Einen Konflikt mit Gewalt zu lösen ist sicherlich so alt wie es menschliche Kulturen gibt.
Darauf wollte ich hinaus mit der Anmerkung, dass Menschen zu kollektiver Gewalt fähig sind. Ich bestreite nur mit zugegeben etwas überspitzter Argumentation, dass Gewalt in menschlichen Gesellschaften das erste Mittel der Wahl ist.
Die Belege für Deine These auf die Bibel zu stützen dürfte Dir wenig helfen, da es höchstens belegt, dass die Abwesenheit von Gewalt bzw. Kriegen ein grundsätzlich erstrebenswertes Ziel sein konnte.
Ich bin der Letzte, der das Christentum oder gar die christliche Kirche zur höchsten moralischen Instanz erklären würde. Deshab bin ich hier sogar schon mit roten Sternen belohnt worden. Nur weil ich die Bibel besser kennen als die heiligen Bücher anderer Religionen habe ich sie als Beispiel angeführt. Meines Wissens ist das Streben nach Frieden allen Weltreligionen gemeinsam. Es scheint also eine Konstante zu sein.
Empirisch müßte man das Verhältnis von Frieden zu Krieg anders operationalisieren. Die Anzahl der Kriege wäre dabei eine hilfreiche Größe.
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Besser wäre es die positiven volkswirtschaftlichen Effekte von Friedenszeiten und die negativen Effekte von Kriegszeiten zu untersuchen, um zu erklären, wieso Krieg als negativ in Gesellschaften wahrgenommen wurde.
Guter Ansatz. Greifen wir zu Empirie und Statistik. Auch damit kann ich meine These stützen.
Zunächstmal ist die Zahl der Kriege nur dann eine sinnvolle Größe, wenn man sie irgendwie in Relation zur "Anzahl der Friedenszeiten" setzen kann. Hierfür biete ich die Zeitdauer als Messgröße an. Dabei fällt auf, dass Friedenszeiten regelmäßíg länger sind als Kriegsphasen. Das gilt selbst für ein so kriegerisches Jahrhundert wie das vergangene. Die beiden Weltkriege dauerten zusammen zehn Jahre. Der Friede währte also neunmal so lang.
Zweitens ist Krieg in aller Regel nicht das Ergebnis einer irgendwie gearteten rationalen gesellschaftlichen Kosten-Nutzen-Analyse. In der Regel ist Krieg für eine Gesellschaft ein "Verlustgeschäft", weil bestehende Werte vernichtet werden und weil man Produktionsmittel in unproduktive Güter und "Dienstleistungen" stecken muss. Man möge mir die kalt-rationalen Benamsungen nachsehen. Dass es immer auch Kriegsgewinnler gibt, widerlegt diese Aussage nicht. Die Kriegsgewinnler hätten auch in Friedenszeiten Gewinne gemacht. Und ihnen stehen in Kriegszeiten mehr Leute gegenüber, die Verlust machen. Krieg ist also verbunden mit einer Vernichtung und einer Umverteilung bestehender Werte. Es gibt sicher Ausnahmen, wie zum Beispiel die Raubzüge der Wikinger. Die haben die skandinavischen Gesellschaften reicher gemacht und waren so gesehen ein Geschäft. Rechnet man die Gewinne mit den Verlusten der Ausgeraubten gegen, wird der Saldo natürlich wieder zu einer roten Zahl.
Daraus abgeleitet kann man auch die Entwicklung der Sachwerte als Maßstab für die Bedeutung von Krieg und Frieden für eine Gesellschaft heranziehen. Krieg vernichtet Werte, die in Friedenszeiten aufgebaut wurden. Nun lässt sich aber nicht bestreiten, dass die menschlichen Gesellschaften zumindest in Europa im Laufe der Jahrtausende nicht ärmer sondern immer reicher geworden sind. Wir bauen also im Frieden schneller auf, als wir in den Kriegen vernichten. Selbst wenn man von so umfassenden Kriegen wie dem Zweiten Weltkrieg redet. Das gilt auch für die "Produktion von Menschen". Selbst so ein verheerender Krieg wie der Zweite Weltkrieg hat die Bevölkerungskurven nur kurzzeitig leicht geknickt. Ein weiterer Beleg für meine Aussage mag die Tatsache sein, dass alle Hochkulturen zwar durch Kriege in das "geschichtliche Bewusstsein" getreten sind, jedoch durch "zivile" Errrungenschaften (im weitesten Sinne "Kultur") aufgebaut wurden.
Als eine beachtenswerte statistische Größe bietet sich auch die Zahl der Beteiligten in Kriegen an. Hier stelle ich die Behauptung auf, dass in aller Regel immer nur ein kleiner Teil einer Gesellschaft aktiv an Kriegen teilnimmt. Die Mehrheit der Menschen muss das Geschehen erdulden. Auch das gilt selbst für die Massenkriege des 20. Jahrhunderts. Im Zweiten Weltkrieg waren "nur" 18 von gut 80 Millionen Deutschen beim Militär. Man mag nun darüber streiten, wie viel "Gestaltungsspielraum" die Soldaten hatten. Die Mehrheit der Zivilisten hatte jedenfalls gar keinen und musste den Krieg demzufolge als Zustand des Ausgeliefertseins empfinden, den niemand erstrebenswert finden kann.
Schließlich könnte man noch den Faktor "Sozialkontakte" betrachten, wenngleich der nur schwer quantifizierbar ist. Ich wage aber einfach mal die Behauptung, dass die allermeisten Begegnungen zwischen Menschen/Gruppen/Gesellschaften friedlich verlaufen und dass nur eine verschwindend geringe Zahl solcher Begegnungen mit Gewalt verbunden ist.
Darüberhinaus gibt es eine langanhaltende Fernwirkung von Kriegen. Selbst wenn der Krieg formal vorbei ist, wirkt er in der Erinnerung mindestens von ein bis zwei Generationen im kollektiven Gedächtnis nach. Und je heftiger er war, desto stärker dürfte der damit verbundene Mythos sein.
Gerade das sehe ich als die wichtigste Bestätigung meiner steilen These: Wenn wir alle Krieg als "normal" ansehen würden... warum sollten wir dann überhaupt darüber reden? Wir widmen dem Phänomen solche Aufmerksamkeit, weil es so außergewöhnlich ist. Menschen reden nicht über Normalität. Sie reden über Dinge, die aus der Normalität herausragen. Zwei Eheleute kommen nach getaner Arbeit zusammen und sitzen am Esstisch. Reden die dann über die Zahl der Büroklammern, die sie vertackert haben? Oder über die Zahl der Bleche, die sie im Akkord gestanzt haben? Nö. Die reden über den Kollegen, der seinen Finger ans Blech gestanzt oder unter den Rock der Sekretärin geschoben hat.
Dagegen ist auch gar nichts einzuwenden. Nur: Wenn wir aus dem Umstand, dass wir bevorzugt über Finger reden, die in Stanzen oder unter Röcken stecken, den Schluss ziehen, dass Finger fast immer in Stanzen oder unter Röcken stecken, dann nenne ich das Wahrnehmungsstörung - ohne es böse zu meinen.
MfG