Einige Fragen zum antiken China

Holzmichl

Mitglied
Ich beschäftige mich derzeit – als Nicht-Historiker – mit der Geschichte Chinas. Also eigentlich mit der Gegenwart Chinas, aber um die zu verstehen, ist halt auch immer ein Blick in die Historie und die Entwicklung wichtig, finde ich.

Ich hoffe also folgende Fragen zur Geschichte Chinas sind nicht dumm – und noch mehr hoffe ich, dass mir vielleicht der eine oder andere hierbei behilflich sein kann.

1. Warum setzt man den Beginn des Kaiserreichs eigentlich 221 vor Christus an? Was unterschied die damalige Qin-Dynastie von den vorhergegangenen Shang- oder Zhou-Dynastie zum Beispiel? So wie ich das verstehe ist China ja immer wieder auch in Teilreiche zerfallen und wurde dann 3x wieder vereint (280 von Jin-Dynastie, 589 von Sui-Dynastie, 1279 von Yuan-Dynastie) – also das sind doch ganz ähnliche Verhältnisse als wie vor 221 vor Christus.

2. Daran anknüpfend: Wieso spricht man eigentlich von einem rund 2000 Jahre langen Kaisserreich – immer wieder zerfiel es doch in Teilreiche mit Gegenkaisern oder konkurrierenden Dynastie. Wieso also betrachtet man es als eins? Und wieso ab 221 vor Christus eben schon, vorher aber nicht?

3. Wie viel Wandel gab es durch die verschiedenen Dynastien-Wechsel? Kann man da nicht von unterschiedlichen Staaten sprechen während der einzelnen Dynastien? Die Größe des Reichs variierte ja auch immer wieder. Wieso betrachtet man das trotzdem als zeitlich durchgängiges und räumlich zusammenhängendes Reich?

4. Wie viele Kaiser hatte China eigentlich? Hab irgendwo mal die Zahl 557 aufgeschnappt. Stimmt die? Und wie viele Dynastien? Einmal habe ich was von 69 gelesen, aber ich komme nur auf 17: 1) Qin-Dynastie 221-207 v. Chr., 2) Han-Dynastie 206 v. Chr. – 9 n.Chr., 23-220, 3) Xin-Dynastie: 9-23; 4) Zeit der Drei Reiche: 220-280; 5) Jin-Dynastie: 265-420, 6) Sechzehn Reiche: 304-439; 7) Südliche und Nördliche Dynastien: 420-581; 8) Sui-Dynastie: 581-618; 9) Tang-Dynastie 618-907; 10) Fünf Dynastien und Zehn Königreiche: 907-979; 11) Liao-Dynastie: 916-1125; 12) Song-Dynastie: 960-1279; 13) Jin-Dynastie: 1125-1234; 14) Westliche Xia-Dynastie: 1038-1227; 15) Yuan-Dynastie: 1279-1368; 16) Ming-Dynastie: 1368-1644; 17) Qing-Dynastie: 1644-1912;
Wie kommt man da also auf die Zahl 69?
 
221 v. Chr. deshalb, weil Qin Shi Huangdi als erster den Titel "Huangdi" führte, der im Deutschen mit "Kaiser" wiedergegeben wird. Frühere Herrscher nannten sich "Wang" (was mit "König" übersetzt wird) oder anders.

Eine Gesamtzahl von Kaisern (und Dynastien) kann man kaum angeben, da es davon abhängt, welche Dynastien man (vor allem in Zeiten von Reichsteilungen) mitzählt und ob man "geteilte" Dynastien wie die Han-Dynastie als eine oder zwei rechnet.

Auf 69 komme ich auch:
Qin-Dynastie
Westliche Han-Dynastie
Xin-Dynastie
Östliche Han-Dynastie
Wei-Dynastie
Shu Han-Dynastie
Wu-Dynastie
Westliche Jin-Dynastie
Östliche Jin-Dynastie
Chu-Dynastie
Cheng Han
Han Zhao
Frühere Liang
Spätere Zhao
Ran Wei
Frühere Yan
Frühere Qin
Spätere Qin
Spätere Yan
Westliche Qin
Spätere Liang
Südliche Liang
Südliche Yan
Westliche Liang
Nördliche Liang
Xia
Nördliche Yan
Nördliche Wei-Dynastie
Westliche Wei-Dynastie
Östliche Wei-Dynastie
Nördliche Qi-Dynastie
Nördliche Zhou-Dynastie
Frühe Song-Dynastie
Südliche Qi-Dynastie
Liang-Dynastie
Südliche Liang-Dynastie
Chen-Dynastie
Sui-Dynastie
Tang-Dynastie
Zweite Zhou-Dynastie
Yen-Dynastie
Späte Liang-Dynastie
Spätere Tang-Dynastie
Spätere Jin-Dynastie
Spätere Han-Dynastie
Spätere Zhou-Dynastie
Wu
Südliche Tang
Wu-Yüeh
Min
Südliche Han
Machu (=Ch'u)
Frühere Shu
Spätere Shu
Südliche Ping (=Jingnan)
Yin
Nördliche Han
Liao-Dynastie
Nördliche Song-Dynastie
Südliche Song-Dynastie
Xi-Xia-Dynastie
Jin-Dynastie
Yuan-Dynastie
Ming-Dynastie
Shun-Dynastie
Südliche Ming-Dynastie
Zhou-Dynastie
Qing-Dynastie
Hongxian-Dynastie
 
Zuletzt bearbeitet:
Nein, die Herrschaft Shi Huangdis stellte schon eine Zäsur dar. Auch er selbst sah das so bzw. nahm es für sich in Anspruch, indem er sich einen neuen Titel zulegte und sich "Erster erhabener Kaiser der Qin" nannte, also zum Ausdruck brachte, am Beginn einer neuen Ära zu stehen. Unter seiner Herrschaft wurde erstmals seit Jahrhunderten die Reichseinheit wiederhergestellt, dazu Reformen, Großprojekte etc.
 
Es geht dabei auch um Geschichtsbewusstsein und Selbstsicht: Ab 221 v. Chr. wurde auch bei Teilungen immer das Ganze als Ideal gesehen und angestrebt. Zuvor war das nur eine Art utopische Vorzeit, die von einem Konfuzius zwar hochgelobt wurde, deren Wirkmacht aber sehr begrenzt war.
 
Das chinesische Kaiserreich gilt ja als das langlebigste politische System der Menschheitsgeschichte. Was sind denn die Plätze 2 und 3?
 
Tut es das? Das ist wohl Ansichtssache. Der letzte Schah ließ pompös 2.500 Jahre "iranische Monarchie" feiern, indem er eine Kontinuität seit den Achaimeniden suggerierte, die so freilich nicht gegeben war.

Auch beim chinesischen Kaiserreich kann man hinterfragen, wie "langlebig" es wirklich war, wenn es doch immer wieder zerfiel.

Da würde mir eher Japan einfallen: Der Überlieferung nach existiert das Kaiserreich seit 660 v. Chr., in Wahrheit wohl eher erst ab ca. dem 4./5. Jhdt. n. Chr. Aber immerhin: Seit Anbeginn regiert dieselbe Dynastie, und lediglich im 14. Jhdt. gab es eine Zeitlang zwei rivalisierende Zweige dieser Dynastie ("Nordhof" und "Südhof"). Faktisch zerfiel das Reich zwar im 16. Jhdt. ("Zeit der streitenden Reiche"), aber der Kaiser blieb als einigendes Band erhalten.
 
Der Legende nach soll das Kaiserreich Abessinien 980 v.Chr. entstanden sein. Es bestand abgesehen von den Jahren der italienischen Besetzung 1935-41 bis 1974. Wenn man die Legende für bare Münze nimmt, hätte Abessinien auch gute Karten als "langlebigstes politisches System der Menscheitsgeschichte".
 
Das chinesische Kaiserreich gilt ja als das langlebigste politische System der Menschheitsgeschichte. Was sind denn die Plätze 2 und 3?

Es ist sicher auch die Frage, welche Veränderungen oder Umwälzungen oder welche Perioden der Unterbrechung man akzeptiert, um noch vom selben politischen System zu sprechen.

Das Ägyptische Reich bestand jedenfalls in der einen oder anderen Form von etwa 3032 v. Chr. (Beginn der Frühdynastischen Zeit) bis 31 v. Chr. (Ägypten fällt an Rom). Allerdings mit gewissen Unterbrechungen durch die Zwischenzeiten, in denen es keine Zentralgewalt gab und Zeiten der Fremdherrschaft und man kann eventuell in Frage stellen, ob das Reich der Ptolemäer immer noch das gleiche Reich ist. Die Ptolemäer führten allerdings den Titel Pharao weiter.
 
Mit ganz viel Phantasie könnte man das Römische Reich von 753 v. Chr. (sagenhafte Gründung Roms) bis 1806 n. Chr. (Niederlegung der römischen Kaiserwürde durch Franz II.) rechnen. Das wäre zumindest besser als China, wenngleich es an Ägypten und Abessinien nicht herankommen würde.
 
Zurück
Oben