Brandstifter und Biedermänner.
Statt einer Definition: „Übereinstimmendes Ziel im Rechtsextremismus ist die ethnisch homogene „Volksgemeinschaft“. Eines der traditionellen Ideologieelemente, das nahezu alle Rechtsextremisten eint, ist daher die Fremdenfeindlichkeit und der Kampf gegen die ethnische und kulturelle „Überfremdung“. (vgl. Verfassungsschutzbericht 2014, S. 36).
Eine derartige Situation verweist in der Tat, wie Ashigaru zu Recht schreibt“, auf die Traditionsbestände der politischen Kultur Deutschland seit der Reichsgründung 1871. Und es sind eine Reihe von Punkten, die im Sinne von Greiffenhagen (Ein schwieriges Vaterland) das extreme deutschnationale antisemitische Milieu kennzeichnet.
Die einzelnen ideologischen Positionen zur Nation, zur Politik, zur Gesellschaft etc. bilden in der Permutation zum einen den Hintergrund der kulturellen Ähnlichkeit des rechtsextremen deutschnationalen Milieus, bilden aber auch gleichzeitig die Ursache der Differenzierung zwischen beispielsweise monarchischen (WR / DNVP) und radikalen völkischen deutschnationalen Kreisen (WR / NSDAP).
In diesem Sinne schreibt beispielsweise McGowan zur Konstanzthese, dass die extreme Rechte „has been a constant feature of the truly divergent regimes from 1870 that have encompassed a practically absolute monarchy, totalitarian dictatorship and parliamentary democracy“ (5, S. 207)
In diesem Sinne ist die extreme Rechte nicht einfach nur ein „Zerfallsprodukt“ des NS-Regime, sondern eine politische Bewegung, die sich seit 1945 ausdifferenziert und die „Altnazis“ vor allem in der NPD ein sehr heterogenes Auffang- bzw. auch Sammelbecken vorfanden. Die NPD bildete somit nach 1945 lediglich den unmittelbaren erkennbaren organisatorische Kern einer rechtsextremen Ideologie (H. Schmollinger: Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands, in: R. Stöss (Hg.): Parteienhandbuch, Bd. 4, S. 1922 ff)
Aus den unterschiedlichsten Gründen spielte die extreme Rechte, abgesehen von „Protestwahlen“ während der Landtagswahlen 1972 keine signifikante Rolle im parlamentarischen System (vgl. zum damaligen Forschungsstand beispielsweise 6)
Mit dem Niedergang der sozialliberalen Ära und dem parallelen Wegfallen der APO als politische Kraft setzte in der Ära Kohl die konservative Restauration ein, die insgesamt die politische Kultur in Deutschland entscheidend in Richtung einer neokonservativen Revolution umgestaltet hatte (vgl. beispielsweise H. Dubiel: Was ist Neokonservativ? 1985).
In diese Phase der konservativen Neuausrichtung werden Werte revitalisiert, die verstärkt wieder an die Phase des Kaiserreichs heranrücken und einen deutschen Nationalismus – nachhaltig – wieder gesellschaftsfähig machen wollen. Wichtigster Vertreter dieser Neuausrichtung ist Michael Stürmer, der im Rahmen des „Historikerstreits“ (1986/87) die Identitätsstiftung durch Geschichte betont und somit der deutschen Geschichtsforschung den Auftrag zur Staatsbürgerlichen Erziehung zuweist.
https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_St%C3%BCrmer
Diese Sicht wird in der Folge zum Brückenbauer mit Hilfe des trojanischen Begriffs des „Nationalismus“, der im Kontinuum zwischen, Exportweltweister, Fussballweltmeisterschaft, dem NS-Autobahnbau und dem Abbau der Arbeitslosigkeit und einem geschönten imperialen wilhelminischen Nationalismus bewegt.
In Anknüpfung an Ashigaru, wird primär das Weltbild der "Alldeutschen" zum Bezugspunkt der neuen deutschnationalen Rechten. In Abgrenzung zum konservativen Wertesystem der Nachkriegszeit und auch zum Neo-Nationalsozialismus, der sich noch stärker auf die Traditionsbestände aus dem 3. Reich stützt. Gleichzeitig bildet diese neue politische Formation ein Zwischenglied zwischen den traditionellen Konservativen und den Neo-Nationslsozialisten. Dieser Vorgang bildet die eigentlich Dramatik der Veränderung im deutschen Parteienwesen ab und das ist die "neue Qualität"der Rechten insgesamt und der Rechtsextremen im speziellen. Sie haben eine kommunikative „Brücke“ in die konservative Mitte. Dabei ist konservativ nicht exklusiv mit CDU gleichzusetzen, sondern eher als Weltbild zu definieren, das in allen politischen Lagern auftreten kann.
In diesem Sinne ergeben sich mittlerweile politische Kontinuen, die vor der neokonservativen Revolution deutlich stärker ideologisch getrennt waren. In diesem Sinne schreibt Bangel: „Neonazis sind uns näher als wir denken. Mit wachsenden Erfolg buhlen sie um die Mitte der Gesellschaft. Wissenschaftler warnen schon länger davor, dass rassistische und autoritäre Ideen dort auf wachsendes Wohlwollen stoßen (vgl. 8).
Sehr deutlich kann man diesen Effekt an den dubiosen Thesen von Sarrazin verdeutlichen, der die Sprache des Rassismus in die gesellschaftliche Mitte getragen hatte und dort „gesellschaftsfähig“ gemacht hatte.(vgl. zum Populismus 1)
Es ist somit die „Radikalität“ der gesellschaftlichen Mitte, die durch die Anstöße von Außen nach radikaleren Formen des Ausdrucks sucht und durch Beispiele wie Sarrazin sich von den vermeintlichen künstlichen Beschränkungen einer oktroyierten „Political Correctness“ glaubt befreien zu müssen. Und dabei nicht merkt, dass es die universellen Menschenrechte sind, die gleichzeitig mit weichen müssen.
Diese politische und soziale Radikalität speist sich aus einer Reihe von Quellen. Zum einen ist es nicht neu, dass es ein Potential von ca. 15 bis 20 Prozent in Deutschland (präziser in der alten BRD) gab, die wieder „einen Führer haben wollten“. (vgl. Sinus-Studie 10.). Aber es scheint sich zu bestätigen, dass dieses Potential größenmäßig erhalten geblieben ist. Nicht ausgeweitet, aber radikalisiert in seinem politischen Auftreten (vgl. 11).
Wichtig ist in diesem Kontext aber auch eine ergänzende sozialpsychologische Erklärung, die auf das Konstrukt des „autoritären Charakters“ abstellt, der autoritäre Politikstile präferiert. Seine Persistenz rechtsextremer Einstellungen wird via genetischer Disposition und/oder auch über Sozialisation erklärt (vgl. 7).
Zeitgleich zur neo-konservativen Revolution wurden die ökonomischen Strukturen einer von der Systemrivalität ("Kalter Krieg) befreiten hyper-liberalen globalen Ökonomie geschaffen, die als „Weltrisikogesellschaft“ (U. Beck) neben Gewinnern aus dem Bereich der „New Economy“ auch viele Verlierer kennt, die sich in das Heer der von „struktureller Arbeitslosigkeit“ betroffenen, einreihen . Oder zumindest von einem individuellen oder kollektiven sozialen Abstieg bedroht sind (vgl. 4) Diese Entwicklung zeichnet Bude in seiner „Gesellschaft der Angst“ nach und greift damit die Arbeiten von Krakauer „Die Angestellte. Aus dem neuesten Deutschland“, 1929 oder von Riesman, „Die einsame Masse“, 1958, auf.
Die Globalisierung der Ökonomie und die Rückwirkungen auf Deutschland verstärkt das Gefühl in Teilen der Bevölkerung, dass irgendwas in der Gesellschaft schief läuft und die Idee einer „nivellierten Mittelstandgesellschaft“ (Schelsky) durch eine neue Form von „Sanduhr-Gesellschaft“ mit extremen sozialen Polarisierungen ersetzt wird.
Für den einzelnen laufen diese Prozesse anonym ab und die zunehmenden Prozesse der gesellschaftlichen Rivalität – auch am Arbeitsplatz – erzwingen für den einzelnen individuell eine Strategie der Anpassung wie Koppetsch (Die Wiederkehr der Konformität, 2015) ausführt und im Kollektiv die militante Formulierung von Widerstand. Wie H. Arendt den Aufschwung des Nationalsozialismus in Anlehnung an die Arbeiten von Riesmann es in ihrer „Faschismus-Theorie“ erklärt.
Ein vierter und letzter Punkt ist sicherlich die hohe Aktivität der neuen Rechten im Internet. Die Häufigkeit der Wiederholung von Themen bewirkt ein „political framing“ auch ohne vertiefende inhaltliche Diskussion. (vgl. z.B. 13) Indem der Eindruck erzeugt wird, es sei ein Thema und es entsteht ein Gewöhnungseffekt an die Themen und an die sprahlich transportieren Konstrukte, wie Rasse etc. Eine mediale Theorie, die bereits Noelle-Neuman in der „Schweigespirale“ brillant ausformuliert hatte und als eine Erklärung dienen kann, warum gerade die Neue Rechte das Internet bei bestimmten Themen, wie sehr dominant beim Thema „Geschichte“ massiv versucht zu beeinflussen.
Deutlich zu sehen an der Diskussion über die „Herkunft“ unterschiedlicher Nationalistäten. Ein völlig sinnfreies Thema, sofern man es unter dem Gesichtspunkt einer gesellschaftlich konstruierten Kultur begreift, aber notwendig, sofern man die biologisch definierte „Rasse“ als Bezugspunkt für „Kultur“ in das Zentrum seines Weltbilds stellt, wie beispielsweise im Nationalsozialismus und auch in der alten Rechten (NPD etc.) in Deutschland wie Schmidt ausführt (zitiert in H. Schmollinger: Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands, in: R. Stöss (Hg.): Parteienhandbuch, Bd. 4, S. 1931)
Die Agenda der Neuen Rechten – die vor allem in der Kontinuität der „Pro-Bewegung“ steht übernimmt eine Reihe von Aspekten, aber definiert sich historisch „nachhaltiger“ in ihrem Geschichtsverständnis. In diesem Sinne bezieht sie ihre historische Identität aus folgenden Eckpunkten:
- anti Französische Revolution- Position und Negierung der damit zusammenhängenden universellen Menschenrechten-
- Positive Anknüpfung an die nationalistischen Tendenzen im Rahmen der bürgerlichen Revolution von 1848
- Bejahung der Gründung eines deutschen Staates im Rahmen der Reichsgründung 1870/71
- Pro deutsche DDR-„Revolution“ 1989
- anti-Semitismus und im erweiterten Sinne mit einer – differenzierten - fremdenfeindlichen Sicht
- ethnisch definierte – biologistische - völkische Orientierung und kollektive Überlegenheitsideologie
- anti –emanzipativ und somit Ablehnung der Frauenbewegung und der Apo
- expressiv anti-sozialistisch mit rassistischen Untertönen gegenüber Slawen
Auf die Widersprüche der ultra-liberalen Wirtschaftideologie der neuen Rechten und der Angst ihrer Klienten vor einem individuellen und kollektiven Abstieg sei nur am Rande hingewiesen. Einmal mehr ein sehr schönes Beispiel, dass man nicht zuviel Vertrauen in den „rationalen Wähler“ setzen sollte, wie Caplan bereits ausführte(The Myth oft he rational Voter, 2007)
1.Birsl, Ursula; Lösche, Peter (2001): (Neo) Populismus in der deutschen Parteienlandschaft. Oder: Erosion der politischen Mitte. In: Dietmar Loch und Wilhelm Heitmeyer (Hg.): Schattenseiten der Globalisierung.
Rechtsradikalismus, Rechtspopulismus und separatistischer Regionalismus in westlichen Demokratien. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 346–380.
2.Bude, Heinz (2014): Gesellschaft der Angst. Hamburg: Hamburger Edition.
3.Fischer, Gero; Wölflingseder, Maria (1995): Biologismus, Rassismus, Nationalismus. Rechte Ideologien im Vormarsch. Wien: Promedia.
4.Loch, Dietmar; Heitmeyer, Wilhelm (Hg.) (2001): Schattenseiten der Globalisierung. Rechtsradikalismus, Rechtspopulismus und separatistischer Regionalismus in westlichen Demokratien. 1. Aufl., Erstausg., Originalausg. Frankfurt am Main: Suhrkamp
5.McGowan, Lee (2002): The radical right in Germany. 1870 to the present. London: Longman.
6.Kowalsky, Wolfgang; Schröder, Wolfgang (Hg.) (1994): Rechtsextremismus. Einführung und Forschungsbilanz. Wiesbaden: VS Verlag
7.Oesterreich, Detlef (2001): Massenflucht in die Sicherheit? Zum politischen Verhalten autoritärer Persönlichkeiten. Theoretisches Überlegungen und Ergebnisse von vier empirischen Untersuchungen. In: Dietmar Loch und Wilhelm Heitmeyer (Hg.): Schattenseiten der Globalisierung. Rechtsradikalismus, Rechtspopulismus und separatistischer Regionalismus in westlichen Demokratien. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 275–297.
8.ONLINE, ZEIT (Hg.) (2013): Neue deutsche Nazis. Wie Rechtsextremismus die Mitte der Gesellschaft erobert. Berlin: epubli GmbH.
9.Salzborn, Samuel (2015): Rechtsextremismus. Erscheinungsformen und Erklärungsansätze. 2., aktualisierte und erweiterte Aufl. Baden-Baden, Baden-Baden: UTB; Nomos
10.Sinus Institut (1984): 5 Millionen Deutsche: "Wir sollten wieder einen Führer haben …". Die SINUS-Studie über rechtsextremistische Einstellungen bei den Deutschen. Mit einem Vorwort von Martin Greiffenhagen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt
11.Staud, Toralf (2005): Moderne Nazis. Die neuen Rechten und der Aufstieg der NPD. 1. Aufl. Köln: Kiepenheuer & Witsch .
12.Verfassungsschutzbericht 2014;
https://www.verfassungsschutz.de/embed/vsbericht-2014.pdf
13.Wehling, Elisabeth (2015): Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet - und daraus Politik macht. Köln: Herbert von Halem Verlag .