Franken und Skandinavien

Erich

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Bei Ausgrabungen unter dem Frankfurter Dom ist ein Doppelgrab aufgetaucht, das auf eine enge Verbindung zwischen den Merowingern und Skandinavien schließen lässt:
Kindergrab unter Frankfurter Dom entschlüsselt
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Als Karl der Große 794 nach Frankfurt zur Synode einlud, um unter anderem für sein riesiges Fränkisches Reich den „Ur-Euro“ offiziell einzuführen, wie Egon Wamers die karolingische Währung Denar scherzhaft nennt, war das Mädchen auf dem späteren Domhügel längst begraben. Doch muss das für uns bis heute unbekannte Kind noch lange danach verehrt worden sein. Dafür spreche, meint der Direktor des Archäologischen Museums Frankfurt, dass das Grab fast 60 Jahre nach der Synode, als für Karls Enkel Ludwig den Deutschen die Salvatorbasilika geplant wurde, noch eine so große Bedeutung hatte, dass die Kirche genau über der Toten errichtet wurde.
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Es handelt sich um ein Doppelgrab, in dem zwei gleich alte Kinder reich bestattet wurden. Sie müssen sich einander sehr nahe gestanden haben, obwohl das eine christlich und nach schon üblich gewordener Merowingertradition in einem Sarg beerdigt, das andere nach heidnisch-skandinavischem und einstmals auch germanischem Brauch samt Bärenfell verbrannt wurde.
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Für die Historiker waren diese Beigaben und das, was sich aus ihnen schließen lässt, schon eine Sensation, als „reich“ aber dürfen die Grabfunde gelten, weil das adelige Mädchen wertvollen Schmuck trug, als man es zur letzten Ruhe bettete: ...

Noch geben die Funde viele Rätsel auf - die Halskette zum Beispiel mit dem Goldbrakteaten. Der mittlere Anhänger, auf dem ein abstraktes Mischwesen, ein Greif zu sehen ist, stammt auch aus dem hohen Norden und ist viel älter als die Grablege. Wamers meint, es könnte ein Erbstück der Familie des anderen Kindes sein, das als Zeichen der engen Verbundenheit dem Mädchen mit ins Grab gegeben wurde. Ob sich über die Beziehung der beiden zueinander noch mehr herausfinden lässt?
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und mit dem letzten zitierten Satz stelle ich das Thema auch hier zur Diskussion. Ich bin gespannt :winke:
 
Das ist erstmal einfach nur ein reich ausgestattetes Doppelgrab. Wer die beiden Kinder waren, lässt sich dem Artikel (und wohl auch dem Befund) nicht entnehmen. Dass das Mädchen im letzten Satz als "kleine Merowingerin" bezeichnet wird, kann nur so zu verstehen sein, dass sie aus der Merowingerzeit stammt; die Formulierung ist irreführend. Klar wird sie aus einer hochgestellten Familie gestammt haben, aber deswegen muss sie noch nicht mit den Merowingern verwandt gewesen sein. Eine "enge Verbindung zwischen den Merowingern und Skandinavien" indiziert der Fund erst recht nicht, bloß weil er teilweise skandinavisch (wobei ja bloß die Verbrennung des anderen Kindes "heidnisch-skandinavisch" gewesen sein soll - inwieweit dieser Schluss zwingend ist oder ob es sich nicht auch um eine regionale Sitte handeln könnte, vermag ich nicht zu beurteilen) anmuten mag. Auch wenn Verbindungen nach Skandinavien bestanden haben mögen, kann das auch ein Einzelfall, der nur die Familie des Mädchens (bzw. die des anderen Kindes) betraf, gewesen sein.

Ob es übrigens wirklich Absicht war, dass die Kirche über dem Grab errichtet wurde, halte ich auch nicht für sicher. Wusste man überhaupt noch vom Grab?
Zum Vergleich: Bei im Zuge von Restaurierungsarbeiten vorgenommenen Grabungen in der Kirche meines Heimatorts wurden unter ihr Gräber aus der Jungsteinzeit entdeckt. Da wird es auch Zufall gewesen sein, dass die Kirche darüber errichtet wurde.
 
Zuletzt bearbeitet:
In der Archäologie ist die These virulent, dass die Schlüsselanhänger, die Frauen als Beigabe in süddeutschen, merowingerzeitlichen Gräber mitgegeben wurden und dergestalt interpretiert werden, dass sie die Herrschaft der Frau über den Haushalt symbolisierten (fortgesetzt im HochMA durch den Vorsitz der Königin über den königl. Schatzhalter), sich in den sogenannten Thors-Hämmern fortsetzten. Das Problem dabei ist allerdings neben der räumlichen Entfernung auch die, dass die Thors-Hämmer so richtig erst im 10./11. Jhdt. ihren Eingang in die skandinavische Bestattungskultur (also nach der Christianisierung!) fanden. Die Gemeinsamkeit eben, dass sie eine typische Frauengrabsbeigabe sind.
 
Dass das Mädchen im letzten Satz als "kleine Merowingerin" bezeichnet wird, kann nur so zu verstehen sein, dass sie aus der Merowingerzeit stammt; die Formulierung ist irreführend. Klar wird sie aus einer hochgestellten Familie gestammt haben, aber deswegen muss sie noch nicht mit den Merowingern verwandt gewesen sein.
Der Satz kann auch wortwörtlich verstanden werden, nämlich so, dass das Mädchen tatsächliche eine Prinzessin der Merowinger gewesen sei. Die Ausstattung spricht auf jeden Fall für den Hochadel. Neben den Merowingern käme aber auch das Herozgsgeschlecht Hedenen in Betracht.

Leider fehlt in dem FAZ-Artikel die eigentliche Pointe. Die Kindergräber sind auch das frühe 8. Jahrhundert datiert. Die Christianisierung war schon sehr weit fortgeschritten. In der erster Hälfe des 8. Jahrhunderts wirkte Bonifatius. Leider ist für die Zeit vor Bonifatius die Geschichtsschreibung für den ostrheinischen Teil des Frankenreiches absolut lückenhaft. Über das, was zu der Zeit in Frankfurt los war, herrscht völlige Unklarheit. Klar ist nur, dass Karl Martell im Ostteil des Frankenreich aufräumte, die dort entstandenen Eliten absetzte und eine Ordnung mit neuen Adeligen und den Klöstern etablierte. Über die Zeit davor wissen wir eigentlich gar nichts aus der Geschichtsschreibung.

Brandbestattungen sind zu dieser Zeit absolut unüblich und sogar schon bei den Sachsen selten. Dass diese Brandbestattung in Frankfurt durchgeführt ist absolut ungewöhnlich. Auch die Bestattung zweier Kinder im Doppelgrab ist absolut ungewöhnlich. Dieses möglicherweise skandinavische Brakteat ist dagegen eigentlich nicht mehr erwähnenswert, bezeugt aber vielleicht eine enge Verbindung zwischen beiden Kleinkinder. Mein erster Gedanke dazu ist, dass die beiden vielleicht schon verlobt waren.

Hierzu ist weiter beim Archäologischen Museum Frankfurt zu lesen:
"Der Fiscus Franconofurd wurde von einem Actor oder Iudex aus fränkischem Adel verwaltet. Zur Familie dieses Amtmanns gehörte das Mädchen. Das zweite Kind stammte aus einer skandinavischen Familie, die – wie die aufwändige Bärenfell-Brandbestattung bezeugt – ebenfalls zur Elite gehörte und die, fernab der Heimat lebend, vermutlich seit mehr als einer Generation mit der ostfränkischen Familie eng verbunden war."
Zu beachten ist das "oder" im obigen Zitat. Über den angeblichen Amtsmann in Frankfurt weiß man eigentlich gar nichts, genauso wenig über eine skandinavischen Familie.
 
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