Erster Weltkrieg auch unter Bismarcks?

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Hallo!

Ich muss nächste Woche ein Referat über die Außenpolitik Bismarcks und Wilhelm II. halten. Prinzipiell ist das Referat eigentlich fast fertig, nur meinte mein Lehrer heute zu mir ich solle noch Bezug zu folgender Fragestellung nehmen: Wenn Deutschland die Außenpolitik im Sinne Bismarcks fortgeführt hätte, wäre dann der erste Weltkrieg verhindert worden?

Auch wenn es nur eine Konjunktivfrage ist, hat sie doch keine unbedeutende Rolle – meint zumindest mein Lehrer. Er mag zwar damit Recht haben, aber mir bereitet sie ein wenig Kopfschmerzen. Ich selbst glaube eher nicht, dass der Weltkrieg hätte verhindert werden können (auch wenn wohl eine bessere Ausgangsposition vorhanden gewesen wäre), nur mir fehlen die richtigen Argumente – und sicher bin ich mir auch nicht. Insofern würde ich gern wissen, welche stichhaltigen Argumente ich einführen könnte, außerdem würde mich auch eure Meinung allgemein zu der Frage interessieren, denn ich finde die Thematik doch sehr interessant. :)

Liebe Grüße,
Richard
 
Die hypothetische Frage ist wohl ein Dauerbrenner aus dem Unterrichtsmaterial.

bezüglich der Unterschiede gab es bereits verschiedene Themen dazu:
http://www.geschichtsforum.de/showthread.php?t=4899
http://www.geschichtsforum.de/showthread.php?t=14904
http://www.geschichtsforum.de/showthread.php?t=13370
http://www.geschichtsforum.de/showthread.php?t=11460

Ob die Fortführung von Bismarcks Politik einen Krieg auf Dauer und unter allen Umständen verhindert hätte, würde ich nicht beantworten. Vielleicht wäre eine Aussage denkbar, dass die eine Politik (Wilhelms II.) den großen europäischen Krieg eher ermöglicht hat/seine Wahrscheinlichkeit erhöht hat, während die andere Politik (Bismarcks) ihn unter für das Deutsche Reich ungünstigen Umständen verhindern wollte.

Einmal die Frage (etwas sarkastisch und ebenso hypothetisch umgedreht): Kann man ausschließen, dass Bismarck einem Krieg unter sehr günstigen Umständen für das Deutsche Reich (im Verhältnis der Großmächte mindestens 3:2) ausgeschlossen hätte, wenn er - möglicherweise von Dritten - provoziert worden wäre?
 
Die Fragestellung ist in der Tat außerordentlich hypothetisch!

Bismarck hat in seiner außenpolitischen Roadmap, dem Kissinger Diktat, zum Ausdruck gebracht, das nicht irgendwelcher Erwerb von Länder das Ziel sein müsse, sondern alle Mächte, außer Frankreich, des Deutschen Reiches bedürfen sollen und von Koalitionen gegen Deutschland nach Möglichkeit abgehalten werden sollten. Danach hat sich auch Bismarcks künftige Außenpolitik gerichtet, die sich dann in den diversen Bündnissen und Verträgen, die sich auch schon einmal wiedersprochen haben, gerichtet. Klaus Hildebrand hat dies das System der Abhilfen genannt..

Eine ganz entscheidene Weichenstelung wäre mit Bismarck als Reichskanzler nicht zu machen gewesen. Ich meine die Nichtverlängerung des Rückversicherungsvertrages mit Russland und das daraus resultierende Bündniss zwischen Russland und Frankreich.

Bismarck hätte den Rückversicherungsvertrag nicht so unfassbar leichtfertig wie Reichskanzler Caprivi, Staatssekretär Marschall von Bieberstein, der Geheimrat Friedrich von Holstein und Ludwig Raschdau es ohne jegliche Not taten. Gerade Holstein und Bieberstein waren Gegener der bestehenden Übereinkunft mit Russland und sahen nun nach Bismarcks Abgang die Gelegenheit gekommen, als die Russen über ihren Botschafter Paul Graf von Schuwalow die Verlängerung des Rückversicherungsvertrag ausloten wollten. Die Beziehungen zwischen Paris und St.Petersburg hatten sich Ende 1889 nämlich wieder abgekühlt gehabt. Aber durch diese unglaubliche dumme Politik des AA wurde Rußland förmlich in die Arme Frankreichs getrieben. Die Russen hatten nämlich nach der endgültigen Abfuhr, man war sogar bereit auf das geheime Zusatzprotkoll zu verzichten, berechtigte Sorge, das sie international isloiert dastehen würden.
 
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Hallo!

Ich muss nächste Woche ein Referat über die Außenpolitik Bismarcks und Wilhelm II. halten. Prinzipiell ist das Referat eigentlich fast fertig, nur meinte mein Lehrer heute zu mir ich solle noch Bezug zu folgender Fragestellung nehmen: Wenn Deutschland die Außenpolitik im Sinne Bismarcks fortgeführt hätte, wäre dann der erste Weltkrieg verhindert worden?


Die Frage geht m.M. nach in zwei Richtungen;
1. liegt in Bismarcks Bündnispolitik letztlich ein Keim zur Konfrontation oder nicht.
2. Die Frage nach dem 1. WK in Verbindung mit Wilhelm II. ist oftmals wiedergekäut und bringt nicht viel neues, da finde ich die Frage nach der Alternative näherliegend : Ob sich die Bismarcksche Politik über Friedrich III. , so er gesund weitergelebt hätte , zu dem bekannten Desaster entwickelt hätte oder nicht- weniger hypothetisch.Immerhin wäre die verhängnisvolle Kammerilla um Willi II. nicht so erfolgreich.......:grübel:
 
1. Bismarcks Ziel bestand ja in erster Linie darin, das Deutsche Reich in einem guten Bündnissystem zu verflechten und Frankreich zu isolieren.

Er erklärte das Deutsche Reich auch öffentlich als saturiert, es habe also keine Expansionsbestrebungen.

2. Unter Wilhelm II. hingegen nahm die deutsche Außenpolitik expansive Züge an. Er träumte von einem Platz an der Sonne, wollte das Deutsche Reich nicht nur als Kontinental-, sondern auch als Kolonialmacht verstehen und begann das Flottenwettrüsten mit Großbritannien. Auf die Bekräfigung alter Bündnisse legte er wenig Wert, wie amicus in seinem Post schon gut verdeutlicht hat. Dies führte soweit, dass das Deutsche Reich am Ende von Bündnissen eingekreist war. Manchmal spricht man auch von "Auskreisung". Der einzige verlässliche Partner war Österreich-Ungarn und als dann der Thronfolger getötet wurde, sah Österreich-Ungarn seine Ehre bzw. sein europäisches Ansehen bedroht. Das Deutsche Reich wollte eine Schwächung von Österreich-Ungarn nicht hinnehmen und sah außerdem in dieser Krise die Möglichkeit, sich aus der Auskreisung mit einem militärischen Schlag zu lösen. Daher trieb es Österreich-Ungarn förmlich an, einen Krieg gegen Serbien zu beginnen, um dann die eigenen Kriegserklärungen gegen Russland und Frankreich als Präventivkrieg zu deklarieren.

Meiner Meinung nach ist es natürlich auch sehr schwierig, zu sagen, wie sich das Ganze unter Bismarck entwickelt hätte, aber ich glaube nicht daran, dass es zu einem Welkrieg gekommen wäre, da man bedenken muss, dass das Deutsche Reich einen sehr großen Anteil am Beginn dieses Krieges hatte, der sich größtenteils auf Expansions- und Hegemonialbestrebungen begründete. Diese waren unter Bismarck, denke ich, nicht gegeben. Desweiteren hätte Bismarck sich wahrscheinlich bemüht, die bestehenden Bündnisse zu bekräftigen, um das Deutsche Reich in dem europäischen Staatensystem sicher zu wägen.

MfG K.W.
 
Habt zunächst vielen lieben Dank für eure Antworten und auch die sehr nützlichen Links.

Ich habe mal ein wenig in dem Buch "Das ruhelose Deutschland 1866-1918" geschnuppert und nun einen konkreten Anhaltspunkt gefunden, der mich persönlich nicht an einer Verhinderung des Weltkrieges unter Bismarck glauben lässt. Und zwar geht es mir hier speziell auch um den von amicus angesprochenen Rücksicherungsvertrag (Die Frage, ob seine Politik wirklich eine reine Friedenspolitik, sei erst mal bei Seite gestellt, weil sie noch spekulativer ist). Denn dem folgenden würde ich widersprechen:

"Eine ganz entscheidene Weichenstelung wäre mit Bismarck als Reichskanzler nicht zu machen gewesen. Ich meine die Nichtverlängerung des Rückversicherungsvertrages mit Russland und das daraus resultierende Bündniss zwischen Russland und Frankreich."

Laut diesem Buch war der Rücksicherungsvertrag nur sehr wackelig und wurde nicht ohne Grund im Geheimen abgeschlossen, da er für Russland unpopulär war, denn prinzipiell hatte er nur die "Solidarität der Throne als Grundlage und mit der war es in katkows Russland nicht mehr weit her." Der Vertrag war also lediglich da, um die "französisch-russische Zange eine Weile offenzuhalten". Selbst Herbert von Bismarck schrieb: "Es ist immer eine Art Druck auf den Czaren und hält uns im Ernstfall die Russen wohl doch bis sechs oder acht Wochen länger vom Hals", und wieß damit auf die Nüchternheit des Vertrages hin. Also wäre es doch meiner Ansicht nach nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Russland von sich aus eine Nichtverlängerung im Sinn hatte und sich folglich irgendwann mit Frankreich zusammengeschlossen hätte, wie auch unter Wilhelm II. Das heißt natürlich noch lange nicht, dass zwangsläufig der Weltkrieg ausgebrochen wäre, aber es ist dennoch ein wichtiger Punkt. Ich kenne mich in dem Thema aber leider nun nicht sonderlich gut aus, daher beruht meine Argumentation auch auf den Fakten aus diesem Buch. Doch ich würde persönlich keinen anderen Schluss ziehen, als den beschriebenen. Man könnte es ja noch insofern weiterspinnen, dass Bismarck wohl auf ein Wettrüsten mit Enland verzichtet hätte und vielleicht sogar die Briten früher oder später in einem Krieg als stabilen Bündnispartner gegen Frankreich und Russland hätte gewinnen können. Somit wäre der Krieg vielleicht erst später eingetreten und für Deutschland eine wesentlich günstigere Ausgangsposition in diesem geschaffen worden.

Ich finde eure Meinungen inklusive den dazugehörigen Begründungen aber eigentlich auch alle sehr logisch und interessant, aber man will ja schließlich versuchen, sich auch eine (teils) eigene Meinung zu bilden. :) Nur weiß ich nicht, ob sie wirklich sinnvoll ist....

Nochmal großes Danke an euch.
 
Ich vermute du meinst das Werk von Michael Stürmer "Das ruhelose Reich".

http://www.amazon.de/Deutschen-ihre...372028?ie=UTF8&s=books&qid=1177000931&sr=1-15

Zur Nichtverlängerung des Rückversicherungsvertrages:
Der Rückversicherungsvertrag wurde am 18.06.1887 abgeschlossen. Vertragsinhalt war,
  • wenn Deutschland von Frankreich angegriffen würde, bliebe Russland neutral und
  • wenn Russlnad von Österreich-Ungarn angegriffen würde, bliebe das Deutsche Reich neutral.
Des Weiteren gab es ein geheimes Zusatzprotkoll mit folgendem Inhalt:
  • Das Deutsche Reich erkannte die Interessen Russlands bezüglich Bulgariens an und sicherte in dieser Frage zumindest diplomatische Unterstüzung zu.
Das war für Russland ein echtes Pfund, denn so kam es hinsichtlich seiner Balkanpolitik aus der Isolation heraus, was wohl auch der Hintergedanke Bismarcks gewesen sein dürfte. Wenn Russsland nämlich irgendwann in der ewigen Frage der Meerengen aktiv werden sollte, so Bismarcks Kalkül würde Großbritannien dem entgegentreten und an der Seite Österreich-Ungarns wiederzufinden.

Bismarck hatte die Anfrage in Februar 1890 von Schuwalow hinsichtlich der Verlängerung des Rückversicherungsvertrages positiv gegenüber gestanden. Kurz danach war Bismarck aber zurückgetreten. Auch Wilhelm wollte den Vertrag verlängern. Caprivi wurde dann durch die so genannten Diplomaten des AA massiv beeinflusst und der Vertrag wurde nicht verlängert.

Es gab es in beiden Ländern Strömungen die einer Koalition kritisch gegenüberstanden. In Deutschland waren es die Diplomaten des AA , die vor allem durch Holstein manipuliert wurden, wie beispielsweise Alfred Kiderlen-Wächter, Hatzfeld oder Bernhard von Bülow. Kiderlen-Wächter und Bülow waren Vertreter einer "Weltpolitk".

Für Bismarck war die Vermeidung eines Krieges mit Russland von sehr großer Bedeutung für die Zukunft des Deutschen Reiches, denn er wußte von Moltke das man Russland eigentlich schon auf Grund des Raumes und der klimatischen Verhältnisse nicht gewinnen konnte.
 
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