Es ist Krieg und keiner geht hin!?

Ist laut Clausewitz Krieg nicht auch nur ein "Argument" zur Durchsetzung der eigenen Ziele welches nie auf die vollkommene Zerstörung abzielen sollte? Sondern nur die Aufgabe des Kampfes für den Gegner als lohnenswerter erscheinen lassen als seine Fortführung? Habe Vom Kriege lange nicht mehr gelesen und müsste die Stelle nun auch erst wieder suchen.
 
Stellenwert des Militärs in der Gesellschaft

Hallo Zusammen,

meine Gedanken gehen diesmal von der Diskussion um Namensbenennungen von miltärischen Standorten bis ihn zur einer Frage :)still: ohne aktuellen Bezug auf militärische Werbefilmchen ...) warum das Militär bis zum Ende des 20. Jahrhunderts so an Stärke in jeder Hinsicht abgenommen hat.

Noch Mitte des 20. Jahrhunderts wäre eine öffentliche Diskussion über den Sinn oder Unsinn einer Namensvergabe an militärische Einheiten oder Stationen undenkbar gewesen, doch die Entwicklung im Bereich des Militärwesens spricht den Stellenwert an der Gesellschaft immer mehr Wichtigkeit ab.

Dabei wird der geringe Stellenwert des Militärs immer mehr mit der Hinterfragung der Notwendigkeit verbunden, doch gibt es bis zum Ende des 20. Jahrhunderts und darüber hinaus noch jede Menge Krieg von demokratischen und modernen Gesellschaften. Nur will die Gesellschaft es nicht mehr wahrhaben, diesen Krieg!

Die Entwicklung zur Abkehr der Wichtigkeit des Militärs beginn nach dem Ende des 2. WK? ....
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Entwicklung zur Abkehr der Wichtigkeit des Militärs beginn nach dem Ende des 2. WK? ....

Da nöchte ich dir widersprechen, denn das Gegenteil ist der Fall. Der Kalte Krieg brachte mit seiner machtpolitischen und ideologischen Auseinandersetzung zwischen den USA und der Sowjetunion eine geradezu explosionsartige Ausweitung der Rüstungsausgaben mit sich. Panzer, Kriegsschiffe, Flugzeuge und gewaltige Armeen (die Bundesruplik hatte auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs 500 000 Soldaten unter Waffen) führten zu einem exorbitanten Anstieg der Rüstungsetats. Ich habe hier eine Aufstellung vor mir liegen, die den gewaltigen Anteil der Rüstungsausgaben am Bruttosozialprukt der USA und UdSSR in den 60er Jahren zeigt.

Dass das alles - zum Glück - nicht oder kaum eingesetzt wurde, steht auf einem anderen Blatt.

Der Rückgang der Rüstungsausgaben oder ihr Einfrieren erfolgte erst nach dem Ende des Kalten Kriegs (was für die USA kaum gilt) und dem Bedrohungsszenario zwischen Ost und West. Heute sind zur Bekämpfung des Terrorismus keine Panzer und Haubitzen mehr gefragt, sondern ganz andere Mittel.
 
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Dabei wird der geringe Stellenwert des Militärs immer mehr mit der Hinterfragung der Notwendigkeit verbunden, doch gibt es bis zum Ende des 20. Jahrhunderts und darüber hinaus noch jede Menge Krieg von demokratischen und modernen Gesellschaften. Nur will die Gesellschaft es nicht mehr wahrhaben, diesen Krieg!
Ein interessanter Aspekt ist, dass man den Begriff "Krieg" auf diplomatischer Ebene zu verhindern versucht.
Das finde ich so eigentlich einen interessanten Aspekt des Umganges mit dem Krieg in der 2. Hälfte des 20.Jh.: Kriegserklärung ? Wikipedia
 
Die Entwicklung zur Abkehr der Wichtigkeit des Militärs beginn nach dem Ende des 2. WK? ....
Da nöchte ich dir widersprechen, denn das Gegenteil ist der Fall. [...]

Oh, Dieter, meine Frage sollte keine Behauptung darstellen, sondern einfach ein Frage, nach dem Absinken der Wertigkeit des Militärs in der Gesellschaft, wobei hier regionale und nationale Abgrenzungen gezogen werden müssen. Ganz klar.
 
Oh, Dieter, meine Frage sollte keine Behauptung darstellen, sondern einfach ein Frage, nach dem Absinken der Wertigkeit des Militärs in der Gesellschaft, wobei hier regionale und nationale Abgrenzungen gezogen werden müssen. Ganz klar.

Schon klar, Köbis! :winke:

Die Frage habe ich versucht zu beantworten und die Wichtigkeit der Rüstung über 40 Jahre Kalten Krieg genannt.
 
Dann steht oder fällt das Militär in seiner Wichtigkeit mit dem Feindbild?

Der Kalte Krieg jedenfalls war sowohl eine ideologische als auch machtpolitische Auseinandersetzung und entsprechend rüsteten die beiden Supermächte USA und Sowjetunion sowie ihre jeweiligen kleineren Verbündeten oder Satellitenstaaten auf. Absurd ist heute, wie hoch die Rüstungsetats z.B. von Ländern der Dritten Welt sind, die unter bitterster Armut leiden, aber sich dennoch kostspielige militärische Konflikte erlauben. Siehe z.B. Eritrea und Äthiopien.
 
Der Kalte Krieg war durch eine Reihe von Stellvertreterkriegen gekennzeichnet. Wobei sich immer mehr abzeichnete das beide Weltmächte politisch hohe Verluste nicht mehr der eigenen Bevölkerung klar machen konnten.

Siehe Vietnam und Afghanistan. In Afghanistan sind weniger Soldaten umgekommen als an einzelnen Tagen gegen Deutschland und trotzdem hat man sich zurückgezogen. Kriege werden leider noch immer mit Blut erkämpft und nicht vor dem Computer.
 
Ich glaube, deine Frage ist nicht so ganz leicht zu beantworten, Köbi.
Ich kann bei der Klärung der Frage auch nicht unbedingt eine geradlinige Entwicklung feststellen.
Staaten rüsten immer dann enorm auf, wenn sie sich bedroht sehen. Für jeden Staat ist es bei einer Bedrohungslage auch notwendig, der Bevölkerung klar zu machen, daß man bedroht ist. Wenn das gelingt, dann bekommt das Militär auch von größeren Teilen der Bevölkerung eine erhöhte Akzeptanz und es meldet sich dann auch eine erhöhte Zahl von Freiwilligen zum Militär. Fällt die Bedrohungslage weg, so wie nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, dann scheint die Bedeutung des Militärs im Bewußtsein der Bevölkerung abzunehmen. Entsteht jedoch eine neue Bedrohung - wie nach dem 11. 9. 2001 - dann wächst auch wieder die Bedeutung der Armee, oder Polizei oder Geheimdienst und es sind dann auch Gesetze leicht durchsetzbar, die einerseits zwar durch erhöhte Kontrollmaßnahmen die Sicherheit der Bevölkerung erhöhen, letztlich aber auch die Freiheit der ganzen Bevölkerung einschränken. Besonders stark war das in den USA zu beobachten, aber eben nicht nur dort. Denn die Bedrohung durch al-Qaida ist seit dem tatsächlich global.
 
Spannendes Thema. Deshalb grabe ich das wieder aus und würze es mit einer steilen These:

Der Eindruck, den @Köbis im Eingangsbeitrag schildert, entspricht nicht der geschichtlichen Realität sondern entspringt einer gesellschaftlichen "Wahrnehmungsstörung" (ähnlich wie die später geäußerte These, dass die Medien nur "Sensationen" berichten). In Wahrheit ist "Pazifismus" uralt und Friede der Normalfall, während Krieg die Ausnahmeerscheiung ist. Warum nehmen wir es anders wahr? Einfach deshalb, weil ein lauter Knall umso erschreckender ist und umso nachhaltiger in Erinnerung bleibt, je länger und tiefer die Stille davor und danach ist.

Das ist sicher eine steile These, aber es gibt dafür durchaus Belege.

So sind pazifistische Gedanken schon in der Bibel niedergeschrieben. Schon da stehen Gleichnisse von rechter und linker Wange und Leuten, die vom Schwert leben. Das Christentum ist hier auch keine Ausnahme, sondern greift eine gesellschaftliche Grundhaltung auf. Die Menschen wollen in Frieden leben, aus einem tief sitzenden Bedürfnis (Selbsterhaltungstrieb) heraus. Um sie dazu zu bringen, dass sie sich diesem Grundbedürfnis zuwider verhalten, bedarf es regelmäßig ausgeklügelter semantischer Spitzfindigkeiten (z.B. Philosophie vom bellum iustum) und propagandistischer Großoffensiven (man denke nur an den Propagandaaufwand der Nazis). Dass diese Semantik und Propaganda bei Menschen funktioniert, bei Schafen aber nicht, hängt mit unserer psychischen Struktur zusammen: Menschen sind zu kollektiver Aggression fähig. Punkt.

In diesem Sinne war "die Politik" auch zu fast allen Zeiten und an fast allen Orten bestrebt, Konflikte so zu lösen, dass kein Anlass zur Gewaltanwendung bestand. In Mitteleuropa war die Politik in den vergangenen fünf Jahrzehnten diesbezüglich bemerkenswert erfolgreich. Das verdeckt ein bisschen den Blick darauf, dass es solche Bestrebungen schon immer gab, nur eben nicht so erfolgreich. Selbst den ollen Clausewitz muss man in dieser Weise lesen:

Ist laut Clausewitz Krieg nicht auch nur ein "Argument" zur Durchsetzung der eigenen Ziele welches nie auf die vollkommene Zerstörung abzielen sollte? Sondern nur die Aufgabe des Kampfes für den Gegner als lohnenswerter erscheinen lassen als seine Fortführung?
Ich verstehe das Buch nicht als "moralischen" Appell sondern als empirische Beschreibung. Die so oft missverstandene These vom Krieg als Fortführung der Politik mit "anderen" Mitteln stützt Clausewitz im Wesentlichen auf zwei Punkte:

Erstens schildert er Krieg als (Glücks-)"Spiel", das so gefährlich ist und so unwägbare Folgen haben kann, dass man aus Gründen der Selbsterhaltung zu diesem Mittel nur greifen sollte, wenn alles andere versagt hat - und dass man sofort zu den "normalen" (also "nicht-anderen") Mitteln zurückkehren sollte, wenn sie wieder verfügbar sind.

Zweitens unterscheidet Clausewitz zwischen Kriegsziel und Kriegszweck, und er stellt fest, dass Krieg zumeist gar nicht geeignet ist, den Zweck zu erreichen. Seiner Definition kann das Kriegsziel grundsätzlich nur darin bestehen, den Gegner mit Gewalt niederzuwerfen und wehrlos zu machen. Zweck dieses Unterfangens ist es, den dann wehrlosen Gegner anschließend zur Erfüllung bestimmter Forderungen zu zwingen - was nur mit Mitteln der Politik geht. Fiktives Beispiel: Militär kann zwar eine Festung erobern, nicht aber die Handelsrechte, wegen denen der Krieg eigentlich ausgebrochen ist. Das Militär erobert also eine Provinz des "Feindes" und die Politik "tauscht" diese Provinz dann anschließend gegen die eigentlich angestrebten Handelsrechte.

Hinzu kommt noch Clausewitz´ Beschreibung der Faktoren, die in Kriegen eskalierend oder mäßigend wirken.

Ein interessanter Aspekt ist, dass man den Begriff "Krieg" auf diplomatischer Ebene zu verhindern versucht.
Das finde ich so eigentlich einen interessanten Aspekt des Umganges mit dem Krieg in der 2. Hälfte des 20.Jh.: Kriegserklärung ? Wikipedia
Das hängt meiner Ansicht nach damit zusammen, dass es gewisse Rechtsfolgen hat, wenn ein Krieg formell erklärt wird - und sei es auch nur einseitig. Zum Beispiel wäre es dann nicht grundsätzlich ein strafrechtlich relevanter Vorgang, wenn in einem Gefecht unbeteiligte Zivilisten getötet werden. Würde die Bundesregierung den Truppen in Afghanistan ganz offiziell diese "Lizenz zum Töten" ausstellen, wäre das hier in Deutschland politisch nicht zu vermitteln. Man möge mir den Exkurs in die Tagespolitik verzeihen...

MfG
 
steilen These:
In Wahrheit ist "Pazifismus" uralt und Friede der Normalfall, während Krieg die Ausnahmeerscheiung ist.

Das ist sicher eine steile These, aber es gibt dafür durchaus Belege.

Einen Konflikt mit Gewalt zu lösen ist sicherlich so alt wie es menschliche Kulturen gibt.

Die Belege für Deine These auf die Bibel zu stützen dürfte Dir wenig helfen, da es höchstens belegt, dass die Abwesenheit von Gewalt bzw. Kriegen ein grundsätzlich erstrebenswertes Ziel sein konnte.

Empirisch müßte man das Verhältnis von Frieden zu Krieg anders operationalisieren. Die Anzahl der Kriege wäre dabei eine hilfreiche Größe.

Liste von Kriegen ? Wikipedia

Besser wäre es die positiven volkswirtschaftlichen Effekte von Friedenszeiten und die negativen Effekte von Kriegszeiten zu untersuchen, um zu erklären, wieso Krieg als negativ in Gesellschaften wahrgenommen wurde.

Darüberhinaus gibt es eine langanhaltende Fernwirkung von Kriegen. Selbst wenn der Krieg formal vorbei ist, wirkt er in der Erinnerung mindestens von ein bis zwei Generationen im kollektiven Gedächtnis nach. Und je heftiger er war, desto stärker dürfte der damit verbundene Mythos sein.

Und auf dieser Ebene dürfte die Auswirkungen des Krieges nicht auf der Ebene von "Wahrnehmungsstörungen" liegen, sondern auch in den tiefen Nachwirkungen beispielsweise in der Bevölkerungspyramide bis hin zur Auslöschung von Kulturen durch Krieg.
 
Einen Konflikt mit Gewalt zu lösen ist sicherlich so alt wie es menschliche Kulturen gibt.
Darauf wollte ich hinaus mit der Anmerkung, dass Menschen zu kollektiver Gewalt fähig sind. Ich bestreite nur mit zugegeben etwas überspitzter Argumentation, dass Gewalt in menschlichen Gesellschaften das erste Mittel der Wahl ist.

Die Belege für Deine These auf die Bibel zu stützen dürfte Dir wenig helfen, da es höchstens belegt, dass die Abwesenheit von Gewalt bzw. Kriegen ein grundsätzlich erstrebenswertes Ziel sein konnte.
Ich bin der Letzte, der das Christentum oder gar die christliche Kirche zur höchsten moralischen Instanz erklären würde. Deshab bin ich hier sogar schon mit roten Sternen belohnt worden. Nur weil ich die Bibel besser kennen als die heiligen Bücher anderer Religionen habe ich sie als Beispiel angeführt. Meines Wissens ist das Streben nach Frieden allen Weltreligionen gemeinsam. Es scheint also eine Konstante zu sein.

Empirisch müßte man das Verhältnis von Frieden zu Krieg anders operationalisieren. Die Anzahl der Kriege wäre dabei eine hilfreiche Größe.
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Besser wäre es die positiven volkswirtschaftlichen Effekte von Friedenszeiten und die negativen Effekte von Kriegszeiten zu untersuchen, um zu erklären, wieso Krieg als negativ in Gesellschaften wahrgenommen wurde.

Guter Ansatz. Greifen wir zu Empirie und Statistik. Auch damit kann ich meine These stützen.

Zunächstmal ist die Zahl der Kriege nur dann eine sinnvolle Größe, wenn man sie irgendwie in Relation zur "Anzahl der Friedenszeiten" setzen kann. Hierfür biete ich die Zeitdauer als Messgröße an. Dabei fällt auf, dass Friedenszeiten regelmäßíg länger sind als Kriegsphasen. Das gilt selbst für ein so kriegerisches Jahrhundert wie das vergangene. Die beiden Weltkriege dauerten zusammen zehn Jahre. Der Friede währte also neunmal so lang.

Zweitens ist Krieg in aller Regel nicht das Ergebnis einer irgendwie gearteten rationalen gesellschaftlichen Kosten-Nutzen-Analyse. In der Regel ist Krieg für eine Gesellschaft ein "Verlustgeschäft", weil bestehende Werte vernichtet werden und weil man Produktionsmittel in unproduktive Güter und "Dienstleistungen" stecken muss. Man möge mir die kalt-rationalen Benamsungen nachsehen. Dass es immer auch Kriegsgewinnler gibt, widerlegt diese Aussage nicht. Die Kriegsgewinnler hätten auch in Friedenszeiten Gewinne gemacht. Und ihnen stehen in Kriegszeiten mehr Leute gegenüber, die Verlust machen. Krieg ist also verbunden mit einer Vernichtung und einer Umverteilung bestehender Werte. Es gibt sicher Ausnahmen, wie zum Beispiel die Raubzüge der Wikinger. Die haben die skandinavischen Gesellschaften reicher gemacht und waren so gesehen ein Geschäft. Rechnet man die Gewinne mit den Verlusten der Ausgeraubten gegen, wird der Saldo natürlich wieder zu einer roten Zahl.

Daraus abgeleitet kann man auch die Entwicklung der Sachwerte als Maßstab für die Bedeutung von Krieg und Frieden für eine Gesellschaft heranziehen. Krieg vernichtet Werte, die in Friedenszeiten aufgebaut wurden. Nun lässt sich aber nicht bestreiten, dass die menschlichen Gesellschaften zumindest in Europa im Laufe der Jahrtausende nicht ärmer sondern immer reicher geworden sind. Wir bauen also im Frieden schneller auf, als wir in den Kriegen vernichten. Selbst wenn man von so umfassenden Kriegen wie dem Zweiten Weltkrieg redet. Das gilt auch für die "Produktion von Menschen". Selbst so ein verheerender Krieg wie der Zweite Weltkrieg hat die Bevölkerungskurven nur kurzzeitig leicht geknickt. Ein weiterer Beleg für meine Aussage mag die Tatsache sein, dass alle Hochkulturen zwar durch Kriege in das "geschichtliche Bewusstsein" getreten sind, jedoch durch "zivile" Errrungenschaften (im weitesten Sinne "Kultur") aufgebaut wurden.

Als eine beachtenswerte statistische Größe bietet sich auch die Zahl der Beteiligten in Kriegen an. Hier stelle ich die Behauptung auf, dass in aller Regel immer nur ein kleiner Teil einer Gesellschaft aktiv an Kriegen teilnimmt. Die Mehrheit der Menschen muss das Geschehen erdulden. Auch das gilt selbst für die Massenkriege des 20. Jahrhunderts. Im Zweiten Weltkrieg waren "nur" 18 von gut 80 Millionen Deutschen beim Militär. Man mag nun darüber streiten, wie viel "Gestaltungsspielraum" die Soldaten hatten. Die Mehrheit der Zivilisten hatte jedenfalls gar keinen und musste den Krieg demzufolge als Zustand des Ausgeliefertseins empfinden, den niemand erstrebenswert finden kann.

Schließlich könnte man noch den Faktor "Sozialkontakte" betrachten, wenngleich der nur schwer quantifizierbar ist. Ich wage aber einfach mal die Behauptung, dass die allermeisten Begegnungen zwischen Menschen/Gruppen/Gesellschaften friedlich verlaufen und dass nur eine verschwindend geringe Zahl solcher Begegnungen mit Gewalt verbunden ist.

Darüberhinaus gibt es eine langanhaltende Fernwirkung von Kriegen. Selbst wenn der Krieg formal vorbei ist, wirkt er in der Erinnerung mindestens von ein bis zwei Generationen im kollektiven Gedächtnis nach. Und je heftiger er war, desto stärker dürfte der damit verbundene Mythos sein.
Gerade das sehe ich als die wichtigste Bestätigung meiner steilen These: Wenn wir alle Krieg als "normal" ansehen würden... warum sollten wir dann überhaupt darüber reden? Wir widmen dem Phänomen solche Aufmerksamkeit, weil es so außergewöhnlich ist. Menschen reden nicht über Normalität. Sie reden über Dinge, die aus der Normalität herausragen. Zwei Eheleute kommen nach getaner Arbeit zusammen und sitzen am Esstisch. Reden die dann über die Zahl der Büroklammern, die sie vertackert haben? Oder über die Zahl der Bleche, die sie im Akkord gestanzt haben? Nö. Die reden über den Kollegen, der seinen Finger ans Blech gestanzt oder unter den Rock der Sekretärin geschoben hat.

Dagegen ist auch gar nichts einzuwenden. Nur: Wenn wir aus dem Umstand, dass wir bevorzugt über Finger reden, die in Stanzen oder unter Röcken stecken, den Schluss ziehen, dass Finger fast immer in Stanzen oder unter Röcken stecken, dann nenne ich das Wahrnehmungsstörung - ohne es böse zu meinen.

MfG
 
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Zunächstmal ist die Zahl der Kriege nur dann eine sinnvolle Größe, wenn man sie irgendwie in Relation zur "Anzahl der Friedenszeiten" setzen kann. Hierfür biete ich die Zeitdauer als Messgröße an. Dabei fällt auf, dass Friedenszeiten regelmäßíg länger sind als Kriegsphasen. Das gilt selbst für ein so kriegerisches Jahrhundert wie das vergangene. Die beiden Weltkriege dauerten zusammen zehn Jahre. Der Friede währte also neunmal so lang.

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@Maelonn

Eine recht euphemistische Sicht auf das 20. Jh., aber 10 Jahre Krieg und 90 Jahre Frieden für das 20. Jh. sind nicht nur aus eurozentristischer Sicht eine suboptimale statistische Ausgangsgröße.

Die nachfolgende Aufzählung ist nicht vollständig, sollte aber Kriege beinhalten, die sich stark in das Generationsbewußtsein "eingegraben" haben und soziologische Auswirkungen hatten:

- Falklandkrieg
- Vietnamkrieg
- Algerienkrieg
- die Kolonialkriege Portugals in Angola, Mosambik und Guinea-Bissau
- Koreakrieg
- die Kriege Israels 1948, 1967, 1973 und die Suezkrise 1956
- 1. Irakkrieg, 2. Irakkrieg
- Krieg Iran <=> Irak
- Griechisch-Türkischer Krieg
- Balkankriege
- Boxeraufstand und der daraus entstandene Krieg
- Sowjetisch-Polnischer Krieg
- Sowjetisch-Finnischer Krieg
- Krieg Japan <=> China
- Krieg Japan <=> Rußland
- dann noch div. Kolonialkriege z.B. in Kenia etc.

Etwas abseits:

- russischer Bürgerkrieg
- spanischer Bürgerkrieg

Die Zahl "90 Jahre", schmilzt da stark ab.

M. :winke:
 
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Eine recht euphemistische Sicht auf das 20. Jh., aber 10 Jahre Krieg und 90 Jahre Frieden für das 20. Jh. sind nicht nur aus eurozentristischer Sicht eine suboptimale statistische Ausgangsgröße.
Euphemistisch???? Willst Du andeuten, ich hätte bestritten, dass es 70 Millionen Tote gab? Oder dass ich behauptet hätte, "die paar Millionen" wären belanglos? Tatsächlich habe ich lediglich darauf hingewiesen, dass die menschliche Aufbauleistung selbst das bislang unübertroffene Vernichtungspotenzial der zwei Weltkriege noch überstiegen hat.


Die nachfolgende Aufzählung ist nicht vollständig, sollte aber Kriege beinhalten, die sich stark in das Generationsbewußtsein "eingegraben" haben und soziologische Auswirkungen hatten:
Du hast in allen Punkten recht. Deine Liste ließe sich fast endlos verlängern. Aber all die ungezählten Kleinkonflikte beziehen sich immer nur auf einen umgrenzten Raum. Und in diesem umgrenzten Raum gilt dann - zumeist - wieder das, was ich geschrieben habe: Die Phasen des Friedens waren länger und wirkten nachhaltiger als die Phasen des Kriegs.

Ich erinnere an die Ausgangsfrage. Die lautete folgendermaßen:

Doch was ist mit der Geschichte des Pazifismus? Warum kommen die Menschen, die gegen Kampf und Krieg sind in der Gesellschaftsgeschichte zu kurz?

Meine Antwort auf diese Ausgangsfrage lautet: Die Geschichte nimmt nicht wirklich wahr, was die "Pazifisten" aufgebaut haben. Sie, "die Geschichte", ist zu beschäftigt mit der Frage, was wir alles vernichtet haben. Dabei wird die Aufbauleistung verkannt. Ignoriert.

MfG
 
Nun, die Frage der Rüstungsausgaben ist m.E. nur bedingt gekoppelt mit dem Ansehen des Militärwesens und dessen Stellenwert in der Gesellschaft.
Die Frage ist eher wieweit eine Gesellschaft militarisiert ist. Dies ist bei autoritär oder totalitär organisierten Gesellschaften eher der Fall,da hier das Militär eine wesentliche stütze der herrschenden Gruppe ist und die Befehlsstruktur übertragen auf die Zivilgesellschaft diese leichter lenk-und kontrollierbar macht.
Der kalte Krieg und das Gleichgewicht des Schreckens haben bei gleichzeitigem Anstieg der Rüstungsausgaben in den westlichen Demokratien letztlich zu einer Abwertung der gesellschaftlichen Stellung des Militärs geführt, da militärische Macht abstrahiert ,die Bedeutung der einzelnen Soldaten und des konventionellen Heeres aber marginalisiert wurde.Aus der konkreten war eine astrakte Bedrohungslage geworden. Gleichzeitig kam es mit zunehmender Ökonomisierung zu einer Prioritäötenverschiebung zugunsten der Wirtschaft und damit zu einer Priorisierung der Handels- und Verhandlungspolitik .Damit einheergehend war und ist gesellschaftlicher Aufstieg mit wirtschaftlichem und nicht mehr mit militärischem Erfolg gekoppelt.

Von geopolitischer Bedeutung waren nach dem 2.Weltkrieg nur 5 Konflikte: Korea,Kubakrise, Vietnam,Afghanistan 1, Palästina
Und diese Kriege fanden und finden in ökonomisch minder bedeutsamen Regionen statt und wurden letztlich nicht mit militärischen Mitteln beendet.
Alles andere waren und sind zum größten Teil regionale Konflikte,Bürger- und Kolonialkriege in Entwicklungsländern mit geringer Wirtschaftskraft ohne Bedrohungspotential. für die westlichen Demokratien.
 
Euphemistisch???? Willst Du andeuten, ich hätte bestritten, dass es 70 Millionen Tote gab? Oder dass ich behauptet hätte, "die paar Millionen" wären belanglos? Tatsächlich habe ich lediglich darauf hingewiesen, dass die menschliche Aufbauleistung selbst das bislang unübertroffene Vernichtungspotenzial der zwei Weltkriege noch überstiegen hat. ...

@Maelonn

Selbstverständlich möchte ich das nicht andeuten und schon gar nicht unterstellen. Sorry, wenn ich falsch "rübergekommen" bin.

Nur das Verhältnis 90 a vs. 10 a hatte mich irritiert.

M.
 
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