die Nahrungsbasis vergrößerte : Zunächst hat der Affe sich bewaffnet und konnte plötzlich - in der eiszeitlichen Tundra - Elefanten fressen, dann wurde die Landwirtschaft erfunden und schließlich der Kunstdünger und der Verbrennungsmotor.

Ist es nun ein Glaube oder ein Aberglaube, dass es mit dem Wachstum immer so weitergehen kann ? Zumindest ist die Erde über den gesamten Zeitraum gleich groß geblieben (das kann man nachmessen).

In dem zitierten Buch wird an, meist sehr begrenzten, menschlichen Lebensräumen - wie der Osterinsel und anderen polynesischen Inseln, den Wikingern auf Grönland, einigen Idianerkulturen, Papua-Neuguinea - beschrieben, wie Hochkulturen mit einer extrem hohen Bevölkerungsdichte funktionieren können bzw. müssen... oder aber nicht.

Es werden Fälle beschrieben (z.B. Papua-Neuguinea), in denen nach der Zeit des Wachstums eine Krise auftrat und eine Konsolidierung gelang, und andere, wo die Kultur zusammenbrach und die Bevölkerung stark dezimiert wurde (z.B. die Osterinsel) oder ganz verschwand (z.B. Pitcairn). Häufig führten menschengemachte langfristig Schäden wie Bodenerosion und Abholzung in Zeiten ungünstiger natürlicher Klimasituationen zum Zusammenbruch.

Wichtig für die Frage, ob ein Turn-over gelingt oder nicht, ist hier wieder das Weltbild, getragen durch Wissen, Glaube und Aberglaube, die wiederum Ausdruck einer bestimmten Kultur sind.

Da ich es für physikalisch trivial halte, dass es kein unbegrenztes Wachstum in einer begrenzten Welt geben kann, wäre es sinnvoll, dass dies in das Weltbild der Menschen einginge und man sich entsprechend verhielte, insbesondere bei irreversiblen Prozessen wie z.B. Ölverbrauch oder Abholzung von Regenwäldern mit anschließender Bodenerosion.

Die Entdeckung Amerikas war in dieser Hinsicht kontraproduktiv; die sozialen und Ernährungsprobleme Europas konnten durch massenhafte Auswanderung umgangen werden. Die Besiedlung Amerikas war wie ein Lottogewinn für eine überschuldete Familie (die so auch auf Lerneffekte verzichten kann).

Der Glauben an ein unbegrenztes Wachstum wurde also durch die Entdeckung Amerikas bestätigt und verstärkt. Da er auf keiner rationalen Grundlage steht, nenne ich ihn einen Aberglauben. Und ich halte ihn für fatal, da er gerade dabei ist, die Welt in eine instabile Situation zu manövrieren.
 
Klaus schrieb:
Nanu, wo ist denn der Beitrag von Flo gebleiben, auf den ich geantwortet hatte ? :confused:

Na! Du wirst doch wohl nicht anfangen Gespenster zu sehen und an Hexen zu glauben?
Da stand nie etwas.... :pfeif: :rofl:
 
Das wollte ich gerade fragen, ob da etwas gelöscht wurde!?
Ist nett, daß du dir soviel Mühe mit der Antwort machst, allerdings bin ich nicht sicher, ob du mich recht verstanden hast. Ich meinte unmittelbar die Menschen v.a. in Mitteleuropa im16. und 17. Jh. Die Entwicklungen die du beschreibst, waren wohl erst später, bzw. sind noch aktuell.
Der Bauer auf seiner Scholle hat zunächst mitgekriegt, daß z.B. auf einmal der Papst nicht mehr der Boß sondern der Antichrist ist. Und dann wurde noch der Teufel plötzlich sehr populär. Das grob zur inneren Situation. Und nun hört er vielleicht irgendwo, daß Seefahrer wiet über dem Meer ein anderes Land entdeckt haben, wo Menschen wohnen, die ihren Göttern andere Menschen als Opfer bringen. Krasses Beispiel, aber man muß sich ja irgendwie in so eine Gestalt hineinversetzen.
Wird er dann das Gefühl haben, daß diese Welt noch die gleiche ist, wie bei seiner Geburt?
Meinst du, das Bäuerchen hat sich in der Situation über Resourcenknappheit Gedanken gemacht?
Aber vielleicht kam ja auch nichts von alledem bei ihm an, und dann wäre die Entdeckung Amerikas für ihn völlig egal gewesen.

Gruß
Kassia
 
Kassia schrieb:
Meinst du, das Bäuerchen hat sich in der Situation über Resourcenknappheit Gedanken gemacht
Es geht eben nicht um Gedanken, sondern um Glauben.

Er wird gedacht haben : Ich bin leider nur der drittgeborene Sohn, da kriege ich den Hof meines Vaters nicht. Auch den Job als Mostköpfchen hat schon mein älterer Bruder, der Depp.

Aber ich kann ja nach Amerika auswandern, um mein Glück zu machen !

In o. g. Buch wird auch die Situation in Burundi-Rwanda beschrieben. Der Autor führt die zyklischen Massaker zwischen Hutu und Tutzi darauf zurück, dass die vererbten Höfe durch die wachsende Bevölkerung so klein geworden sind, dass sie die Familie nicht mehr ernähren können (in Gegenden ohne Tutsi bringen sich Hutu auch notfalls gegenseitig um).

Gut, dass unser Bäuerlein die Alternative hatte woanders hinzugehen und den festen (Aber-)Glauben, dass es immer ein Woanders gibt.
 
Klaus schrieb:
Nanu, wo ist denn der Beitrag von Flo gebleiben, auf den ich geantwortet hatte ? :confused:

Da dieser, mein Beitrag, missgedeutet hätte werden können, habe ich ihn löschen lassen. Ich meinte mit "Quatsch" schreiben nicht mich.
Nun taucht er doch in einem Zitat auf. Egal.
 
Zuletzt bearbeitet:
Kassia schrieb:
Der Bauer auf seiner Scholle hat zunächst mitgekriegt, daß z.B. auf einmal der Papst nicht mehr der Boß sondern der Antichrist ist. Und dann wurde noch der Teufel plötzlich sehr populär. Das grob zur inneren Situation. Und nun hört er vielleicht irgendwo, daß Seefahrer wiet über dem Meer ein anderes Land entdeckt haben, wo Menschen wohnen, die ihren Göttern andere Menschen als Opfer bringen. Krasses Beispiel, aber man muß sich ja irgendwie in so eine Gestalt hineinversetzen.
Wird er dann das Gefühl haben, daß diese Welt noch die gleiche ist, wie bei seiner Geburt?

Ich tendiere eher dazu, zu bezweifeln, dass die Entdeckung ferner Länder für den normalen Bauern ein nennenswertes Ereignis war, das ihm ein irgendwie geartetes Gefühl umwälzender Veränderungen vermittelt hat. Es war gängige Vorstellung, dass jenseits der von der Christenheit bewohnten Welt seltsame Landstriche mit noch seltsameren Bewohnern existieren. Man konnte sich über die schwarzen Menschen in Afrika genauso wundern wie über Menschen mit Hundeköpfen in Indien, das Reich des Priesterkönigs Johannes in Afrika war ebenso real wie das Paradies fern im Osten in Asien. Entdeckte man nun einen neuen Kontinent im Westen war das natürlich schon bemerkenswert, aber als Land El Dorado bezeichnenderweise schnell mystisch verklärt. Geschichten über Eingeborene, die Menschen ihren Göttern opfern, passten da natürlich genau in das Bild des Schaurig-Fremdartigen, was man sich von diesen Ländern machte. Die bloße Entdeckung neuer Kontinente änderte das Weltbild daher noch nicht. Da brauchte es wohl erst Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte für - gemeinhin dürfte erst das 20. Jahrhundert gezeigt haben, dass das christliche Europa nicht alleiniger Beherrscher der Welt ist.
 
Bestätigt wurde durch die Entdeckung Amerikas und die Weltumsegelung Magellans zunächst das heliozentrische Weltbild des Kopernikus, wonach die Erde und andere Planeten um die Sonne kreisen. Zwar hatten auch andere Wissenschaftler das angenommen, doch die Entdeckungsreisen lieferten erstmals den schlagkräftigen Beweis, dass das geozentrische Weltbild des Ptolemäus ausgedient hatte.

Inwieweit diese revolutionäre Entwicklung die breite Masse der bäuerlichen Bevölkerung beschäftigt hat, ist schwer zu sagen. Ich neige wie Herold zu der Ansicht, dass es keine nennenswerten Rückwirkungen gegeben hat, da die Entdeckungen keinerlei unmittelbare Auswirkungen auf den bäuerlichen Alltag hatten – ganz abgesehen davon, dass diese große Bevölkerungsschicht nach wie vor in Unwissenheit und Aberglauben verharrte. Der bis in die frühe Neuzeit anhaltende Hexenwahn legt davon Zeugnis ab.

Wirtschaftliche und vielleicht auch soziale Auswirkungen hatten die Entdeckungen für den Handel und somit für die Fernkaufleute. Der Handel verlagerte sich aus dem Mittelmeer und der Nord- und Ostsee in den Atlantik, was z.B. die Hanse nachhaltig schwächte. Spanien wurde von einer Flut geraubter Edelmetalle überschwemmt, die auf den spanischen Silberflotten stetig angeliefert wurden. Das löste langfristig eine Inflation aus, die u.a. zur Verarmung großer Teile des spanischen Bauernstandes führte.

Soziale Umbrüche in Mitteleuropa, die auf die Entdeckungen zurückgeführt werden könnten, sind jedoch nicht erkennbar.
 
Dieter schrieb:
Soziale Umbrüche in Mitteleuropa, die auf die Entdeckungen zurückgeführt werden könnten, sind jedoch nicht erkennbar.

Umbrüche wohl kaum. Der Prozess war ein langwieriger. Inflation ist nur ein Beispiel. Ein anderes wäre die Kartoffel: Ab wann löste die Kartoffel Kohl und Rüben als Hauptnahrungsmittel ab? Wieviele Familien entkamen Hungersnöten und Verfolgungen durch Emigration?

Aber die Ausgangsfrage zielt ja eher auf einen Mentalitätswandel ab. Auch hier würde ich sagen, dass es kurz- und mittelfristig das Gedankengebäude der einfachen Menschen nur wenig berührte. Dafür sind die sozialen Implikation in langfristiger Hinsicht (17. und 18. Jhdt.) umso größer gewesen. Das Echo von 1776 ist nur anschauliches Beispiel.
 
Dieter schrieb:
Bestätigt wurde durch die Entdeckung Amerikas und die Weltumsegelung Magellans zunächst das heliozentrische Weltbild des Kopernikus, wonach die Erde und andere Planeten um die Sonne kreisen. Zwar hatten auch andere Wissenschaftler das angenommen, doch die Entdeckungsreisen lieferten erstmals den schlagkräftigen Beweis, dass das geozentrische Weltbild des Ptolemäus ausgedient hatte.

Das kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen. Was hat denn die Entdeckung Amerikas und die Weltumsegelung mit den Bewegungen der Sonne, der Erde und der anderen Planeten zu tun?
 
Ich habe mich falsch ausgedrückt. Sorry!

Durch die Fahrt des Kolumbus und mehr noch durch die Weltumsegelung Magellans war nachdrücklich bewiesen, dass die Erde keine Scheibe, sondern eine Kugel ist. Damit war das von der Bibel und auch der Kirche geprägte Weltbild zerstört. – Die Entdeckung des Kopernikus, dass die Sonne im Mittelpunkt steht, und die Erde und andere Planeten um sie kreisen, hat damit nicht unmittelbar etwas zu tun.
 
Dieter schrieb:
Inwieweit diese revolutionäre Entwicklung die breite Masse der bäuerlichen Bevölkerung beschäftigt hat, ist schwer zu sagen.

Da stellt sich mir die Frage, wessen Weltbild für geschichtliche "Megatrends" wichtiger ist : Das der "breiten Masse" oder das der (wissenschaftlichen, klerikalen, politischen, künstlerischen,...) Elite.
 
In Posting Nr. 6 fragte Cassia, ob die Entdeckungen Auswirkungen auch auf den einfachen Bauern hatten. Darauf diese Antwort von mir und unter Nr. 9 von Herold.
 
Dieter schrieb:
Ich habe mich falsch ausgedrückt. Sorry!

Durch die Fahrt des Kolumbus und mehr noch durch die Weltumsegelung Magellans war nachdrücklich bewiesen, dass die Erde keine Scheibe, sondern eine Kugel ist. Damit war das von der Bibel und auch der Kirche geprägte Weltbild zerstört.

Daß die Erde eine Kugel ist, war damals aber schon längst ein alter Hut; eine scheibenförmige Erde wurde nicht von der Kirche gelehrt. Ich darf auf einen alten Beitrag mit vielen Literaturtips und Links hinweisen:

http://www.geschichtsforum.de/showpost.php?p=5191&postcount=7
 
Die berühmte Ebstorfer Landkarte wurde so gemalt, wie man sich nach Interpretation der Bibel die Erde vorstellte: als Scheibe, in deren Mitte das himmlische Jerusalem liegt. Das war die bis ins 15. Jh. verbreitete Meinung, auch wenn schon Griechen wie z.B. Ptolemäus die Theorie einer Kugel vertraten. Diese Meinung setzte sich bei einigen Wissenschaftlern, nicht jedoch auf breiter Front durch.
 
Die Ebstorfer Weltkarte wurde nach den Möglichkeiten gemalt, die man vor Contarini oder Mercator hatte.
 
Dieter schrieb:
In Posting Nr. 6 fragte Cassia, ob die Entdeckungen Auswirkungen auch auf den einfachen Bauern hatten.

Stimmt, und die Ausgangsfrage war...
Kassia schrieb:
Hatte die Entdeckung Amerikas ähnlichen Einfluß auf soziale Prozesse...

...daraufhin stellte sich mir die Frage, ob ein neues Weltbild eher in der Lage ist, soziale Prozesse auszulösen, wenn es sich in den Köpfen der (vielen) "einfachen" Leute einnistet, oder eher dann, wenn es beginnt, das Denken der (wenigen) Angehörigen der Eliten zu bestimmen.
 
Was ist überhaupt ein Weltbild? Und wie können wir zuverlässig sagen, welches Weltbild welcher Bauer wann hatte?

Welches Weltbild haben europäische Bauern denn heute?
 
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