Eisenbahnen und Festungen im Ostkrieg 1914/17

dekumatland

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Könntest Du den Aspekt der Brisanz- bzw. Munitionskrise noch etwas näher erläutern? :winke:
Gerne - aber wo? Hier in diesem Faden, oder besser beim Festungsbau (Technikgeschichte)?

in aller Kürze: um 1885 wurde Munition entwickelt - Brisanzgranate - welche den bisherigen Festungbau (Stein- oder Ziegelgewölbe unter Erddeckung) nutzlos machte, weil sie die Hohlbauten dieser Festungen mit verheerender Wirkung durchschlug. In den folgenden Jahren entwickelte man mit viel Mühe neuartige Festungsbauten und -konzepte, welche der Wirkung sowohl der Brisanzmunition als auch der weitreichenden Festungsgeschütze (dicke Bertha etc.) einigermaßen widerstanden. Beton und Stahlbeton als neuer Baustoff (bis zu über 3m dicke Betondecken über Hohlräumen/Kasematten, Panzerung von betonierten Geschützstellungen in den Forts sowie gestreut zwischen diesen) zusammen mit der neuen Anordnung (Trennung von Nah- und Fernkampfpositionen, Trennung von Artilleriebatterien und Infanterieforts) werteten die wenigen neuen bzw. modernisierten Großfestungen wieder auf.

Die russ. Festungkette entlang der Narew wies lediglich in der günstig in Sumpfland gelegenen Fortgruppe Osowiec, in der Brückenkopf-Festung Lomza und im Festungsgebiet von Modlin (Modlin, Zegrze, Fort Beniaminow) derartige Stärke auf, ansonsten in Brest. Aber offenbar genügte das unter Berücksichtigung des Geländes, um doch einigen Respekt vor diesen stark befestigten Positionen zu bewirken.

ach ja: mein Benutzerbildchen zeigt die kasemattierte Betonstellunge eines Zwischenwerks (genauer: eines Traditors (Zwischenraumstreiche) nach der Konstruktion von Mjaskowski, dem Vater des Komponisten Mjaskowski) aus dem äußeren Gürtel von Fortgruppen der Festung Modlin, gebaut 1912. Die Betonscharten für weitreichende Artillerie weisen nicht auf die Front bzw. Feindseite, sondern schräg in Zwischenraum und Vorfeld der benachbarten Gruppenbefestigung.

Mit entsprechender Brisanzmunition und dazu gehörender Artillerie war man ausgestattet, man ging auch davon aus, dass sich solche monströsen Festungen nur wenige Wochen halten könnten (was falsch war: manche wurden innerhalb von Tagen geknackt, andere trotz aller Mühe gar nicht), was aber Zeit für entscheidende Truppenbewegungen ermöglicht und natürlich gegnerische Truppen temporär bindet.
 
Ein Feldzug in die russische Tiefe war, mit dem Russlandfeldzug Napoleons von 1812 in der geschichlichen Erinnerung, wohl auch wenig erfolgversprechend. Man würde vor ähnlichen Problemen stehen. Vor allem die Logistik hätte unüberwindliche Probleme aufgeworfen. Auch z.B. aus dem Grunde, weil die russische Eisenbahn eine andere Spurenweite besaß.
Die politische Instabilität Russlands spielte in der deutschen Planung sicher eine Rolle. Man hoffte, dass eine nicht siegreiche, russische Armee früher oder später, wie nach dem Russisch-Japanischen Krieg, zu Unruhen im Land führen würde. Falkenhayn hielt sich mit einer Annexion russischen Bodens zurück, um solchen Unruhen nicht den Nährboden zu nehmen. Zudem nahm man so den Russen nicht das Gesicht und Verhandlungen zu einem Seperatfrieden wären unproblematischer. Allerdings erfüllten sich letztere Hoffnungen nicht. Das mit den Unruhen und der Revolution (8. März 1917) funktionierte und als man schließlich Lenin nach Russland schleuste, der mit der Bolschewiki putschte und die Oberhand gewann (7. November 1917), erfüllte sich auch der Wunsch nach einem Frieden (Friedensvertrag von Brest-Litowsk, 9. Februar 1918), der allerdings zu spät kam.
 
...Man würde vor ähnlichen Problemen stehen. Vor allem die Logistik hätte unüberwindliche Probleme aufgeworfen. Auch z.B. aus dem Grunde, weil die russische Eisenbahn eine andere Spurenweite besaß.
...
Da haben die Russen sich selbst einen Bock geschossen. Die breitere Spur lässt sich mit relativ geringen Aufwand auf eine geringere Weite umnageln. Eine schmalere Spur jedoch zu verbreitern, ist nicht so einfach.

Dazu etwas OT: Die Briten haben für den Krimkrieg eine andere Lösung gewählt und angeblich extra Lokomotiven mit russischer Spurweite produziert. Nach dem Krieg wurden die nach Argentinien verkauft, weshalb ein Teil des dortigen Netzes bis heute die breitere russische Spur aufweist.
 
Zuletzt bearbeitet:
Rurik schrieb:
Ein Feldzug in die russische Tiefe war, mit dem Russlandfeldzug Napoleons von 1812 in der geschichlichen Erinnerung, wohl auch wenig erfolgversprechend. Man würde vor ähnlichen Problemen stehen. Vor allem die Logistik hätte unüberwindliche Probleme aufgeworfen.

Und nicht zu verachten ist auch das personelle Problem. Als die Deutschen im März 1918 im Westen "Michael" begonnen hatten, waren im Osten über 1 Million Mann an Besatzungstruppen zurückgelassen worden.
 
Da haben die Russen sich selbst einen Bock geschossen. Die breitere Spur lässt sich mit relativ geringen Aufwand auf eine geringere Weite umnageln. Eine schmalere Spur jedoch zu verbreitern, ist nicht so einfach.
Wir reden hier von einem geringen Unterschied in der Spurweite, da gibt es in beiden Richtungen keine großen Probleme.

Viel wichtiger ist die Machart des Unterbaus und die Qualität des Oberbaus, im speziellen die von Brücken.

Die Reichsbahn hat zwischen den Kriegen große Probleme beim gewünschten Ausbau der Hauptstrecken auf 20t Achslast gehabt. Die Gleise waren innerhalb recht kurzer Zeit verstärkt, bei Brücken war der Aufwand ungleich höher.

Der "russische Bock" bestand also nicht im unterschiedlichen militärischen Nutzen, es ist einfach ein wirtschaftlicher Nachteil. Erst heute sind automatische Umspurvorrichtungen für ausreichend viele Wagen vorhanden, früher war der Aufwand beim Wechsel der Drehgestelle oder gar beim Umladen deutlich größer.

Solwac
 
Hat denn das praktische Beispiel 1917/18 größere logistische Probleme belegt?

Es wurden doch reichlich Abtransporte aus dem Baltikum etc. vorgenommen, daneben die Versorgung der Millionentruppe im Osten.

Ich vermute aber mal, dass die beim Vormarsch in die Tiefe auch wesentlich "aus dem Land" gelebt haben. Bliebe Munition usw.
 
Ich weiß nur, dass in Ostpreußen Kleinbahnen aus militärischen Gründen während des 1. Weltkrieges gebaut wurden. Damit wurden Orte an das Eisenbahnnetz angeschlossen und Transporte wurden so erleichtert.

Ansonsten ist das russische Eisenbahnnetz nicht leistungsfähig genug gewesen, so dass eine Umnagelung alleine nicht ausgereicht hat. Von rückwärtigen Positionen wurde sehr viel mit Heeresfeldbahnen, d.h. extra für den Krieg verlegten Schmalspurbahnen, gearbeitet.

Im Vergleich zum 2. Weltkrieg war der Frontverlauf auch weiter westlich und in Polen gab es nur wenige Linien mit Breitspur.

Solwac
 
Natürlich stellt das Umstellen auf eine breitere Spur kein unüberwindliches Hindernis dar. Der Ingenieur weiß Rat. Allerdings, im Krieg zählt Geschwindigkeit. Napoleon wusste das und trieb seine Armeen zu vorher nie geahnten Marschleistungen an. Wer zuerst da ist, der hat das Sagen. Wenn man da zwischendurch noch rumbasteln muss, dann hat der Gegner Zeit, um Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Man darf die Logistik nicht unterschätzen. Man kann sie gar nicht überschätzen!!!
Das ist jetzt eine Parole aus dem II. Weltkrieg, aber: "Räder rollen für den Sieg."
 
Klar, die Geschwindigkeit zählt. Allerdings ist es für die Seite in der Defensive relativ einfach, Brücken u.ä Engstellen zu stören. Außerdem ging im Kampf relativ viel kaputt und beim behelfsmäßigen Wiederaufbau ist die vorige Spurweite nicht der entscheidende Faktor. Wichtiger ist die Infrastruktur, z.B. Wasser für die Dampfloks und erbeutete Maschinen für die Wartung.

Die Erfahrungen des 1. Weltkriegs zeigten die Bedeutung der Militäreisenbahn und verboten sie den Mittelmächten. Und dabei ging es nicht um ein wirkungsvollen Helferf bei der Mobilmachung (das leistet ja noch fast komplett das Personal aus Friedenszeit).

Im 2. Weltkrieg dann löste der LKW die Eisenbahn als technische Hilfe in Frontnähe ab - Pferdefuhrwerke waren aber immer noch unverzichtbar. Die Eisenbahn konnte der beweglichen Front nicht mehr folgen und beschränkte sich auf die Etappe. Die Schmalspurbahnen direkt in Frontnähe gab es so gut wie gar nicht mehr und auch die dicken Eisenbahngeschütze verursachten mehr Aufwand als Nutzen.

Um wieder zum Ausgangspunkt zurück zu kommen: Hätten die Russen ihre Linien im üblichen Maß Mitteleuropas gebaut, dann wäre es im Kriegsfall dem Vorrückenden eine kleine Erleichterung gewesen (am wichtigsten dürfte fast noch die uneingeschränkte Verwendbarkeit von erbeuteten Fahrzeugen sein), allerdings hätte der verbesserte Handel vielleicht die Ausgangsposition geändert. Die Weite des russischen Raumes hätte sich aber so auch nicht geändert.

Solwac
 
Die Weite des russischen Raumes hätte sich aber so auch nicht geändert.

Solwac

Es ging wohl auch immer um den inneren Zusammenbruch Russlands. Umsonst hat man denen nicht ihren Lenin auf den Hals gehetzt.
Man vermied geradezu, russischen Boden zu erobern. 1918 wurde dann alles anders. Der russische Staat brach zusammen und die deutsche Armee drang tief in russisches Territoruim ein. Man kam bis an den Donez im Süden und nach Pskow im Norden. Am 1. März 1918 wurde Kiew besetzt, am 8. April Charkow. Man gewann das Gelände aber nicht wirklich, sondern drang eher den Eisenbahnlinien folgend vor und besetzte Städte und Eisenbahnknotenpunkte.
 
Daher noch einmal die Nachfrage: welche Hinweise gibt es bzgl. der Versorgungslage im Baltikum (für das wegen der Abtransporte ins Deutsche Reich der größte to-km-Bedarf bestanden hat, mithin die logistischen Voraussetzungen bestanden haben müßten).

Der Vormarsch entlang der Eisenbahnlinien 1918 ist auch auch ein guter Hinweis. Was passierte hierbei mit den Linien?

Gibt es dazu nichts in der Literatur?
 
Daher noch einmal die Nachfrage: welche Hinweise gibt es bzgl. der Versorgungslage im Baltikum (...) Der Vormarsch entlang der Eisenbahnlinien 1918 ist auch auch ein guter Hinweis. Was passierte hierbei mit den Linien?

Gibt es dazu nichts in der Literatur?

auf russ. Seite befand sich ein wichtiger Eisenbahnknoten innerhalb des Geländes der Festung Modlin; der "Festungsbahnhof" ist teilweise heute noch vorhanden, das Hauptgebäude im Stil des Historismus. Die Eisenbahnbrücken über die Narew (Modlin) und Weichsel (Warschau) waren relevant, die in Warschau sprengten die Russen 1917, was für den Bahnverkehr sehr ärgerlich war. Soweit ich mich an eine Karte im Katynmuseum Warschau erinnere, war die Eisenbahnlinie von der russ. Niemengrenze entlang der Festungskette zum Knotenpunkt Modlin ebenfalls relevant.
mehr weiß ich hierzu leider nicht
 
auf russ. Seite befand sich ein wichtiger Eisenbahnknoten innerhalb des Geländes der Festung Modlin; der "Festungsbahnhof" ist teilweise heute noch vorhanden, das Hauptgebäude im Stil des Historismus. Die Eisenbahnbrücken über die Narew (Modlin) und Weichsel (Warschau) waren relevant, die in Warschau sprengten die Russen 1917, was für den Bahnverkehr sehr ärgerlich war. Soweit ich mich an eine Karte im Katynmuseum Warschau erinnere, war die Eisenbahnlinie von der russ. Niemengrenze entlang der Festungskette zum Knotenpunkt Modlin ebenfalls relevant.
mehr weiß ich hierzu leider nicht
In einem russischsprachigem Forum habe ich mal Fotos von Befestigungsanlagen einer Eisenbahnbrücke aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg gesehen. War hochinteressant da sehr anders als die mir bis dahin bekannten Werke aus dieser Zeit. So z.B. mehretagige turmartige Blockhäuser die sowohl die Flussebene wie auch den Bahndamm deckten. Mangels Sprachkenntnisse habe ich jedoch nur herauskriegen können, dass es irgendwo in Polen war (könnte der Niemen sein). Dummerweise habe ich kein Lesezeichen gesetzt.:hmpf:
 
In einem russischsprachigem Forum habe ich mal Fotos von Befestigungsanlagen einer Eisenbahnbrücke aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg gesehen. War hochinteressant da sehr anders als die mir bis dahin bekannten Werke aus dieser Zeit.(...)

das könnte in Brest (Brszesz) sein.

in Modlin stellt es sich so dar:
die Eisenbahnlinie von Warschau (rechtes Weichselufer) wird von einer Fortgruppe (grupa Janowek), einem Zwischenwerk/Batterie dierkt an der Bahnlinie und einem weitern Fort nah am Weichselufer gedeckt/beherrscht
dann innerhalb der Kernfestung die Stahlbrücke über die Narew, gedeckt von einem älteren Artillerieturm (noch nach Dehn´schem Muster) und einer vorgelagerten Batteriestellung.
auf der anderen Narewseite lag der Bahnhof dann quasi neben der Zitadelle und hinter den beiden Fortgürteln.

ich hänge zwei russ. Pläne an, Warschau und Modlin - man kann auf beiden die Bahnlinien sehen; der Plan von Modlin muss kurz vor dem 1. Weltkrieg sein (die Festung ist zumindest auf dem Plan in ihren großen Bauten komplett), bzgl. Warschau muss der Plan von 1909 sein, da noch alle Bestandteile der Festung eingezeichnet sind (allerdings sprengten die Russen, der Teufel weiß, wozu, 1909 fast alles, um es dann teilweise 1913 wieder hektisch instand zu setzen...)
 

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Hier kann man deutsche Eisenbahnpioniere im 2. WK sehen beim Umnageln der Schienen:

Lexikon der Wehrmacht

Ja schon, aber die konnten sich doch nicht bis nach Charkow oder auf die Krim nageln(?).
Hat man da nicht vielleicht auch russische Technik übernommen? Mir persönlich erscheint es dann auch schon fast leichter, die eigenen Lokomotiven oder Wagongs auf die breitere Spur umzustellen.
Waren die Spuren in Finnland nicht auch russische Spurweite? Vielleicht haben Deutsche finnische Eisenbahntechnik übernommen(?) und dann für ihre Zwecke modifiziert.
Weiß da jemand etwas?
 
Ja schon, aber die konnten sich doch nicht bis nach Charkow oder auf die Krim nageln(?)
Hat man da nicht vielleicht auch russische Technik übernommen?

Nur eine Vermutung: beim Vormarsch entlang der Eisenbahnlinien und angesichts der Auflösung der russischen Armee dürfte jede Menge rollendes Material (Waggons und Loks) in deutsche Hand geraten sein.

Es könnte Umschlagstellen an Eisenbahnknotenpunkten gegeben haben.
 
Soweit mir bekannt ist, wurden die Schienen wirklich von Bahnpionieren umgenagelt, später umgekehrt bis an die Oder. Es wäre interessant, welche Zeiten auf einer halbwegs intakten Strecke dazu nötig waren. Morgen suche ich mal genauer nach Quellen, Opa war selbst Eisenbahner im Osten.
 
Nur eine Vermutung: beim Vormarsch entlang der Eisenbahnlinien und angesichts der Auflösung der russischen Armee dürfte jede Menge rollendes Material (Waggons und Loks) in deutsche Hand geraten sein.

Es könnte Umschlagstellen an Eisenbahnknotenpunkten gegeben haben.

Mit der Eisenbahnlinie Posen - Lodz - Warschau war dann aber an der Weichsel in Warschau erst mal Schluß, weil die Russen die Weichselbrücken sprengten - - - es gibt Fotos aus dieser Zeit: der Blick vom Fort Legionow (ein altes Dehnsches Turmreduit nahe der Zitadelle) auf die gesprengte Eisenbahnbrücke.
Die Flüsse waren da immer ein Problem, und die Weichsel quert süd-nord ganz Polen; auch Niemen, Narew, Bug sowie die Seenplatte waren Hindernisse für jeglichen Vormarsch. Kein Wunder, dass die Festung Modlin den Zusammenfluß Weichsel-Nare-Bug kontrollierte.
 
Mit der Eisenbahnlinie Posen - Lodz - Warschau war dann aber an der Weichsel in Warschau erst mal Schluß, weil die Russen die Weichselbrücken sprengten

Die Logistik 1916/18 erscheint ja demnach ein ziemliches Rätsel zu sein. Literatur darüber habe ich nicht.

Könnten die Brücken nicht provisorisch wieder hergestellt worden sein? Was ist mit der südlichen Umgehung?
 
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