Existierte (das Gulag / Arbeitslager) in Nowo-Gorlowka wirklich?

Cheeesi

Neues Mitglied
Hallo zusammen,

ich stelle erst einmal meine Frage und erkläre den Hintergrund hierzu danach genauer.

Gab bzw. gibt es den 'Ort' Nowo-Gorlowka (ca 48° 18′ N, 38° 3′ O) welcher heute unter Horliwka (in der Ukraine) bekannt ist wirklich?
Zu beachten ist das "Nowo", was meinem Kenntnisstand nach "Neu" bedeutet. Das die Stadt Horliwka existiert und diese früher Gorlowka hieß, ist mir bekannt.
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Hintergrund:
In dem Roman "Atemschaukel" von Herta Müller, wird der Protagonist in das damals sowjetische Arbeitslager bzw. Gulag Nowo-Gorlowka 'eingeliefert'.
Der Protagonist fragt sich hierbei, ob das Arbeitslager so heißt wie die Stadt, oder die Stadt so heißt wegen des Arbeitslagers.
Für eine Analyse in meiner Examensarbeit ist es nun leider von elementarer Bedeutung, ob es das Arbeitslager bzw. den Ort Nowo-Gorlowka wirklich gegeben hat bzw. gibt.

Kann mir hierzu irgendjemand weiterhelfen, oder mir einen "Ansprechpartner" nennen, bei dem ich eine fundierte Auskunft erhalten könnte?

Vielen Dank,
Cheeesi
 
Es gibt wohl ein Novo-Gorlovka auf deutschen Heereskarten, Ostukraine, Donezk-Gebiet.

Der Ort findet sich in Zusammenhang mit dem italienischen Alpini-Korps (Marsch von Novo-Gorlovka nach Woroshilovgrad). In Randlage zu Gorlovka befanden sich außerdem zwei deutsche Kriegsgefangenenlager, woraus sich nach 1945 ebenfalls eine Verbindung ergeben könnte.

Näheres müsste ich auf zeitgenössischen Karten recherchieren. Etwas Geduld.

vorab: M-37-33: http://download.maps.vlasenko.net/smtm200/m-37-33.jpg
4 MB - allerdings aktuell, also vermutlich überbaut.
 
Hallo zusammen,

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Der Protagonist fragt sich hierbei, ob das Arbeitslager so heißt wie die Stadt, oder die Stadt so heißt wegen des Arbeitslagers.
Für eine Analyse in meiner Examensarbeit ist es nun leider von elementarer Bedeutung, ob es das Arbeitslager bzw. den Ort Nowo-Gorlowka wirklich gegeben hat bzw. gibt.

Kann mir hierzu irgendjemand weiterhelfen, oder mir einen "Ansprechpartner" nennen, bei dem ich eine fundierte Auskunft erhalten könnte?

Vielen Dank,
Cheeesi

@Cheeesi

Wenn diese Information von "elementarer Bedeutung" für Deine Examensarbeit ist, wäre es nicht angezeigt, die Stadtverwaltung, das Stadtmuseum bzw. das Stadtarchiv anzuschreiben.

http://www.gorlovka.dn.ua/

Das es Nowo-Gorlowka gab, das hat Dir mein Mitdiskutant silesia bereits nachgwiesen siehe #2 und wie ich ihn kenne, werden noch weitere Info's folgen. Nur, Du schreibst offensichtlich eine literaturwissenschaftliche Arbeit; könnte die Autorin nicht auch ein Gleichnis "im Auge" gehabt. Heißt das Lager nach der Stadt, oder die Stadt nach dem Lager? Also bestimmt das GULAG-System die Geographie, ist also das kontituierende Element der sowjetischen Herrschaft.

Spekulation und Interpretation beiseite.

Manchmal entstanden aus GULAG-Lagern und Verbannungsorten auch Städte. Da Du Dich schlechterdings in ukrainische und russische Archive setzen kannst; mein Tipp, ruf an bzw. schreib einfach eine email.

M. :winke:
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Buch ist ja in Zusammenarbeit mit Oskar Pastiior entstanden und hat auch dessen Leben zur Grundlage. Wie weit die "Verfremdung" z.B. der Ortsnamen geht, vermag ich nicht abschließend zu beurteilen.
HA Migration_Die Vertreibung der Deutschen aus Rumänien in der Nachkriegszeit
Versuch doch einfach mal Herta Müller selbst zu fragen (notfalls über den Verlag). Ich stelle mir vor, dass Sie schon so freundlich sein wird, dir für deine Arbeit Auskunft zu geben.
 
Nach Recherche würde ich Folgendes vermuten:

1. Ein Nowo-Gorlowka wird in dieser Schreibweise auf den zeitgenössischen deutschen Karten (die auf den russischen Originalkarten basieren) nicht ausgewiesen. Es ist also etwas Dektektivarbeit erforderlich:

2. Ein erstes Indiz ist ist ein Hinweis bei Angrick (Besatzungspolitik und Massenmord, S. 559) auf das "Konzentrationslager Gorlowka", das deutscherseits dem DuLag 180, Durchgangslager für Kriegsgefangene zugeordnet wurde. Es gab also ein Lager Nähe Gorlowka. Stalinistische Lager wurden von deutscher Seite häufig weiter "betrieben".

3. Der Berichterstattung der italienischen Alpini-Truppe vom Nov./Dez. 1941 ist zu entnehmen, dass ein Regiment der Division "Pasubio" (80.) bei Gorlowka-Nikitowka ca. eine Woche eingeschlossen worden ist. Entsatzversuche haben von Südost und Südwest stattgefunden, dabei wird Novo-Golovka erwähnt.

"Gorlowka ist nur der Mittelpunkt eines großen Industriegebiets, dass sich nach Osten hin erstreckt und seine Ergänzung in Nowo-Gorlowka findet, so wie zu Rykowo [Anm: -> identisch mit "Ordshonikidse"] die große Industrievorstadt "Karl Marx" gehört [-> im Nordwesten]. Es war deshalb nötig, auch die genannten beiden Vorstädte in unseren Besitz zu bekommen, da sie - solange der Feind dort saß - eine fortgesetzte Bedrohung für und darstellten. ... Die Operationen zur Besetzung von Nowo-Gorlowka mussten dagegen unterbrochen werden, um dringendere Probleme zu lösen: die Lage am äußersten linken Flügel hatte eine kritische Entwicklung genommen. "
Quelle: Messe, Der Krieg im Osten, S. 137ff.

Demnach gab es drei Angriffsspitzen: eine auf Nikitowka, eine auf "Nowo-Gorlowka", eine auf die Rykower Vorstadt "Karl Marx". Nur letzteres wurde besetzt, während der linke Flügel eingeschlossen wurde. Die drei Angriffsziele sind unten in der deutschen Heereskarte, Stand 1.2.1942, rot markiert.

4. Nowo-Gorlowka wurde auch der Bereich genannt, der der "Koksfabrik Gorlowka" entsprach: "Der einzige Anhaltspunkt, den wir bei der Ankunft im Lager hatten, war NOWO-GORLOWKA. Das konnte ein Name für das Lager sein oder für eine Stadt, auch für die ganze Umgebung. Der Name der Fabrik konnte es nicht sein, denn die hieß KOKSCHIM-SAWOD."
Höllensprichwörter. Die Kai-Grehn-Homepage

5. Der Bereich muss demnach nordöstlich/östlich Gorlowka liegen, sowie über einen Bahnhof verfügen (Ausladebahnhof für Heeresgruppe Süd, Bahnhof der Koksfabrik). Dabei handelt es sich vermutlich um den Bahnhof Bairok, sowie dieses Gelände, dass auf der deutschen Heereskarte Z49/Makejewka mit (Gorlowka-)Nowaja ausgewiesen wird. Der Kartenausschnitt ist in der Anlage enthalten. Die Vermutung würde sich bestätigen, wenn der Bereich der Koksfabrik identifiziert würde. Diese Fabrik befindet sich heute nördlich und südlich der Bahnlinie Gorlowka-Bahnhof Bairek als großes Industriegebiet.

Ein Verifizierung dieser Angaben wird man nur über die von @melchior angegebenen links erhalten.
 

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Frage am Rande: Wie ist den die Wehrmacht an die Grundlagen für so gutes Kartenmaterial gekommen. Die Russen waren doch auch vor dem Krieg schon sehr empfindlich was das Auskundschaften ihrer Geografie betraf.

Merkwürdig dass es auf dem Kartenausschnitt einen Ort mit den Namen "New York" gibt.

Hat sich bestimmt gut in der Meldung gemacht: "Heut vormittag um 10:00 gegen geringen Widerstand New York eingenommen".
 
Frage am Rande: Wie ist den die Wehrmacht an die Grundlagen für so gutes Kartenmaterial gekommen. Die Russen waren doch auch vor dem Krieg schon sehr empfindlich was das Auskundschaften ihrer Geografie betraf.

Möglicherweise aus der Zeit, in der Reichswehr und Rote Armee zusammenarbeiteten? Die Reichswehr hatte seit dem Vertrag von Rapallo 1922 mit der Roten Armee Kooperationen begonnen, Material und Technik gegen Truppenübungsplätze und Logistik. Von Seeckt hatte das organisiert, um trotz der militärischen Einschränkungen des Vertrages von Versailles, außerhalb der Kontrolle des Völkerbundes Soldaten ausbilden zu können.
 
Frage am Rande: Wie ist den die Wehrmacht an die Grundlagen für so gutes Kartenmaterial gekommen. Die Russen waren doch auch vor dem Krieg schon sehr empfindlich was das Auskundschaften ihrer Geografie betraf.

Das Kartenmaterial bei der Feldzugplanung 1940 hatte schon eine andere Qualität. Nach dem Juni 1941 dürfte kurzfristig Beutematerial dazugekommen sein, außerdem wurden die motorisierten Korps-Kartenstellen tätig, die auch Luftaufnahmen einarbeiteten.

Hier der Stand Ende 1940, Basis russische Karten 1915/17 mit Nachträgen, soweit bekannt. Das sieht anders aus als Anfang 1942 (interessant die Nummerierung der "Vorstädte", hier Gorlowka 1 und Gorlowka 5:
 

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