Frauenraub in Neolithikum

Zitat Caro: „Frau=Scholle wäre eine faszinierende Rechnung, die voraussetzen würde, dass die Eigentumsrechte einer Gruppe grundsätzlich bei deren weiblichen Mitgliedern lagen.“

Huch. Eine scharfsinnige Bemerkung.

Ich gebe zu, dass mann sich auf einen argumentativen Minenfeld bewegt, wenn es um die Sozialgeschichte der Frauen geht, vor allem im arg spekulativen Umfeld der Vorgeschichte.

Aber, so weit ich es verstanden habe, stammt die Idee der Unterdrückung der Frau ab dem Neol. aus einer weit simpleren und sozialromantischen Überlegung.
Zum einen wird einfach angenommen, dass vor der Sesshaftigkeit kein Eigentumsbegriff bekannt gewesen wäre. Als Beispiele werden (ausgesuchte und somit von vornherein passende) Vergleiche aus der (romantisierten) Völkerkunde angeführt.
Schon alleine diese Quellenlage ist methodisch inkorrekt, als Hauptargument lässt sich anführen, dass die völkerkundliche Quellenlage im 19.Jh. mehr schlecht als recht war. Bestimmte Vorgänge oder Schilderungen wurden aus der Sicht des weißen, männlichen Europäers interpretiert und das einfach nicht wissenschaftlich genug.

Aber geschenkt –
Nehmen wir an, dass ist so. Nichtsesshaftigkeit würde keinen Besitzbegriff kennen.
Die Sesshaftigkeit definiert nun angeblich „Besitz“, nämlich Grund und Boden etc.
Da nun Frauen im europäischen 19. und 20.Jh. juristisch ja tatsächlich praktisch „Eigentum“ des Mannes waren wurde nun dieses Faktum einfach in die Vergangenheit projiziert.
Eben in das Neolithikum.
(Beispiele dieser Denkart wären z.b. bei Ranke-Graves zu finden.)

Und jetzt werden Fakten, Befundlagen aus dem Neol. passend interpretiert.

Was mich dabei an sich ärgert, ist dass durch diese methodisch einfach inkorrekte Argumentation die ganze Diskussion zur Frauenforschung diskreditiert wird.

Meine Einschätzung: Wir wissen es für die Vorgeschichte einfach nicht. Wir wissen nicht, ab wann, warum und wie sich das Patriarchat durchsetzte. Oder ob es jemals eine Egalität gab oder ein Matriarchat. Die Befund- und Faktenlage lässt da keinen belastbaren Rückschluss zu.
Wir müssen uns da mit Aussagen aus der Historie begnügen, befürchte ich.

Thomas
 
Ich gebe zu, dass mann sich auf einen argumentativen Minenfeld bewegt, wenn es um die Sozialgeschichte der Frauen geht, vor allem im arg spekulativen Umfeld der Vorgeschichte.
Aber, so weit ich es verstanden habe, stammt die Idee der Unterdrückung der Frau ab dem Neol. aus einer weit simpleren und sozialromantischen Überlegung.
Zum einen wird einfach angenommen, dass vor der Sesshaftigkeit kein Eigentumsbegriff bekannt gewesen wäre. Als Beispiele werden (ausgesuchte und somit von vornherein passende) Vergleiche aus der (romantisierten) Völkerkunde angeführt.
Schon alleine diese Quellenlage ist methodisch inkorrekt, als Hauptargument lässt sich anführen, dass die völkerkundliche Quellenlage im 19.Jh. mehr schlecht als recht war. Bestimmte Vorgänge oder Schilderungen wurden aus der Sicht des weißen, männlichen Europäers interpretiert und das einfach nicht wissenschaftlich genug.
Ich möchte die aufgeworfenen methodischen und theoretische Probleme bei der Interpretation soziologischer Fragestellung in der VFG nun noch weiter führen.
Der Beitrag von Thomas zeigt sehr deutlich die Probleme, insb. die zitierten Passagen zeigen die Richtung an.
Leider ist bisher in der deutschsprachigen Archäologie eine fundierte und gehaltvolle Diskussion soziologischer Fragestellung fast in der Gänze ausgeblieben.
Bis heute werden, relativ ungeprüft, ethnologische Vergleiche herangezogen, fast immer mit dem einfachen Analogien.
Es liegen hier in der Ausbildung sehr große Defizite, fast kein Seminar der VFG in der BRD setzt sich methodisch oder theoretisch mit den Theorien der Soziologie oder Ethnologie auseinander. Daraus resultiert dann meist eine Interpretation, wie sie Thomas oben vorgestellt hat, für die Befunde.
Mehr noch, um die Deutungshoheit auch weiter hin zu beanspruchen, werden seriöse Versuche einer echten Ethnoarchäologie oder Archäosoziologie von den Amtsträgern teilweise lächerlich gemacht oder mit den Hinweis, das diese Überlegungen zu weit weg vom Material wären abgetan.
Hier liegt das große Problem der deutschsprachigen Archäologie, Abstinenz von Theorie, und damit die Hinwendung zu "objektiveren" Materialanalysen.
Das Material alleine spricht aber nicht, es wird interpretiert und das mit einem theoretischen sehr fragwürdigen Unterbau, der sich in vielen Fällen als eurozentristisch herausstellt.
Der Archäologe interpretiert eben so wie er es gewohnt ist, ein sehr gutes Bsp. dafür ist die Diskussion von Eggert und Krause zu dem Thema "Fürstengräber & Fürstensitze".
Überhaupt sind Fragestellung zur Stellung der Frau recht wenig bisher behandelt worden, das liegt auch daran das die meisten Entscheidungsträger/Professoren etc. Männer sind, und kaum Interesse an einer Gender Archäologie haben.
Was die Rolle der Frau in der Vorgeschichte angeht bewegt man sich, wie bei der Rolle des Mannes auch, immer in dem Raum der Spekulation.

Ich finde Caro1 hat eine wirklich gute Idee zu dem Thema:
Stimmt auffallend. Frau=Scholle wäre eine faszinierende Rechnung, die voraussetzen würde, dass die Eigentumsrechte einer Gruppe grundsätzlich bei deren weiblichen Mitgliedern lagen. Warum man umständlicherweise Krieg führte, statt einfach nur die Frauen zu rauben?
Für diese Postulat lassen sich anhand von ethnologischen Vergleichen guter Parallelen finden.
Wobei ich hier nicht postulieren möchte das es aufgrund der ethnologischen Parallele so gewesen sein muss, aber das es so gewesen sein könnte!
 
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Ich möchte nur darauf hinweisen, dass man bei der Verwendung des Begriffs "Frauenraub" davon ausgeht, das diese Frau von jemanden "besessen" wird, dem sie dann unter Gewalteinwirkung entrissen wird. Wem ? Wohl den in der Grube aufgefundenen Männern.
 
Dem kann nachgeholfen werden. Einfach mal Konrad Lorenz oder Irenäus Eibl-Eibesfeldt lesen.
Zur Not genügt das Alte Testament.
 
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Ich möchte nur darauf hinweisen, dass man bei der Verwendung des Begriffs "Frauenraub" davon ausgeht, das diese Frau von jemanden "besessen" wird, dem sie dann unter Gewalteinwirkung entrissen wird. Wem ? Wohl den in der Grube aufgefundenen Männern.
Hm. Ich kann nur jemandem etwas entwenden, der noch lebt. Männer töten und Frauen etc. mitnehmen, wäre nach der Betrachtung ja kein Raub mehr, weil es keinen Besitzer mehr gibt. :grübel:
 
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Hm. Ich kann nur jemandem etwas entwenden, der noch lebt. Männer töten und Frauen etc. mitnehmen, wäre nach der Betrachtung ja kein Raub mehr, weil es keinen Besitzer mehr gibt. :grübel:
Tante Wiki schrieb:
Raub ist nach deutschem Strafrecht die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache mittels Gewalt gegen eine Person oder unter Androhung einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben mit der Absicht, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen.
Ohne Gewalt wäre es jedenfalls kein Raub, sondern Diebstahl.

Was ich sagen wollte, ist, dass der Frauenraub im Neolithikum offenbar sehr durch die Brille der heutigen Europäischen Kultur interpretiert wird.
 
Frauenverschleppung wäre vielleicht ein besserer Begriff für das, was hier diskutiert wird.

Frauenraub ist ein Begriff aus der Völkerkunde und bezieht sich auf ein Ritual. Das scheint hier aber gar nicht im Zentrum des Interesses zu stehen.
 
Hm. Ich kann nur jemandem etwas entwenden, der noch lebt. Männer töten und Frauen etc. mitnehmen, wäre nach der Betrachtung ja kein Raub mehr, weil es keinen Besitzer mehr gibt. :grübel:

Sorry, wir sind hier in einen sehr düsteren Kapitel, kann ich nicht ändern. Aber es gibt noch den Begriff Freiheitsberaubung - und das ist auch ein Raub. Zwar nicht im materiellen Sinne - sondern es wird jemand der Freiheit beraubt. Der Begriff Freiheitsdiebstahl ist mir unbekannt. Zudem ist Diebstahl auch das Wegnehmen von etwas, das jemandem gehört. Wenn der Besitzer nicht mehr lebt, dann ist auch die Bezeichnung Diebstahl hinfällig (wenn wir von einem Erbrecht absehen, ich nehme jetzt nicht an, dass die Frau automatisch an den nächsten Verwandten fällt oder so).

P.S.: Der Unterschied zwischen Raub und Diebstahl besteht m.E. darin, dass beim Raub Gewalt gegenüber der Person des Opfers angewendet wird.
 
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Wir wissen es für die Vorgeschichte einfach nicht. Wir wissen nicht, ab wann, warum und wie sich das Patriarchat durchsetzte. Oder ob es jemals eine Egalität gab oder ein Matriarchat. Die Befund- und Faktenlage lässt da keinen belastbaren Rückschluss zu.
Wir müssen uns da mit Aussagen aus der Historie begnügen, befürchte ich.

Was dann wiederum eine Begrenzung ist. Schließlich können uns die Aussagen aus der Historie, also aus der überlieferten Geschichte nur Informationen über den historisch überlieferten Zeitraum liefern, nicht den davor, es sei denn durch die an sich fragwürdige Methode der Analogienbildung. (Wobei die Bildung von Analogien als Hypothese zulässig ist, aber eben nicht beweiskräftig, wie die Schamdebatte von Duerr und ELias zeigt).
 
Man muss sich nicht mit Aussagen der Historie begnügen. Es gibt in der Ethnologie systemische Analysen, die nach kulturunabhängigen Faktoren suchen. Solche Faktoren konnten vielfach identifiziert werden. Sie erlauben keine präzise Vorhersage einer jeden Kultur, weil sie nicht isoliert wirken, sondern lokale, eigenständige (also kulturelle) Einflussfaktoren auch eine Rolle spielen.

Es lassen sich aber viele generalisierte Aussagen treffen, beispielsweise über gesellschaftliche Organisationsformen in Abhängigkeit von Bevölkerungsdichte, Seßhaftigkeit, Jagd/Feldbau. Weil (und solange) diese Aussagen auf systemischen Faktoren beruhen, kann man sie auch auf die Frühzeit anwenden.

Der neolithische Massenmord muss seine Ursache nicht in Frauenverschleppung haben. In tribalen Gesellschaften - und von solchen kann man für das frühe Neolithikum ausgehen - ist Krieg alltäglich, da lauert jede Gruppe nur darauf, die Konkurrenten auszuschalten oder zumindest zu schwächen. Diese Eigenheit könnte den Massenmord ursächlich erklären. Dass dabei gebärfähige Frauen verschont wurden, ist nicht weiter überraschend. Frauen sind in expandierenden Gruppen besonders wichtig, weil ihre Produktivkraft hinsichtlich Nachkommenschaft aus biologischen Gründen begrenzt ist.
Die Verschleppungen wären aus dieser Perspektive nur ein logischer Nebenaspekt eines systembedingten kriegerischen Daseins.
 
Zitat Geist:
„Hier liegt das große Problem der deutschsprachigen Archäologie, Abstinenz von Theorie, und damit die Hinwendung zu "objektiveren" Materialanalysen.“
Das ist ein richtiger Einwurf. Das Theoriegebäude und die Methodik der Archäologie bedarf m.E. dringend einer Überarbeitung.
Ich denke, die Zeit, in der die Archäologie, nicht nur in Deutschland für nationalistische, völkische Ideen oder gar als Argumentationsgrundlage für die Aufrechterhaltung bestimmter gesellschaftlicher Missstände (eben z.b. Frauenrecht) unter Zuhilfenahme faktenferner, hirnrissiger Theorien zielgerichtet missbraucht wurde, ist lange genug her um sich nicht weiterhin „nur“ auf die Faktenlage zu konzentrieren. Wir haben jetzt, man verzeihe meine grusselige Analogie, eine Menge sehr gut beschriebener Tatorte, aber keine Täter.
Was in der Archäologie ebenso fehlt, sind nicht nur Soziale/ethnologische Forschungen, sondern auch wirtschaftliche und vor allem auch technisch/handwerkliche Forschungen.
Aber nun gut.

Vielleicht noch zu den drei LBK-Massenmorden:

Zitat Beral:
„Diese Eigenheit (der laufenden Auseinandersetzung, Ergänzung Thomas) könnte den Massenmord ursächlich erklären. Dass dabei gebärfähige Frauen verschont wurden, ist nicht weiter überraschend. Frauen sind in expandierenden Gruppen besonders wichtig, weil ihre Produktivkraft hinsichtlich Nachkommenschaft aus biologischen Gründen begrenzt ist.“
Liegt nahe. Allerdings liegt zumindest Talheim zeitlich eher am Ende der LBK. Die Landnahme hat wohl weitgehend bereits stattgefunden. Es fand wohl eher eine beginnende Vereinzelung der einzelnen Gruppen statt (Übergang ins Mittelneolithikum mit lokaler Kulturausprägung).
An eine gewollte Hinzunahme von Frauen, um sich als Gruppe zu stabilisieren (Sabinerinnen...) glaube ich daher eher nicht.
Ausserdem sind die Massengräber doch recht selten, Herxheim steht ja auch arg unter dem Verdacht, eher eine rituelle Angelegenheit gewesen zu sein (viel Fremdkeramik im Fundgut wird als Hinweis auf Opferungen an einem gemeinsamen Ritualplatz gesehen), als dass regelhaftes, soziologisch gewolltes Vorgehen unbedingt vorliegen muss.

Ich habe eher das Gefühl einer kriminellen Handlung, die auch in LBK Zeiten sozial nicht sanktioniert war. Mir sind die Tatorte einfach zu wenig, um auf regelhaftes Handeln schließen zu müssen, schon gar nicht auf eine Methode zur Aufrechterhaltung einer bestimmten sozialen Gliederung.

(Eher am Rande:
Juristisch wäre es wohl Mord in x-Fällen, in Tateinheit mit Menschenraub und Entführung. Hinzu kämen dann vermutlich noch einige andere kriminelle Handlungen in Richtung Freiheitsberaubung, Menschenhandel und Körperverletzung und gegen die sexuelle Selbstbestimmheit.:nono:)

Thomas
 
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Ausserdem sind die Massengräber doch recht selten, Herxheim steht ja auch arg unter dem Verdacht, eher eine rituelle Angelegenheit gewesen zu sein (viel Fremdkeramik im Fundgut wird als Hinweis auf Opferungen an einem gemeinsamen Ritualplatz gesehen), als dass regelhaftes, soziologisch gewolltes Vorgehen unbedingt vorliegen muss.
Wir hatten hier in Marburg vor einiger Zeit die Bearbeiterinn von Herxheim Frau Zeeb-Lanz zu Gast, in ihrem Vortrag sprach Sie sich ebenfalls für eine rituelle Deutung der Befunde von Herxheim aus.

Ich habe eher das Gefühl einer kriminellen Handlung, die auch in LBK Zeiten sozial nicht sanktioniert war. Mir sind die Tatorte einfach zu wenig, um auf regelhaftes Handeln schließen zu müssen, schon gar nicht auf eine Methode zur Aufrechterhaltung einer bestimmten sozialen Gliederung.
Gerade das "Ende" der LBK ist ja durch eine starke Zunahme an besiedelten Flächen gekennzeichnet, das sich daraus Konflikte ergeben können liegt wohl auf der Hand.
Talheim ist vermutlich ein Bsp. für solche "Landstreitigkeiten".
Auch das angesprochene "Massaker" von Aparan datiert an das Ende der LBK.
Der neolithische Massenmord muss seine Ursache nicht in Frauenverschleppung haben. In tribalen Gesellschaften - und von solchen kann man für das frühe Neolithikum ausgehen - ist Krieg alltäglich, da lauert jede Gruppe nur darauf, die Konkurrenten auszuschalten oder zumindest zu schwächen.
Eine regelhafte kriegr. Auseinandersetzung der verschiedenen Lokalgruppen, sehe ich ähnlich wie Thomas, aber nicht als gegeben.
 
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